Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien

Aktenzeichen  Au 6 K 17.50167

Datum:
21.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Asylbewerber laufen in Bulgarien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die in der Vergangenheit festgestellten Mängel in Bezug auf das Prüfverfahren und die Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes sind zwar nicht gänzlich ausgeräumt; allerdings sind weitgehende positive Veränderungen erkennbar, die der Annahme durchgreifender Mängel des bulgarischen Asylsystems entgegenstehen (vgl. VG München BeckRS 2017, 107920). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die wegen des übereinstimmenden Verzichts der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft zuständigen Staat gestellt hat. Solche Rechtsvorschriften finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin-III-VO, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31).
1. Vorliegend ist davon auszugehen, dass Bulgarien für die Prüfung des dort gestellten Asylantrags des Klägers zuständig ist.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 604/2013/EU prüft der Mitgliedstaat den Asylantrag, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO 604/2013/EU). Dies ist aufgrund der vorliegenden Beweise und Indizien (Art. 22 Abs. 3 VO 604/2013/EU i.V.m. Anhang II Verzeichnis A I Nr. 7, B I Nr. 7 der Durchführungsordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 39 vom 8.2.2014, S. 1) hier der Daten aus der Eurodac-Datei (vgl. Art. 8 Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11.12.2000 über die Errichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 316 vom 15.12.2000, S. 1, i.V.m. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28.2.2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Errichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 62 vom 5.3.2002, S. 1), der Fall.
Der Antragsteller hat sich nachweislich in Bulgarien aufgehalten. Bestätigt wird dies durch die Rückübernahmezusage Bulgariens. Bulgarien ist somit gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO gehalten, den Antragsteller wieder aufzunehmen; die bulgarischen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch angenommen (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO). Bulgarien ist daher der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat.
2. Gründe, von einer Überstellung nach Bulgarien gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013/EU abzusehen, sind nicht ersichtlich. Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCH ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013/EU sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
a) Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt oder dass der Kläger in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
Hiervon kann nach Auffassung des Gerichts in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht ausgegangen werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2017 – 20 ZB 17.50008 – juris Rn. 5 f.; VG München, B.v. 24.3.2017 – M 6 S. 16.50886 – juris Rn. 32 ff. m.w.N.). Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen; Gegenteiliges hat auch der Antragsteller nicht substantiiert vorgebracht.
Zwar sind die Lebensbedingungen selbst für Personen mit zuerkannter Flüchtlingseigenschaft in Bulgarien prekär. Weder ist aber eine Verletzung der in Art. 26 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote erkennbar, noch herrschen in Bulgarien derart handgreiflich eklatante Missstände, die die Annahme rechtfertigen, anerkannte Flüchtlinge würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Antragsteller müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Eine solche Behandlung muss vielmehr ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK zu gelten. Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht etwa dazu, Schutzberechtigte finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard einschließlich bestimmter Standards medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Generell reicht die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten (EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – juris). Dieses Mindestmaß an Schwere erreichen die Verhältnisse, denen Schutzsuchende und anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien ausgesetzt sind, unter Berücksichtigung neuerer allgemein zugänglicher Erkenntnismittel nicht:
Soweit der UNHCR in seinem Bericht (UNHCR-Observations on the current situation of asylum in Bulgaria, Stand: April 2014) von schweren wirtschaftlichen Situationen und teilweise strukturellen Hindernissen berichtete, ist dabei nicht von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen. Pro Asyl berichtete etwa hinsichtlich des Zugangs zum Gesundheitssystem von „schwerwiegenden Hürden“ (Pro Asyl, „Erniedrigt, misshandelt und schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“, Stand: April 2015, im Internet abrufbar). Im Umkehrschluss bedeutete dies aber auch, dass anerkannte Flüchtlinge Krankenversicherungsschutz und damit Zugang zur bulgarischen Gesundheitsversorgung – wie bulgarische Staatsangehörige auch – genießen oder zumindest erlangen können. Insgesamt ist die Qualität der medizinischen Versorgung in Bulgarien im Vergleich zu Deutschland sehr eingeschränkt, im Allgemeinen sind aber Erkrankungen behandelbar und die erforderlichen Medikamente erhältlich (VG Augsburg, U.v. 28.4.2015 – Au 2 K 15.30058 – juris Rn. 23, bestätigt durch: BayVGH, B.v. 17.6.2015 – 21 ZB 15.30126).
Die die in der Vergangenheit festgestellten Mängel in Bezug auf das Prüfverfahren und die Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes sind zwar nicht gänzlich ausgeräumt; allerdings sind weitgehende positive Veränderungen erkennbar, die der Annahme durchgreifender Mängel des bulgarischen Asylsystems entgegenstehen (vgl. VG München, B.v. 24.3.2017 – M 6 S. 16.50886 – juris Rn. 37 m.w.N.).
Auch die Aufnahmebedingungen sind verbessert. So führt AIDA (Asylum Information Database, Country Report: Bulgaria, Update 2016, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/bulgaria) aus, mittellose Asylsuchende würden mit Vorrang den Aufnahmezentren zugewiesen und eine etwaige besondere Schutzbedürftigkeit ermittelt, eine Registrierungskarte werde ausgestellt und sei die Grundvoraussetzung für den Zugang zu allen Rechten wie dem Verbleib im Staatsgebiet, dem Zugang zu Versorgung und sozialer Hilfe (zu gleichen Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige) sowie Krankenversicherung, Krankenversorgung, psychologischer Hilfe und Ausbildung (AIDA a.a.O., S. 43), wobei die Rechte für Personen im Dublin-Verfahren eingeschränkt seien, was seit der Rechtsänderung im Jahr 2015 auch für Zweitantragsteller gelte (ebenda S. 43). Seit dem Jahr 2016 werde nach früheren Unregelmäßigkeiten nun Nahrung drei Mal am Tag und im Zentrum Ovcha Kupel in Sofia zwei Mal am Tag bereitgestellt (ebenda S. 47). Die Bargeldausstattung werde als unzureichend betrachtet, um außerhalb der Aufnahmezentren zu leben; Asylsuchende mit dem Wunsch, außerhalb dieser Zentren zu leben, müssten erklären, über genügend Mittel zur Selbstversorgung zu verfügen und damit auf diese Geldzahlung zu verzichten (ebenda S. 44). Die materiellen Bedingungen dürften von Gesetzes wegen nicht reduziert und nur dann entzogen werden, wenn z.B. der Asylsuchende untergetaucht sei (ebenda S. 45, 49 zur Gesundheitsfürsorge). Die staatliche Flüchtlingsagentur (State Agency for Refugees – SAR) bemängele, dass dies auch auf im Dublin-System überstellte Personen Anwendung finde (ebenda S. 45). Der Rechtsweg stehe gegen verweigerte Unterstützung offen (ebenda S. 45). Medizinische Betreuung sei das Jahr 2016 hindurch in unterschiedlichem Umfang in allen Aufnahmezentren zur Verfügung gestanden (ebenda S. 47) und werde nach gleichen Regeln wie für Staatsangehörige selbst gewährleistet; ebenso träfen sie auf dieselben Mängel an Ausrüstung und Geldmitteln im Gesundheitssystem (ebenda S. 49). Auch für die Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine ablehnende Entscheidung könnten Asylsuchende noch in den Aufnahmezentren bleiben (ebenda S. 47). Zum 10. Januar 2017 habe SAR eine Auslastung von 76% in den Aufnahmezentren mitgeteilt gegenüber 110% noch Ende September 2016 (ebenda S. 48, 11).
Von Gesetzes wegen, wenn auch noch nicht in nationales Recht übernommen, würden folgende Personen als besonders schutzbedürftig bzw. verletzlich eingestuft: Unbegleitete Kinder, schwangere Frauen, ältere Personen, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Behinderte und Opfer von schweren psychologischen, physischen oder sexuellen Misshandlungen (ebenda S. 50). Die Bedürfnisse dieser Personen würden mit Ausnahme von Medikation, Ernährung bezogen auf chronische Erkrankungen noch nicht in nationale vorgaben umgesetzt; hierin sei zum Jahresende 2016 noch kein Fortschritt erreicht (ebenda S. 50). Besondere Unterkünfte für Familien, alleinstehende Frauen, unbegleitete Kinder und traumatisierte Personen gebe es nicht (ebenda S. 50).
