Aktenzeichen M 8 S 16.51205
Leitsatz
1 Asylbewerber laufen in Österreich nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nur lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, hindern die Abschiebung eines Ausländers. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der am … August 1983 geborene Antragsteller zu 1., die am … Januar 1986 geborene Antragstellerin zu 2. und die jeweils am … Juni 2007 geborenen Antragsstellerinnen zu 3. und 4., der am … Februar 2012 geborene Antragsteller zu 5. und die am … Oktober 2013 geborene Antragstellerin zu 6. sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten nach ihren Angaben am 14. September 2016 aus der Türkei aus und gelangten über den Landweg über Österreich am 29. September 2016 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Am 10. Oktober 2016 stellten sie hier Asylantrag.
Ein Abgleich der Fingerabdrücke der Antragsteller zu 1. und 2. ergab einen EURODAC-Treffer Nr. AT 1 …-1 … für die Republik Österreich. Bei ihrer zweiten Anhörung am 21. November 2016 räumten die Antragsteller zu 1. und 2. ein in Österreich am 24. September 2016 Asylantrag gestellt zu haben. Die Republik Österreich hat dem Übernahmeersuchen vom 17. November 2016 mit Schreiben vom 25. November 2016 entsprochen.
Mit Bescheid vom 30. November 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragsteller zu 1. bis 6. alias …, …, … und … und …, alle hiernach syrischer Staatsangehörigkeit, als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Österreich an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag aufgrund des bereits in Österreich gestellten Asylantrags nach § 27a des Asylgesetzes (AsylG) unzulässig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), auszuüben, sei nicht ersichtlich. Weiterhin wurde ausführlich dargelegt, dass systemische Mängel in Österreich nicht bestünden, und sowohl eine ausreichende Unterbringung und Versorgung als auch Behandlungsmöglichkeiten für etwaige Erkrankungen gegeben seien.
Der Bescheid vom 30. November 2016 wurde den Antragstellern zu 1. und 2. mit Postzustellungsurkunde am 3. Dezember 2016 zugestellt.
Mit einem am 8. Dezember 2016 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schriftsatz vom 7. Dezember 2016 erhob der Bevollmächtigte der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 30. November 2016 und beantragte gleichzeitig,
die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides vom 30. November 2016 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Hauptsacheverfahren außer Vollzug zu setzen.
Zur Begründung wurde für Klage und Antrag ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1. in der Türkei als Kurde mit seiner Familie verfolgt worden sei. Aufgrund der Bombardierungen des Heimatortes des Antragstellers zu 1. leide dieser unter einem schweren posttraumatischen Belastungssyndrom. Jede Ortsänderung des Antragstellers sei für diesen ganz erheblich nachteilig und gefährde dessen Gesundheit. Ein ärztliches Attest werde nachgereicht.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2016 reichte der Bevollmächtigte der Antragsteller einen Überweisungsschein des Internisten Dr. … für den Antragsteller zu 1. an einen Facharzt für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 8. Dezember 2016 mit der Begründung: „Diagnose/Verdachtsdiagnose auf Posttraumatische Belastungsstörung, Schlafstörung, mittelgradige Depression“.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 legte die Antragsgegnerin die elektronischen Akten vor, stellte aber keinen Sachantrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 und § 75 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, über den nach § 77 Abs. 4 Satz 1 AsylG vorliegend vom Einzelrichter entschieden wird, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Da sich der angegriffene Bescheid des Bundesamts nach summarische Prüfung als rechtmäßig erweist, führt die vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 27a AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1. Die Republik Österreich hat dem auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützten Ersuchen der Antragsgegnerin vom 17. November 2016, die Antragsteller wieder aufzunehmen, mit Schreiben vom 25. November 2016 entsprochen und sich bereit erklärt, den Asylbewerber zu übernehmen und die Prüfung des Asylantrags durchzuführen.
Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend von den Erkenntnissen aus dem Asylverfahren und den Erklärungen in der 2. Anhörung vom 21. November 2016 sind die Antragsteller im September 2016 über Österreich nach Deutschland eingereist. Dort wurde am 24. September 2016 ein Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich aus dem bei einer EURODAC-Abfrage für die Antragsteller erzielten Treffer mit der Kennzeichnung „AT1“ (vgl. Art. 24 Abs. 4 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 – EURODAC-VO -). Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten unzutreffend sind, bestehen nicht, zumal nach Art. 23 Abs. 1 lit. c EURODAC-VO sogar eine normative Richtigkeitsgewähr hinsichtlich der von den Mitgliedsstaaten erhobenen und an das Zentralsystem übermittelten Daten besteht. Die Zuständigkeit Österreichs ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Dublin III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Österreich am 24. September 2016 (vgl. Art. 7 Abs. 2 der Dublin III-VO) der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als zwölf Monate zurücklag.
Damit ist die Republik Österreich gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO verpflichtet, die Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 der Dublin III-VO wieder aufzunehmen. Mit ihrer Zustimmung vom 25. November 2016 zum Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 17. November 2016 hat sie dies auch ausdrücklich anerkannt.
Systemische Mängel des Asylverfahrens in Österreich sind nicht ersichtlich. Insoweit wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die ausführliche Darstellung im angefochtenen Bescheid verwiesen.
2. Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind nicht ersichtlich. Das Gleiche gilt für inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Daran ändert auch der vorgelegte Überweisungsschein des Dr. … … vom 8. Dezember 2016 nichts.
2.1 Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. VG Augsburg, B.V. 16.12.2015, BA S. 5).
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBI S. 390 -) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentliche die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört.
2.2 Vor dem so umrissenen rechtlichen Hintergrund ist die gemäß der Neuregelung in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG bestehende gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1. nicht widerlegt, sodass ein ernsthaftes Risiko, der Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1. werde sich unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern, nicht vorliegt, zumal Österreich ein Mitgliedsland der Europäischen Union mit hohem medizinischen Standard ist. Der Zweck der gesetzlichen Vermutung wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, zu art. 2 S. 18) folgendermaßen umschrieben:
Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind … Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindern9s) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt.
Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen … Die Abschiebung darf nicht dazu führen, dass sich eine schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeiten in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben droht. Es wird jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist.
Der von der Antragspartei vorgelegte Überweisungsschein des Internisten Dr. … vom 8. Dezember 2016 belegt weder eine solche schwerwiegende Erkrankung, noch dass sich die von der Antragspartei vorgetragene Erkrankung für den Antragsteller zu 1. infolge der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Vielmehr handelt es sich bei der hier geltend gemachten Erkrankung um ein Standardvorbringen einer Vielzahl von Asylbewerbern, denen die Abschiebung unmittelbar droht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)