Europarecht

Patent, Klagepatent, Auswahlentscheidung, Patentverletzung, Unterlassungsanspruch, Technik, Streitwert, Patenterteilung, Druckschrift, Software, Unterlassung, Fachmann, Anspruch, Sicherheitsleistung, Stand der Technik, Kosten des Rechtsstreits, Sinn und Zweck

Aktenzeichen  7 O 18410/19

Datum:
10.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 37321
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Das Klagepatent betrifft ein sogenanntes Handover-Verfahren einer Basisstation in einem mobilen Kommunikationssystem [0001], insbesondere ein verbessertes Verfahren zur Übergabe („Handover“) der Verbindung eines Mobilfunkgerätes von einer Basisstation zu einer weiteren Basisstation innerhalb eines Kommunikationssystems.
1. Seine Beschreibung erläutert das Problem, dass ein Mobilfunkgerät sich innerhalb eines Mobilfunknetzwerkes von einer aktuell genutzten Mobilfunkzelle entfernt hin zu einer anderen Mobilfunkzelle und im Falle eines Grenzübertritts von einer Mobilfunkzelle zu einer anderen grundsätzlich eine neue Verbindung mit der nun aktuellen Mobilfunkzelle hergestellt werden und die bisher bestehende Verbindung mit der ersten Mobilfunkzelle beendet werden muss [0002]. Dabei wird im Stand der Technik unterschieden zwischen einem „Hard Handover“, bei dem die alte Verbindung abbricht, bevor die neue Verbindung hergestellt ist, und einem „Soft Handover“, wo diese Verbindungsunterbrechungen vermieden werden sollen [0003]. Die Beschreibung erläutert weiter, dass im Stand der Technik die Verwendung eines Pilotsignals bekannt ist, das von den jeweiligen Basisstationen kontinuierlich versendet und von den Endgeräten (z.B. Mobiltelefonen) kontinuierlich gemessen wird [0004]. Diese können somit eine kontinuierlich aktualisierte Liste der Basisstationen bereithalten, die für ein Handover in Frage kommen können [0005], einschließlich Informationen zur Signalqualität [0004]. Nach dem Klagepatent offenbart die Druckschrift EP-A-1 995 981 ein Übergabeverfahren, bei dem das mobile Endgerät der Basisstation, mit der eine aktuelle Verbindung besteht, solche Listen über weitere Basisstationen und die aktuelle Signalqualität übermittelt. Die Basisstation kann auf dieser Grundlage eine geeignete Übergabebasisstation auswählen und eine Übergabeanfrage an diese Basisstation senden. Wenn diese Übergabe an die Übergabebasisstation allerdings nicht erfolgreich ist, führt das Endgerät eine autonome Suche nach einer Basisstation durch, indem es eine Übergabeanfrage an die am besten geeignete Basisstation übermittelt [0006]. Daneben erwähnt das Klagepatent die Druckschrift US-A-6 055 427, die einen sogenannten „Hard Handover“ für Radiosysteme offenbart, bei denen die Angaben, die vom Teilnehmer an die Basisstation übermittelt werden, zur Auswahl einer Basisstation für eine neue Verbindung ausgewählt werden. Wenn ein „Hard Handover“ fehlgeschlagen ist, kann eine Übergabe an eine andere Basisstation wiederholt werden [0007].
2. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, ein verbessertes Handover-Verfahren bereitzustellen, bei dem ein „Hard Handover“ vermieden wird und aktuelle („up-to-date“) Messdaten verwendet werden [0008].
3. Hierfür schlägt das Klagepatent ein Verfahren nach Maßgabe des Anspruchs 1 vor, der sich merkmalsmäßig wie folgt gliedern lässt:
1. Handover-Verfahren in einer Basisstation eines mobilen Kommunikationssystems, wobei das besagte mobile Kommunikationssystem weiterhin eine Vielzahl von Basisstationen umfasst, wobei eine Telekommunikationsverbindung zwischen einem Teilnehmergerät und der besagten Basisstation aufgebaut wird, wobei das Verfahren umfasst:
2. Empfangen (101) eines ersten Messberichts von dem besagten Teilnehmergerät über die besagte Telekommunikationsverbindung, wobei der besagte erste Messbericht eine Bewertung der Signalqualität mindestens einer Kandidaten-Basisstation unter der Vielzahl von Basisstationen für einen Handover enthält;
3. Auswählen (102) einer ersten Kandidaten-Basisstation unter Verwendung der besagten Bewertung der besagten Signalqualität aus dem besagten ersten Messbericht;
4. Initiieren (103) einer ersten Handover-Vorbereitung durch Übertragen einer ersten Anforderung an die besagte erste Kandidaten-Basisstation;
5. Ermitteln (104), ob die besagte erste Handover-Vorbereitung gescheitert ist;
6. Auswählen (105) eines Satzes von Kandidaten-Basisstationen, welcher zumindest einige der besagten in dem besagten ersten Messbericht identifizierten Kandidaten-Basisstationen umfasst;
7. Empfangen eines zweiten Messbericht (305) von dem besagten Teilnehmergerät (201), wobei der besagte zweite Messbericht (305) eine zweite Bewertung der Signalqualität zumindest einer der besagten Kandidaten-Basisstationen umfasst;
8. Initiieren (106) einer zweiten Handover-Vorbereitung durch Übertragen einer zweiten Handover-Anforderung an zumindest eine des besagten Satzes von Kandidaten-Basisstationen, wenn die besagte erste Handover-Vorbereitung gescheitert ist, wobei der besagte Satz von Kandidaten-Basisstationen für die besagte zweite Handover-Vorbereitung mindestens eine der besagten in dem besagten zweiten Messbericht (305) identifizierten Kandidaten-Basisstationen umfasst;
9. Auswählen (107) einer Ziel-Basisstation aus dem besagten Satz von Kandidaten-Basisstationen, wenn die besagte zweite Handover-Vorbereitung nicht gescheitert ist;
10. Initiieren (108) des besagten Handovers des besagten Teilnehmergeräts von der besagten Basisstation an die besagte Ziel-Basisstation;
11. wobei die besagte erste und die besagte zweite Anforderung für einen Satz von dem besagten Teilnehmergerät genutzten Funkträgern indikativ sind.
II. Diese Lehre bedarf jedenfalls in einem entscheidenden Punkt näherer Erläuterung.
Das Klagepatent stellt ein Handover-Verfahren in einer Basisstation eines mobilen Kommunikationssystems unter Schutz. Ein Merkmal des Anspruchs 1 ist die Feststellung des Scheiterns einer ersten Handover-Vorbereitung (Merkmal 5). In der maßgeblichen englischen Fassung lautet dieses Merkmal: „determining (104) if said first handover preparation has failed“.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anspruch 1 aus Sicht des angesprochenen Fachmanns nur die Schritte einer Handover-Vorbereitung betrifft, also die Suche und Auswahl einer zum Handover gut geeigneten Basisstation, die sich zwischen Quell-Basisstation und Kandidaten-Basisstation(en) abspielt, nicht aber die eigentliche Durchführung des Handovers oder weiterer Schritte, wenn die Handover-Durchführung irgendwie scheitert und dann eine Neuherstellung der abgerissenen Verbindung erfolgen muss. Im Einzelnen:
Der vom Klagepatent angesprochene Fachmann ist – entsprechend der Definition der Beklagten (Klageerwiderung, S. 40), der sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2020 zu Recht angeschlossen hat (Bl. 155 d.A.) – ein Nachrichtentechniker mit Universitätsabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich der Entwicklung und Standardisierung von Mobilfunktechnologien. Er besitzt Erfahrungen mit drahtlosen und paketbasierten Kommunikationssystemen, kennt die üblichen dort angewendeten Standards (einschließlich LTE) und nimmt regelmäßig an den Standardisierungssitzungen teil oder kennt jedenfalls das aktuelle Standardisierungsgeschehen.
