Europarecht

Keine systemischen Mängel des polnischen Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 9 S 18.50590

Datum:
27.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56833
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 12
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Polen im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (ausweislich des bei der Erstaufnahme abgegebenen Reisepasses und des abgegebenen Inlandspasses, vgl. Bl. 48 und Bl. 96ff. der Bundesamtsakte) ukrainischer Staatsangehöriger und am 10. Januar 1985 geboren. Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 24. Januar 2018 (Bl. 22 – 25 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er hat am 24. Januar 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle Manching einen Asylantrag gestellt hat.
Ebenfalls am 24. Januar 2018 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Dort gab der Antragsteller auf die Frage, ob es Gründe gebe, warum er nicht nach Polen überstellt werden wolle, an, in Polen möge man die Russen nicht. Dort arbeiteten nur die Leute aus der Westukraine, die Polen arbeiteten in Deutschland. Außerdem gab er an, dass man ihm in der Ukraine gesagt habe, dass er HIV habe. In Behandlung sei er deswegen aber nicht. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 70 – 73 der Bundesamtsakten).
Ebenfalls am 24. Januar 2018 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 64 – 69 der Bundesamtsakten).
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang (Bl. 104 der Bundesamtsakte), dass ihm von Polen ein Visum (zum Zweck der Arbeitsaufnahme) erteilt wurde.
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2018 erklärten die polnischen Behörden mit Schreiben vom 6. Februar 2018 (Bl. 106 der Bundesamtsakte) ihr Einverständnis mit der Überstellung des Antragstellers.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Kopie der Empfangsbestätigung wurde der Bescheid am 16. Februar 2018 zugestellt.
Der Antragsteller erhob hiergegen zur Niederschrift bei der auswärtigen Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München in Manching am 22. Februar 2018 Klage (Az.: M 9 K 18.50589) mit dem Antrag, den Bescheid vom 9. Februar 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Außerdem beantragte der Antragsteller, hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Polen gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung der Rechtsbehelfe wird auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen und außerdem ausgeführt, dass sich die Lage in der Heimat des Antragstellers weiterhin verschlechtert habe, weswegen er nicht zurückkehren könne.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Klage in der Hauptsache hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2018, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Polen ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Polen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Das ergibt sich aus Art. 12 Dublin III-VO, da der Antragsteller mit einem von Polen ausgestellten Visum in den Schengen-Raum bzw. in den Anwendungsbereich der Dublin III-VO eingereist ist. Damit ist Polen als der Staat, der das Visum ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Der Umstand der Ausstellung des Visums durch Polen unterliegt keinen Zweifeln. Er wird vom Antragsteller selbst eingeräumt, außerdem geht das polnische Visum aus den vorgelegten Akten hervor.
Die polnischen Behörden haben die Zuständigkeit Polens bejaht und der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt.
2. Die Abschiebung nach Polen kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung nach Polen als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Polen infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der einhelligen aktuellen Rechtsprechung ist, abgesehen davon, dass seitens des Antragstellers nichts dazu vorgetragen ist, dass das polnische Asylverfahren an systemischen Mängeln leiden würde, nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. statt aller VG München, B.v. 6.4.2017 – M 9 S 17.50799 – juris Rn. 20 m.w.N.; VG Aachen, B.v. 19.5.2017 – 6 L 721/17.A – juris Rn. 20f.; VG Potsdam, Gerichtsbescheid v. 2.5.2017 – 6 K 1693/17.A – juris Rn. 18; VG Frankfurt (Oder), B.v. 8.2.2017 – 2 L 762/16.A – juris Rn. 17, alle m.w.N.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass die Lage in seinem Heimatland schlechter geworden sei, ist das für dieses Verfahren nicht relevant, denn hier geht es wegen der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung nach Polen gerade nicht um die Frage, ob er in die Ukraine zurückkehren kann oder muss. Die geltend gemachte HIV-Infektion ist weder vom Antragsteller belegt noch bestehen Zweifel an einer Behandelbarkeit in Polen (vgl. zur ausreichenden medizinischen Versorgung in Polen z.B. VG Würzburg, B.v. 26.7.2017 – W 8 S 17.50406 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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