Europarecht

Schadensersatzanspruch, Berufung, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Rechtsmittel, Darlegungslast, Gutachten, Haftung, Berufungsverfahren, Schutzgesetz, Entscheidungserheblichkeit, Grenzwerte, Beurteilung, Beweislast, angefochtene Entscheidung, Darlegungs und Beweislast, billigend in Kauf

Aktenzeichen  33 U 1026/21

Datum:
18.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52147
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

4 O 11090/20 2021-02-11 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Klagepartei wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.02.2021, Az. 4 O 11090/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Innerhalb der vorgenannten Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert äußern, den der Senat beabsichtigt auf bis zu 30.000 € festzusetzen.

Gründe

I.
Die Klagepartei begehrt im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal von der Beklagten Schadensersatz nunmehr in Höhe von (rechnerisch nicht nachvollziehbarer) 28.439,18 € Zug um Zug gegen Rückgabe ihres von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs BMW X4, den sie am 13.03.2019 bei der B. AG, Niederlassung M. Zentrum Gebrauchte Automobile gebraucht für 29.000 € mit einem km-Stand von 66.415 km erworben hatte. Der PKW ist mit dem Motor Typ B47 EU6, ausgestattet und verfügt unstreitig (S. 28/29 der Klageerwiderung und S. 8 der Urteilsgründe) nicht über ein sog. SCR-System (“Ad Blue“). Für das Fahrzeug gibt es hinsichtlich der Abgasreinigung keinen amtlichen Rückruf, auch ein Software-Update wurde weder angeordnet noch durchgeführt (S. 2 und 8 des Ersturteils). Gegen die Verantwortlichen der Beklagten wurde bezüglich des streitgegenständlichen Motortyps auch kein Ermittlungsverfahren wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingeleitet.
Nach den Feststellungen des Erstgerichts behauptet die Klagepartei, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die Schadstoffausstöße unter Testbedingungen derart optimiere, dass nur unter diesen die Grenzwerte eingehalten würden. Aufgrund von Softwareupdates sei es zu Folgemängeln am Fahrzeug gekommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Klagepartei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, auch nicht nach § 826 BGB, Ansprüche zustünden. Schon hinreichend substantiierter Vortrag zu der behaupteten Manipulation der Motorsteuerungssoftware an dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei nicht erfolgt.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klagepartei, die ihre erstinstanzlichen Anträge weitgehend wiederholt.
II.
Vorauszuschicken ist zunächst folgendes:
Die Klagepartei hat im Berufungsverfahren zunächst mit Schriftsatz vom 05.03.2021 (Bl. 295/325), der jeglichen Bezug zum Ersturteil ebenso wie zulässige Berufungsrügen isv § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO vermissen lässt, allgemein – ohne Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug/ Motor – vorgetragen.
Die 157-seitige, teilweise völlig sinnfrei gegliederte Berufungsbegründung (Bl. 327/483, nachfolgend abgekürzt: BB) enthält in großem Umfang Vorbringen, das sich im Ersturteil so nicht findet und von dem nicht dargelegt worden ist, dass es in erster Instanz auch so vorgetragen worden ist. Der Senat muss daher davon ausgehen, dass es im Berufungsverfahren neu ist und dort schon mangels entsprechender Berufungsrüge i.S.v. § 520 Abs. 3 Nr.4 ZPO nicht mehr gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden kann und lässt es deshalb auch nicht zu (vgl. die Allgemeinen Verfahrenshinweise des Senats). Auch das verspätete Vorbringen hätte aber keine andere Entscheidung gerechtfertigt.
Der weitere Schriftsatz vom 26.04.2021 (Bl. 484/502) enthält lediglich Vortrag zu Rechtsprechung ohne erkennbaren Bezug zum streitgegenständlichen Sachverhalt.
Der Schriftsatz vom 30.07.2021 (Bl. 582/641) wiederholt, bis auf den letzten Satz, lediglich Vortrag aus dem Schriftsatz vom 17.11.2020 (Bl. 196/250).
Vorauszuschicken ist des Weiteren, dass vorgelegte Anlagen lediglich zur Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen, diesen aber nie ersetzen können (BGH, Urteil vom 02.07. 2007 – II ZR 111/05, Rn. 25, juris). Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, umfangreich und – wie hier – völlig ungeordnet vorgelegte Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten, um so die erhobenen Ansprüche zu konkretisieren (BGH, Urteil vom 17.03.2016 – III ZR 200/15, Rn. 19, juris).
III.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gemäß § 522 Abs. 2 S.1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das Ersturteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Die Ausführungen der Klagepartei in der Berufungsinstanz vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Ersturteil, auf das Bezug genommen wird, nicht erschüttern, denn der Klagepartei stehen aus keinem Rechtsgrund vorliegend Schadensersatzansprüche zu.
1. Vertragliche Mängelgewährleistungsansprüche bestehen mangels Kaufvertrag zwischen den Parteien offensichtlich nicht, wie vom Erstgericht völlig zutreffend ausgeführt.
2. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG oder § 6 Abs. 1, § 27 EG-FGV scheidet nach der allseits bekannten höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, da das EG-FGV kein Schutzgesetz darstellt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rz. 73 ff.).
3. Gleiches gilt für einen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, da es bei dem hier vorliegenden Gebrauchtwagenkauf von einem Dritten schon an der erforderlichen Stoffgleichheit des etwaig erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils seitens der Beklagten mit dem Vermögensschaden des Käufers bzw. der Klagepartei fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20).
4. Auch eine deliktische Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB wegen des behaupteten Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung kommt entgegen der Berufungsbegründung nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht in Betracht, denn die Klagepartei hat eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt bzw. keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür vorgebracht. Das Landgericht hat es mithin auch nicht pflichtwidrig unterlassen, Beweis zu erheben, insbesondere auch nicht zur Frage des Vorhandenseins einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung.
a) Allgemeine Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast Für eine deliktische Haftung des Schädigers trägt der Geschädigte grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 218/03). Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich und ggfs. einer Beweiserhebung zugänglich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die sonach gebotene Darlegung und der Nachweis einer angeblichen „unzulässigen Abschalteinrichtung“ muss grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Daran ändert auch der Beschluss des BGH vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, nichts. Der BGH hat dort die Auffassung vertreten, dass hinreichende Anhaltspunkte für einen Mangel auch dann vorliegen, wenn derselbe Motorentyp – dort der Daimler-Motor OM 651 – in anderen Fahrzeugtypen der dortigen Beklagten, die von einer Rückrufaktion des KBA betroffen sind, verbaut ist, mithin nicht etwa eine generelle Ausnahme von der Erforderlichkeit des Vortrages konkret motorbezogener Anhaltspunkte statuiert. Außerdem betraf diese Entscheidung einen Kaufrechtsfall und sagt nichts darüber aus, welche zusätzlichen Anforderungen in diesem Zusammenhang an Vortrag und hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch den Hersteller zu richten sind.
Auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast ändern daran nichts: Diese Grundsätze reduzieren nicht etwa die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegungen des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale. Wenn man einer Partei in diesen Fällen schon zugesteht, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 04.10. 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 mwN), müssen diese vermuteten Tatsachen dem Gericht auch eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen, m.a.W. also schlüssig im oben genannten Sinne sein, um überhaupt eine sekundäre Darlegungslast des Bestreitenden auslösen zu können. Denn schon begrifflich ist eine sekundäre Darlegungslast ohne primäre schlüssige Behauptung eines konkreten Lebenssachverhalts ausgeschlossen (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, Rz. 36 und 90). Wollte man dies anders sehen, würde man eine Klagepartei in mit den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung schwerlich zu vereinbarender Weise von dem Erfordernis jeglichen schlüssigen Sachvortrages entbinden (so auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/ 18, Rz. 6; OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az.: 8 U 1449/19).
Aus denselben Gründen löst bloßer Vortrag ins Blaue auch noch keine sekundäre Darlegungslast der Gegenseite aus. Der Anspruchsteller muss auch hierfür zunächst mindestens greifbare Anhaltspunkte aufzeigen, die sich auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben können (BGH, Urteil vom 26.01.2021 – VI ZR 405/19, Rz. 15 ff.). Der Anspruchsteller kann somit insbesondere nicht darauf hoffen, die erforderlichen Anhaltspunkte erst aufgrund der sekundären Darlegungslast des Gegners zu erhalten. Denn die deutsche Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei (BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89).
b) Übertragung auf den vorliegenden Sachverhalt
Unter Beachtung der eben dargestellten Grundsätze scheidet eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB für die von der Klagepartei behaupteten, angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen aus.
aa) Einsatz einer Motorsteuerungs- bzw. Manipulationssoftware Konkreter Vortrag der Klagepartei zu Anhaltspunkten, wonach in dem Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Prüfstandserkennungssoftware verbaut worden wäre, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hätte, wie sie z.B. dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, zum VW-Motor EA 189) zugrunde lag, ist weder erstinstanzlich, wie vom Erstgericht völlig zutreffend auf S. 6 ff. der Urteilsgründe dargelegt, noch in der Berufungsinstanz erfolgt. Sie ergeben sich u.a. auch nicht aus den rein theoretischen Ausführungen zur „vi. Funktionsweise der Abschalteinrichtung“ (S. 68 der BB/ welcher?), wobei der Vortrag zum „SCR“ (S. 37 ff., 69 ff. der BB) neben der Sache liegt, da das hiesige Fahrzeug über ein solches System gar nicht verfügt, nicht aus einem hier nicht erfolgten Rückruf, nicht aus einem hier nicht amtlich angeordneten Software-Update, nicht aus einer Pressemitteilung des KBA (im Gegenteil, s. Anlage B 1), nicht aus dem ohne genaue Anlagenbezeichnung eingereichten Gutachten „Fester“ vom 03.02.2020 (das einen anderen Fahrzeugtyp, BMW 116d, und einen anderen Motor, N47 EU5, betrifft und offensichtlich nur eine vorläufige Stellungnahme ohne jede Erkenntnis für den streitgegenständlichen Sachverhalt liefert), nicht aus dem einseitigen Gutachten „B. “ vom 18.12.2020 (das ebenfalls einen anderen Fahrzeugtyp, BMW 320d, und einen anderen Motor, N47 EU5, betrifft und ohne konkrete Aussage bleibt) und nicht aus dem Vortrag zu anderen Fahrzeug – und Motorentypen.
Auch der Hinweis (z.B. S. 56 ff. der BB nebst vorgelegter Anlage C 4 zu anderen Fahrzeugherstellern und Fahrzeugtypen) auf angebliche Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandsbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße, insbesondere dem dortigen Überschreiten von Grenzwerten, kann schon für sich kein hinreichender Anhaltspunkt für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigungshandlung der Beklagten sein, denn die erforderlichen Messungen unter Prüfstandsbedingungen stellen auf eine genormte Situation ab, die zwangsläufig im Rahmen von Messungen im realen Straßenverkehr nicht vorliegen (vgl. auch BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rz. 23).
bb) Einsatz eines sog. „Thermofensters“
Aus der behaupteten Verwendung eines sog. Thermofensters in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmotor, der nach dem Klägervortrag „offensichtlichsten“ Abschalteinrichtung (S. 72 der BB) ergibt sich vorliegend keine deliktische Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB.
Nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung (Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, zum Motor OM 651 eines anderen Fahrzeugherstellers und Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 zum Software-Update zum Motor EA189 eines anderen Fahrzeugsherstellers) ist das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Diese sei nicht mit der Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen. Dabei könne zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sei (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Denn der darin liegende Gesetzesverstoß sei auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setze deshalb weiter voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, sei bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trage die Klagepartei als Anspruchsteller für diese Voraussetzungen nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast.
Hier fehlt es an weiteren Umständen i.S.d. Rechtsprechung des BGH, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Insbesondere legt die Berufung nicht ansatzweise schlüssig dar, dass die Beklagte im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende oder arglistig unzureichende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hätte, noch hat sie hierfür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht. Daher war die Beklagten auch diesbezüglichen nicht zu einer sekundären Darlegung verpflichtet, erst recht trifft sie keine sekundäre Vorlegungslast.
Die Berufung behauptet lediglich, die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen bei der Beantragung der Typengenehmigung nicht angegeben und führt dazu weiter aus, die bisher – in anderen Verfahren – vorgelegten Unterlagen zeigten, dass die Angaben bewusst schwammig gehalten seien. So heiße es z.B. in Bezug auf die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung beispielsweise, dass die Abgasrückführung von folgenden Parametern gesteuert werde: „Temperatur“, die übrigen Zeilen seien geschwärzt; die Beklagte treffe daher eine sekundäre Darlegungslast und müsse nachweisen, dass alle relevanten Angaben dem KBA zur Kenntnis gebracht worden seien (S. 87 der BB). Hinsichtlich der anderen Abschalteinrichtungen seien noch nicht einmal Anhaltspunkte in den Anträgen zur Typengenehmigung enthalten, da diese sonst bei einer konkreten Beschreibung eine Typengenehmigung verhindert hätten (S. 88 der BB). Die Beklagte hat indessen bereits erstinstanzlich Unregelmäßigkeiten im Typengenehmigungsverfahren bestritten, d.h. eine ordnungsgemäße Typengenehmigung behauptet (S. 76 ff. der Klageerwiderung).
Selbst wenn die Angaben der Beklagten tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten, spräche angesichts der Untätigkeit des KBA nichts dafür, dass die Beklagte eine etwaige Unvollständigkeit ihrer Angaben und ihrer Rechtspflicht zur weiteren Aufklärung – eine solche unterstellt – gekannt oder zumindest billigend in Kauf genommen, m.a.W. dass sie irgendetwas vorsätzlich „verschleiert“ hätte. Anders als bei einer Prüfstandserkennungssoftware mit Umschaltlogik könnte aus dem etwaigen Fehlen derartiger ergänzender Angaben nach Auffassung des Senats angesichts dieser Gesamtumstände nicht darauf geschlossen werden, dass die Beklagte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA bzw. der Typengenehmigungsbehörde und daran anschließend der künftigen Käufer abgezielt oder dies auch nur billigend in Kauf genommen hätte.
cc) „viii. weitere Abschalteinrichtungen „Hard cycle Beating“
Auch der neue, von der Beklagten bestrittene (S. 24 ff. der Berufungserwiderung), präkludierte Vortrag zu der „plumpen“ Abschalteinrichtung „hard cycle beating“ bzw. deren „Abschalteinrichtungen“ in Form von Drehzahl, Leistung/ Beschleunigung, Zeit, Geschwindigkeit, keine Nebenverbraucher, Lenkradstellung (S. 72 ff. der BB) enthält offensichtlich keine Anhaltspunkte für eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzliche Schädigung der Klagepartei.
dd) Manipulation OBD-Einheit
Keinen tauglichen Annhaltspunkt bietet schließlich der Vortrag zur behaupteten Manipulation des OBD (S. 88 der BB)., denn das OBD überwacht nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirkt aber auf diese nicht ein
IV.
1. Aufgrund obiger Ausführungen regt der Senat aus Kostengründen an, die Berufung zurückzunehmen. Eine Rücknahme der Berufung würde zu einer Kostenersparnis in Höhe von zwei Gerichtsgebühren führen, Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG.
2. Ausgehend vom Berufungsantrag der Klagepartei, der die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von einem etwaigen Schadensbetrag abzuziehende Nutzungsentschädigung so gut wie ausblendet, wird der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 30.000 € festzusetzen sein.
3. Zu diesen Hinweisen kann die Klagepartei binnen der oben gesetzten Frist Stellung nehmen. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit einer einmaligen Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss nur bei Glaubhaftmachung triftiger Gründe – wozu im Allgemeinen nicht eine nur allgemein geltende Arbeitsüberlastung zählt – gerechnet werden kann (OLG Rostock OLGR 2004, 1).


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