Anspruch 1 beansprucht lediglich das Verfahrensstadium der Handover-Vorbereitung, welches durch den Empfang eines Messberichts beginnt, mit der Handover-Anforderung (sog. Handover Request) der Quell-Basisstation an eine oder mehrere Kandidaten-Basisstation(en) fortfährt (Merkmal 4 bzw. 8: „initiating (…) a (…) handover preparation by transmitting a (…) request“) und mit der Handover-Anforderungs-Bestätigung der Kandidaten-Basisstation(en) (sog. Handover Request Acknowledge Message bzw. Handover-Request-Ack-Nachricht) oder einer Nicht-Bestätigung (sog. Failure-Message bzw. Handover-Vorbereitungs-Scheitern-Nachricht oder keine Antwort) endet. Nach der Annahmekontrolle durch die Kandidatenbasis-Basisstation sendet diese also entweder eine Nachricht an die Quell-Basisstation, mit der sie die Handover-Möglichkeit bejaht, oder keine Handover-Request-Ack-Nachricht, sondern beispielweise eine Failure-Message oder schlicht innerhalb eines gesetzten Zeitfensters gar keine Nachricht. In ersterem Fall war die Handover-Vorbereitung erfolgreich („handover preparation has not failed“, vgl. Merkmal 9, zweiter Halbsatz), d.h. die Quell-Basisstation hat eine Kandidaten-Basisstation gefunden, die bereit ist, das Benutzergerät zu übernehmen. In letzterem Fall ist die Handover-Vorbereitung gescheitert („handover preparation has failed“, vgl. Merkmal 5), denn die Quell-Basisstation hat keine Kandidaten-Basisstation gefunden, die bereit ist, das Benutzergerät zu übernehmen. Sinn und Zweck der klagepatentgemäßen Handover-Vorbereitung ist allein das Ermitteln einer geeigneten Ziel-Basisstation, an die die Quell-Basisstation das Benutzergerät in einem zweiten Schritt übergeben kann. Das Verfahrensstadium der Handover-Vorbereitung spielt sich folglich allein zwischen Quell-Basisstation und Kandidaten-Basisstation(en) ab.
Dass sich Anspruch 1 nur mit dem Verfahrensstadium der Handover-Vorbereitung und mit deren möglichem Scheitern, aber nicht mit einem Scheitern der Handover-Durchführung befasst, geht insbesondere aus dem Anspruchswortlaut hervor, der klar zwischen der Handover-Vorbereitung (Merkmal 4 und 5 bzw. 7 und 8: Initiieren und Feststellen des Scheiterns der ersten bzw. zweiten Handover-Vorbereitung) und der Handover-Durchführung (Merkmal 10: Initiieren des Handovers selbst, also der Handover-Durchführung) differenziert.
Auch aus der Beschreibung und den Zeichnungen bezüglich aller Ausführungsbeispiele geht hervor, dass das Feststellen des Scheiterns i.S.v. Merkmal 5 des Anspruchs 1 entsprechend der oben dargelegten Vorgehensweise erfolgt. Das Klagepatent enthält nur diese eine Lehre. In den Absätzen [0014], [0029], [0034] und [0041] ist beschrieben, dass eine Handover-Vorbereitung gescheitert ist, wenn eine Failure-Message von der Kandidaten-Basisstation empfangen wird oder wenn eine vordefinierte Zeit seit der Übertragung der Handover-Anforderung abgelaufen ist. Eine entsprechende Failure-Message ist – als Signalisierungsschritte 207, 304 bzw. 404 – in den Signalisierungsausführungsbeispielen der Figuren 2, 3 und 4 vorgesehen. In den Absätzen [0018], [0031], [0035], [0038] und [0042] ist beschrieben, dass eine Handover-Vorbereitung nicht gescheitert, also erfolgreich ist, wenn eine Handover-Request-Ack-Nachricht übersandt wird. Eine entsprechende Handover-Request-Ack-Nachricht ist – als Signalisierungsschritt 210, 308 bzw. 409 – in den Signalisierungsausführungsbeispielen der Figuren 2, 3 und 4 gezeigt. Haben mehrere Kandidaten-Basisstationen eine Handover-Request-Ack-Nachricht an die Quell-Basisstation gesendet, so wählt die Quell-Basisstation gemäß Merkmal 9 des Anspruchs 1 aus diesen Kandidaten-Basisstationen nun noch eine Ziel-Basisstation aus (siehe [0035], [00038] und [0043] sowie Auswahlschritte 211, 309 bzw. 410 in den Figuren 2, 3 und 4). Demnach endet eine erfolgreiche Handover-Vorbereitung entweder schon mit der Handover-Request-Ack-Nachricht von der Kandidaten-Basisstation an die Quell-Basisstation, wenn es nur eine Kandidaten-Basisstation gibt, die eine solche Nachricht zurückschickt, da die Quell-Basisstation damit die neue Ziel-Basisstation gefunden hat, an die sie das Benutzergerät übergeben kann und die Funktion der Handover-Vorbereitung erfüllt ist. Schicken mehrere der gleichzeitig angeforderten Kandidaten-Basisstationen Handover-Request-Ack-Nachrichten an die Quell-Basisstation, so muss diese noch den Auswahlschritt gemäß Merkmal 9 ausführen, um die (eine) Ziel-Basisstation zu finden, an die sie das Benutzergerät übergeben will. In diesem Fall endet die erfolgreiche Handover-Vorbereitung mit der Auswahl der Ziel-Basisstation mittels einer Auswahlentscheidung nach Merkmal 9, denn mit diesem Schritt findet die Quell-Basisstation die neue Ziel-Basisstation für das Handover und die Funktion der Handover-Vorbereitung ist erfüllt.
Zudem ist bei der Auslegung des Anspruchs 1 auch zu berücksichtigen, dass das allgemeine Fachwissen des angesprochenen Fachmanns auch das jeweils aktuelle Standardisierungsverfahren umfasst, weil dieser regelmäßig an Standarisierungssitzungen teilnimmt oder sich zumindest über das aktuelle Standardisierungsgeschehen informiert (s.o.). Dies gilt in besonderem Maße im Hinblick auf die zum Anmeldezeitpunkt des Klagepatents am 29.12.2008 völlig neue Entwicklung des LTE-Standards. Der angesprochene Fachmann hatte daher zum Anmeldezeitpunkt auch die von der Beklagten als Anlage NK7 vorgelegte Spezifikation 3GPP TS 36.300 V.8.4.0 (2008-03) des LTE-Standards im Blick, die im März 2008 veröffentlicht wurde. Darin ist dargestellt, dass die Handover-Vorbereitung mit der Übersendung einer Handover-Request-Ack-Nachricht oder einer Handover Preparation Failure-Nachricht von der Kandidaten-Basisstation an die Quell-Basisstation endet (Anlage NK7, S. 96, Figur 20.2.2.1):
Der Befehl an das Benutzergerät, das Handover zur im Rahmen der Handover-Vorbereitung neu ausgewählten Ziel-Basisstation durchzuführen (Merkmal 10), leitet dann die nächste Verfahrensphase, die Handover-Durchführung ein, also die Übergabe des Benutzergeräts von der Quell-Basisstation an die Ziel-Basisstation. Hierbei handelt es sich um das eigentliche Handover im Sinne des Klagepatents. Im Rahmen dieser Übergabe wird die Verbindung zwischen Benutzergerät und neuer Ziel-Basisstation neu konfiguriert. Das Handover findet somit statt, nachdem eine Ziel-Basisstation gefunden ist, die das Benutzergerät übernehmen kann; es folgt mithin auf eine erfolgreiche Handover-Vorbereitung. Nach dem Verfahrensschritt des Initiierens des eigentlichen Handovers gemäß Merkmal 10 endet der Anspruch 1. Die darauffolgende Durchführung des initiierten Handovers, also die Übergabe des Benutzergeräts an die Ziel-Basisstation und Rekonfiguration der Verbindung zwischen Benutzergerät und Ziel-Basisstation, ist nicht mehr beansprucht. Anspruch 1 beansprucht ein Verfahren, das in der Quell-Basisstation stattfindet. Die Quell-Basisstation spielt aber bei der Handover-Durchführung nur noch eine sehr untergeordnete, vermittelnde Rolle; im Wesentlichen kommunizieren in diesem Verfahrensstadium des Handover-Verfahrens das Benutzergerät und die neue Ziel-Basisstation.
Auch aus der Beschreibung und den Zeichnungen geht hervor, dass das klagepatentgemäße Initiieren des Handovers gemäß Merkmal 10 durch Übersenden eines Handover-Befehls („Handover-Command“) von der Quell-Basisstation an das Benutzergerät erfolgt, der alle Informationen enthält, die das Benutzergerät zur anschließenden Durchführung des Handovers benötigt. In den Absätzen [0035], [0040] und [0043] ist das Übersenden des Handover-Befehls als Schritte 213, 311 bzw. 412 in den Signalisierungsausführungsbeispielen der Figuren 2, 3 und 4 beschrieben. Die Signalisierungsausführungsbeispiele der Figuren 2, 3 und 4 zeigen als daran anschließenden Schritt die Durchführung des Handovers durch das Benutzergerät („UE performs handover to the target eNB“). Hieraus ergibt sich, dass es der Handover-Befehl der Quell-Basisstation an das Benutzergerät ist, der gemäß Merkmal 10 das Handover des Benutzergeräts an die Ziel-Basisstation einleitet.
Daneben war zum Anmeldezeitpunkt auch in der von der Beklagten als Anlage NK7 vorgelegten Spezifikation 3GPP TS 36.300 V.8.4.0 (2008-03) in der Figur 10.1.2.1.1 (Anlage NK7, S. 41) dargestellt und somit dem angesprochenen Fachmann bekannt (s.o.), dass in Schritt 6 der Handover-Befehl der Quell-Basisstation an das Benutzergerät ergeht, nachdem die Quell-Basisstation im vorausgehenden Schritt 6 eine Handover-Bestätigungs-Nachricht von der Ziel-Basisstation erhalten hat, wobei – aus den Klammern auf der rechten Seite ersichtlich – der Handover-Befehl die Schnittstelle zwischen Handover-Vorbereitung und Handover-Durchführung darstellt:
Durch den Handover-Befehl wird die nächste Handover-Verfahrensphase, die Handover-Durchführung, eingeleitet.
Entgegen der Ansicht der Klägerin (Triplik, Rz. 41/42; Bl. 486/487 d.A.) kann aus Absatz [0012] des Klagepatents nicht abgeleitet werden, dass die Erfindung eine Lösung für jeden Fall des Scheiterns des Handovers bereitstellt, so dass bei der Auslegung des Merkmals 5 keine Differenzierung zwischen der Handover-Vorbereitung und deren Scheitern und der Handover-Durchführung und deren Scheitern vorzunehmen wäre. So enthält die Beschreibungsstelle [0012] zwar die Aussage, dass ein Vorteil der Ausführungsformen sei, dass sie ein schnelles Umschalten auf eine alternative Basisstation erlaubten, falls das Handover des Benutzergeräts in irgendeiner Phase fehlschlage, verursacht durch einen Handover- oder Funkverbindungsfehler („One of the advantages of the embodiments is that it allows a rapid switching to an alternative base station in case that any stage of the handover of the user equipment falls, caused by a handover or radio link failure. (…)“). Allerdings ist diese Aussage nicht isoliert zu betrachten, sondern muss insbesondere im Kontext mit dem übrigen Inhalt des Absatzes [0012] gelesen werden. Aus dem unmittelbar anschließenden Satz geht dabei hervor, dass Absatz [0012] gerade auch die Handover-Vorbereitung betrifft, konkret eine „multiple“ Handover-Vorbereitung („By initiating a multiple handover preparation triggered by an admission failure in the target base station, the base station ensures finding the best possible candidate (…), as the algorithm may choose among a set of base stations that sent handover acknowledgement.“) und deren Vorteile. Diese Beschreibung entspricht der zweiten Handover-Vorbereitung i.S.v. Merkmal 8 des Anspruchs 1, bei der die Quell-Basisstation eine zweite Handover-Anforderung an zumindest eine Kandidaten-Basisstation übersendet, d.h. gleichzeitig Handover-Anforderungen an mehrere Kandidaten-Basisstationen versenden kann. Erhält die Quell-Basisstation dann von mehreren Kandidaten-Basisstationen jeweils eine Handover-Request-Ack-Nachricht, erfolgt eine Auswahl der Ziel-Basisstation mittels Auswahlentscheidung nach Merkmal 9. Eine Erstreckung des Patentschutzes des Anspruchs 1 auf Verfahrensschritte nach dem Verfahrensstadium der Handover-Vorbereitung auf der bloßen Grundlage einer isolierten Betrachtung des ersten Satzes der Beschreibungsstelle [0012] kommt dagegen aufgrund des entgegenstehenden eindeutigen Wortlaut des Anspruchs 1 und hier konkret des Merkmals 5 nicht in Betracht (vgl. BGH GRUR 1980, 219, 220 – Überstromventil; GRUR 1987, 626, 627 f. – Rundfunkübertragungssystem).
Auch aus Absatz [0014] ergibt sich – entgegen der Ansicht der Klägerin (Triplik, Rz. 43/44; Bl. 486 d.A.) – nicht, dass die Feststellung über das Scheitern bzw. den Erfolg der Handover-Vorbereitung i.S.v. Merkmal 5 auch unabhängig von der Kommunikation zwischen Quell-Basisstation und Ziel-Basisstation, beispielsweise noch nach Erhalt einer Handover-Request-Ack-Nachricht von der Ziel-Basisstation erfolgen kann. Nach Absatz [0014] ist in einer Ausführungsform vorgesehen, dass ein Scheitern der ersten Handover-Vorbereitung gemäß Merkmal 5 festgestellt wird, wenn eine Failure-Message von der ersten Kandidat-Basisstation empfangen wird oder wenn seit der Übertragung der ersten Handover-Anfrage eine festgelegte Zeit abgelaufen ist („In accordance with an embodiment, the first handover preparation has failed if a failure message is received from the first candidate base station or if a first predefined time has expired since the transmission of the first handover request.“). Absatz [0014] kann aber nicht dahingehend verstanden werden, dass nach der klagepatentgemäßen Lösung ein Scheitern einer Handover-Vorbereitung auch noch nach Erhalt einer Handover-Request-Ack-Nachricht festgestellt werden kann. Vielmehr ist die Handover-Vorbereitung bereits erfolgreich beendet, wenn eine Kandidaten-Basisstation auf eine Handover-Request-Nachricht der Quell-Basisstation eine Handover-Request-Ack-Nachricht an die Quell-Basisstation zurückgesendet hat. Damit hat die Quell-Basisstation eine neue Ziel-Basisstation für das Handover gefunden – was gerade Sinn und Zweck der klagepatentgemäßen Handover-Vorbereitung ist – und die Quell-Basisstation leitet die Durchführung des Handover ein, indem sie einen Handover-Befehl an das Benutzergerät entsprechend dem letzten Verfahrensschritt gemäß Merkmal 10 übermittelt. Ist eine Handover-Vorbereitung aber bereits erfolgreich abgeschlossen, kann sie nicht noch aufgrund eines späteren Ereignisses – sozusagen rückwirkend – scheitern, insbesondere nicht durch ein späteres Scheitern im Rahmen Handover-Durchführung. Die Beschreibung der Ausführungsform gemäß [0014] ist somit (allein) dahingehend zu verstehen, dass die Quell-Basisstation mit Übersendung der Handover-Request-Nachricht an eine Kandidaten-Basisstation einen Timer setzen kann, mit dem sie das vorbestimmte Zeitfenster für eine Antwort der Kandidaten-Basisstation (Handover-Request-Ack-Nachricht oder Failure-Message) überwacht: Bei Ablauf eines solchen Timers ohne Antwort der Kandidaten-Basisstation ist die Handover-Vorbereitung gescheitert.
III. Bei Zugrundelegung der oben dargelegten Auslegung machen die angegriffenen Ausführungsformen, die das Handover-Verfahren nach dem LTE-Standard gemäß den ETSI-Spezifikationen Anlage K 6 und K 9 umsetzen, jedenfalls von der technischen Lehre des Klagepatents gemäß Merkmal 5 keinen Gebrauch.
Nach Auffassung der Klägerin (Replik, Rz. 38 ff.; Triplik, Rz. 61 ff.) soll im Hinblick auf die Verwirklichung von Merkmal 5 die Situation entscheidend sein, in der die Quell-Basisstation aufgrund einer empfangenen Handover-Request-Ack-Nachricht (Schritt 6 in der Figur 10.1.2.1.1-1 der Anlage K 6) sowohl einen Handover-Befehl als auch die für den Handover notwendige Parameter im Rahmen einer RRC-ConnectionReconfiguration-Nachricht (Schritt 7 in der Figur 10.1.2.1.1-1 der Anlage K 6) an das Benutzergerät übertrage. Dabei habe die RRC-ConnectionReconfiguration-Nachricht und insbesondere deren Inhalt ihren Ursprung in Schritt 6 des in K 6 gezeigten Handover-Verfahrens, bei dem ein transparenter Container von der Ziel-Basisstation an die Quell-Basisstation übermittelt werde, und sei daher den vorbereitenden Handover-Maßnahmen zuzuordnen. Die Übertragung der notwendigen Parameter an das Benutzergerät umfasse weitere vorbereitenden Maßnahmen, beispielsweise starte das Benutzergerät in Vorbereitung auf die bevorstehenden Handover-Ausführungen einen Timer T304 (K 9, S. 108, Abschnitt 5.3.5.4), welcher seinen Ursprung in der Ziel-Basisstation habe. Laufe dieser Timer T304 ab, ohne dass eine RRC-ConnectionReconfiguration-Complete-Nachricht an die Quell-Basisstation gesendet worden sei, stelle die Quell-Basisstation ein Scheitern der Handover-Vorbereitung fest. Hierbei müsse es sich denknotwendig um ein Scheitern der Handover-Vorbereitung handeln, da es zu einer Handover-Ausführung ja erst gar nicht gekommen sei. Das standardgemäße Handover-Verfahren sehe vor, dass nach erfolglosem Ablauf des Timers T304, also für den Fall, dass eine Handover-Ausführung erst gar nicht erfolge, ein RRC-Connection-Reestablishement-Verfahren initiiert werde (K 9, S. 115/116, Abschnitt 5.3.5.6). Insbesondere werde eine RRC-ConnectionReestablishement-Nachricht von dem Benutzergerät an die Quell-Basisstation gesendet, wodurch diese feststellen könne, dass die Handover-Vorbereitung gescheitert sei und die Verbindung zwischen Benutzergerät und Quell-Basisstation wiederhergestellt werde. Es könne dahinstehen, dass das RRC-ConnectionReestablishement-Verfahren auch zu alternativen Ergebnissen (d.h. Wiederherstellung der Funkverbindung zur Ziel-Basisstation oder einer dritten Basisstation) führen könne. Für Verwirklichung von Merkmal 5 sei es ausreichend, dass die Verletzungsform zumindest eine Alternative vorsehe, bei der das RRC-ConnectionReestablishement-Verfahren die Verbindung zur ursprünglichen Basisstation wiederherstelle und dadurch die Quell-Basisstation über ein Scheitern der Handover-Vorbereitung unterrichte.
Nach der vorliegend maßgeblichen Auslegung ist allerdings zwischen dem klagepatentgemäßen Verfahrensstadium der Handover-Vorbereitung und dem Verfahrensstadium der Handover-Durchführung klar zu trennen, wobei sich die Handover-Vorbereitung allein zwischen der Quell-Basisstation und der Kandidaten-Basisstation abspielt (s.o. II.). Das standardgemäße RRC-ConnectionReestablishement-Verfahren wird jedoch durchgeführt, nachdem eine Kandidaten-Basisstation eine Handover-Request-Ack-Nachricht an die Quell-Basisstation zurücksendet hat, also nachdem die Handover-Vorbereitung erfolgreich beendet wurde. Der von der Klägerin in Bezug genommene erfolglose Ablauf des Timers 304, auf den die Übersendung einer RRC-ConnectionReestablishement-Nachricht des Benutzergeräts an die Quell-Basisstation folgt, schließt an die erfolgreiche Beendigung der Handover-Vorbereitung an und bedeutet demgegenüber, dass die Handover-Durchführung gescheitert. Somit ist bei der Zugrundelegung der oben dargelegten Auslegung eine Verwirklichung des Merkmals 5 nicht gegeben (vgl. auch die dies bestätigende Aussage des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2021, Bl. 487 d.A.).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
V. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
VI. Die Berechnung des Streitwerts ergibt sich aufgrund der Angaben der Klägerin, § 3 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben