Europarecht

NJW-Orange

Aktenzeichen  I ZB 16/20

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:220721BIZB16.20.0
Normen:
§ 8 Abs 3 MarkenG
Spruchkörper:
1. Zivilsenat

Leitsatz

NJW-Orange
1. An der Rechtsprechung, wonach verbleibende Zweifel, ob ein Schutzhindernis im Eintragungszeitpunkt vorlag, zu Lasten des Antragstellers des Löschungsverfahrens und nicht des Markeninhabers gehen, hält der Senat nicht fest.
2. Es obliegt generell dem Markeninhaber, im Löschungsverfahren diejenigen Umstände nachzuweisen, aus denen sich der (Fort-)Bestand seiner Marke ergibt (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 – C-217/13 und C­218/13, GRUR 2014, 776 Rn. 70 – Oberbank u.a. [Farbmarke-Rot] und EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 – C-720/18 und C-721/18, GRUR 2020, 1301 – Ferrari [testarossa]).

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 8. Juli 2021, Az: I ZB 16/20, Beschlussvorgehend BPatG München, 26. Februar 2020, Az: 29 W (pat) 24/17, Beschluss

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der am 26. Februar 2020 an Verkündungs Statt zugestellte Beschluss des 29. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.

Gründe

1
A. Für die Markeninhaberin ist die am 10. Juni 2008 angemeldete abstrakte Farbmarke Nr. 30 2008 037 660 “Orange”
am 25. Februar 2009 als verkehrsdurchgesetzte Marke für juristische Fachzeitschriften in das vom Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen worden. Im Register wird die Marke wie folgt beschrieben: “Es handelt sich um eine Farbmarke (‘NJW-Orange’). Der Farbton ist nach dem international anerkannten L *a*b*-System eindeutig wie folgt definiert: L: 57,30/a: 59,69/b: 47,25. Es handelt sich bei der Farbmarke nicht um einen im RAL-, Pantone- oder HKS-System verzeichneten Farbton, sondern um einen extra für die Anmelderin angemischten Farbton mit der internen Bezeichnung des Herstellers K+E 194 156. Die Marke wird seit vielen Jahren für die Neue Juristische Wochenschrift, Deutschlands mit Abstand größte und bekannteste juristische Fachzeitschrift und deren Werbung benutzt. Sie wird von keiner anderen juristischen Fachzeitschrift in Deutschland verwendet.”
2
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Löschung der Marke unter anderem mit der Begründung beantragt, die Voraussetzungen einer Verkehrsdurchsetzung der nicht unterscheidungskräftigen Marke lägen nicht vor. Die Markeninhaberin hat dem Löschungsantrag widersprochen.
3
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Löschungsantrag zurückgewiesen. Das Bundespatentgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen (BPatG, GRUR 2020, 878 = WRP 2020, 894).
4
Mit der vom Bundespatentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Markeninhaberin beantragt, verfolgt die Antragstellerin ihr Löschungsbegehren weiter.
5
B. Das Bundespatentgericht hat – soweit noch von Bedeutung – angenommen, der zulässige Löschungsantrag sei unbegründet, weil eine Löschungsreife der angegriffenen Marke nicht festgestellt werden könne. Zur Begründung hat es ausgeführt:
6
Die angegriffene Marke sei nicht gemäß § 50 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen Fehlens der Unterscheidungskraft zu löschen. Die angegriffene Farbmarke verfüge nicht von Haus aus über die für eine Eintragung als Marke erforderliche Unterscheidungskraft. Es komme deshalb auf die Verkehrsdurchsetzung an. Die Markeninhaberin habe zwar für ihre Behauptung der Verkehrsdurchsetzung kein demoskopisches Gutachten vorgelegt. Es sprächen aber mittelbare Anzeichen wie Umsatz, Marktanteil, Intensität, geografische Verbreitung und Dauer der Benutzung der Marke für die juristische Fachzeitschrift “Neue Juristische Wochenschrift” (im Folgenden: NJW) dafür, dass das Eintragungshindernis im Anmeldezeitpunkt im Wege der Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG überwunden worden sei. Der unsubstantiierte Vortrag der Antragstellerin trage die Feststellung der fehlenden Verkehrsdurchsetzung nicht. Es sei jedoch nicht zweifelsfrei, dass die festgestellten Tatsachen und Indizien, die eine hohe Bekanntheit der NJW an sich belegten, ausreichend seien, um für die Farbmarke den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung in den beteiligten Verkehrskreisen als erbracht anzusehen. Dies gelte erst recht – nicht zuletzt wegen der Änderung der Marktverhältnisse durch digitale Angebote – für den Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag. Die verbleibenden Zweifel gingen zu Lasten der Antragstellerin.
7
C. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg und führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht.
8
I. Die ohne Beschränkung auf einen abgrenzbaren Teil zugelassene Rechtsbeschwerde eröffnet dem Rechtsbeschwerdegericht die volle rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses, ohne dass diese auf die Entscheidung der als Zulassungsgrund angeführten Rechtsfragen beschränkt ist (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – I ZB 6/20, GRUR 2021, 482 Rn. 8 = WRP 2021, 336 – RETROLYMPICS, mwN).
9
II. Gegenstand des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens ist allein noch der Antrag, die Eintragung der Marke nach § 50 Abs. 1 und 2 Satz 1 MarkenG zu löschen, weil das Zeichen entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden ist. Die weiteren im Löschungsverfahren geltend gemachten Löschungsgründe sind nicht mehr Streitgegenstand.
10
1. Die einzelnen in §§ 3, 7 und 8 MarkenG angeführten Eintragungshindernisse, die unterschiedliche Sachverhalte der Schutzunfähigkeit eines Zeichens umschreiben, bilden grundsätzlich selbstständige Antragsgründe für das Löschungsbegehren und damit eigene Streitgegenstände (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 – I ZB 105/16, BGHZ 216, 208 Rn. 11 – Quadratische Tafelschokoladenverpackung I, mwN; Beschluss vom 23. Juli 2020 – I ZB 42/19, GRUR 2020, 1089 Rn. 10 = WRP 2020, 1311 – Quadratische Tafelschokoladenverpackung II).
11
2. Die Antragstellerin hat danach zwar zunächst mehrere Streitgegenstände in das Löschungsverfahren eingeführt und geltend gemacht, die Marke sei entgegen § 3 Abs. 1, § 7, § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und § 8 Abs. 2 Nr. 4 bis 9 MarkenG eingetragen worden. Sie wendet sich mit der Rechtsbeschwerde jedoch allein gegen die Entscheidung des Bundespatentgerichts, soweit dieses das Vorliegen des Schutzhindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG verneint hat. Die Beurteilung des Bundespatentgerichts, die angegriffene Marke sei sowohl gemäß § 3 Abs. 1 MarkenG markenfähig als auch gemäß § 8 Abs. 1 MarkenG grafisch darstellbar, die Markeninhaberin könne als offene Handelsgesellschaft gemäß § 7 MarkenG Inhaberin einer Marke sein und Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer Löschungsgründe – insbesondere das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG – seien nicht erkennbar, werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
12
III. Nachdem die angegriffene Marke mit Zeitrang vom 10. Juni 2008 angemeldet und am 25. Februar 2009 eingetragen worden ist, sind die im Streitfall maßgeblichen Bestimmungen des § 50 Abs. 1 und 2 Satz 1 MarkenG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2357) mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert worden. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist § 50 Abs. 1 MarkenG in seiner neuen Fassung und § 50 Abs. 2 Satz 1 in seiner bislang geltenden Fassung (MarkenG aF) anwendbar. Eine für den Streitfall erhebliche Rechtsänderung ist durch die Neufassung der Vorschrift allerdings nicht eingetreten.
13
Die neue Fassung des § 50 Abs. 1 MarkenG ist seit ihrem Inkrafttreten am 14. Januar 2019 auf das vorliegende Verfahren anwendbar, da insoweit keine Übergangsregelung gilt. Danach wird die Eintragung einer Marke auf Antrag für nichtig erklärt und gelöscht, wenn die Marke – was hier allein noch zu prüfen ist – entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden ist. Bei der im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren vorzunehmenden Prüfung eines der Eintragung entgegenstehenden Schutzhindernisses ist danach – ebenso wie im Eintragungsverfahren (§ 37 Abs. 1, § 41 Satz 1 MarkenG) – auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens und nicht auf denjenigen der Entscheidung über den Eintragungsantrag abzustellen (vgl. BGHZ 216, 208 Rn. 30 – Quadratische Tafelschokoladenverpackung I, mwN). Ist der Antrag auf Löschung gemäß § 50 Abs. 1 MarkenG – wie hier – vor dem 14. Januar 2019 gestellt worden, so ist § 50 Abs. 2 MarkenG nach der Übergangsvorschrift des § 158 Abs. 8 Satz 2 MarkenG in seiner bisher geltenden Fassung anzuwenden. Ist die Marke – was hier allein noch zu prüfen ist – entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG eingetragen worden, so kann die Eintragung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG aF nur gelöscht werden, wenn das Schutzhindernis auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Löschung besteht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung, ob das Schutzhindernis auch noch zur Zeit der Entscheidung über den Löschungsantrag besteht, ist der Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 2. Oktober 2019 (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 – I ZB 52/15, BGHZ 211, 268 Rn. 57 – Sparkassen-Rot).
14
IV. Die Annahme des Bundespatentgerichts, die angegriffene Marke sei nicht nach § 50 Abs. 1 und 2 Satz 1 MarkenG zu löschen, weil sie zum Anmeldezeitpunkt nicht entgegen § 8 MarkenG eingetragen gewesen sei, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Bundespatentgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Eintragungshindernis des Fehlens jeglicher Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG (dazu C IV 1) im Wege der Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG überwunden ist (dazu C IV 2).
15
1. Das Bundespatentgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das angegriffene Zeichen verfüge von Haus aus nicht über die für eine Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).
16
a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und die Waren oder Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 – C-217/13 und C-218/13, GRUR 2014, 776 Rn. 40 f. = WRP 2014, 940 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – I ZB 11/13, GRUR 2014, 376 Rn. 11 = WRP 2014, 449 – grill meister; Beschluss vom 10. Juli 2014 – I ZB 81/13, GRUR 2015, 173 Rn. 13 = WRP 2015, 195 – for you; BGHZ 211, 268 Rn. 13 – Sparkassen-Rot; BGH, Beschluss vom 30. Januar 2020 – I ZB 61/17 – GRUR 2020, 411 Rn. 10 = WRP 2020, 58 – #darferdas? II).
17
Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2014 – I ZB 61/13, GRUR 2015, 581 Rn. 9 = WRP 2015, 726 – Langenscheidt-Gelb; Beschluss vom 5. Oktober 2017 – I ZB 97/16, GRUR 2018, 301 Rn. 11 = WRP 2018, 459 – Pippi-Langstrumpf-Marke, mwN). Dabei ist auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen (BGH, GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke, mwN).
18
Diese Grundsätze finden auch bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von Farbmarken Anwendung, bei denen kein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei anderen Markenformen. Allerdings ist bei bestimmten Markenkategorien zu beachten, dass sie vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen werden wie eine herkömmliche Wort- oder Bildmarke, die ein gesondertes Zeichen darstellt und vom Erscheinungsbild der gekennzeichneten Ware unabhängig ist. Häufig schließen Verbraucher aus der Form der Ware oder ihrer Verpackung oder aus der Farbe eines Produkts nicht auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Unternehmen. Zudem ist bei abstrakten Farbmarken auch im Rahmen der Prüfung des Schutzhindernisses mangelnder Unterscheidungskraft das Allgemeininteresse an der freien Verfügbarkeit der Farben für andere Wirtschaftsteilnehmer zu berücksichtigen. Danach ist davon auszugehen, dass abstrakten Farbmarken die erforderliche Unterscheidungskraft im Allgemeinen fehlt. Bei solchen Marken ist deshalb regelmäßig zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die gleichwohl die Annahme rechtfertigen, die angemeldete Marke sei unterscheidungskräftig. Solche Umstände, die für die Unterscheidungskraft einer abstrakten Farbmarke sprechen, können darin bestehen, dass die Zahl der Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet ist, sehr gering und der maßgebliche Markt sehr spezifisch ist (BGHZ 211, 268 Rn. 14 bis 15 – Sparkassen-Rot, mwN). Hiervon ist das Bundespatentgericht ausgegangen.
19
b) Das Bundespatentgericht hat angenommen, besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigten, die angegriffene Farbmarke sei ausnahmsweise von Haus aus unterscheidungskräftig, seien nicht erkennbar. Zwar umfassten die beanspruchten Waren “Juristische Fachzeitschriften” einen engen, überschaubaren Bereich von Waren und seien einem spezifischen Marktsegment mit eigenen Kennzeichnungsgepflogenheiten zuzurechnen. Sie richteten sich an das juristische Fachpublikum, für das die aktuelle Rechtsprechung für die tägliche Arbeit von Bedeutung sei, also an Rechtsanwälte, Richter, Notare sowie Studierende der juristischen Fakultäten und Rechtsreferendare. Eine Gewöhnung des Verkehrs an die herkunftshinweisende Verwendung abstrakter Farben auf dem Gebiet der juristischen Fachzeitschriften lasse sich jedoch nicht feststellen. Verlage, die Fachzeitschriften herausgäben, gestalteten die jeweiligen Zeitschrifteneinbände regelmäßig farbig. Dabei sei es nicht allgemein üblich, die Farbe als Merkmal der Zeitschrift hervorzuheben. Auch werde kein Bezug zwischen einer Farbe und dem herausgebenden Verlag im Sinne einer Hausfarbe hergestellt. Den angesprochenen Verkehrskreisen begegneten vielmehr verschiedenste Farben und Farbkombinationen auf Zeitschriftenumschlägen. In ihrer Wahrnehmung verbänden sich Farbe und Ware zu einem einheitlichen Erscheinungsbild, so dass sie keine Veranlassung hätten, der Farbe als solcher eine herkunftshinweisende Wirkung beizumessen. Diese Beurteilung wird im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angegriffen. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
20
2. Die Rechtsbeschwerde wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Bundespatentgerichts, im Ergebnis sei davon auszugehen, dass das Eintragungshindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG sowohl zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens am 10. Juni 2008 als auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundespatentgerichts im Wege der Verkehrsdurchsetzung im Sinne von § 8 Abs. 3 MarkenG überwunden gewesen sei.
21
a) Die Frage, ob eine Marke sich in den beteiligten Verkehrskreisen infolge ihrer Benutzung für die Waren und Dienstleistungen im Sinne von § 8 Abs. 3 MarkenG durchgesetzt hat, ist auf Grund einer Gesamtschau der Gesichtspunkte zu beurteilen, die zeigen können, dass die Marke die Eignung erlangt hat, die in Rede stehende Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware damit von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (EuGH, Urteil vom 4. Mai 1999 – C-108/97 und C-109/97, Slg. 1999, I-2779 = GRUR 1999, 723 Rn. 54 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]; EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 40 f. – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]; BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 – I ZB 11/04, GRUR 2006, 760 Rn. 20 = WRP 2006, 1130 – LOTTO). Ob eine Marke durch Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat, beurteilt sich nach der mutmaßlichen Wahrnehmung der beteiligten Verkehrskreise; dabei handelt es sich um den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der in Rede stehenden Kategorie von Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet wurde (EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 39 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]). Zu berücksichtigen sind der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung, die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und von anderen Berufsverbänden (BGHZ 211, 268 Rn. 31 – Sparkassen-Rot, mwN). Führt eine Gesamtbetrachtung dieser Gesichtspunkte zu der Feststellung, dass die beteiligten Verkehrskreise oder zumindest ein erheblicher Teil von ihnen die Ware oder Dienstleistung aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen, muss dies zu dem Ergebnis führen, dass eine Marke infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat und damit die Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung vorliegen (EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 42 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]).
22
b) Mit der vom Bundespatentgericht gegebenen Begründung kann der Löschungsantrag der Antragstellerin nicht zurückgewiesen werden. Das Bundespatentgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich bei dem angesprochenen Verkehr um das juristische Fachpublikum handelt (dazu C IV 2 b aa) und dass die Markeninhaberin den geschützten Farbton “Orange” markenmäßig verwendet hat (dazu C IV 2 b bb). Die Beurteilung des Bundespatentgerichts, im Ergebnis sei davon auszugehen, dass die Farbe “Orange” sich infolge ihrer Benutzung für “Juristische Fachzeitschriften” in den beteiligten Verkehrskreisen gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG durchgesetzt habe, hält der rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand (dazu C IV 2 b cc).
23
aa) Das Bundespatentgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei dem von juristischen Fachzeitschriften angesprochenen Verkehr um das juristische Fachpublikum handelt, für das die aktuelle Rechtsprechung für die tägliche Arbeit von Bedeutung ist, also an Personen wie Rechtsanwälte, Richter, Notare, Rechtsreferendare sowie Studierende der juristischen Fakultäten. Die Mitglieder des erkennenden Senats des Bundespatentgerichts gehören zu diesen Verkehrskreisen und haben deshalb teilweise Feststellungen aufgrund eigener Sachkunde getroffen. Dies wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
24
bb) Das Bundespatentgericht hat festgestellt, dass der geschützte Farbton auf der Titelseite der NJW im Anmeldezeitpunkt markenmäßig verwendet und von den angesprochenen Verkehrskreisen als Herkunftshinweis erkannt wurde. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
25
(1) Eine Verkehrsdurchsetzung als Herkunftshinweis setzt grundsätzlich eine Verwendung der Kennzeichnung als Marke, also eine markenmäßige Verwendung und damit nicht lediglich eine beschreibende Benutzung voraus. Die Tatsache, dass die Ware oder Dienstleistung als von einem bestimmten Unternehmen herrührend erkannt wird, muss auf der Benutzung des Zeichens als Marke beruhen, also auf einer Benutzung, die dazu dient, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Ware oder Dienstleistung als von einem bestimmten Unternehmen stammend identifizieren (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 2002 – C-299/99, Slg. 2002, I-5475 = GRUR 2002, 804 Rn. 64 – Philips; Urteil vom 7. Juli 2005 – C-353/03, Slg. 2005, I-6135 = GRUR 2005, 763 Rn. 26 – Nestlé [HAVE A BREAK]; EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 40 – Oberbank u. a. [Farbmarke Rot]; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – I ZB 65/13, GRUR 2015, 1012 Rn. 23 = WRP 2015, 1108 – Nivea-Blau, mwN).
26
Bei der Verwendung einer Farbe in der Werbung oder auf der Ware oder deren Verpackung kann davon nur ausnahmsweise ausgegangen werden. Die angesprochenen Verkehrskreise sind es in vielen Produktbereichen und Dienstleistungssektoren nicht gewohnt, der Verwendung einer Farbe in der Werbung oder auf einer Warenverpackung ohne Hinzutreten von graphischen Elementen oder Wortelementen einen Herkunftshinweis zu entnehmen, weil eine Farbe als solche in der Regel nicht zur Kennzeichnung der Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen, sondern nur als Gestaltungsmittel verwendet wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2014 – I ZR 228/12, GRUR 2014, 1101 Rn. 23 = WRP 2014, 1314 – Gelbe Wörterbücher; BGH, GRUR 2015, 581 Rn. 15 – Langenscheidt-Gelb, jeweils mwN). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt aber in Betracht, wenn der Verkehr aufgrund von Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem in Rede stehenden Warengebiet oder Dienstleistungssektor an die Verwendung von Farben als Kennzeichnungsmittel gewöhnt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – I ZR 76/08, GRUR 2010, 637 Rn. 28 = WRP 2010, 888 – Farbe gelb) oder wenn die Farbe im Rahmen aller sonstigen Elemente in einer Weise hervortritt, dass die angesprochenen Verkehrskreise sie als Produktkennzeichen verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2004 – I ZR 91/02, GRUR 2005, 427, 428 [juris Rn. 19] = WRP 2005, 610 – Lila-Schokolade; BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 24 – Nivea-Blau).
27
Die Beurteilung, ob eine Warengestaltung oder Warenverpackung vom Verkehr als Herkunftshinweis verstanden und somit markenmäßig verwendet wird, obliegt im Wesentlichen dem Tatgericht. Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist daher nur zu prüfen, ob das Tatgericht den Rechtsbegriff zutreffend erfasst und entsprechend den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung geurteilt hat und ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt sind und das gewonnene Ergebnis von den getroffenen Feststellungen getragen wird (BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 25 – Nivea-Blau, mwN).
28
(2) Das Bundespatentgericht hat angenommen, der von der Markeninhaberin in dem angegriffenen Farbton gestaltete Umschlag der NJW werde vom Verkehr als Marke wahrgenommen. Den Mitgliedern des erkennenden Senats des Bundespatentgerichts sei als Teil der angesprochenen Verkehrskreise bekannt, dass die Markeninhaberin seit Jahrzehnten in stets gleichbleibender Weise mit dem orangefarbenen Zeitschriftenumschlag und der Angabe “Neue Juristische Wochenschrift” sowie dem Akronym “NJW” am Markt aufgetreten sei. Die spätestens seit 1976 andauernde und intensive Benutzung des Orange-Farbtons für die hier relevanten Waren werde durch die vorgelegten Zeitschriftenexemplare aus unterschiedlichen Jahren sowie verschiedene Werbeanzeigen und Werbemittel gestützt. Aus diesen Unterlagen gehe eine markenmäßige Benutzung des streitgegenständlichen Farbtons hervor. Die Farbe werde nicht durch herkömmliche Herkunftshinweise in den Hintergrund gedrängt, sondern dominiere die Umschläge der Fachzeitschrift. Konkrete Werbetexte, die den beanspruchten Orangeton herausstellten und einen Zusammenhang zwischen Ware und Farbe herstellten, fehlten zwar. In der Werbung und auf der Internetseite der NJW werde der Farbton jedoch plakativ als Schrift und Hintergrundfarbe eingesetzt. In einem Bericht im Hörfunk und in einem Kommentar einer Rechtsanwältin anlässlich des 60. Jahrestags des Erscheinens der ersten Ausgabe der NJW im Jahr 2007 werde auf die orange-rote Farbe des Hefts Bezug genommen. Die Markeninhaberin habe außerdem im Anmeldeverfahren darauf hingewiesen, dass ihr in einer Produktanzeige eines Konkurrenzverlags zum 50. Erscheinungsjahr der NJW gratuliert worden sei, wobei die Buchstabenfolge “NJW” dort bewusst in Orange gehalten gewesen sei. All dies gebe dem angesprochenen Verkehr Anlass, die Verwendung der Farbe als Marke zu sehen. Dem stehe nicht entgegen, dass das angegriffene Zeichen ausschließlich in Kombination mit weiteren Kennzeichen der Markeninhaberin verwendet werde. Denn ein Zeichen müsse für eine markenmäßige Verwendung nicht notwendig in Alleinstellung benutzt werden. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
29
(3) Das Bundespatentgericht ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht davon ausgegangen, dass eine markenmäßige Verwendung einer Farbe die Regel und nicht die Ausnahme darstelle. Das Bundespatentgericht ist vielmehr aufgrund der von ihm festgestellten jahrzehntelangen Verwendung des durch die angegriffene Marke geschützten Farbtons für die NJW und aufgrund des Umstands, dass die Farbe die Umschläge der Fachzeitschrift dominiert und durch andere Herkunftshinweise wie durch den Schriftzug “NJW” nicht in den Hintergrund gedrängt wird, zu dem Ergebnis gelangt, dass die hiervon angesprochenen Verkehrskreise, zu denen es selbst gehört, in der verwendeten Farbe ausnahmsweise einen Herkunftshinweis für eine bestimmte juristische Fachzeitschrift sehen. Gestützt wird dies zusätzlich durch die Erklärungen der Industrie- und Handelskammer vom 11. Februar 2009 und der Bundesrechtsanwaltskammer vom 30. Januar 2009, die die Markeninhaberin im Anmeldeverfahren vorgelegt hat. In diesen Erklärungen wird übereinstimmend die Einschätzung mitgeteilt, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem geschützten Farbton einen Herkunftshinweis sehen.
