Europarecht

Keine systemischen Mängel im litauischen Asylsystem

Aktenzeichen  AN 14 S 18.50048

Datum:
11.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6703
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
Dublin III-VO Art. Art. 12 Abs. 4, Art. 17 Abs. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Das litauische Asylsystem weist keine systemischen Mängel auf, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten lassen, sodass eine Rücküberstellung nach Litauen rechtmäßig ist. (Rn. 17 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Litauen im Rahmen des „Dublin-Verfahrens“.
Die Antragsteller sind tadschikische Staatsangehörige und reisten nach eigenen Angaben am 9. Oktober 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. Oktober 2017 stellten sie dort einen förmlichen Asylantrag.
Dem Bundesamt lagen nach den Angaben der Antragsteller Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates vor. Daraufhin richtete das Bundesamt am 30. Oktober 2017 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Litauen. Die litauischen Behörden haben sich mit Schreiben vom 29. Dezember 2017 zur Übernahme bereit erklärt.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 5. Januar 2018, den Antragstellern zugestellt am 9. Januar 2018, wurde ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Nummer 1 des Bescheides) und ihre Abschiebung nach Litauen angeordnet (Nummer 3 des Bescheides). Unter Nummer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Die Antragsteller haben durch ihre Bevollmächtigte am 16. Januar 2018 Klage erheben und Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen lassen. Begründet werden diese damit, dass die Antragsteller in Litauen keine Willenserklärung in Bezug auf eine Asylantragstellung abgegeben haben. Außerdem sei Litauen nicht in der Lage ein menschenwürdiges Asylverfahren zu gewähren. Am 4. April 2018 wurden ferner durch ärztliche Bescheinigung vom 20. März 2018 eine depressive Symptomatik bei der Antragstellerin zu 2 vorgetragen und durch ärztliche Bescheinigung vom 6. März 2018 deren Schwangerschaft (21. Schwangerschaftswoche) nachgewiesen.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen die Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin auf ihre Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die in elektronischer Form vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2018 ist zulässig, aber unbegründet.
Die von den Antragstellern erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung der Klage, weil diese aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Nummer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 27 November 2017 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Zuständiger Staat ist nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31 – „Dublin IIIVO“) der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Vorliegend ist Art. 12 der Dublin III-VO einschlägig. Litauen hat für den Antragssteller am 5. Oktober 2017 ein Visum mit Gültigkeit vom 6. Oktober 2017 bis 4. November 2017 ausgestellt. Da jedenfalls die 6-Monatsfrist des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO noch nicht abgelaufen war bei Stellung des Asylgesuchs am 12. Oktober 2017 (Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO), ist Litauen für die Antragsteller zuständig.
Die litauischen Behörden haben auf das Übernahmegesuch Deutschlands auch innerhalb der 2-Monatsfrist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO reagiert und sich zur Übernahme bereit erklärt. Litauen ist damit verpflichtet, den Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
Die Zuständigkeit Litauens ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Der vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellte, zulässige Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung hat den Lauf der Überstellungsfrist unterbrochen, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Die Überstellungsfrist beginnt ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses vollständig neu zu laufen (BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 und U.v. 26.5.2016 – 1 C15.15 –, beide juris; OVG NRW – B.v. 7.7.2016 -13 A 2302/15.A -, juris).
Die Abschiebung der Antragsteller nach Litauen ist grundsätzlich auch rechtlich möglich. Es liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit Litauens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen. Besondere Umstände, die zum Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO führen würden, sind seitens des Antragstellers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bwz. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O., Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO). An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14, juris).
Ausgehend davon bestehen nach dem der Kammer vorliegenden Erkenntnismaterial im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass den Antragstellern im Falle ihrer Rücküberstellung nach Litauen auf Grund dort vorhandener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber eine menschenunwürdige oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRCh) bzw. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) drohen würde.
Die Verneinung systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Litauen entspricht auch der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. VG Cottbus, B.v. 13.11.2017 – 5 L 649/17.A – juris; VG München, Beschlüsse v. 14.7.2016 – M 7 S 16.50401 und M 7 S 16.50403 -, juris; VG Düsseldorf, B. v. 14.12.2015 – 22 L 3629/15.A -, juris; B. v. 17.6.2015 – 13 L 1896/15.A –, juris; VG Regensburg, B. v. 13.1.2015 – RO 9 S 14.50347 -, juris) sowie der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. VG Ansbach, B.v. 30.10.2017 – AN 14 S 17.51092; U. v. 27.1.2016 – AN 14 K 15.50615 -, juris; B. v. 16.10.2015 – AN 14 S 15.50445 -, juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Auch inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht gegeben. Die Schwangerschaft der Antragstellerin begründet im gegenwärtigen Stadium kein Abschiebungshindernis.
Bedenken gegen die unter Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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