Europarecht

Keine Überstellung nach Italien im Dublin-Verfahren ohne Ehefrau und neugeborenes Kind

Aktenzeichen  M 9 S 17.50332

Datum:
28.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 25, § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 10
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1,  Abs. 3 S. 1
EMRK EMRK Art. 3
GG GG Art. 6

 

Leitsatz

Ausnahmsweise kommt ein Anspruch auf den sogenannten humanitären Selbsteintritt gemäß Art. 17 Dublin III-Verordnung oder doch wenigstens ein Abschiebungsverbot in Betracht, wenn durch die Überstellung eines Asylsuchenden nach Italien die familiäre Gemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinem neugeboren Kind faktisch aufgelöst würde. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: M 9 K 17.50331) des Antragstellers gegen Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Januar 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit der Volkszugehörigkeit der Esan (Bl. 34 sowie Bl. 40 der Bundesamtsakten) und geboren am … … … Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 3. November 2016 – Erstbefragung (vgl. die Niederschrift Bl. 1 – 4 bzw. Bl. 96 – 99 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er habe das Heimatland erstmalig am 23. Dezember 2014 verlassen und sei über den Niger, Libyen, Italien, wo er sich ca. ein Jahr und sechs Monate aufgehalten habe und die Schweiz nach Deutschland gereist, wo er am 23. Oktober 2016 angekommen sei und wo er am 3. November 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt hat. In Italien habe er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und diesen Status auch zuerkannt bekommen.
Ebenfalls am 3. November 2016 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung statt. Auf die Frage, ob es einen Mitgliedstaat gebe, in den er nicht überstellt werden will, gab der Antragsteller Italien an; zur Begründung gab er an, in Deutschland habe man sich um ihn und seine Frau gekümmert. Als seine Frau zu ihm nach Italien gekommen sei, habe sich niemand um ihre Gesundheit gekümmert, hier sei das anders. Auf Frage nach Gründen, die gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für Deutschland sprechen, gab der Antragsteller an, seine schwangere Ehefrau sei hier in Deutschland. Im Übrigen wird auf die Niederschrift Bezug genommen (Bl. 30 – 32 der Bundesamtsakten).
Ebenfalls am 3. November 2016 fand eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Dort gab der Antragsteller an, er habe in Italien „Asyl“ bekommen. Auf die Frage, warum er Italien wieder verlassen habe, gab der Antragsteller an, seine Ehefrau sei schwanger geworden, im Flüchtlingslager sei ihnen gesagt worden, dass „man“ sich nicht um die schwangere Ehefrau kümmern könne. Im Übrigen wird auf die Niederschrift (Bl. 33 – 37 der Bundesamtsakte) Bezug genommen.
Am 14. November 2016 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf die Frage nach seinen Identitätspapieren gab der Antragsteller an, er habe zwar keinen Pass oder Personalausweis, aber eine Geburtsurkunde; der Antragsteller wurde aufgefordert, diese bzw. weitere Identitätsdokumente bis 15. Januar 2017 vorzulegen. Auf die Frage, ob er verheiratet sei, bejahte der Antragsteller und teilte mit, seine Ehefrau sei …, Alter 24, sie befinde sich in München und sei schwanger. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 39 – 45 sowie die Anlagen Bl. 46 – 49 der Bundesamtsakten) im Übrigen und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 50f. der Bundesamtsakten) wird Bezug genommen.
In der Bundesamtsakte sind mehrere Kopien von Dokumenten der vom Antragsteller angegebenen Ehefrau enthalten, u.a. der Aufnahmeschein („White Paper“) der Regierung von Oberbayern Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber München vom 25. Oktober 2016 (Bl. 82 der Bundesamtsakten), ein Ankunftsnachweis des Regierungspräsidiums Karlsruhe Registrierungszentrum vom 24. Oktober 2016 (Bl. 88 der Bundesamtsakten), in dem der Antragsteller und … … als Ehegatten aufgenommen sind und eine Registrierung der persönlichen Daten der Regierung von Oberbayern Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber vom 25. Oktober 2016 (Bl. 101 der Bundesamtsakten), in der bei „Suchen Sie Asyl?“ „Ja“ angekreuzt und eingetragen ist, dass … … im fünften Monat schwanger sei. Als Geburtsdatum von … … lässt sich allen Dokumenten der …  entnehmen.
Ebenfalls enthält die Bundesamtsakte Kopien von drei vom Antragsteller im Original abgegebenen Unterlagen, und zwar eine Geburtsurkunde des Antragstellers (Bl. 115 der Bundesamtsakten), eine Heiratsurkunde (Bl. 116 der Bundesamtsakten) und eine weitere Urkunde, aus der die Heirat des Antragstellers mit … folgen soll (Versicherung an Eides Statt „Affidavit of declaration of Marriage“, Bl. 117 der Bundesamtsakten). Zu der Geburts- und der Heiratsurkunde sind in der Bundesamtsakte jeweils Urkundenvorprüfungen AVS (= Asylverfahrenssekretariat) enthalten (Bl. 113 und 114 der Bundesamtsakten) mit jeweils folgendem Untersuchungsvermerk:„Mit den hier vorhandenen Untersuchungsmöglichkeiten bei zerstörungsfreier Untersuchung konnten Manipulationen nicht festgestellt werden. Kein Vergleichsmaterial vorhanden“. Beide Dokumente wurden anschließend zur physikalisch-technischen Urkundenuntersuchung (PTU) im Bundesamt eingesendet (Bl. 121f. der Bundesamtsakten). Ein Ergebnis enthält die Bundesamtsakte nicht.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein EURODAC-Treffer für Italien (IT1CT0194J).
Am 21. Dezember 2016 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Italien; eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Zur Begründung der Entscheidung in Nr. 4 des Bescheids wird u.a. ausgeführt (S. 5 des Bescheids), dass der Antragsteller zwar vorgetragen habe, dass seine schwangere Ehefrau in Deutschland sei, dies gehe „jedoch nicht über die Belastungen hinaus, die im Regelfall auftreten“. Auf den Bescheid und seine Begründung im Übrigen wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 6. Februar 2017 wurde der Bescheid an die Aufnahmeeinrichtung des Antragstellers versandt mit der Bitte, den Bescheid auszuhändigen. Laut zurückgelaufener Empfangsbestätigung wurde der Bescheid dem Antragsteller am 10. Februar 2017 ausgehändigt.
Der Antragsteller erhob am 10. Februar 2017 zur Niederschrift bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München Klage und beantragte die Aufhebung des Bescheids vom 25. Januar 2017. Außerdem beantragte er hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung von Klage und Antrag nahm der Antragsteller zunächst Bezug auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt und führte weiter aus, dass er befürchte, in Italien von den Schleppern, die ihn von Nigeria dorthin gebracht hätten, getötet zu werden. Außerdem würden sich seine Frau und sein Kind ebenfalls hier in Deutschland aufhalten.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2017 bestellte sich die Bevollmächtigte des Antragstellers für Klage- und Antragsverfahren und führte aus, dass beim Antragsteller dringende humanitäre Gründe dafür vorlägen, ihm den weiteren Verbleib in Deutschland zu ermöglichen. Die Ehefrau bzw. Lebenspartnerin des Antragstellers …, geboren am …, habe am 21. Januar 2017 ihr erstes Kind bekommen. Eine Geburtsurkunde könne noch nicht vorgelegt werden, der entsprechende Schriftverkehr mit der Regierung von Oberbayern sowie eine Kopie der Aufenthaltsgestattung sind dem Schriftsatz beigefügt. Eine Rückführung der Ehefrau mit dem Kind nach Italien sei derzeit nicht möglich, da die Unterbringungsmöglichkeiten nicht gegeben seien. Alleine in Deutschland bleiben könne sie jedoch nicht wegen Art. 6 GG, Art. 3 EMRK.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist auch begründet, denn die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache sind nach jetzigem Stand in Bezug auf die für den vorläufigen Rechtsschutz allein relevante Abschiebungsanordnung offen. Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung überwiegt hier das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit.
Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nach Italien in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist zweifelhaft, weil nach derzeitigem Stand nicht feststeht, ob die Voraussetzungen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG vorliegen, was im hiesigen Antragsverfahren nicht abschließend geklärt werden kann (nachfolgend unter 1.). Die wegen der offenen Erfolgsaussichten erforderliche Interessenabwägung im Übrigen geht zugunsten des Suspensivinteresses des Antragstellers aus (nachfolgend unter 2.).
1. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Der vom Antragsteller im Verwaltungswie auch im Gerichtsverfahren vorgetragene Umstand, dass sich seine Ehefrau mit einem neugeborenen Kind (nach von der Bevollmächtigten des Antragstellers vorgelegten Unterlagen, d.h. laut Aufenthaltsgestattung namens Excel Idanegbe, geboren am 21. Januar 2017) in Deutschland befindet, der Antragsteller jedoch ohne Ehefrau und Kind nach Italien überstellt werden soll und die Behörde der Antragsgegnerin den entsprechenden Vortrag des Antragstellers im streitgegenständlichen Bescheid komplett ignoriert hat, führt zu für den im Antragsverfahren anzulegenden Maßstab ausreichenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung.
Denn es steht bereits nicht fest, ob Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Italien. Dieser hat dort auch einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 (Neufassung) (EURODAC-VO)). Damit ist aber vorliegend noch nicht sichergestellt, dass Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat ist. Denn im Falle des Antragstellers kommt die insoweit vorrangige (Art. 7 Abs. 1 Dublin III-Verordnung) Zuständigkeit gemäß Art. 10 Dublin III-Verordnung in Betracht, entweder bezogen auf die Ehefrau, das Kind oder beide. Ob das wirklich zutrifft, kann gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden, was aber im Wesentlichen im Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin liegt. Zwar sind die Angaben des Antragstellers auch nicht über jeden Zweifel erhaben, immerhin aber hat dieser im Verwaltungsverfahren Urkunden aus dem Herkunftsland vorgelegt und zumindest im Wesentlichen widerspruchsfrei Umstände vorgetragen, die die anspruchsbegründenden Tatsachen für eine Zuständigkeit nach Art. 10 Dublin III-Verordnung beinhalten. Die Behörde der Antragsgegnerin hat weder das Ergebnis der Überprüfung der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen abgewartet noch etwa die Asylverfahrensakte der Ehefrau des Antragstellers vorgelegt noch überhaupt diesen Umstand im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren irgendwie gewürdigt mit der einzigen Ausnahme, dass im streitgegenständlichen Bescheid bei der Begründung des Ausspruchs in Nr. 4 zum Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgeführt wird, dass der Umstand, dass die (damals noch) schwangere Ehefrau in Deutschland sei, nicht über die Belastungen hinausgehe, die im Regelfall auftreten. Das ist in doppelter Hinsicht zu beanstanden. Erstens, unabhängig davon, dass es nicht zum Streitgegenstand des Antragsverfahrens gehört, ist das keine ordnungsgemäße Ausfüllung des von § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffneten Ermessens. Denn dem Gericht ist bekannt, dass das Bundesamt die auch hier gewählte Frist von sechs Monaten auch bei allen anderen „Dublin-Fällen“ festsetzt; der streitgegenständliche Fall unterscheidet sich aber wegen der vorliegenden Umstände wesentlich von den sonstigen Fällen; daher ist es nicht rechtmäßig, das Vorbringen des Antragstellers mit der obigen Floskel abzutun, zumal es auf der Hand liegt, dass es sich im Falle des Antragstellers nicht um „die Belastungen handelt, die im Regelfall auftreten“, schon deswegen, weil im Regelfall ein Asylantragsteller keine schwangere bzw. mittlerweile niedergekommene Ehefrau hat, die offenbar im Bundesgebiet bleiben „darf“, wohingegen der Antragsteller zurückgeschoben werden soll. Zweitens hätte der Vortrag des Antragstellers nicht erst bei der Entscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, sondern bereits bei der Behandlung des Asylantrags selbst bzw. bei der Anordnung der Abschiebung gewürdigt werden müssen. Da das nicht geschehen ist, liegt keine ordnungsgemäße Behandlung des Asylantrags des Antragstellers vor.
Unabhängig von einer etwaigen Zuständigkeit nach Art. 10 Dublin III-Verordnung kommt hier wegen der Umstände des Falls auch ausnahmsweise ein Anspruch auf den sogenannten humanitären Selbsteintritt gemäß Art. 17 Dublin III-Verordnung oder doch wenigstens ein Abschiebungsverbot in Betracht. Das Gericht bezweifelt zwar grundsätzlich, dass auf das Gebrauchmachen von Art. 17 Dublin III-Verordnung ein Anspruch bestehen kann (vgl. im Einzelnen VG München, B.v. 22.3.2017 – M 9 S. 17.50325 -, wird in juris veröffentlicht; anders etwa BayVGH, B.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 21f., dagegen ist beim Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsverfahren anhängig, Az.: 1 C 9/16). Allerdings kommt in besonders gelagerten Fällen wie dem vorliegenden im Falle von Familienangehörigen i.S.v. Art. 2 lit. g) Dublin III-Verordnung jedenfalls ein (inlandsbezogenes) Abschiebungsverbot auf der Grundlage der unionsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 GR-Charta, Art. 11 Dublin III-VO) in Betracht. Das bedeutet nicht unbedingt, dass eine Überstellung nach Italien von allen Familienangehörigen in jedem Fall ausgeschlossen ist, es bedeutet allerdings, dass die Antragsgegnerin die familiäre Gemeinschaft nicht dadurch faktisch auflösen darf, dass der Antragsteller nach Italien überstellt wird, Ehefrau und Kind jedoch hierbleiben.
Die aufgeworfenen Fragen können im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beantwortet werden. Zwar sind bei der weiteren Aufklärung im Klageverfahren beide Beteiligte heranzuziehen, was auch geschehen wird. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass es Sache des Bundesamts ist, zunächst einmal die Verfahrensakten der Frau des Antragstellers vorzulegen, um dadurch wenigstens die Grundlage für weitere Nachfragen usw. zu bieten; geschieht das nicht innerhalb einer angemessenen Frist, wird der streitgegenständliche Bescheid in der Hauptsache aufzuheben sein.
2. Daher ist derzeit offen, ob ein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin eingetreten ist oder zumindest ein Abschiebungsverbot besteht. Vor diesem Hintergrund fällt die anzustellende Interessenabwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin zu Gunsten von ersterem aus. Denn eine spätere Überstellung, sollte sich deren Rechtmäßigkeit ergeben, ist dann ohne weiteres und wesentlich einfacher möglich als eine Rückholung des Antragstellers, sollte er jetzt überstellt werden, sich aber später die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung herausstellen.
3. Ob die zweite Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung, nämlich das Feststehen i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass die Abschiebung nach Italien bei dieser Sachlage überhaupt durchgeführt werden kann, vorliegt, kann daher offenbleiben.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen