Europarecht

Lebensmittelrechtliche Anordnung, Nikotinbeutel, unionsrechtlicher Lebensmittelbegriff, unsicheres Lebensmittel, Verbot des Inverkehrbringens, Rücknahme

Aktenzeichen  Au 9 K 20.1486

Datum:
21.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23905
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LFGB § 2 Abs. 2
LFGB § 39 Abs. 2 S. 2
VO (EG) 178/2002 Art. 2
VO (EG) 178/2002 Art. 138 Abs. 1 und 2 Buchst. d) und g)

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Über die Klage konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden werden, da die Beteiligten hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 12. April 2021 ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die in der Hauptsache zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhobene, Anfechtungsklage ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Da es sich bei dem Produkt „…“ um ein Lebensmittel handelt, findet das in Ziffer Ia des Bescheids vom 23. Juli 2020 verfügte Verbot des Inverkehrbringens seine Rechtsgrundlage in Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 (KontrollVO) in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 (BasisVO). Da Art. 138 KontrollVO als unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht Vorrang vor nationalem Recht beansprucht, ist § 39 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts nicht anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 3 C 7.14 – juris Rn. 12; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 178. EL Nov. 2020, § 39 LFGB Rn. 10 jeweils zur Vorgängervorschrift Art. 54 Abs. 1 VO (EG) 882/2004; VGH BW, B.v. 17.9.2020 – 9 S 2343/20 – juris Rn. 8; VG Hannover, U.v. 15.1.2020 – 15 A 819/18 – juris Rn. 20 ff.; VG Schleswig, B.v. 8.2.2021 – 1 B 8/21 – juris Rn. 11).
Wird ein Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt ergreifen die zuständigen Behörden gemäß Art. 138 Abs. 1 KontrollVO geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert. Zu den beispielhaft, aber nicht abschließend aufgezählten, geeigneten Maßnahmen gehört insbesondere auch die Beschränkung oder das Verbot des Inverkehrbringens von Waren (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d KontrollVO).
Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen nicht sichere Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden. Lebensmittel gelten dann als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind (Art. 14 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) 178/2002).
2. Bei dem streitgegenständlichen Produkt handelt es sich um ein Lebensmittel im Sinne der Legaldefinition in Art. 2 VO (EG) 178/2002.
a) Der Begriff „Lebensmittel“ ist in Art. 2 VO (EG) 178/2002 legal definiert. Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Damit sind zunächst alle Stoffe erfasst, die nach ihrer Zweckbestimmung von Menschen aufgenommen werden (Rathke in Zipfel/Rathke, LebensmittelR, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Stand Nov. 2020, Art. 2 Rn. 15). Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 stellt klar, dass auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe (einschließlich Wasser), die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden, zu den „Lebensmitteln“ zählen. Schließlich bestimmt Art. 2 Abs. 3 VO (EG) 178/2002, dass einzelne Erzeugnisse, wie u.a. Tabak und Tabakerzeugnisse sowie Arznei- und Futtermittel, nicht zu den „Lebensmitteln“ gehören. Damit werden diese Erzeugnisse aus dem umfassenden Tatbestand des Abs. 1 herausgenommen, obwohl sie zunächst unter den weit gefassten Lebensmittelbegriff fallen würden (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Rn. 16).
b) Bei den streitgegenständlichen Nicopods handelt es sich um Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002).
Die Nikotin Pouches oder Nicopods werden vom Konsument in die Wangentasche gelegt oder zwischen Oberlippe und Zahnfleisch geklemmt. Sie werden nicht gekaut oder geschluckt, sondern nach einiger Zeit wieder entnommen. In der Mundhöhle werden durch die Wirkung des Speichels Nikotin und gegebenenfalls zugesetzte Geschmackstoffe gelöst und durch die Mundschleimhaut in die Blutbahn aufgenommen. Die überwiegende Aufnahme des Nikotins erfolgt zwar über die Mundschleimhaut. Dennoch werden über den produzierten Speichel Nikotin und die zugesetzten Geschmackstoffe geschluckt und gelangen über den Magen-Darm-Trakt in den Körper. Die von der Klägerin in dieser Weise beschriebene Verwendung der Nicopods schließt ihre Einordnung als „Lebensmittel“ im Sinn des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 nicht aus.
Entsprechend dem Schutzzweck des Lebensmittelrechts, ein hohes Maß an Gesundheitsschutz zu gewährleisten und dem Ziel, einen möglichst weiten Anwendungsbereich der VO (EG) 178/2002 (Basis-VO) und damit der Vorschriften über die Lebensmittelsicherheit zu erreichen, müssen den lebensmittelrechtlichen Vorschriften alle Stoffe unterworfen werden, die dazu bestimmt sind, von Menschen aufgenommen zu werden. Der Stoffbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 ist daher als umfassend zu verstehen, sodass es insoweit unerheblich ist, ob ein Stoff einen physiologischen Nährwert oder technologische Wirkung hat und ob es sich um einen Rohstoff oder um eine Zubereitung handelt. Abzugrenzen von dem Stoffbegriff sind somit nur physikalische oder chemische Verfahren, wie beispielsweise die Zufuhr von Strahlen oder von Hitze. Zu welchem Zweck das Erzeugnis aufgenommen wird, ist unerheblich, insbesondere kommt es auch nicht darauf an, ob die Aufnahme einem anerkannten Ernährungs- oder Genusszweck entspricht (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 2 Rn. 19-22; Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 1. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 4 und 5). Für die Einordnung eines Stoffes als Lebensmittel ist nicht allein dessen Beschaffenheit oder Eignung als Lebensmittel, sondern auch dessen Zweckbestimmung, nämlich die Aufnahme durch den Menschen, maßgebend. Hierfür kommt es auf die Verwendung des Stoffes an, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 2 Rn. 23 m.w.N.). Die allgemeine Zweckbestimmung erfasst im Interesse des Gesundheitsschutzes alle Stoffe, die ihrer Gattung nach und allgemein zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt sind. Die ausschließliche Verwendung zu Ernährungs- oder Genusszwecken wird insoweit nicht vorausgesetzt.
Da es sich bei den streitgegenständlichen Nicopods um ein neuartiges Produkt handelt, ist die Beurteilung, ob die geschilderte Verwendung der Nikotinbeutel die Voraussetzungen des Lebensmittelbegriffs erfüllt, insbesondere ob das Kriterium der „Aufnahme durch den Menschen“ im Sinn von Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 erfüllt ist, durch Auslegung zu ermitteln. Ausgangspunkt ist der Wortlaut der Vorschrift, der die Grenze der rechtsfortbildenden Auslegung darstellt. Die Auslegung erfolgt ferner nach Sinn und Zweck der Norm, ihrer Entstehungsgeschichte und den Zusammenhang der einschlägigen Regelungen (BVerfG, B.v. 31.10.2016 – 1 BvR 871/13 – juris Rn. 22). Die in diesem Sinn vorgenommene Auslegung ergibt im hier zu entscheidenden Fall, dass die von der Klägerin angebotenen Nicopods unter den Lebensmittelbegriff fallen, da der Begriff der „Aufnahme durch den Menschen“ nicht zwingend die ausschließliche Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt erfordert. Die Ansicht der Klägerin, der Begriff der Aufnahme im Sinn von Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 sei mit dem Begriff des Verzehrens gleichzusetzen, überzeugt nicht. Denn diese einschränkende Auslegung wird dem unionsrechtlichen Lebensmittelbegriff des Art. 2 Satz 1 der VO (EG) 178/2002 nicht gerecht. Eine Zweckbestimmung zum menschlichen Verzehr als Voraussetzung des europarechtlichen Lebensmittelbegriffs ist den Vorschriften der Verordnung nicht zu entnehmen. Von dem Lebensmittelbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind gerade auch Stoffe erfasst, die nicht verzehrt werden (VG Augsburg, B.v. 19.6.2020 – Au 9 S 20.847 – juris; VG Hannover, B.v. 14.12.2020 – 15 B 5597/20 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 9.2.2021 – 13 ME 580/20 – juris; VG Hamburg, B.v. 5.3.2021 – 7 E 73/21 – juris; VG München, B.v. 20.5.2021 – M 26b S 20.6309 – juris; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Nov. 2020, BasisVO Art. 2 Rn. 33; a.A. Meisterernst in Streinz/Meisterernst, BasisVO/LFGB, 1. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 8; Thomas Boch, LFGB, 8. Online-Auflage 2019, § 2 Rn. 5).
Der weitergehende Begriff „Aufnahme“ umfasst – entgegen dem in § 3 Nr. 5 LFGB nationalrechtlich definierten Begriff des „Verzehrens“ – nicht nur Stoffe, die durch den Mund gezielt dem Magen zugeführt werden. Erfasst sind auch Stoffe, die anderweitig – beispielsweise über die Mundschleimhaut – in den Körper eines Menschen gelangen. Dies entspricht auch der englischen und der französischen Fassung der Verordnung, da sowohl das französische Wort „ingéré“ als auch das englische Wort „ingested“ nicht nur durch den Mund dem Magen zugeführte Stoffe umfassen (Rathke in Zipfel/Rathke a.a.O. Art. 2 Rn. 33). Der Hinweis der Klägerin, im Verordnungstext anderer Mitgliedstaaten, wie die Niederlande, Tschechien oder Griechenland, werde in der entsprechenden Vorschrift das in diesen Ländern übliche Wort für „Verzehr“ verwendet, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts voneinander ab, muss nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden (EuGH, U.v 1.3.2016 – C-443/14 – juris Rn. 27). Soweit die Klägerin auf den Wortlaut einzelner Verordnungsregelungen innerhalb der VO (EU) 178/2002 verweist (vgl. Art. 8 Abs. 1, Art. 14 Abs. 2 Buchst. b); Art. 15 Abs. 2 Spiegelstrich 2 VO (EU) 178/2002), die den Begriff des „Verzehrens“ enthalten, ist dies ebenfalls nicht geeignet, die Gleichstellung beider Begriffe zu begründen. Bereits aus der Systematik der Verordnung ist ersichtlich, dass es sich bei dem Begriff „Verzehr“ um einen gegenüber der „Aufnahme“ engeren Begriff handelt. Der allgemeine Begriff „Aufnahme durch den Menschen“ ist als zwingender Bestandteil des Lebensmittelbegriffs in Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 festgeschrieben. Auch die Regelung in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EG) 178/2002, wonach Lebensmittel als nicht sicher gelten, wenn sie für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind, belegt, dass der Verordnungsgeber bewusst zwischen beiden Begriffen differenziert und der Begriff des „Verzehrens“ als Unterform der Aufnahme eines Stoffes in den Körper verwendet. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bereits terminologisch um zwei unterschiedliche Begriffe, die sich zwar teilweise überschneiden können, in ihrer Bedeutung jedoch nicht deckungsgleich sind. Dafür spricht auch die Regelung in § 3 Nr. 5 LFGB, die das „Verzehren“ als Aufnahme von Lebensmitteln durch den Menschen durch Essen, Kauen, Trinken sowie durch jede sonstige Zufuhr von Stoffen in den Magen definiert. Auch hier unterscheidet der Gesetzgeber zwischen beiden Begriffen und ordnet den Begriff des „Verzehrens“ durch Aufzählung verschiedener Aufnahmearten als eine besondere Form der Aufnahme von Lebensmitteln ein.
Diese Auslegung des Begriffs „Aufnahme“ entspricht ferner der Regelungssystematik des Art. 2 VO (EG) 178/2002, in dem der Lebensmittelbegriff zunächst anhand bestimmter Begriffsmerkmale abstrakt definiert wird, und damit im Interesse des Gesundheitsschutzes ein möglichst breites Spektrum an Stoffen und Erzeugnissen erfasst, die von Menschen aufgenommen werden können. Diese sehr weit gefasste Begriffsbestimmung wird zum einen durch das Erfordernis der Zweckbestimmung zur menschlichen Aufnahme und zum anderen durch die Herausnahme bestimmter Stoffe und Erzeugnisse aus dem Lebensmittelbegriff eingeschränkt. So werden die in Art. 2 Abs. 3 VO (EG) 178/2002 genannten Stoffe und Erzeugnisse aus dem Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts ausgenommen, obwohl sie zunächst unter den weit gefassten Lebensmittelbegriff des Absatzes 1 fallen würden. Dagegen ist der Verzehr von in Absatz 3 bezeichneten Stoffen regelmäßig weder bezweckt noch üblich. Würde man davon ausgehen, dass der Begriff „Aufnahme“ mit dem „Verzehren“ deckungsgleich ist, wäre die Aufzählung in Abs. 3 überflüssig, da diese Stoffe und Erzeugnisse ohnehin nicht unter den Lebensmittelbegriff im Sinn des Absatzes 1 zu subsumieren wären.
Schließlich spricht die Entstehungsgeschichte des unionsrechtlichen Lebensmittelbegriffs gegen die Gleichsetzung beider Begriffe. Die Lebensmitteldefinition des Art. 2 VO (EG) 178/2002 orientiert sich an der Legaldefinition für Lebensmittel des Codex Alimentarius, die mit dem Begriff „Aufnahme durch den Menschen“ alle Erzeugnisse erfasst, die den „Magen-Darmtrakt durchlaufen, einschließlich aller Stoffe, die durch Mund oder Nase eingenommen oder durch Magen-Intubation verabreicht werden“ (Grünbuch der Kommission, Allgemeine Grundsätze des Lebensmittelrechts in der Europäischen Union vom 30.04.1997; KOM(97) 176, 28; Meyer in Meyer/Streinz, LFGB – BasisVO, 2. Aufl. 2012 Art. 2 Rn. 4). Wäre der Verzehr und somit das damit zwangsläufig verbundene Durchlaufen des Magen-Darm-Trakts Voraussetzung für den Lebensmittelbegriff, wäre der Zusatz „einschließlich der durch Mund oder Nase eingenommenen“ Erzeugnisse nicht verständlich. Daher sollen von der Lebensmitteldefinition alle Stoffe erfasst werden, die von Menschen durch den Mund oder die Nase aufgenommen werden.
Für eine Einordnung der streitgegenständlichen Produkte als Lebensmittel spricht auch der Vergleich mit Kaugummi, welcher vom Verordnungsgeber in Art. 2 Satz 2 BasisVO klarstellend als zu den Lebensmitteln gehörend aufgeführt wurde. Zwar werden die tabakfreien Nikotinbeutel anders als Kaugummi nicht gekaut, doch sind sie insoweit mit dem ausdrücklich als Lebensmittel qualifizierten Kaugummi vergleichbar, als die Aufnahme von Stoffen, die einer Trägersubstanz zugesetzt sind, vorwiegend oral über die Mundschleimhaut erfolgt, die Trägersubstanz jedoch nach Gebrauch aus der Mundhöhle entnommen und nicht verschluckt wird (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 9.2.2021 – 13 ME 580/20 – juris Rn. 26). Der Einwand der Klägerin, die Einstufung von Kaugummi als Lebensmittel beruhe auf der Tatsache, dass dieser gekaut werden muss, um die Inhaltsstoffe zu lösen, und auf diese Weise ein vermehrter Speichelfluss entstehe, überzeugt nicht. Beide Stoffen beruhen auf dem gleichen Prinzip: durch Speichel werden die Inhaltsstoffe gelöst und in den Körper aufgenommen – durch Verschlucken des Speichels bzw. durch Resorption über die Mundschleimhaut.
Der Hinweis auf die Praxis in anderen EU-Mitgliedsstaaten rechtfertigt nicht die von der Klägerin vertretene enge Auslegung des Lebensmittelbegriffs. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass sich bislang in den Mitgliedstaaten keine einheitliche Auffassung herausgebildet hat. Lediglich Schweden und Dänemark haben sich zur Lebensmitteleigenschaft ausführlicher geäußert. Auch der Beschluss des schwedischen Zentralamts für Lebensmittelwesen vom 18. Februar 2019 (vorgelegt als Anlage K 5) rechtfertigt keine andere Einschätzung. Die schwedische Behörde hat zunächst nikotinfreie Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind, wie Snus verwendet zu werden, jedoch keinen Tabak enthalten (snusähnliche Erzeugnisse) als Lebensmittel angesehen und behandelt. Erst nachdem derartige Erzeugnisse auf den schwedischen Markt gebracht wurden, die zwar keinen Tabak, aber Nikotin enthielten, wurde die Einschätzung geändert. In seiner Stellungnahme weist das Zentralamt für Lebensmittelwesen allerdings auch darauf hin, dass der Lebensmittelbegriff auf europäischer Ebene nicht eindeutig definiert wurde. Eine für alle Mitgliedstaaten der EU richtungsweisende Entscheidung kann in dem Beschluss der schwedischen Lebensmittelbehörde nicht gesehen werden (so überzeugend VG München, B.v. 20.5.2021 – M 26b S 20.6309 – juris Rn. 53).
Das LGL weist im Übrigen in seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2021 zutreffend darauf hin, dass sowohl die Verdauung als auch die Aufnahme von Lebensmittelinhaltsstoffen nicht erst im Magen-Darm-Trakt erfolgt, sondern bereits im Mund durch die dort angestoßenen enzymatischen Prozesse beginnt. Zum Teil werden die Inhaltsstoffe bereits direkt über die Mundschleimhaut resorbiert, darüber hinaus werden die gelösten Lebensmittelinhaltsstoffe über den Speichel dem Magen-Darm-Trakt zugeführt. Selbst wenn man die Auffassung vertreten würde, dass zur Aufnahme in den Menschen ein Anknüpfen an den Verdauungsprozess in der Form des Durchlaufens des Magen-Darm-Trakts erforderlich wäre, könnte man dieses Kriterium durch die Aufnahme der Inhaltsstoffe über den Speichel als erfüllt ansehen.
Auch der Hinweis darauf, dass elektronische Zigaretten nicht als Lebensmittel eingestuft werden, kann die Einstufung der Nicopods als Lebensmittel nicht in Zweifel ziehen. Die Herausnahme von Erzeugnissen, die überwiegend geraucht und nicht über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden, aus dem Lebensmittelbegriff wäre nicht notwendig, wenn diese von vornherein nicht unter diesen Begriff fielen.
c) Die Nicotine Pouches fallen unstreitig unter keinen Ausnahmetatbestand im Sinn von Art. 2 Satz 3 der VO (EG) 178/2002, insbesondere handelt es sich nicht um ein Tabakerzeugnis (Art. 2 Satz 3 Buchst. f der VO (EG) 178/2002 i.V.m. der RL 89/622/EWG des Rates).
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach Art. 138 Abs. 1 KontrollVO i.V.m. Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 liegen vor.
a) Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich (Buchst. a) oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind (Buchst. b).
Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist oder nicht, sind einerseits die normalen Bedingungen seiner Verwendung sowie die dem Verbraucher vermittelten Informationen zu berücksichtigen (Art. 14 Abs. 3 VO (EG) 178/2002) und andererseits die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen, die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen und die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist (Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002). Gemäß Art. 14 Abs. 7-9 VO (EG) 178/2002 gelten Lebensmittel, die spezifischen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts oder des nationalen Rechts entsprechen, hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher. Geltende Bestimmungen in diesem Sinne sind für die streitgegenständlichen Produkte nicht ersichtlich. Die Frage der Gesundheitsschädlichkeit ist daher individuell anhand der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu beurteilen.
Der Begriff gesundheitsschädlich setzt nicht das Hervorrufen einer Krankheit im medizinischen Sinne voraus. Gesundheitsschädlich ist ein Lebensmittel bereits dann, wenn es eine vorübergehende, jedoch nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung der Gesundheit hervorruft (Meyer in Streinz/Meyer, 2. Aufl. 2012, BasisVO Art. 14 Rn. 22). Es reicht die Eignung zur Gesundheitsschädigung aus. Diese Eignung muss allerdings tatsächlich und konkret bestehen, d. h. der Stoff muss bestimmte feststellbare Eigenschaften aufweisen, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2020, BasisVO Art. 14 Rn. 39). Dabei trägt die Beweislast für die Gesundheitsschädlichkeit die Behörde (vgl. EuGH, U.v. 23.9.2003 – C-192/01 – juris Rn. 46). Sie muss konkret dartun, dass auf Grundlage einer Risikobewertung, die auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht (Art. 6 Abs. 2 VO (EG) 178/2002) eine Gesundheitsgefahr besteht.
b) Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien ist die Beklagte unter Zugrundelegung des Gutachtens des LGL vom 23. April 2020 zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Nicopods um ein nicht sicheres Lebensmittel im Sinn von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der VO (EG) 178/2002 handelt. Die potentielle toxikologische Wirksamkeit von Nikotin ist zwischen den Parteien unstreitig. Wie die Klägerin selbst vorträgt, ist das streitgegenständliche Produkt mit verschiedenen Warnhinweisen versehen, überwiegend auch mit Warnsymbolen, die die Toxizität zum Gegenstand haben. Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ab welcher Dosis eine gesundheitsschädliche Wirkung im Sinn von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) 178/2002 angenommen werden muss.
aa) Das dem Bescheid zugrundeliegenden Gutachten des LGL vom 23. April 2020 kommt im Rahmen der toxikologischen Risikobewertung der laboranalytisch festgestellten Nikotingehalte des untersuchten Produkts zu dem Ergebnis, dass die bei oraler Aufnahme eines Portionsbeutels resultierende akute Nikotindosis den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für den kritischen Endpunkt abgeleiteten ARfD-Wert (Wert der akuten Referenzdosis) jeweils erheblich übersteigt. So wurde für das streitgegenständliche Produkt bei Annahme einer Nikotinfreisetzung von 20%, 50% bzw. 100% eine Überschreitung des ARfD-Werts um das 36,3-fache, das 87,5-fache bzw. das 175-fache ermittelt. Wegen der erheblichen Überschreitung der akuten Referenzdosis wurde das Produkt als gesundheitsschädlich eingestuft.
bb) Die unter Heranziehung des von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) abgeleiteten ARfD-Werts angestellte Risikobewertung des LGL vom 23. April 2020 ist plausibel und nachvollziehbar. Die von der Klägerin vorgelegten privatwirtschaftlich erstellten Stellungnahmen, insbesondere die Gutachten vom 21. Dezember 2020 und vom 25. März 2021, die im Übrigen im Auftrag eines schwedischen Industriekonzerns erfolgten, der Produkte anbietet, die im Zusammenhang mit Tabak stehen (Tabak, Kautabak, Snus), vermögen die dem Bescheid zugrunde liegende Risikobewertung des LGL nicht in Zweifel zu ziehen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei der Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich besonderes Gewicht zukommt. Aufgabe der EFSA ist die wissenschaftliche Beratung sowie die wissenschaftliche und technische Unterstützung für die Rechtsetzung und Politik der Gemeinschaft in allen Bereichen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit auswirken. Die Behörde stellt unabhängige Informationen über alle Fragen in diesen Bereichen bereit und macht auf Risiken aufmerksam (Art. 22, Art. 23 der VO (EG) 178/2002). Bei der Risikobewertung ist dem Gutachten der EFSA nach dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen (Art. 6 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002). Die Behörden der Mitgliedstaaten haben sich daher möglichst an den fachlichen Einschätzungen der Behörde zu orientieren, solange keiner gleichermaßen belastbaren neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügbar sind (Art. 6 Abs. 2 der VO (EG) 178/2002). Die von der Klägerin vorgelegten Stellungnahmen, die im Übrigen nicht die Neutralität aufweisen, wie die Gutachten der gesetzlich zur Neutralität verpflichteten EFSA, sind nicht geeignet, die von der EFSA herangezogenen Kriterien zur Risikobewertung zu erschüttern.
Die Risikobewertung ist nicht schon deshalb fehlerhaft, weil das LGL für die Beurteilung des Risikoniveaus des Nikotins, nicht zwischen unbewusster Aufnahme von Nikotin und der bewussten und absichtlichen Zuführung von Nikotin unterschieden hat. Für die toxikologische Wirkung eines Stoffes macht es keinen Unterschied, ob er versehentlich oder absichtlich dem Lebensmittel zugefügt bzw. vom Konsumenten aufgenommen wurde. Die von der EFSA ermittelten ARfD-Werte wurden im vorliegenden Fall um ein Vielfaches überschritten. Sie betragen das 36,3-fache im niedrigsten und das 175-fache im höchsten Fall. Im Übrigen dürfte in der Risikobewertung auch die bislang noch nicht thematisierte süchtig machende Wirkung nikotinhaltiger Produkte zu berücksichtigen sein, sodass schon unter diesem Gesichtspunkt von einer gesundheitsschädlichen Wirkung auszugehen sein dürfte (so auch VG Hamburg, B.v. 5.3.2021 – 7 E 73/21 – juris Rn. 41).
Das LGL hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass der von der EFSA abgeleitete ARfD-Wert dem aktuellen Wissens- und Kenntnisstand entspricht und seine Ableitung keine gravierenden methodischen Fehler aufweist. Zum einen ist es nicht zu beanstanden, wenn für die gesundheitlich nachteilige (adverse) Reaktion auf eine durch Nikotin verursachte Erhöhung der Herzfrequenz abgestellt wird. Erhöhte Herzschlagschlagfrequenzen gehen nach dem Stand der Wissenschaft mit einer erhöhten Mortalität einher. Das LGL hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass es bei der Beurteilung der Gesundheitsschädigung nicht darauf ankommt, ob der Effekt reversibel ist. Ausschlaggebend ist, ob eine – wenn auch nur vorübergehende – gesundheitliche Beeinträchtigung eintritt. Zum anderen ist die Klägerin dem Hinweis des LGL, die Toxizität von Nikotin sei seit sehr langer Zeit sehr gut untersucht und es handle sich bei dem für Nikotin abgeleiteten ARfD-Wert um einen international anerkannten Bezugswert, nicht substantiell entgegengetreten. Soweit die Klägerin sich auf Dokumente der European Chemicals Agency bzw. der Europäischen Kommission bezieht (Anlage K 22 und K 23), so ist dem entgegenzuhalten, dass sich die im Bereich der Chemikalienregulierung angewandten Werte nicht auf die Risikobewertung im Bereich der Lebensmittelsicherheit eignen.
Soweit die Klägerin vorträgt, neuere Studien im Zusammenhang mit einer Nikotinersatztherapie belegten die Ungeeignetheit des abgeleiteten ARfD Werts, so ist auch dies nicht geeignet, die Risikobewertung des LGL in Zweifel zu ziehen. Die von der Klägerin zitierte Studie bezieht sich auf die Durchführung einer Nikotinersatztherapie bei Schwangeren, bei der im Zuge der Entwöhnung Nikotinpflaster eingesetzt wurden, die das 262-fache des von der EFSA abgeleiteten ARfD-Werts zum Gegenstand hatten. Gegenstand der Studie war die Frage, bei welcher Dosierung von Nikotin im Rahmen einer Nikotinersatztherapie bei Schwangeren bleibende Schädigungen des Embryos vermieden werden können. Die Studie ist auf die hier zu entscheidende Fragestellung im Bereich des Lebensmittelrechts nicht übertragbar, zumal Nikotinpflaster unter ärztlicher Betreuung zur Unterstützung der Raucherentwöhnung eingesetzt werden.
Auch die Behauptung, im Gegensatz zum Nikotin würden die schädlichen Wirkungen von Koffein hingenommen, was eine unzulässige Ungleichbehandlung darstelle, verfängt nicht. Wie das LGL nachvollziehbar dargelegt hat, werden auch die Wirkungen von Koffein von der EFSA als advers (schädlich) eingestuft, wobei aus verschiedenen Studien abgeleitet wurde, dass Dosen unterhalb von 400 mg Koffein am Tag als unproblematisch anzusehen seien. Produkte mit deutlich höheren Koffeingehalten würden als gesundheitsschädlich eingeschätzt, unabhängig davon, ob es sich um Kaffeeprodukte, EnergyDrinks oder Nahrungsergänzungsmittel handele.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass das LGL bei der Risikobewertung von einer zu niedrigen letalen Dosis ausgeht, kann auch dieser Einwand die Risikoermittlung durch das LGL nicht nachhaltig erschüttern. Das LGL weist nachvollziehbar darauf hin, dass die letale Dosis von Nikotin für die Bewertung gesundheitlicher Risiken von Lebensmitteln ungeeignet ist. Es kommt daher für die Plausibilität der Risikobewertung nicht darauf an, dass das Bundesamt für Risikoforschung in einer neueren Stellungnahme von einem höheren letalen Wert ausgeht. Da die letale Dosis als Bezugspunkt für die Risikobewertung eines Lebensmittels nicht herangezogen werden kann, ist auch der Hinweis auf die unterschiedliche Bewertung der letalen Dosis von Nikotin im Zusammenhang mit der Verwendung elektronischer Zigaretten nicht geeignet, die Risikoanalyse des LGL in Zweifel zu ziehen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Gesundheitsschädlichkeit eines Produktes im Lebensmittelrecht anders zu beurteilen als gesundheitsschädliche Wirkungen von Tabakerzeugnissen oder Arzneimitteln. Tabakerzeugnisse sind aufgrund ihres Nikotingehalts schon dem Grunde nach gesundheitsschädlich, daher gibt es für Tabakerzeugnisse keine Regelungen, die das Inverkehrbringen dieser Produkte untersagen. Vielmehr wird – aus gesellschaftlichen Gründen – die gesundheitliche Schädlichkeit des Produkts hingenommen und dieses lediglich mit Warnhinweisen versehen. Die Verwendung von Nikotin als Arzneimittel zur Unterstützung der Raucherentwöhnung kann ebenfalls nicht als Vergleich herangezogen werden. Während Lebensmittel nicht gesundheitsschädlich sein dürfen, werden Arzneimittel nur bei medizinischer Indikation eingenommen. Auch können bei Arzneimitteln aufgrund ihres Nutzens häufig gewisse Nebenwirkungen akzeptiert werden.
Die Gesundheitsschädlichkeit wird auch nicht durch Warnhinweise auf den Produkten ausgeschlossen, da die gesundheitsschädliche Wirkung nicht erst bei übermäßigem Gebrauch oder sonstiger missbräuchlicher Verwendung des streitgegenständlichen Produkts eintritt, sondern Folge der bestimmungsgemäßen Verwendung ist. Die Warnung vor Gesundheitsgefahren, die auch bei bestimmungsgemäßer Verwendung zwangsläufig eintreten, dient nicht der Vermeidung von Risiken, der durch die in Art. 14 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002 genannten Hinweise begegnet werden kann.
Da die Risikobewertung durch das LGL auf der Grundlage der Erkenntnisse der EFSA als mit besonderer Fachkunde ausgestattete, unabhängige Behörde plausibel und nachvollziehbar ist, ist die rechtliche Bewertung, dass es sich bei den tabakfreien Nikotinbeuteln um gesundheitsschädliche Lebensmittel handelt, nicht zu beanstanden. Das Inverkehrbringen verstößt somit gegen Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a der VO (EG) 178/2002. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Untersagungsverfügung auf Grundlage von Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. d KontrollVO liegen daher vor.
4. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht ersichtlich, insbesondere ist die Maßnahme verhältnismäßig.
Art. 138 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 KontrollVO verpflichtet die zuständige Behörde im Falle eines Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zum Einschreiten und eröffnet im Hinblick auf die Auswahl der zu treffenden Maßnahme und des richtigen Adressaten ein Ermessen. Das Verbot des Inverkehrbringens ist im nicht abschließenden Katalog der möglichen Maßnahmen ausdrücklich genannt (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d). Im Falle eines Verstoßes gegen ein Verbot des Inverkehrbringens ist eine entsprechende Verbotsverfügung zur Vermeidung weiterer Verstöße geeignet und auch erforderlich, da ein milderes, gleich wirksames Mittel nicht ersichtlich ist. Insbesondere ist das Anbringen entsprechender Warnhinweise als milderes Mittel nicht gleichermaßen geeignet, der vom Nikotingehalt ausgehenden Gesundheitsschädlichkeit zu begegnen, da nicht ersichtlich ist, welche Hinweise dazu führen sollten, dass die gerade bezweckte und in diesem Sinne bestimmungsgemäße Aufnahme einer gesundheitsschädlichen Nikotindosis verhindert würde. Das Verbot des Inverkehrbringens ist auch angemessen, da im Falle des verbotswidrigen Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel die Gesundheit der Verbraucher, die zu schützen der Staat verpflichtet ist (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), Vorrang vor dem im Rahmen der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützten Erwerbsinteresse der Klägerin hat. Es ist naheliegend, dass derjenige, der neuartige Produkte in den Verkehr bringt, das unternehmerische Risiko ihrer Verkehrsfähigkeit zu tragen hat.
5. Die Berufung war auf Antrag der Klägerin zuzulassen, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die über den Einzelfall hinausgeht und einer obergerichtlichen Klärung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden soll (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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