Europarecht

Kostenerstattung für geleistete Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei Wechsel der Zuständigkeit

Aktenzeichen  B 3 K 15.698

Datum:
31.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I SGB I § 30 Abs. 3
BGB BGB § 288, § 291

 

Leitsatz

1. Endet die Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung und wird das Kind anschließend bei Pflegeeltern untergebracht, ist keine “einheitliche Leistung” im Sinne eines unveränderten Hilfebedarfs mehr gegeben. Die örtliche Zuständigkeit ist daher neu zu ermitteln.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen sind in sinngemäßer Anwendung der § 291 S. 1 iVm § 288 Abs. 1 S. 2 BGB Prozesszinsen zu entrichten, wenn das einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die aufgewendeten Kosten für die dem Kind … gewährte Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege für den Zeitraum vom 02.05.2014 bis 14.09.2014 in Höhe von 2.905,01 EUR zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 2.905,01 EUR gegen die Beklagte für die Kosten, die anlässlich der dem Kind D.H. geleisteten Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege in der Zeit vom 02.05. bis 14.09.2014 entstanden sind.
1. Gemäß § 89c SGB VIII sind von dem örtlichen Träger, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist, Kosten zu erstatten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat.
Nach § 86c SGB VIII bleibt bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der bisher zuständige örtliche Träger solange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.
1.1. Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit im Sinne von § 86c SGB VIII ist gegeben. Der Kläger war unstreitig bis zur Beendigung der Hilfe gemäß § 19 SGB VIII (Unterbringung in einer gemeinsamen Wohnform für Mütter/Väter und Kinder) zuständiger Jugendhilfeträger. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
– Der Kläger war unstreitig ursprünglich für die Unterbringung der Kindsmutter und ihrem Sohn im Frauenhaus in … gemäß § 86 b Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 19 SGB VIII zuständig.
– Diese Zuständigkeit entfiel nicht durch den weniger als drei Monate dauernden Aufenthalt in der Suchtklinik … vom 21.06. bis 12.07.2013. Dieser Aufenthalt unterbrach die Hilfeleistung nicht entscheidungserheblich (§ 86b Abs. 3 Satz 2 SGB VIII).
– Die Zuständigkeit entfiel auch nicht durch den Aufenthalt der Kindsmutter zusammen mit ihrem Sohn in der Suchtklinik … vom 06.08. bis 18.11.2013 (vgl. Klageschriftsatz vom 01.10.2015). Es ist nicht ersichtlich, dass dort gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I die Kindsmutter einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte. Der Aufenthalt dort überschritt zwar die Dauer von drei Monaten, war aber von Anfang an lediglich als vorübergehender Aufenthalt geplant und nicht auf Dauer angelegt.
– Diese Zuständigkeit blieb gemäß § 86b Abs. 1 SGB VIII bestehen, als die Kindsmutter mit ihrem Sohn in eine Mutter-Kind-Einrichtung in … (Leistung nach § 19 SGB VIII „Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder“) wechselte. Durch den Verweis in § 86b Abs. 1 Satz 2 SGB VIII auf die entsprechende Anwendung von § 86a Abs. 2 SGB VIII wird klargestellt, dass sich die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in eine Einrichtung oder sonstige Wohnform richtet. Danach war unstreitig der Kläger zuständig.
Diese Zuständigkeit endete jedoch mit der Beendigung der Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung. Mit der Beendigung dieser Maßnahme am 26.03.2014 (Einweisung ins BKH …) bzw. spätestens am 07.04.2014 (Auszug des Kindes D.H. aus der Mutter-Kind-Einrichtung und Aufnahme in die Pflegefamilie) ist die spezielle Zuständigkeitsnorm des § 86b SGB VIII, die nur für Leistungen in gemeinsamen Wohnformen gilt, nicht mehr anwendbar.
Für eine besondere fortwirkende Zuständigkeit, wonach bei einer einheitlichen Hilfeleistung keine neue Zuständigkeitsermittlung erforderlich wäre, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Es kann unter den vorliegenden Voraussetzungen insbesondere spätestens ab 07.04.2014 nicht (mehr) von einer „einheitlichen Leistung“ im Sinne eines unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarfs innerhalb einer Gesamtmaßnahme ausgegangen werden (vgl. dazu BVerwG vom 29.01.2004, Az. 5 C 9/03 in juris; VG Bayreuth vom 29.08.2016, Az. B 3 K 13.378; VGH München vom 21.10.2013, Az. 12 ZB 2139).
Im Gegensatz zu diesen Entscheidungen werden hier
– nicht nur Mutter und Kind getrennt, sondern
– darüber hinaus erhielt faktisch nur noch das Kind und nicht (mehr) die Mutter (spätestens ab dem 07.04.2014) jugendhilferechtliche Leistungen, denn die Leistung an Mutter und Kind in der Mutter-Kind-Einrichtung in …wurde zum 01.04.2014 beendet (vgl. Protokoll Fachkräftekonferenz vom 04.06.2014).
Aus diesem Grund war der erzieherische Bedarf des Kindes durch den vollständigen Ersatz der Personensorge der Kindsmutter durch die Pflegeeltern nicht mehr identisch, sondern von grundsätzlich anderer Qualität.
Auch wenn seine Zuständigkeit entfallen war, war der Kläger wegen § 86c SGB VIII zur Weiterleistung verpflichtet.
1.2 Die Beklagte war dagegen für die Erbringung der streitgegenständlichen Leistung zuständig.
Die konkrete streitgegenständliche Maßnahme ist eine Leistung gemäß § 33 i.V.m. § 27 Abs. 1 und 2 SGB VIII.
1.2.1 Die Zuständigkeit des Leistungsträgers richtet sich nach § 86 ff. SGB VIII. Die konkrete Maßnahme (Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege) begann am 07.04.2014 mit der Unterbringung des Kindes (ohne seine Mutter) in der Bereitschaftspflegefamilie …
Die Zuständigkeit hierfür richtet sich gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII („örtliche Zuständigkeit für Leistungen an Kinder, Jugendliche und ihre Eltern“) bei verschiedenen gewöhnlichen Aufenthalten der Eltern nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des personensorgeberechtigten Elternteiles.
Da vorliegend der gewöhnliche Aufenthalt des Vaters jedenfalls nicht bei der Kindsmutter lag und auch nur der Kindsmutter das Personensorgerecht zustand, kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Kindsmutter an.
Zum 07.04.2014 hielt sich die Kindsmutter im Bezirkskrankenhaus in … auf; der Aufenthalt dort war seinem Zweck und der Ausrichtung nach nur vorübergehender Natur und bietet deshalb keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes. Der gewöhnliche Aufenthalt in der Mutter-Kind-Einrichtung war zum 01.04.2014 durch Kündigung beendet. Deshalb kommt gemäß § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung entscheidende Bedeutung zu. Dieser lag vor Beginn der hier maßgeblichen Leistung (Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege) im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, im Mutter-Kind-Heim in …
Der hier maßgebliche Leistungsbeginn war der 07.04.2014. Im Sinne eines einheitlichen Leistungsbegriffs als unveränderter jugendhilferechtlicher Bedarf innerhalb einer Gesamtmaßnahme (vgl. dazu BVerwG vom 29.01.2004, Az. 5 C 9/03 in juris; VG Bayreuth vom 29.08.2016, Az. B 3 K 13.378; VGH München vom 21.10.2013, Az. 12 ZB 2139) war vorliegend der erzieherische Bedarf des Kindes durch den vollständigen Ersatz der Personensorge der Kindsmutter durch die Pflegeeltern nicht mehr mit der früheren Leistung im Mutter-Kind-Heim gemäß § 19 SGB VIII identisch, sondern von grundsätzlich anderer Qualität (siehe dazu oben Nr. 1).
Auch in einer Einrichtung kann ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden, soweit kein anderer Bezug außerhalb dieser Einrichtung besteht (siehe dazu OVG NW v. 15.12.2015, Az. 12 A 2645/14). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß der Bestimmung des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, zu der sich für den hier zu beurteilenden Fall aus dem SGB VIII nichts Abweichendes ergibt (vgl. § 37 Satz 1 SGB I), dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Danach ist zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende an dem Ort oder in dem Gebiet tatsächlich seinen Aufenthalt genommen hat und sich dort „bis auf Weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Ein gewöhnlicher Aufenthalt beispielsweise kann auch in einer JVA begründet werden, was sich schon aus der Existenz des § 89e SGB VIII („Schutz der Einrichtungsorte“) ergibt (vgl. dazu OVG NW s.o.). Ein freiwilliger Aufenthalt ist nicht erforderlich; grundsätzlich kann daher auch ein Zwangsaufenthalt in einer Haftanstalt oder Therapieeinrichtung einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, mit Ausnahme der Untersuchungshaft, die nach ihrem Zweck und ihrer Ausrichtung nur vorübergehender Natur ist. Ob die Lebensverhältnisse bei einer Inhaftierung im Einzelfall die erforderliche Verfestigung aufweisen, ist unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Wege einer in die Zukunft gerichteten Prognose zu bestimmen.
Da vorliegend keine anderweitigen weiteren Bezugspunkte außerhalb dieser Einrichtung feststellbar sind, ist von der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in der Mutter-Kind-Einrichtung und in Folge dessen von einer grundsätzlichen Zuständigkeit der Beklagten auszugehen.
Durch die Anmeldung der Kindsmutter am 01.05.2014 im Hotel … in … nahm sie ihren kurzzeitig unterbrochenen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wieder auf. Durch ihre melderechtliche Anmeldung am 01.05.2014 hatte sie objektiv und subjektiv zu erkennen gegeben, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilen wird (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I s.o.). Diese Voraussetzungen sind mit der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt erfolgt, zumal die Kindsmutter damit auch in der Nähe ihres Kindes bleiben konnte. Es bedarf deshalb keiner Klärung, ob diese Einrichtung möglicherweise auch eine Unterkunft für Obdachlose ist.
Ausgehend hiervon war gemäß § 86 Abs. 2 SGB VIII – spätestens ab dem 01.05.2014 – die Beklagte für die Hilfemaßnahme Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege zuständig.
1.2.2 Die Beklagte kann dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ab dem 02.05.2016 auch nicht mit einem Gegenanspruch aus § 89e SGB VIII begegnen.
Danach ist der örtliche Träger zur Erstattung der Kosten verpflichtet, in dessen Bereich die Person (Eltern, Elternteil, Kind oder Jugendlicher) vor der Aufnahme in eine Einrichtung etc. den gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es kann dahinstehen, ob danach für den Zeitraum vom 07.04.2014 (Beginn der Vollzeitpflege) bis zum 01.04.2016 ein – gegenläufiger -Kostenerstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger grundsätzlich gegeben wäre, denn der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte wird erst ab dem 02.05.2014 geltend gemacht. Ab diesem Zeitpunkt ginge ein entgegengesetzter Kostenerstattungsanspruch der Beklagten nach § 89e SGB VIII ins Leere, da dessen Voraussetzungen nicht (mehr) vorliegen:
Tatbestandsvoraussetzung des § 89e SGB VIII ist u.a. dass sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt richtet und dieser in einer der dort genannten Einrichtungen ist. Zum 01.05.2014 begründete die Kindsmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in …außerhalb einer der dort genannten Einrichtungen (s.o.). Sie hatte demzufolge ab diesem Tag ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, der nicht mit einem Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne des § 89e SGB VIII in Zusammenhang steht.
Damit liegen die Voraussetzungen für die Erhebung eines Gegenanspruches aus § 89e SGB VIII ab diesem Zeitpunkt nicht (mehr) vor. Eine Kostenerstattungsanspruch bliebe ausweislich von § 89e Absatz 1 Satz 2 SGB VIII auch nicht darüber hinaus bestehen, da die für einen solchen Fall konkret normierten Zuständigkeitsnormen (§ 86a Abs. 4 und § 86b Abs. 3 SGB VIII) hier nicht einschlägig sind.
1.2.3 Es besteht keine fortwirkende, frühere Zuständigkeit, wie sie beispielsweise in § 86 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6, Abs. 7 SGB VIII sowie in § 86a Abs. 2, Abs. 4, § 86b Abs. 3 SGB VIII geregelt ist. Die erforderlichen Voraussetzungen liegen jeweils nicht vor.
o Weder haben die Eltern nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründet, noch stand den Eltern die Personensorge gemeinsam oder keinem Elternteil zu (§ 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII).
o Die Voraussetzungen von § 86 Abs. 5 und 6 SGB VIII (zweijähriger Aufenthalt bei einer Pflegeperson bzw. Leistungen an jugendliche Asylbewerber) sind offensichtlich nicht gegeben.
o § 86a Abs. 2 SGB VIII setzt eine aktuelle Leistung an junge Volljährige im Sinne von § 41 SGB VIII und o § 86b Abs. 3 SGB VIII eine aktuelle Leistung in einer gemeinsamen Wohnform voraus.
Beide zuletzt genannten Alternativen liegen ersichtlich nicht vor.
1.2.4 Da die Beklagte die Hilfeleistung nicht übernahm, war der Kläger zur Fortsetzung der Leistung gemäß § 86c SGB VIII verpflichtet.
Aus den oben genannten Gründen steht ihm nach dem – mit § 86c SGB VIII korrespondierenden – § 89c SGB VIII ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.
1.3. Der Umfang der geforderten Leistungen richtet sich nach § 89f SGB VIII. Die übersandte Kostenaufstellung ist der Höhe nach nachvollziehbar. Zweifel an der Berechnung des Kostenumfangs, wie sie im Schriftsatz des Klägers vom 27.10.2016 errechnet wurden, bestehen nicht und wurden von der Beklagten auch nicht vorgebracht.
Verzugszinsen können gemäß § 89f Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nicht erhoben werden.
1.4. Ein Leistungsausschluss im Sinne von § 111 SGB X ist nicht gegeben und wurde auch nicht geltend gemacht.
1.5 Die Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit beruht auf § 291 BGB. Sie betragen gemäß § 291 Satz 2 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dahingehend wird der Antrag des Klägers ausgelegt (§ 88 VwGO).
Dieser Anspruch ist in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (stRspr für den Bereich der Jugendhilfe z.B. BVerwG vom 22.11.2001 Az. 5 C 42.01 in BVerwGE 115, 251 256). Für den Bereich der Sozialhilfe setzt das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 23.01.2014, Az. 5 C 8/13 in NJW 2014, 1979-1981 (Leitsatz und Gründe), in Buchholz 435.12 § 104 SGB X Nr. 4 (Leitsatz und Gründe) fort. Es führt dazu aus:
„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen in sinngemäßer Anwendung des § 291 Satz 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Prozesszinsen zu entrichten, wenn das einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft (Urteil vom 22. Februar 2001 – BVerwG 5 C 34.00 – BVerwGE 114, 61 = Buchholz 435.12 § 108 SGB X Nr. 1 S. 2 m.w.N.). Dies gilt auch für verwaltungsgerichtliche Erstattungsklagen, die auf den §§ 102 ff. SGB X gründen. Dabei knüpft das Gericht an Rechtsüberzeugungen an, die in Deutschland schon vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs fast allgemein zur Anerkennung gelangt und im Verkehrsleben herrschend waren. Sie halten den Schuldner, auch wenn er sich in redlichem Glauben, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein, auf einen Prozess einlässt, nach dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben für verpflichtet, dem Gläubiger für die Nutzungen Ersatz zu leisten, die er diesem während der Dauer des Prozesses vorenthalten hat (Urteil vom 7. Juni 1958 – BVerwG 5 C 272.57 – BVerwGE 7, 95 = Buchholz 409.2 § 45 AbgeltG Nr. 1 S. 4). Aus § 108 SGB X folgt nichts Gegenteiliges (Urteil vom 22. Februar 2001 a.a.O. S. 65 f. bzw. S. 5).
Daran hält der Senat fest, auch wenn das Bundessozialgericht für den Bereich des sozialgerichtlichen Verfahrens die Gewährung von Prozesszinsen bei Erstattungsansprüchen zwischen Sozialversicherungs- und Sozialleistungsträgern ablehnt (BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 – B 8 SO 22/08 – juris Rn. 8 m.w.N.; ferner BSG, Urteil vom 16. Dezember 1964 – 12 RJ 526/64 – BSGE 22, 150 ). Denn im Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist die Zuerkennung von Prozesszinsen die nach Treu und Glauben gebotene Regel und keine an die engen Voraussetzungen der Analogie gebundene Ausnahme. Auch gebietet es das zu Grunde liegende materielle Recht – wie ausgeführt – nicht, von dieser Regel abzuweichen. Ebenso wenig liefe die Zuerkennung eines Anspruchs des nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträgers gegen den vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger auf Gewährung von Prozesszinsen der Billigkeit und den Grundsätzen von Treu und Glauben zuwider. Es ist nicht zu erkennen, warum der vorrangig verpflichtete Sozialleistungsträger nicht gehalten sein soll, dem in einem Gleichordnungsverhältnis zu ihm stehenden, jedoch nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträger nicht auch für die Nutzungen Ersatz zu leisten, die er diesem während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Erstattungsrechtsstreits vorenthalten hat.“
Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen uneingeschränkt an und sieht keinen Anlass, für Erstattungsforderungen, die nach dem SGB VIII erhoben werden, von diesen Grundsätzen abzuweichen.
2. Als Unterlegene trägt die Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

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