Für im Dublin-System überstellte Personen sei neuerdings ein Anspruch auf Wiedereröffnung des Verfahrens ungeachtet der nationalen 6-Monatsfrist hierfür gegeben, gleichwohl würden sie häufig mit der Verfahrenseinstellung in Abwesenheit konfrontiert; der Anspruch auf Wiedereröffnung sei wegen der nur geringen Zahl zurückgeführter Personen noch nicht eingerichtet (ebenda S. 11, 29; im Jahr 2016 seien gegenüber 10.377 Rückübernahmeersuchen nur 624 Personen rücküberstellt worden, S. 25, 28). Ist das Asylgesuch in Bulgarien noch anhängig oder in Abwesenheit beendet, wird eine rücküberstellte Person in ein Aufnahmezentrum verbracht; war das Asylverfahren bereits vor dem Verlassen Bulgariens abgeschlossen, wird die Person einem Einwanderungszentrum überstellt (ebenda S. 29). Ein allgemeines Asylfolgeverfahren sei nun eingerichtet (ebenda S. 11).
Daher steht nach den vorliegenden Erkenntnismaterialien und den diese auswertenden Gerichtsentscheidungen zur Überzeugung des Gerichts somit fest, dass das Asylsystem und das Asylbewerberaufnahmesystem in Bulgarien zwar teilweise noch defizitär sind, es sich jedoch angesichts der rechtlichen Verbesserungen seit der Rechtsänderung 2015 und der erkennbaren Fortschritte sowie der derzeit deutlich gesunkenen Auslastung der kapazitätsmäßig ausgebauten Aufnahmezentren zum derzeitigen entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht um Mängel systemischer Art und Schwere handelt (wie hier OVG NRW, U.v. 19.5.2017 – 11 A 52/17.A – juris Rn. 43 ff.; OVG Saarland, U.v. 10.1.2017 – 2 A 330/16 – juris Rn. 30 ff.; VG München, B.v. 24.3.2017 – M 6 S. 16.50886 – juris Rn. 44).
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, insbesondere bestehen keine zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (dazu sogleich).
Soweit der Kläger geltend macht, ihm drohe in Bulgarien eine Rücküberstellung in die Türkei, ist dies vom Bundesamt nicht zu prüfen, das lediglich die Rückführung nach Bulgarien angeordnet hat, welche als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich seines Asylrechtsvollzugs auch mit Blick auf die Türkei keinen schwächeren Rechtsstandards unterliegt als Deutschland. Rückführungshindernisse hinsichtlich der Türkei zu prüfen, ist Sache Bulgariens (vgl. oben). Dies gilt auch für das Refoulement-Verbot.
b) Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Besondere persönliche Umstände, die befürchten ließen, dass dem Kläger bei der Durchführung seines Asylverfahrens in Bulgarien erhebliche Gefahren für Leib und Leben drohen würden, die einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK befürchten ließen, sind nicht ersichtlich.
c) Die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien kann auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen.
Solche Abschiebungshindernisse sind im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist. Dies ist hier der Fall; Gegenteiliges ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
Nach derzeitiger Sachlage besteht für den Antragsteller kein tatsächliches Abschiebungshindernis; insbesondere ist er reisefähig und die Rückübernahme durch Bulgarien zugesichert, so dass keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse entgegenstehen.
d) Auch läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 VO 604/2013/EU von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Bulgarien mit Schreiben vom 5. Juli 2017 noch bis zum 5. Januar 2018 und ist daher noch nicht abgelaufen, so dass es keiner Entscheidung über die Frage bedarf, ob dem Kläger allein aus dem Fristablauf ein subjektiv-öffentliches Recht erwachsen kann.
e) Einwände gegen das im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot für sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung, gestützt auf § 11 AufenthG, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keine schützenswerten Bindungen an das Bundesgebiet geltend gemacht, die für seine kürzere Fernhaltung sprächen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
3. Soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Fortführung eines Asylverfahrens, zur Asylanerkennung, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes begehrt, fehlt seiner Klage das Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger im Bundesgebiet keinen Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt hat.
4. Nach allem erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes als rechtmäßig und war die Klage demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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