Aktenzeichen M 12 K 17.2200
Leitsatz
Bei der Prognose, ob die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts erfüllt ist, ist eine Abschätzung aufgrund rückschauender Betrachtung vorzunehmen, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Die Ablehnung seines Antrages im Bescheid vom 10. November 2016 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis versagt, da die Voraussetzungen für eine im Ermessen der Beklagten stehende weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 AufenthG nicht vorliegen.
Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis scheitert daran, dass die auch im Rahmen des § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach § 8 AufenthG anzuwendenden allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 AufenthG, wonach die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist, nicht vorliegt. Auch liegt kein atypischer Ausnahmefall vor, auf den der Regelversagungsgrund nicht anzuwenden wäre.
a. Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gesichert.
Zwar muss bei einer erstmaligen Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 1 AufenthG die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erfüllt sein. Weitere Verlängerungen nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG setzen aber voraus, dass diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung vorliegt (BayVGH, B.v. 17.06.2013 – 10 C 13.881 – juris Rn. 15 m.w.N).
Die Prüfung, ob die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist, erfolgt durch eine Prognoseentscheidung, im Rahmen derer darüber zu befinden ist, ob der Ausländer seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichendem Krankenversicherungsschutz in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel bleiben außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Von einer Sicherung des Lebensunterhaltes kann daher nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (BayVGH, B.v. 8.2.2017, 10 ZB 16.1850 – juris Rn. 13; B.v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.524 – juris Rn. 6). Erforderlich ist bei der Prognose eine Abschätzung aufgrund rückschauender Betrachtung, ob ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel aufgebracht werden kann (vgl. zusammenfassend Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 5 AufenthG Rn. 25 m.w.N.).
Diese Prognoseentscheidung fällt zu Lasten des Klägers aus.
aa. Der Kläger war zwischen den Jahren 1994 und 2005 ausweislich seines Rentenbescheides nur für insgesamt 52 Monate, das entspricht vier Jahren und vier Monaten, erwerbstätig.
bb. Seit seiner Wiedereinreise am 23. Mai 2011 war der Kläger für über fünf Jahre nicht erwerbstätig; er bezog in dieser Zeit Arbeitslosengeld II. Vom 6. Dezember 2016 bis zum 3. März 2017 wurde der Kläger zwar als Teamkraft bei der Firma … GmbH & Co. KG mit einem regelmäßigen monatlichen Nettoeinkommen von 900 € angestellt. Wegen Insolvenz der Firma … wurde er jedoch bereits in der Probezeit zum 3. März 2017 wieder gekündigt.
Aufgrund seiner geringen Dauer der Erwerbstätigkeit in Deutschland würde der Kläger nach der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 2. Januar 2017 ab dem 1. Mai 2031 auch nur eine Rente in Höhe von 111,50 € monatlich beziehen, wenn der Berechnung ausschließlich die bisher gespeicherten rentenrechtlichen Zeiten sowie der derzeit maßgebende aktuelle Rentenwert zu Grunde gelegt wird.
cc. Es ist nicht abzusehen, ob und dass der Kläger seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet voraussichtlich in Zukunft aus eigenen Mitteln sicherstellen können wird. Es ist nicht zu erwarten, dass er auf Dauer Arbeitseinkünfte erzielen wird, die seinen Bedarf decken werden. Dies ergibt sich aus einer rückschauenden Betrachtung auf die geringe Erwerbstätigkeit und den Sozialleistungsbezug des Klägers in den vergangenen Jahren und auch aus seinen etlichen erfolglos gebliebenen Bewerbungen. Dem Kläger wurden trotz seiner Fortbildung zur geprüften …fachkraft keine Jobangebote unterbreitet, obwohl er seit Beendigung des Lehrgangs am 17. März 2016 über 100 Bewerbungen an verschiedene Unternehmen gesandt hat. Mit Ausnahme der Firma … GmbH & Co KG, bei der er betriebsbedingt innerhalb der Probezeit gekündigt worden ist, bekam er keine Arbeitsangebote. Es ist daher nicht abzusehen, ob und wann dem Kläger aufgrund seiner Bewerbungen eine Arbeitsstelle erhalten wird.
dd. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Beschäftigung als Helfer bei dem Verein „… e.V.“, der er seit Anfang Juni 2017 nachgeht, ändert an dieser negativen Prognose nichts. Bei dieser Tätigkeit des Klägers handelt es sich unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit nicht um eine Tätigkeit, die einen verlässlichen Mittelzufluss gewährleistet. Die vom Kläger ausgeübte Unterstützungsleistung ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, für die er eine geringfügige Entlohnung erhält. In der vorgelegten „Helferaufnahme“ ist weder ein fester Stundenlohn festgesetzt worden, noch ist vereinbart worden, wie viele Stunden der Kläger verbindlich in der Woche bzw. im Monat zu arbeiten hat. Auch wenn dem Kläger angeblich zugesichert worden ist, dass er durch diese Tätigkeit 600,- € im Monat verdienen könne, so hat er hierauf nach der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Vereinbarung keinerlei Anspruch. Eine Verlässlichkeit des Mittelzuflusses ist hierdurch nicht gegeben, so dass eine Sicherung des Lebensunterhaltes in dem Sinne, dass er durch diese Tätigkeit in Zukunft auf Dauer sein Leben ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann, durch diese Tätigkeit nicht erreicht werden kann.
ee) Dass der Kläger sich tatsächlich zumindest im letzten Jahr redlich bemüht hat, eine Arbeitsstelle zu finden, führt zu keiner anderen Entscheidung. Bei der Beurteilung, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel auf Dauer gesichert ist, kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer „unverschuldet“ soziale Leistungen in Anspruch nimmt. Eine derartige Einschränkung des Erfordernisses der Lebensunterhaltssicherung ist (anders als im Einbürgerungsrecht oder bei § 9 Abs. 2 S. 3, 6 AufenthG) den gesetzlichen Regelungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 31 Abs. 4 Satz 2, 8 Abs. 1 AufenthG, welche den fiskalischen Interessen, die mit dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt werden, ein großes Gewicht einräumen, nicht zu entnehmen (vgl. BayVGH, U.v. 9.12.2005 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 42 unter Verweis auf Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 5 AufenthG Rn. 46 m.w.N., Maor in Kluth/Heusch, Beck`scher Online-Kommentar, Ausländerrecht, Stand 1.8.2015, § 5 AufenthG Rn. 20 m.w.N.).
ff) Die Witwenrente in Höhe von monatlich 160,- € stellt zwar einen regelmäßigen Mittelzufluss dar. Der Kläger hat jedoch nach Berechnung der Beklagten unter Berücksichtigung dieser Rente immer noch einen monatlichen Bedarf in Höhe von 709,- €, nachdem er bereits für seine Wohnung einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 435,- € sowie einen Regelbedarf nach § 20 SGB II in Höhe von 404,- € hat. Dem Kläger ist daher vom Jobcenter München ein monatlichen Gesamtbetrag zuletzt von Juli 2016 bis Juni 2017 in Höhe von 709,- € bewilligt worden.
b. Ein atypischer Sachverhalt, auf den der Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht anzuwenden wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht unverhältnismäßig, insbesondere im Falle des Klägers auch nicht unzumutbar, an der Regelvoraussetzung festzuhalten. Der Gesetzgeber bringt durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse anzusehen ist. Ausnahmen von der Regel sind daher grundsätzlich eng auszulegen. Ein Ausnahmefall ist nur bei besonderen, atypischen Umständen gegeben, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein (BVerwG, U. v. 30. 4. 2009 – 1 C 3.08 – juris, BayVGH, U. v. 19.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 43, B. v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.528 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Atypische Umstände, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Recht beseitigen, liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein etwaiges – auf seinen langjährigen Aufenthalt in Deutschland gründendes – Vertrauen des Klägers auf ein weiteres Recht auf Verbleib im Bundesgebiet schutzwürdig wäre. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein gewichtiges, aber nicht das allein entscheidende Kriterium zur Bestimmung eines vom Regelversagungsgrund abweichenden Ausnahmefalls ist (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 31.8.2009 – 2 M 132/09 – juris Rn. 4). Vielmehr muss der Ausländer die ihm durch einen langen Aufenthalt gegebene Gelegenheit auch genutzt haben, sich wirtschaftlich und sozial so zu integrieren, dass eine Verfestigung seiner Lebensverhältnisse im Bundesgebiet eingetreten ist und ihn eine Beendigung des Aufenthalts besonders hart treffen würde. Zu der langjährigen Dauer des Aufenthalts müssen also noch besondere Umstände hinzutreten (BayVGH, B.v. 4.12.2013 – 10 CS 13.1449 – juris Rn. 22).
Der Kläger hielt sich von Anfang 1994 bis April 2005 und erneut seit Mitte 2011 im Bundesgebiet auf. Die eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner zweiten deutschen Ehefrau ist durch deren Tod seit Dezember 2013 beendet. Sonstige schützenswerte familiäre oder anderweitige Bindungen hat der Kläger nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich. Auch beruflich hat sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht integriert. Zumindest seit seiner Wiedereinreise im Jahr 2011 ist er keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat ausschließlich von öffentlichen Geldern gelebt. Das fortgeschrittene Alter des Klägers ist kein atypischer Umstand, der ein Abweichen vom Regelversagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen würde (BayVGH, U.v. 19.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 44).
2. Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach Abschnitt 4 des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere nach § 18 AufenthG, war hier im Hinblick auf das aktuelle Beschäftigungsverhältnis nicht beantragt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger mit seiner derzeitigen Tätigkeit die Voraussetzungen für eine Zustimmung der Bundesagentur erfüllen würde.
3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu, die im Übrigen auch nicht beantragt war. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG scheitert bereits daran, dass der Kläger keinen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne dieser Vorschrift bezweckt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG setzt u.a. voraus, dass die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Hierfür liegen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte vor.
4. Auch die auf § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und die auf § 50 AufenthG gestützte Ausreisefrist begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.