Europarecht

Keine systemischen Mängel im Asylverfahren in Italien

Aktenzeichen  M 25 S 15.50982

Datum:
5.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 13, Art. 17, Art. 18, Art. 25
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

In Italien läuft ein Asylbewerber keine Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein, sodass keine systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen (ebenso VGH München BeckRS 2014, 52068). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller, Staatsbürger aus Mali, reiste nach eigenen Angaben am 8. Juni 2015 ins Bundesgebiet ein und stellt hier am 21. August 2015 Asylantrag.
Ein EURODAC-Abgleich ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Italien.
Ein am 15. Oktober 2015 gestelltes Übernahmeersuchen an Italien wurde nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom … Dezember 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3).
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Klage und beantragte gleichzeitig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde angeführt, der Antragsteller erhalte keine finanzielle Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Dauer des Aufenthalts sowohl in CARAs als auch in den SPRAR-Unterkünften sei zeitlich begrenzt. Personen mit Schutzstatus seien italienischen Staatsbürgern gleichgestellt und ab dem Zeitpunkt ihrer Anerkennung auf sich alleine gestellt. Art. 3 EMRK begründet die Verantwortlichkeit eines Staates wegen der Behandlung einer Personen, falls diese vollkommen von staatlicher Unterstützung abhängig sei und sich in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen oder Not befinde, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar sei. Die Übernahmebereitschaft Italiens sei nicht geklärt, der Ausgang des Asylverfahrens des Antragstellers in Italien sei ungewiss. Abgelehnte Asylbewerber und auch solche denen subsidiärer Schutz zugesprochen worden sei, seien in Italien oftmals schlechter gestellt als Asylbewerber innerhalb des Asylverfahrens. Es würden systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien bestehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27 a AsylG als unzulässig abgelehnt.
Nach § 27 a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Prüfung des am 21. August 2015 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrag ist gemäß Art. 18 Abs. 1 b VO (EU) Nr. 604/2013, des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 -Dublin-III-VO- Italien zuständig, da er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat. Da Italien auf das Übernahmeersuchen vom 15. Oktober 2015 nicht fristgerecht geantwortet hat, ist davon auszugehen, dass dem Wideraufnahmegesuch stattgegeben wird, Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO.
Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet trotz der Zuständigkeit Italiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
Von Verfassungswegen kommt eine Prüfungspflicht der Antragsgegnerin nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93) ist dies – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die, für die Qualifizierung des Drittstaates als sicher, maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NRW, U. v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B. v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U. v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B. v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.10.2013 – OVG 3 S 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt, noch dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta implizieren.
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse.
Sie werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (vgl. BayVGH a. a. O.).
Sollte der Antragsteller als Asylberechtigter anerkannt worden sein – wofür er nachweispflichtig wäre – ist das Asylverfahren abgeschlossen und der Antragsteller wird einem italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dabei auftretende Probleme stellen somit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens dar. Im Übrigen erhalten diese Personen auch Unterstützung von Hilfsorganisationen.
Bei negativem Abschluss des Asylverfahrens ist der Antragsteller rückkehrpflichtig.
Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2014 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Die Aufnahmebedingungen in Italien begründen für den alleinstehenden jungen Mann grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U. v. 13.01.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande). Auch die Probleme bei der Unterbringung der im Laufe des Jahres 2015 sprunghaft gestiegenen Zahl von Asylbewerbern rechtfertigen nicht eine generelle Aussetzung von Rückführungen nach Italien (EGMR U. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S gegen Schweiz).
Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien).
Keinen Bedenken begegnet das auf § 11 Abs. 2,3 AufenthG gestützte 12-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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