Europarecht

Rücktritt vom Telefonkartenvertrag

Aktenzeichen  17 O 3451/15

Datum:
12.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2016, 04981
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 323, § 434, § 437 Nr. 2, § 346

 

Leitsatz

1 Ob bei einem Telefonkartenvertrag die fehlende Anwahlmöglichkeit von Rufnummerngassen ein Sachmangel iSd § 434 BGB ist, bestimmt sich nach dem Inhalt der ausdrücklichen Vereinbarungen, den Kartenaufdrucken, den beigepackten Hinweiszetteln oder der Werbung. In Ermangelung solcher Umstände ist die konkrete Situation der Telefonkarte zu betrachten. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Recht des Telefonkartenherausgebers nach § 315 Abs. 1 BGB, die Gültigkeitsdauer der Telefonkarten nachträglich entsprechend der Billigkeit anzupassen, begründet ein Recht des Telefonkartenkunden zum Umtausch, jedoch nicht zum Rücktritt; dieser kommt nur bei einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung in Betracht (vgl. BGH BeckRS 2010, 08911). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11ä% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 100.835,63 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Der Kläger besitzt kein Recht nach §§ 434, 437 Nr. 2, 323, 346 BGB von den Telefonkartenverträgen zurückzutreten. Eine sonstige Anspruchsgrundlage den Nennwert der vorgetragenen 19.733 Telefonkarten in Höhe von 100.835,63 € ausbezahlt zu erhalten und Zinsen seit dem Beendigungszeitpunkt der Ausgabe dieser Karten, spätestens zum 01.07.2002 ausbezahlt zu erhalten, ist nicht ersichtlich.
Die tatsächliche Beschaffenheit der für den Kläger technisch bis 31.12.2018 nutzbaren Telefonkarten weicht nicht von der Sollbeschaffenheit der ursprünglich um das Jahr 2001 verkauften Telefonkarten und der damit einhergehender Telefonkartenverträge ab.
I.
1.
Hierbei kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich im Besitz von 19.733 Telefonkarten mit dem Motiv „W.-los“ mit werthaltigem Inhalt der aufgedruckten 5,11 € ist.
2.
Es kann auch dahinstehen, ob dem Kläger die Vermutung nach § 793 (1) BGB zukommt, aus dem Telefonkarten als kleines Inhaberpapier im Sinne des § 807 BGB Rechte ableiten zu können. Die Entscheidung kann auch unabhängig davon ergehen, ob der Kläger Eigentümer der Telefonkarten ist und über Ansprüche aus abgetretenen Recht nach einer Veräußerungskette der Telefonkarten verfügt.
3.
Es spricht vieles dagegen, dass in der Veräußerungskette alle Personen redlich agierten, da die Bündelung von 19.733 Karten mit identischem Motiv bei einer Person oder (vormals) einem Hausmeisterbetrieb, der als Einzelfirma geführt wird, das Gericht verwundern. Das Halten von Telefonkarten mit einem Nennwert von knapp 200.000,00 DM oder umgerechnet gut 100.000,00 € über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg ohne Nutzung dieser Karten ist für das Gericht auch wirtschaftlich nicht verständlich. Der Umstand, dass eine Person diese Telefonkarten auch nur schwer in dieser Vielzahl an Dritte veräußern kann und auch in dieser Menge nicht selbst wird nutzen können, braucht an dieser Stelle nicht geklärt zu werden, da es für die Entscheidung nicht erheblich ist.
II.
Da die Beklagte unstreitig erklärte, dass der Kläger technisch im System der …munikation die streitgegenständlichen Karten technisch bis 31.12.2018 nutzen kann, räumt sie dem redlichen Kläger dieselben Rechte aus dem Dienstvertrag im Zusammenhang mit dem Kauf der Telefonkarten ein, wie dem ursprünglichen Erwerber um das Jahr 2001.
III.
Als streitentscheidend ist vielmehr zu erkennen, dass den streitgegenständlichen Telefonkarten kein Fehler nach §§ 434 Abs. 1 Satz 2, 437 Nr. 2, 323 BGB anhaftet. Dadurch hat der Kläger – unabhängig davon, ob er die oben unter I. diskutierten Rechte erworben hat – keinen Anspruch auf Rücktritt von dem ursprünglich zwischen der Beklagten und dem Ersterwerber geschlossenen Telefonkartenvertrag.
1.
Ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB an der gekauften Telefonkarte im Zusammenhang mit dem Telefonkartenvertrag als Vertrag sui generis liegt nicht vor. Eine Beschaffenheitsvereinbarung zwischen den Parteien wurde nicht getroffen. Auch Beschaffenheitsvereinbarungen zwischen den ursprünglichen Käufern der Telefonkarten und der Beklagten oder deren Tochterunternehmen … GmbH, in die der Kläger eingetreten wäre, sind nicht vorgetragen. Fehlt es an einer Beschaffenheitsvereinbarung, so ist die Sollbeschaffenheit anhand der Eignung der Ware für die vorausgesetzte bzw. gewöhnliche Verwendung zu messen (§ 434 (1) S. 2 Nr. 1, 2 BGB analog). Durch Bewerbung und öffentliche Äußerungen seitens des Verkäufers, Herstellers oder seiner Gehilfen kann die Sollbeschaffenheit im Sinne des § 434 (1) S. 2 Nr. 2 BGB analog um Eigenschaften erweitert sein, die über die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung hinausgehen. Da auch zweifelhaft ist, ob mögliche Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten in das Vertragsverhältnis aus abgetretenem Recht zum Kläger wirksam einbezogen worden sind, ist darauf abzustellen, dass Telefonkarten begriffsnotwendig zum Telefonieren verwendet werden können. Dabei ist zu gewährleisten, dass innerhalb des Telefonnetzes im Rahmen des Guthabens der Telefonkarten geführt werden können. All diese Voraussetzungen erfüllen die streitgegenständlichen Telefonkarten unstreitig. Der Kläger verlangt eine Nutzung der Telefonkarten auch für Sonderdienste mit besonderen Vorwahlnummern 0900 und 0137.
Abgesehen davon, dass ausdrücklich eine solche Vereinbarung zur Anwahlmöglichkeit dieser Rufnummerngassen nicht ersichtlich ist und als ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien (auch aus abgetretenem Recht) oder aus Aufdrucken auf der Karte oder sonstigen beigepackten Hinweiszetteln oder Werbung nicht vorgetragen werden, ist die konkrete Situation der streitgegenständlichen Telefonkarte zu sehen.
Hier ist zuvorderst der Nennbetrag der Telefonkarte anzusprechen. Dieser beträgt 10 DM oder umgerechnet 5,11 €, woraus sich nach dem Empfängerhorizont des Erwerbers einer derartigen Telefonkarte aufdrängt, dass mit einem solchen Betrag hochpreisige Sonderdienste nicht sinnvoll genutzt werden können. Gerade bei dem von Klägerseite angesprochenen Beispiel einer Anwaltshotline erscheint es für das Gericht als nicht realisierbar, innerhalb der Zeit einer Telefonverbindung für einen Betrag von 5,11 €, der abtelefoniert werden kann, eine Rechtsfrage zu schildern, geschweige denn dem Gesprächsteilnehmer das Erfassen dieser Frage zu ermöglichen und obendrein diese noch (zutreffend) und verständlich zu beantworten.
2.
Auch wenn der Kläger – letztlich mit Nichtwissen – die Verkaufssituation der streitgegenständlichen Telefonkarten „W.-los“ im „bundle“ bestreitet, ist aufgrund des Aufdrucks der streitgegenständlichen Telefonkarten „W.-los“ bereits diesem zu entnehmen, dass diese Telefonkarte das Stichwort „Urlaub“ assoziiert und dementsprechende Urlaubsgefühle beim ursprünglichen Telefonkartenerwerber 2001 hervorrief und auch hervorrufen wollte. Die Telefonkarte zeigt zwei überaus gut gelaunte Personen, die eine in Badebekleidung, die andere in einem ausgelassenen Strecksprung begriffen. Das Ganze findet sich vor einem tiefblauen Himmel mit leichter nicht störender Bewölkung ersichtlich bei hellstem Sonnenschein. Wenn dann diese Karte noch mit dem als Anlage B1 vorgelegten Flyer in Verbindung gebracht wird, was zwanglos dadurch geschehen kann, dass gerade diese Karte „W.-los“ in diesem Flyer abgebildet wird und hierbei sich die Textstelle findet: „Ferienzeit – schönste Zeit! Das Sonnenbad am Strand mit der Möglichkeit, sich jederzeit im Wasser abzukühlen – für viele der Inbegriff eines idealen Urlaubs. Damit beim süßen Nichtstun auch keine Langeweile aufkommt, sorgt in diesem Jahr das „W.-los Travelset“ für Spaß pur! In diesem Urlaubspaket zum V.-Magazin „W.-los“ ist alles enthalten, was Freude macht und nützlich ist. Eine Unterwasserkamera „LeBox Ocean“ von Agfa, eine … Calling-Card im Wert von 10 DM/5,11 € … zum einmaligen Preis von nur 39,00 DM/19,94 € ist alles erhältlich“. So unterstreicht dieser Text die vom Gericht in der Kaufsituation der Telefonkarte dargestellte Intention. Wie bereits in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2015 von Gerichtsseite dargelegt und diskutiert, wurde hier von Beklagtenseite nach dem objektiven Empfängerhorizont der Telefonkartenkunden eine Telefonkarte verkauft, die es erlaubt, gerade im Urlaub, sei es im Ausland oder im Inland, Telefonate in die Heimat oder zu Freunden und Bekannten zu führen.
Das Telefonieren zu Sonder- oder Mehrwertdiensten wird nicht offeriert.
3.
Allgemein kann ein Telefonkartenkunde über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg, mithin von 2001 – 2015 nicht erwarten, dass Rufnummerngassen spezieller Art in ihrer Art und Weise über einen solch langen Zeitraum überhaupt aufrecht erhalten bleiben. Unabhängig davon, ob die von der Beklagtenseite vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die bereits einen Großteil der zwischen den Parteien streitigen Mehrwertdiensten von vornherein ausnahmen, in den Vertrag einflossen, ist nach dem Empfängerhorizont der streitgegenständlichen Telefonkarte die Erreichbarkeit eines wie auch immer gearteten Mehrwertdienstes oder einer wie auch immer gearteten Telefonnummerngasse mit besonderen dahinterstehenden Dienstleistungen nicht vereinbart.
4.
Auf eine Abänderungsmöglichkeit des Telefonkartenvertrags nach § 315 (3) BGB seitens der Beklagten ist in Folge dessen überhaupt nicht zurückzugreifen.
5.
Auch die Rechtsprechung zu den Befugnissen des Herausgebers von Telefonkarten und deren nachträgliche Sperre, insbesondere die erwähnten Urteil des BGH vom 24.01.2008, Az. III ZR 79/07, und vom 11.03.2010, Az. III ZR 178/09, führen zu keinem anderweitigem Ergebnis. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.01.2008 spricht schon im Leitsatz ersichtlich die Gültigkeit, mithin die Nutzungsdauer von Telefonkarten, an. Diese Entscheidung macht lediglich im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung deutlich, dass dem Herausgeber von nicht mit einem Gültigkeitsvermerk versehenen Telefonkarten das Recht eingeräumt werden soll, diese nachträglich zu sperren. Dem stehe ein Interesse von Telefonkartensammlern an einer unbeschränkten Gültigkeit solcher Telefonkarten nicht entgegen. Im Urteil ist vor allem festgehalten, dass der Telefonkartenherausgeberin entsprechend § 315 (1) BGB berechtigt sein soll, die Gültigkeitsdauer der Telefonkarten nachträglich entsprechend der Billigkeit anzupassen und im Gegensatz den Kunden ein unbefristetes Recht zum Umtausch der gesperrten Karten gegen aktuelle Telefonkarten mit gleichem Guthabenwert einzuräumen. Das steht hier nicht in Rede.
Die Entscheidung des BGH vom 11.03.2010 spricht ein Umtauschrecht und deren Verjährung nicht vor dem 01. Januar 2012 an. In dem Urteil bestätigt der BGH zwar das Recht eines Telefonkarteninhabers statt des Umtauschs der Telefonkarte auch die Rückzahlung des Telefonkartenguthabens nach § 346 (1) BGB a. F. zu verlangen. Ein derartiges Rücktrittsrecht ist jedoch nach den Gründen des Bundesgerichtshofs nur gegeben, wenn der Telefonkartenherausgeber eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seine Vertragspflichten nicht nachkommen. Solches ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Die Beklagte versetzt den Kläger unstreitig in die Lage, technisch die Telefonkarten zu dem zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien üblichen und gewöhnlichen Zweck zu nutzen.
B.
Dem Kläger stehen damit auch keine Nebenforderungen zu.
C.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 (1), (2) ZPO. Die Vollstreckung über die Kosten ermöglicht eine Vollstreckung über mehr als 1.500,00 €, so dass § 708 (1) Ziff. 11 ZPO nicht einschlägig ist.


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