30
(4) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Benutzung der geschützten Farbe für die NJW geeignet, ihre markenmäßige Benutzung für juristische Fachzeitschriften zu belegen. Dem steht nicht entgegen, dass die Markeninhaberin weitere juristische Fachzeitschriften herausgibt, die andere Farben aufweisen, wie etwa die “GRUR” und die “GRUR Int.”, die in grüner Farbe gehalten sind. Die Verkehrsdurchsetzung setzt gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG lediglich voraus, dass sich die Marke infolge ihrer Benutzung für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat. Die Nutzung der Farbe als “Hausfarbe” wird von dieser Vorschrift nicht gefordert (vgl. zur Verkehrsgeltung BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – I ZR 139/20, GRUR 2021, 1199 Rn. 40 = WRP 2021, 1295 – Goldhase III).
31
cc) Mit der vom Bundespatentgericht gegebenen Begründung kann nicht angenommen werden, die Farbe “Orange” habe sich zum Anmeldezeitpunkt und im Zeitpunkt seiner Entscheidung infolge ihrer Benutzung für juristische Fachzeitschriften in den beteiligten Verkehrskreisen gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG durchgesetzt. Das Bundespatentgericht hat zwar Tatsachen und Indizien festgestellt, die die Verkehrsdurchsetzung nahelegen. Es hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, verbleibende Zweifel an der Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke gingen zu Lasten der Löschungsantragstellerin.
32
(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können bei der Beurteilung der Frage, ob eine Marke infolge Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geographische Verbreitung, die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke sowie Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und von anderen Berufsverbänden berücksichtigt werden (EuGH, GRUR 1999, 723 Rn. 51 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]; GRUR 2014, 776 Rn. 41 – Oberbank u. a. [Farbmarke Rot]; BGH, Beschluss vom 21. Februar 2008 – I ZB 24/05, GRUR 2008, 710 Rn. 28 = WRP 2008, 1087 – VISAGE). Wenn die Beurteilung der Verkehrsdurchsetzung besondere Schwierigkeiten bereitet, verbietet es das Unionsrecht nicht, die Frage der Unterscheidungskraft der Marke durch eine Verbraucherbefragung klären zu lassen (EuGH, GRUR 1999, 723 Rn. 53 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]; GRUR 2014, 776 Rn. 43 – Oberbank u. a. [Farbmarke Rot]), die häufig das zuverlässigste Beweismittel zur Feststellung der Verkehrsdurchsetzung darstellt (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – I ZB 65/12, GRUR 2014, 483 Rn. 32 = WRP 2014, 438 – test). Solche Schwierigkeiten sind gegeben, wenn der Markenschutz für ein Zeichen beansprucht wird, das nicht isoliert, sondern nur in Kombination mit anderen Elementen benutzt worden ist. In einem solchen Fall lassen die Umstände, die – wie Umsätze, Marktanteile und Werbeaufwendungen – sonst auf eine Verkehrsdurchsetzung hinweisen können, regelmäßig nur darauf schließen, dass die konkrete, durch mehrere Merkmale gekennzeichnete Gestaltung durchgesetzt ist (BGHZ 211, 268 Rn. 32 – Sparkassen-Rot, mwN). Bei der Frage, ob sich eine Farbe im Verkehr als Marke durchgesetzt hat, wird sich die Feststellung der Verkehrsdurchsetzung im Regelfall erst nach Vorlage eines methodisch einwandfreien Parteigutachtens oder eines von Amts wegen einzuholenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens (vgl. dazu BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 42 – Nivea-Blau) treffen lassen. Hiervon ist das Bundespatentgericht ausgegangen.
33
(2) Das Bundespatentgericht hat angenommen, die Gesamtschau der von der Markeninhaberin im Anmeldeverfahren vorgelegten Unterlagen und ihre Angaben sowie teils gerichtsbekannte oder von Amts wegen ermittelte Umstände legten auch ohne ein demoskopisches Gutachten eine Durchsetzung der als Marke eingetragenen Farbe “Orange” für die Waren “Juristische Fachzeitschriften” in den maßgeblichen Verkehrskreisen nahe. Die jahrzehntelange, ununterbrochene und auch in der Werbung präsente Benutzung der Marke für die NJW im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und nach der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern sei gerichtsbekannt. Die beanspruchten Waren bezögen sich auf ein eng umgrenztes, wirtschaftlich eigenständiges Marktsegment. Die Markeninhaberin habe glaubhaft vorgebracht, dass das Titelblatt der NJW spätestens seit dem Jahr 1976 konstant in dem als Marke geschützten Farbton gehalten sei und dass die Zeitschrift zum Zeitpunkt der Anmeldung eine Auflagenhöhe von etwa 43.000 erreicht habe. Dies bedeute einen hohen Marktanteil der Markeninhaberin im Bereich der juristischen Fachzeitschriften. Juristische Zeitschriften würden nicht von jedem Leser selbst erworben, sondern lägen regelmäßig in Kanzleien, Behörden, Gerichten und Universitäten in deren Bibliotheken oder Lesesälen für alle Interessierten aus oder würden dort in den Umlauf gegeben. Daraus lasse sich schließen, dass der Kreis der Leser die Auflagenhöhe deutlich übersteige. Es dürfte kaum einen Juristen in Deutschland geben, der die NJW mit ihrer typischen orangefarbenen Titelseite nicht kenne. Es handele sich um eines der wichtigsten und verbreitetsten Arbeitsmittel für Juristen. In der Presse werde die NJW vielfach als Pflichtlektüre oder als bedeutendste Zeitschrift für die juristische Theorie und Praxis bezeichnet. Die von der Markeninhaberin vorgelegte EMNID-Reichweitenanalyse aus dem Jahr 1998 sowie die Erklärungen der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main vom 11. Februar 2009 und der Bundesrechtsanwaltskammer vom 30. Januar 2009 bestätigten die große Verbreitung der NJW zumindest unter den Rechtsanwälten. Für den Entscheidungszeitpunkt gelte nichts anderes, wobei sich im Hinblick auf die allgemeine Marktentwicklung mit zahlreichen digitalen Angeboten die Auflagenhöhe der NJW-Printausgabe über die letzten Jahre verringert habe und zwischen dem 1. Juli 2018 und dem 30. Juni 2019 nunmehr circa 27.000 erreiche und die tatsächlich verbreitete Auflage etwa 25.000 betrage.
34
Der Vortrag der Markeninhaberin im Anmeldeverfahren habe einen beträchtlichen Kennzeichnungsgrad der Farbmarke zum Anmeldezeitpunkt erwarten lassen. Der wenig substantiierte Vortrag der Antragstellerin trage nicht die Feststellung einer fehlenden Verkehrsdurchsetzung. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass eine demoskopische Befragung und Beurteilung der Verkehrsdurchsetzung zum Anmeldezeitpunkt eine Verkehrsdurchsetzung ausgeschlossen hätte. Allerdings stehe nicht zweifelsfrei fest, dass die Tatsachen und Indizien, die eine hohe Bekanntheit der NJW belegten, ausreichend seien, um den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung in den beteiligten Verkehrskreisen für die Farbmarke als erbracht anzusehen. Dies gelte erst recht für den Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag. Eine Löschung der angegriffenen Marke komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Betracht, weil verbleibende Zweifel daran, ob ein Schutzhindernis im Anmeldezeitpunkt bestanden habe, zu Lasten des Antragstellers des Löschungsverfahrens gingen. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
35
(3) Nach der bisherigen Senatsrechtsprechung gehen allerdings verbleibende Zweifel, ob ein Schutzhindernis im Eintragungszeitpunkt vorlag, zu Lasten des Antragstellers des Löschungsverfahrens und nicht des Markeninhabers (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 – I ZB 48/07, GRUR 2009, 669 Rn. 31 = WRP 2009, 815 – POST II, mwN; Beschluss vom 9. Juli 2009 – I ZB 88/07, GRUR 2010, 138 Rn. 48 = WRP 2010, 260 – ROCHER-Kugel).
36
(4) Der Senat hat bislang offengelassen, ob hieran angesichts der Entscheidung “Farbmarke Rot” des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, GRUR 2014, 776 – Oberbank u.a.) festgehalten werden kann, ob eine Änderung der Senatsrechtsprechung angezeigt oder ob angesichts der Formulierung der Vorlagefragen in jenem Verfahren durch das Bundespatentgericht (vgl. BGH, GRUR 2014, 1101 Rn. 19 – Gelbe Wörterbücher) hierzu eine weitere Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich ist (BGHZ 211, 268 Rn. 55 – Sparkassen-Rot).
37
(5) Der Senat hat seine Rechtsprechung, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Verfalls die Klagepartei und nicht den Inhaber der angegriffenen Marke trifft, im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgegeben (BGH, Urteil vom 14. Januar 2021 – I ZR 40/20, GRUR 2021, 736 Rn. 22 = WRP 2021, 623 – STELLA, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Danach obliegt es grundsätzlich dem Inhaber der streitigen Marke, die Gegenstand eines Antrags auf Erklärung des Verfalls ist, die ernsthafte Benutzung dieser Marke nachzuweisen. Dieser ist am besten in der Lage, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vorbringen zu stützen vermögen, dass seine Marke ernsthaft benutzt worden sei (vgl. EuGH, Urteil vom 26. September 2013 – C-610/11, GRUR Int. 2013, 1047 Rn. 63 – Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions [CENTROTHERM]; EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 70 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]; EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 – C-720/18 und C-721/18, GRUR 2020, 1301 Rn. 79 bis 81 = WRP 2021, 29 – Ferrari [testarossa]).
38
(6) Nichts anderes kann für die Frage gelten, wer im Anmeldeverfahren oder im Löschungsverfahren die Feststellungslast dafür trägt, dass sich das in Rede stehende Zeichen im Verkehr infolge Benutzung durchgesetzt hat. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der Markenanmelder die Tatsache nachzuweisen hat, dass eine Marke Unterscheidungskraft infolge Benutzung erworben hat, weil es sich dabei sowohl im Rahmen eines Anmeldeverfahrens als auch im Rahmen eines Löschungsverfahrens um eine Ausnahme von den Eintragungshindernissen handelt. Der Inhaber der streitigen Marke ist am besten in der Lage, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vorbringen zu stützen vermögen, dass seine Marke aufgrund ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt habe. Dies gilt insbesondere für die zum Nachweis einer solchen Benutzung geeigneten Gesichtspunkte wie Intensität, Umfang und Dauer der Benutzung dieser Marke sowie der für sie betriebene Werbeaufwand (EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 68 bis 70 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]).
39
Zwar beruht die Farbmarke Rot-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf der Vorgabe des 33. Senats des Bundespatentgerichts in dem Vorabentscheidungsersuchen (BPatG, Beschluss vom 8. März 2013 – 33 W (pat) 33/12, BPatGE 53, 256), im deutschen Recht sei von der Befugnis nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2008/95/EG kein Gebrauch gemacht worden (vgl. EuGH, GRUR 2014, 776 Rn. 65 und 74 – Oberbank u.a. [Farbmarke Rot]). Diese Vorgabe ist unzutreffend, weil der deutsche Gesetzgeber von dieser Befugnis im Eintragungsverfahren durch § 37 Abs. 2 MarkenG (BGH, GRUR 2014, 483 Rn. 22 – test) und im Löschungsverfahren durch § 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG (BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 40 – Nivea-Blau) Gebrauch gemacht hat. Angesichts der nachfolgenden Testarossa-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (GRUR 2020, 1301 Rn. 81 – Ferrari) ist aber nicht mehr zweifelhaft, dass es dem Markeninhaber generell im Löschungsverfahren obliegt, diejenigen Umstände nachzuweisen, aus denen sich der (Fort-)Bestand seiner Marke ergibt und dass die Vorgabe des Bundespatentgerichts im Vorabentscheidungsersuchen für die Beurteilung der Beweislast in der Farbmarke Rot-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ohne Bedeutung war. Der Senat hält deshalb an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest.
40
V. Im vorliegenden Verfahren stellen sich keine entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordern. Die im Streitfall maßgeblichen Kriterien für die Prüfung, ob das angegriffene Zeichen infolge Benutzung Unterscheidungskraft erworben hat, sind durch die angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt. Die Beantwortung der Frage, ob die konkrete Streitmarke die entsprechenden Anforderungen erfüllt, ist Aufgabe der mit dem Eintragungs- und Löschungsverfahren befassten Ämter und Gerichte der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, GRUR 1999, 723 Rn. 51 ff. – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]). Auch die Frage, welcher der Beteiligten im Löschungsverfahren die Feststellungslast trägt, ist durch die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zweifelsfrei geklärt (vgl. EuGH, GRUR 2020, 1301 Rn. 79 bis 81 – Ferrari [testarossa]).
41
D. Der angefochtene Beschluss des Bundespatentgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 MarkenG). Für das weitere Verfahren, in dem das Bundespatentgericht erneut zu prüfen haben wird, ob sich die Farbe “Orange” im Verkehr als Marke für juristische Fachzeitschriften durchgesetzt hat, weist der Senat auf Folgendes hin:
42
Das Bundespatentgericht wird der Markeninhaberin im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Senats zur Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung Gelegenheit zu geben haben, hierzu ergänzend vorzutragen und gegebenenfalls weitere Beweise, insbesondere ein demoskopisches Gutachten, vorzulegen oder die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens zu beantragen. Übersteigt der in einem solchen Gutachten ermittelte Zuordnungsgrad zum Anmeldezeitpunkt oder zum Entscheidungszeitpunkt die Schwelle von 50%, ist in der Regel von einer Verkehrsdurchsetzung der in Rede stehenden Farbmarke auszugehen (vgl. BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 34 f. – Nivea-Blau; vgl. zur Terminologie BGH, GRUR 2021, 1199 Rn. 59 – Goldhase III, mwN).
Koch     
      
Löffler     
      
Schwonke
      
Feddersen     
      
Odörfer     
      


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben