Europarecht

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Aktenzeichen  24 O 625/21

Datum:
15.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18710
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 43.399,83 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
A.
Dem Kläger steht ein dem Antrag zu Ziffer 1. zugrundeliegender Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (siehe unter I.). Daher ist auch die Klage im Übrigen unbegründet (siehe unter II.).
Der Klageantrag zu Ziffer 1. ist unbegründet, da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Ein Anspruch des Klägers folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB. Dies deshalb nicht, weil er entgegen der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast (siehe Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 826 Rn. 55) die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs schon nicht hinreichend substantiiert dargetan hat.
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Wagner, a.a.O., § 826 Rn. 9). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 1380 Rn. 8). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH WM 2016, 1975 Rn. 16). Eine Sittenwidrigkeit kommt in diesem Zusammenhang insbesondere in Betracht, wenn das Bewusstsein vorhanden ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wird (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019-Az. 10 U 1347/19).
b) Gemessen an diesen Anforderungen kann dem klägerischen Sachvortrag kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen werden.
aa) Das Gericht vermag vorliegend nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau eines Thermofensters in den konkreten Motor des Fahrzeugs des Klägers in sittenwidriger Weise gehandelt hat. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das Thermofenster selbst nach dem Vortrag des Klägers nicht darauf ab, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. Vielmehr wird die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert. Wenn das für das Fahrzeug des Klägers in Rede stehende Thermofenster aber schon nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (siehe BGH, SVR 2021, 100).
Unabhängig hiervon gilt, dass ein Thermofenster gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a der VO (EG) 715/2007 nicht grundsätzlich verboten, sondern jedenfalls dann zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Hieraus folgt, dass bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fährbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, ohne konkrete Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass die Beklagte bzw. deren Verantwortliche in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Jedenfalls solange Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, scheidet solch eine Annahme aus (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020, Az. 3 U 57/19 = BeckRS 2020, 9901). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kriterien, aus denen sich eine aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten sind (vgl. dazu umfassend OLG Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, Az. 5 U 103/18 = BeckRS 2019, 33351). Vor diesem Hintergrund kommt ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass sie vorsätzlich und in einer besonders verwerflichen Art und Weise diese rechtliche Grauzone überschritten hat (so auch OLG Bamberg, a.a.O.). Greifbare Anhaltspunkte für ein solches vorsätzliches und in einer besonders verwerflichen Art und Weise erfolgtes Überschreiten dieser rechtlichen Grauzone hat der Kläger allerdings nicht vorgetragen.
bb) Wenn der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs – was die Beklagte bestreitet – über eine Fahrkurvenerkennung verfügte, würde dies ebenfalls nicht zu einer Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten führen.
Der Kläger hat dazu lediglich pauschal behauptet, dass die Verwendung einer Fahrkurvenerkennung zu einer Manipulation der Messergebnisse führe und dass dies auch in dieser Absicht erfolgt sei. Er hat allerdings keinen greifbaren Anhaltspunkt hierfür vorgetragen. Damit trägt der Kläger nicht Tatsachen vor, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen lassen. Der Sachvortrag ist nicht schlüssig und erheblich, sondern vielmehr unbeachtlich, da er ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Daher war hierüber auch kein Beweis zu erheben, weil dies eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. hierzu BGH NJW 2020, 1740 [1741]).
Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte ausführlich zu den technischen Hintergründen der Verwendung der Fahrkurvenerkennung vorgetragen hat. Dabei leuchten die Ausführungen der Beklagten zum Erfordernis reproduzierbarer Messungen im Abgasprüfzyklus auch einem technischen Laien ohne Weiteres ein. Es ist ebenfalls ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die Messergebnisse für den jeweiligen Prüfzyklus repräsentativ sein müssen, d.h. die Emissionen abbilden müssen, die das Fahrzeug in dem jeweiligen Prüfzyklus verursacht hat, so dass es erforderlich ist sicherzustellen, dass der NSK des Fahrzeugs zu Beginn eines Prüfzyklus nicht mit zyklusfremd entstandenen Stickoxiden vorbelastet ist. Ob die Beklagte dies durch eine Fahrkurvenerkennung sicherstellt oder durch das „Günstigkeitsprinzip“, spielt dabei letztlich keine Rolle, denn beides zielt nach dem Vortrag der Beklagten nicht darauf ab, die Abgaswerte im Prüfzyklus in manipulativer Absicht zu schönen, sondern vielmehr darauf, die technischen Voraussetzungen für reproduzierbare und für den Zyklus repräsentative Messergebnisse sicherzustellen. Der Kläger hat sich mit diesem ausführlichen und sehr substantiierten Vortrag der Beklagten nicht auseinandergesetzt, obwohl er für alle die Sittenwidrigkeit in objektiver wie in subjektiver Hinsicht begründenden Tatsachen die volle Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BGH NJW 2020, 1962). Es wäre in Reaktion auf den Vortrag der Beklagten an dem Kläger gewesen, durch Vortrag von Substanz Gesichtspunkte aufzuzeigen, die geeignet gewesen wären, den nachvollziehbaren und in sich stimmigen Vortrag der Beklagten zumindest in Zweifel zu ziehen. Da der Kläger dies unterlassen hat, war eine Beweiserhebung zu seiner damit letztlich substanzlos gebliebenen Behauptung einer Verwendung der Fahrkurvenerkennung zur Manipulation der AdBlue-Einspritzung und/oder der Funktion des NOx-Speicherkatalysators und damit der Messergebnisse nicht veranlasst.
cc) Die Ausführungen des Klägers zum OBD-System lassen kein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten in dem Sinne erkennen, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen wäre. Eine Manipulation des OBD-Systems ist bereits der Sache nach keine unzulässige Abschalteinrichtung. Denn „Abschalteinrichtung“ ist gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 nur „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdrück im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Das OBD-System selbst ist aber schon auf der Grundlage des Vortrags des Klägers lediglich ein Diagnosesystem, das die Aufgabe hat Fehler des Emissionskontrollsystems zu erkennen und anzuzeigen. Eine Funktionalität dahin, Teile des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, hat es hingegen selbst nach klägerischem Vortrag nicht. Da weitere Anhaltspunkte für ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Übrigen nicht vorliegen, können die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers den Vorwurf auch nicht stützen.
2. Ein Anspruch folgt auch weder aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB noch aus §§ 831, 826 BGB oder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Denn der Beklagten kann auf dieser Grundlage jedenfalls kein bewusst täuschendes Verhalten vorgeworfen werden. Eine Aufklärung des Klägers über die Funktionsweise des in dem Fahrzeug enthaltenen Thermofensters oder sonstiger möglicher Abschalteinrichtungen musste vor diesem Hintergrund nicht erfolgen.
3. Ein Anspruch des Klägers folgt weiterhin nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn bei diesen Normen handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die den Schutz des Klägers vor dem eingetretenen Schaden bezwecken (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 [1970 f.]). Dies gilt auch für die Norm des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007.
II. Dem Kläger steht in der Folge auch kein Zinsanspruch sowie kein Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Mangels Schadensersatzanspruchs ist die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw nicht in Annahmeverzug geraten.
Die Klage ist auch im Rahmen des einseitig für erledigt erklärten Teils unbegründet.
B.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
C.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Die Zinsen sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bleiben als Nebenforderungen unberücksichtigt (§ 43 Abs. 1 Satz 1 GKG). Dem Feststellungsantrag zu Ziffer 2. war kein eigenständiger Wert zuzumessen (vgl. OLG Naumburg. NJW-RR2012. 1213 [LS]).


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