Europarecht

Räumliche Beschränkung, Zurechnung der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Eltern

Aktenzeichen  B 6 K 20.1113

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30623
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 61 Abs. 1c S. 2
AufenthG § 80 Abs. 4
VwGO § 166

 

Leitsatz

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine räumliche Beschränkung.
Die Klägerin ist eine am … 2017 im Bundesgebiet geborene äthiopische Staatsangehörige. Ihr Asylantrag sowie der ihrer Mutter (Klägerin im Verfahren …) und ihres Bruders (Kläger im Verfahren …) wurden unanfechtbar abgelehnt.
Mit einem an den Kindsvater gerichteten Schreiben vom 15.06.2020, welches auch dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandt wurde, wurde der Vater aufgefordert, die Ausstellung eines Reisepasses beim äthiopischen Generalkonsulat zu beantragen. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass diese Aufforderung auch für die Klägerin sowie die beiden gemeinsamen Kinder gelte. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass es dem Ausländer obliege, sich vorrangig über Angehörige im Heimatland oder erforderlichenfalls einen Vertrauensanwalt äthiopische Personenstandsdokumente zu beschaffen, damit die Vorsprache bei der Auslandsvertretung erfolgversprechend sei.
Nach Anhörung erließ der Beklagte am 29.09.2020 folgenden Bescheid: Der Aufenthalt der Mutter der Klägerin wird räumlich auf das Gebiet der Stadt … beschränkt (Ziffer 1). Die räumliche Beschränkung gilt auch für die beiden Kinder (Ziffer 2).
Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Anordnung der räumlichen Beschränkung stütze sich auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG, da die Kindsmutter zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt habe. Obwohl sie mehrfach zur Passbeschaffung aufgefordert worden sei, sei ein aktives, zielgerichtetes Tätigwerden zur Erlangung eines Identitätsdokuments weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Hiergegen ließ die Klägerin am 26.10.2020 Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid des Beklagten vom 29.09.2020, mit dem Geschäftszeichen …, aufzuheben sowie der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Unterfertigten zu bewilligen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei ein Kind und könne die Mitwirkungspflichten daher nicht selbst erfüllen. Ein etwaiges Fehlverhalten der Eltern sei ihr nicht zurechenbar. Im Verfahren … betreffend die Mutter der Klägerin wurde zudem vorgetragen, dass diese keinen Reisepass habe beschaffen können, da sie die Versorgung und Erziehung der Kinder vollständig beanspruche. Der Aufforderung vom 15.06.2020 habe sie nicht nachkommen können, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht einmal im Besitz einer Duldung gewesen sei und wegen der Corona-Pandemie auch keine Reisen habe unternehmen können. Es wäre erforderlich gewesen, die Mutter auf ihre Pflichten hinzuweisen, was jedoch nicht erfolgt sei. Das Aufforderungsschreiben vom 15.06.2020 sei an den Kindsvater, nicht jedoch an die Mutter bzw. die Kinder ergangen. Die Zentrale Ausländerbehörde hätte den Aufenthalt zudem allenfalls auf den Regierungsbezirk Oberfranken, nicht aber auf das Stadtgebiet … beschränken dürfen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich die Klägerin das Fehlverhalten der Erziehungsberechtigten zurechnen lassen müsse. Im Verfahren betreffend die Mutter der Klägerin wurde ausgeführt, dass die Mutter vor dem Schreiben vom 15.06.2020 auch bereits mit Schreiben vom 16.08.2017 und im Rahmen der persönlichen Vorsprache am 26.09. 2017 mündlich über ihre Mitwirkungspflichten in ihrer Muttersprache belehrt worden sei. Eine Kontaktaufnahme zu ihrer Verwandtschaft im Herkunftsland, insbesondere zu ihren Eltern, ihren vier Brüdern und ihrer Schwester, sei ihr unabhängig vom Besitz einer Duldung und der Corona-Pandemie möglich und zumutbar gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat.
Im Verfahren … betreffend die Mutter der Klägerin hat die Kammer mit Beschluss vom heutigen Tage ausgeführt:
„Die Rügen des Klägerbevollmächtigten greifen offensichtlich nicht durch. Die Klägerin unterliegt der Passpflicht gemäß § 3 AufenthG und ist gemäß 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zur Mitwirkung bei der Beschaffung eines Identitätsdokuments verpflichtet. Die Aufforderung zur Passbeschaffung im Schreiben vom 15.06.2020 bezog sich auch auf die Klägerin, wie sich aus Seite 2 dieses Schreibens (Bl. 291 d. Behördenakte) ausdrücklich ergibt. Die Klägerin ist unter der gleichen Adresse wie der Kindsvater wohnhaft. Zudem wurde das Schreiben vom 15.06.2020 auch dem Bevollmächtigten der Klägerin zugeleitet (Bl. 289 d. Behördenakte), sodass eine Kenntnisnahme der Klägerin sichergestellt war. Die Klägerin wurde außerdem durch Aushändigung der Belehrung „ZAB II“ sowie des Hinweisblatts auf die Mitwirkungspflichten gemäß § 60b AufenthG – Empfang durch die Klägerin unterschriftlich bestätigt (Bl. 298 d. Behördenakte) – hinreichend über ihre Mitwirkungspflichten belehrt.
Dass die Klägerin irgendetwas zur Beseitigung der Passlosigkeit unternommen hat, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. An der Zumutbarkeit der verlangten Mitwirkung hat die Kammer keinen Zweifel. Sofern der Klägerbevollmächtigte auf die Inanspruchnahme der Klägerin durch die Kinderbetreuung verweist, ist von der Klägerin zu verlangen, auf die Unterstützung des Kindsvaters zurückzugreifen. Soweit auf die Unzumutbarkeit von Reisen verwiesen wird, ist festzustellen, dass die Klägerin auch vor Beginn der Corona-Pandemie nichts zur Beseitigung der Passlosigkeit unternommen hat. Im Übrigen hat die Klägerin auch Mitwirkungshandlungen, die nicht mit Reisen verbunden sind, nicht vorgenommen.
Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass die Zentrale Ausländerbehörde den Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt …, also auf den Zuständigkeitsbereich der Unteren Ausländerbehörde beschränkt hat. Die Zuständigkeitskonzentration gem. § 3 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht (Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR) vom 27. August 2018 (GVBl. 714, 738) dient der zweckmäßigen Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch spezialisierte Behörden, nicht aber dazu, den Rechtskreis des Ausländers zu erweitern. Ein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung von Ausländern, für die die Zentrale Ausländerbehörde zuständig ist, gegenüber solchen, für die die Kreisverwaltungsbehörde zuständig ist, wäre nicht erkennbar. „Bezirk“ i.S.d. § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG ist daher der Zuständigkeitsbereich der Unteren Ausländerbehörde (ebenso: VG Stuttgart, U.v. 20.08.2019 – 2 K 8316/18 – BeckRS 2019, 19914 Rn. 37).“
Die Klägerin muss sich die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch ihre Mutter zurechnen lassen (vgl. § 80 Abs. 4 AufenthG sowie VG Potsdam, B.v. 17.01.2020 – 8 L 950/19 – juris Rn. 14; NdsOVG, B.v. 02.07.2008 – 2 ME 302/08 – juris Rn. 12).


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