Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  AN 3 S 16.50196

Datum:
21.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, § 77 Abs. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 4, Art. 12

 

Leitsatz

Ein Merkblatt, dass die wesentlichen Informationen über das Dublin-Verfahren enthält, das jedoch nicht dem ausführlicheren Merkblatt der EU-Kommission in Anlage X ihrer Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 entspricht, reicht zur Erfüllung der Informationspflichten nach Art. 4 Dublin III-VO aus, insbesondere dann, wenn der Antragsteller unter Einschaltung eines Rechtsbeistands Rechtsschutz in Anspruch nimmt und damit dokumentiert, dass er über die notwendigen Informationen zur Wahrung seiner Interessen verfügt. (red. LS Clemens Kurzidem)
Es bestehen aktuell keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn für Antragsteller systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta mit sich bringen, sodass Überstellungen nach Ungarn möglich sind. (red. LS Clemens Kurzidem)
Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 254 AEUV) gegenüber Ungarn durch die Europäische Kommission führt nicht per se zur Annahme des Bestehens systemischer Mängel im Asylsystem. Ein solches Vertragsverletzungsverfahren, das ausweislich einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 12. Dezember 2015 wegen der Unvereinbarkeit von Vorschriften des ungarischen Asylrechts mit EU-Recht (insbesondere mit der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie [Richtlinie 2013/32/EU] und mit der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren [Richtlinie 2010/64/EU] sowie mit Art. 47 der GR-Charta) initiiert wurde, findet seinen Abschluss erst in der gerichtlichen Feststellung durch den Europäischen Gerichtshof (Art. 260 Abs. 1, 2 AEUV), dass ein Verstoß gegen EU-Recht tatsächlich vorliegt, sodass vom Vorliegen eines solchen momentan nicht ausgegangen werden kann. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Gegenstandswert beträgt 3.000,00 EUR.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige. Sie reisten mit einem Schengen-Visum des Ungarischen Generalkonsulats für einen Kurzaufenthalt mit Gültigkeit vom 15. Oktober 2015 bis 15. Dezember 2015 über die Slowakei und Tschechien am 28. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 27. Januar 2016 Asylanträge.
Auf eine am 17. Februar 2016 erfolgte Anfrage des Bundesamtes erklärten die ungarischen Behörden am 7. März 2016 die Bereitschaft zur Aufnahme der Antragsteller nach Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2016, der den Antragstellern mit PZU am 9. Juni 2016 zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1), ordnete ihre Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller hätten im Rahmen ihrer Anhörung keine Gründe geltend gemacht, die gegen eine Überstellung nach Ungarn sprächen.
Auch für eine Verkürzung der auf sechs Monate festgelegten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei nichts vorgetragen.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten, der am 16. Juni 2016 beim Verwaltungsgericht Ansbach einging, ließen die Antragsteller Klage gegen den genannten Bescheid erheben (AN 3 K 16.50197) und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Juni 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, den Antragstellern sei eine Rückführung nach Ungarn unzumutbar. Dort drohe ihnen als Dublin-Rückkehrern menschenrechtswidrige Inhaftierung, unzureichende Rechtsschutzmöglichkeiten und ein fremdenfeindliches Umfeld. Außerdem habe die Antragsgegnerin ihre Informationspflichten aus Art. 4 Dublin III-VO nicht erfüllt. Die Antragsteller seien insbesondere wegen der in kurzer Zeit durchgeführten Anhörung nicht umfänglich über das Verfahren informiert worden.
Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 3. Juni 2016 anzuordnen, sind zulässig, aber unbegründet.
Die Klagen gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes haben gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheids überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klagen in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klagen der Antragsteller werden mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig (1.).
Dies gilt auch der in Ziffer 3 des Bescheides verfügten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (2.).
1.
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
a.
Ungarn ist gemäß Art. 12 Abs. 4 und Abs. 2 für die Prüfung des Antrages der Antragsteller auf internationalen Schutz zuständig. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin am 17. Februar 2016 Ungarn um Aufnahme der Antragsteller gebeten. Die ungarischen Behörden haben am 7. März 2016 und damit innerhalb der Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt.
Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, die Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Aufnahme akzeptiert hat bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen. Die Frist für die Überstellung begann am 9. März 2016, § 31 VwVfG, § 187 Abs. 1 BGB.
b.
Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Informationspflichten aus Art. 4 Dublin III-VO seitens der Antragsgegnerin nicht ordnungsgemäß erfüllt worden sein könnten. Die Antragsteller wurden am 27. Januar 2016 persönlich angehört und erhielten ein Informationsblatt zum Dublin-Verfahren in russischer Sprache (D1271), dessen Erhalt sie bestätigten (Blatt 26 der Behördenakte). Dieses entspricht zwar nicht dem ausführlicheren Merkblatt, das die EU-Kommission in Anlage X ihrer Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vorgesehen hat. Gleichwohl enthält es nach Auffassung des Gerichts die Informationen, die für die Antragsteller zur Durchführung des Dublin-Verfahrens wesentlich sind. Sie haben Rechtsbeistand in Anspruch genommen, gegen die Entscheidung des Bundesamtes Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt, was zeigt, dass sie über die notwendigen Informationen für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz zur Wahrung ihrer Interessen verfügen.
Dass die Anhörung nur wenige Minuten dauerte, spielt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung insbesondere deshalb keine Rolle, weil keinerlei Anhaltspunkte im Rahmen des gerichtlichen Rechtsschutzes vorgetragen werden, die eine andere Entscheidung hätten herbeiführen können. Die Antragsteller gaben an, mit einem ungarischen Schengen-Visum eingereist zu sein und keine schützenswerten familiären Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland zu haben. Damit lag auf der Hand, dass zunächst ein Dublin-Verfahren durchzuführen war.
c.
Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, zumal die Antragsteller sich von dem Ungarischen Generalkonsulat ein Visum erteilen ließen. Es ist schon sehr verwunderlich, dass sie jetzt geltend machen, in Ungarn menschenunwürdig behandelt zu werden, obwohl sie die ungarischen Behörden bewusst kontaktierten, um in den Schengen-Raum einreisen zu können.
Es bestehen keine wesentlichen Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn für die Antragsteller systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so dass die Überstellung nach Ungarn möglich ist.
aa)
Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedsstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass es während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegen defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2015 – 1 A 21/12.A -, DVBl 2014,709ff.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedsstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 – 10 B 35/14, juris).
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedsstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat besondere Relevanz zu.
bb)
Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn jedenfalls für die Antragsteller derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten (vgl. Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Stellungnahme des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2015 an das Verwaltungsgericht Köln; Human Rights Watch vom 1. Dezember 2015, Hungary: Locked Up for Seeking Asylum, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,566a8a684,0.html; Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu den Änderungen des ungarischen Asylrechts vom 7. August 2015, abrufbar unter http:/helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC-HU-asylumlawamendment-2015-Augustinfonote.pdf; Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://milo.bamf.de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand November 2015, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,56652db64,0.html; AIDA (Asylum Information Database), Crossing Boundaries, Oktober 2015, abrufbar unter http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu; Amnesty International Juli 2015: „Europe’s Borderlands – Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary“, abrufbar unter http://www.amnestyusa.org/research/reports/europesborderlandsviolationsagainstmigrantsandrefugeesinmacedoniaserbiaandhungary; Amnesty International zur Lage der Flüchtlinge in Ungarn Oktober 2015 :“Fenced out-Hungary’s violations of the rights of refugees and migrants“, abrufbar unter http://www.amnesty.org/en/documents/eur27/2614/2015/en/; UNHCR: „Europe’s refugee emergency response update #24, 19. – 25. Februar 2016, abrufbar unter http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,56bd9f1a4,0.html; amnesty international: assessment oft the implimentation by states of previous upr recommendations, 2-13 may 2016; AIDA Country Report Serbia March 2016, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/serbia; Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne § 29 a AsylVfG vom 23. November 2015, Auswärtiges Amt, Bericht über die asylund abschieberelevante Lage in der Republik Serbien vom 15. Dezember 2014), vgl. hierzu VG Ansbach, B. v. 3. Mai 2016 – AN 3 S 16.50118, juris; VG München, B. v. 17.3.2016 – M 1 S 16.50032 -, juris; VG Augsburg, B. v. 27.1.2016 – 4 S 16.50004 – ; VG Dresden, B. v. 30.12.2015 – 2 L 1378/15.A -, juris; VG Stade, B. v. 4.11.2015 – 1 B 1749/15 -, juris; VG Osnabrück, U. v. 18.5.2016 – 5 A 68/16 -, juris.
Die Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn, die zum 15. August 2015 in Kraft getreten sind und unter anderem regeln, dass Serbien (wieder) sicherer Drittstaat ist, Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt werden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt längere Zeit als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, führt nach Auffassung des Gerichts nicht dazu, dass von systemischen Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen für die Antragsteller im Dublin-Verfahren auszugehen wäre.
Dafür sprechen folgende Erwägungen:
Es zu konstatieren, dass der UNHCR – abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf – bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, B. v. 25.8.2014 – W 6 S 14.50100 – juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, U. v. 30.5.2013 – C 528/11 – NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu (so auch der Juristische Dienst der Europäischen Kommission, vgl. Stellungnahme des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission vom 30. Oktober 2015 an das Verwaltungsgericht Köln). Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt (so auch VG Köln, U. v. 11.9.2015 – 18 K 3279/15.A, juris und VG Bremen, B. v. 1.4.2015 – 3 V 145/15, juris), wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht (so auch VG Stade, B. v. 4.11.2015 – 1 B 1749/15, juris). Diese gab der UNHCR z. B. zu den Verhältnissen für Asylsuchende in Tschechien ab (siehe hierzu FAZ vom 27.10.2015: UN werfen Tschechien menschenunwürdiges Verhalten vor; Tagesspiegel vom 22.10.2015: UN: Tschechien inhaftiert Flüchtlinge „systematisch“). An einer solchen Empfehlung zu Ungarn fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt, obwohl Ungarn in den letzten Monaten in seiner Bedeutung als Transitland stark im Fokus der Öffentlichkeit stand. Dass der UNHCR sich mehrfach besorgt über den Umgang mit Flüchtlingen geäußert hat, spricht (noch) nicht gegen die Zumutbarkeit einer Überstellung nach Ungarn.
Auch die nach der Rechtslage in Ungarn mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führt nach Auffassung des Gerichts nach den oben dargelegten Maßstäben nicht zur Annahme systemischer Mängel (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 – M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 – A 5 K 972/14 – juris; VG München, B. v. 26.6.2014 – M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 – 14 L 1786/14.A – VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 – 13 L 141/14.A – jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 – 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 – M 15 S 15.50160 – juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 – 23 L 899.14 A – juris; VG Bremen, B. v. 1.4.2015 – 3 V 145/15 – juris; VG Köln, U. v. 11.9.2015 – 18 K 3279/; VG Oldenburg, U. v. 2.11.2015 – 12 A 2572/15 – juris; VG Augsburg, B. v. 23.10.2015 – Au 5 S 15.50405 – bislang nicht veröffentlicht).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 28.2.2013 – 2 C 3.12 – juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, U. v. 3.7.2014 – 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 – 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 – 14 ZB 13.30076 – juris).
Zur Überzeugung des Gerichts ist für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Zwar sind Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende. Ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 wurden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern aber regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, B. v. 2.9.2014 – 6 L 1235/14.A – juris).
Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2015 an das Verwaltungsgericht Magdeburg gibt es zwar keine Regelung (mehr), wonach Dublin-Rückkehrer aus anerkennungsträchtigen Herkunftsländern generell von der Anwendung von Asylhaft ausgenommen sind. Dies geschah vor dem Hintergrund vermehrter Staatsangehörigkeitstäuschungen (vgl. Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016).
Die Zahlen lassen aber den Rückschluss darauf zu, dass Menschen aus anerkennungsträchtigen Herkunftsländern deutlich seltener mit der Anwendung von Asylhaft rechnen müssen. Im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2015 wurden nach den Angaben des Auswärtigen Amtes 492 Personen in Asylhaft genommen, das sind 0,7% aller Asylantragssteller. Asylhaft wird nur nach Einzelfallprüfung und dann angeordnet, wenn kein milderes Mittel möglich ist.
Bei dem Besuch des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes in der Haftanstalt Bekescsaba am 10. Dezember 2015 befanden sich alleinstehende Männer und ein Ehepaar in der Einrichtung. (vgl. Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016).
Die Haftplätze waren im September 2015 nicht alle belegt, was trotz der hohen Flüchtlingszahlen für einen maßvollen Umgang der ungarischen Behörden mit dem Instrument der Asylhaft spricht. Nachdem die Flut der Asylbewerber durch die Schließung der Balkanroute weiter zurückgeht, ist nicht damit rechnen, dass sich die Haftbedingungen wesentlich verschlechtern werden. Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.
Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzung kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.). Tatsächlich bestehen in den Hafteinrichtungen, sollte es im Einzelfall zur Inhaftierung kommen, menschenwürdige Bedingungen. Beispielsweise findet regelmäßig eine medizinische Betreuung statt, teilweise arbeiten dort Sozialpädagogen und besteht die Möglichkeit der freien Bewegung sowie Sport zu betreiben (Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016).
Nachdem der UNHCR ungehindert Zugang zu den Unterbringungseinrichtungen hat, sich jedoch den Quellen nicht entnehmen lässt, dass der UNHCR derzeit von systemischen Mängeln des Asylverfahrens- und/oder der Aufnahmebedingungen in Ungarn ausgeht, besteht nicht die für die Annahme systemischer Mängel beachtliche konkrete Wahrscheinlichkeit, dass den Antragstellern für den Fall ihrer Rückkehr nach Ungarn eine menschenrechtswidrige Behandlung droht.
Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 254 AEUV) gegenüber Ungarn durch die Europäische Kommission führt nicht per se zur Annahme des Bestehens systemischer Mängel im Asylsystem. Ein solches Vertragsverletzungsverfahren, das ausweislich einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 12. Dezember 2015 (http:/europa.eu/rapid/pressrelease_IP-15-6228_de.htm) wegen Unvereinbarkeit von Vorschriften des ungarischen Asylrechts mit EU-Recht (insbesondere mit der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) und mit der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren (Richtlinie 2010/64/EU) sowie mit Art. 47 der EUGr-Charta) initiiert wurde, findet seinen Abschluss erst in der gerichtlichen Feststellung durch den Europäischen Gerichtshof (Art. 260 Abs. 1, 2 AEUV), dass ein Verstoß gegen EU-Recht tatsächlich vorliegt, so dass vom Vorliegen eines solchen momentan nicht ausgegangen werden kann.
Aus dem Verhalten und den Äußerungen der Europäischen Kommission ergibt sich gerade nicht, dass die Asylrechts-Vollzugspraxis in Ungarn insgesamt systemische Mängel aufweist (VG Augsburg, B. v. 27.1.2016, a. a. O.).
Da wegen der zwischenzeitlich durch die ungarische Regierung ergriffenen Maßnahmen der unkontrollierte Zustrom von Flüchtlingen nach Ungarn nicht mehr anhält, dürften sich auch die durch Kapazitätsprobleme entstandenen Versorgungs- und Unterbringungsengpässe bei zurückkehrenden Asylbewerbern mittlerweile wieder entschärft haben.
Die Antragsteller gehören auch nicht zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie), auf deren Belange in besonderer Weise zu achten wäre.
Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig.
2.
Auch der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides, mit dem für die Antragsteller eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG von 6 Monaten ab dem Tag der Abschiebung ausgesprochen wurde, hat keinen Erfolg.
Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieser Entscheidung unzutreffende Erwägungen zugrunde gelegt oder Belange der Antragsteller nicht ausreichend berücksichtigt wurden, zumal diese sich hierzu nicht geäußert haben. In ihrer Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am 27. Januar 2016 gaben beide Antragsteller an, keine Gründe zu haben, die für die Bemessung der Dauer des Verbotes wichtig seien (Blatt 11 und 22 der Behördenakte).
Außerdem berührt ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nach § 36 Abs. 3 Satz 11 AsylG nicht die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung. Den Betroffenen ist es nach dem Willen des Gesetzgebers also zumutbar, den Rechtsstreit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG vom Zielstaat der Abschiebung auszuführen.
Auch tritt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG nur im Falle einer Abschiebung und nicht bei einer freiwilligen Ausreise in Kraft.
Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Anträge waren demnach abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz, Satz 2 RVG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen