Europarecht

Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit sog. “Lkw-Kartell”

Aktenzeichen  37 O 10526/17

Datum:
19.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2021, 303
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EUGVVO Art. 4, 8 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1
AEUV Art. 101
Rom-II VO Art. 6
ZPO § 17
EGBGB Art. 40 Abs. 1 S. 3, Art. 41
GWB § 33 Abs. 5, § 33g, § 87 S. 1, § 89 Abs. 1, § 89b, § 130 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Das Bestimmungsrecht nach Art. 40 Abs. 1 S. 3 EGBGB (1999) ist eine Prozesshandlung. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem langjährigen Kartellverstoß handelt es sich um eine unerlaubte Handlung, die aus einer Vielzahl von Einzelakten besteht und die dabei auf die Marktgegenseite insgesamt zielt. (Rn. 93) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen des § 130 Abs. 2 GWB (2005) beantwortet sich die Frage,  welches Recht bei Auswirkungen des Kartellverstoßes im Inland und zugleich in anderen Staaten anwendbar ist, nicht nach dem sog. Mosaikprinzip, wonach für die jeweilige konkrete Lieferung zu fragen ist, wo sich das Kartell ausgewirkt hat, mit der Folge der Anwendung des dort geltenden Rechts. (Rn. 95 und 96) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Bindungswirkung des § 33 Abs. 5 GWB (2005) erstreckt sich auf alle Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, mit denen die Kartellbehörde einen Verstoß gegen das materielle Wettbewerbsrecht begründet. Fragen der Schadenskausalität sowie der Schadenshöhe nehmen nicht an der Bindungswirkung teil, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Die Bindungswirkung ist unabhängig von der Art des von der Kommission durchgeführten Verfahrens, hier eines Vergleichsverfahrens. (Rn. 106) (redaktioneller Leitsatz)
5. §§ 89b, 33g GWB (2017) bezwecken den Ausgleich eines Informationsgefälles, welches wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten innewohnt. (Rn. 127) (redaktioneller Leitsatz)
6. Bei Absprachen, die nicht gegen einzelne Marktteilnehmer, sondern gegen die Marktgegenseite gerichtet sind, kommt eine Beeinträchtigung des Marktes insgesamt in Betracht, ohne dass es auf eine weitergehende konkretindividuelle Betroffenheit ankäme. (Rn. 128) (redaktioneller Leitsatz)
7. Nach dem Grundsatz, dass „jedermann“ Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht verlangen kann, ist allgemein anerkannt, dass auch derjenige, der nicht direkt von einer der Kartellbeteiligten erworben hat, schadensersatzanspruchsberechtigt ist. (Rn. 139) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits zu je 1/3.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die im Hauptantrag überwiegend zulässige Klage ist unbegründet. Der Hilfsantrag ist unzulässig.
A:
I.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten zu 4) vom 22.12.2020 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
II.
Klägerin zu 1) ist die Transerna Logistica S.L., wie im Rubrum benannt. Zwar lautete die Parteibezeichnung in der Klageschrift: Transportes Transerna S.L. und war damit unrichtig bzw. mehrdeutig. Der objektive Erklärungsinhalt ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, wobei der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich der Anlagen zu berücksichtigen ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl. 2020, Vor § 50 Rn. 6, 13). Diese Auslegung ergibt hier, dass die Klage für die T… Logistica S.L. erhoben wurde. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klagepartei gibt es keine juristische Person unter dem Namen Transportes T… S.L. In der Klageschrift, Seite 4, wurde für die Klägerin zu 1) die Eintragung im Handelsregister Burgos unter der Nummer … angegeben. Mit Anlage K 4 wurde diese Handelsregisternummer für die T… Logistica S.L. belegt. Das Anlagenkonvolut K 2 enthält Rechnungen auf die Fa. T… Logistica S.L., nicht dagegen auf die Transportes T… S.L. Vertrauensschutzgesichtspunkte, die dieser Auslegung entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich.
III.
Soweit die Klagepartei ursprünglich Schadensersatz für den Kläger 3) für die Erwerbsvorgänge lfd. Nr. 2, 3 und 15 beantragt hatte, hat sie ihren Vortrag zum Erwerb korrigiert und mit Schriftsatz vom 20.02.2019 Ansprüche der Klägerin zu 1) (lfd. Nr. 2 und 3) bzw. des Klägers zu 2) (lfd. Nr. 15) auf den Erwerb eben dieser Lkw gestützt. Hierin liegt eine zulässige konkludente Teilklagerücknahme der ursprünglichen Anträge, §§ 263, 269 Abs. 1 ZPO. Eine bloße Korrektur der Anträge ohne Kostenfolge kann dagegen nicht angenommen werden, da auch im Wege der Auslegung nicht von bloßen Schreibfehlern ausgegangen werden kann.
IV.
Das Verfahren ist nicht durch Tod des Klägers zu 2) unterbrochen. Die Klage kann im Namen des Klägers zu 2) fortgeführt werden, da er nach Rechtshängigkeit gestorben ist und er im Zeitpunkt seines Todes durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, nachgewiesen durch eine Prozessvollmacht im Original vom 28.06.2017, § 246 Abs. 1 ZPO.
B:
Die Klage ist in den Hauptanträgen Ziffer 1. bis 3. und 5. zulässig. Der Feststellungsantrag Ziffer 4. ist teilweise zulässig.
I.
Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt jedenfalls aus der rügelosen Einlassung aller Beklagten, Art. 26 Abs. 1 EUGVVO. Die internationale und örtliche Zuständigkeit besteht im Übrigen auch im hier eröffneten Anwendungsbereich der EuGVVO gemäß Art. 4, 8 Nr. 1 EuGVVO i.V.m. § 17 ZPO, da die Beklagten zu 1/2) hier ihren Sitz haben, eine Konnexität der gesamtschuldnerischen Ansprüche gegeben ist und aufgrund der wesentlichen Tatbeiträge in Deutschland und in München (Kommissionsentscheid Rn. 49 bis 60, siehe unten Abschnitt C: I.1) eine enge Beziehung zum Gerichtsort besteht. Die Grenzen der Kognitionsbefugnis des Gerichts sind im Einzelfall nach Maßgabe des konkreten Wettbewerbsverstoßes zu bestimmen (vgl. Kahlmann/Ohlhoff/Völcker/Wurmnest, Kartellrecht und Kartellprozessrecht 2017, § 31 Rn. 64 ff., § 33 Rn. 38; EuGH, Urteil vom 21.05.2015, C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide, juris, Rn. 56). Die Inanspruchnahme der Beklagten vor den deutschen Gerichten war angesichts des organisatorischen Schwerpunktes der Zuwiderhandlungen bei den deutschen Tochtergesellschaften sowie der Bedeutung des deutschen Marktes innerhalb des EWR auch vorhersehbar. Da die Zuwiderhandlung auf die Marktgegenseite insgesamt gerichtet ist und daher alle sachlich, räumlich und zeitlich von den Feststellungen des Kommissionsentscheids erfassten Umsatzgeschäfte kartellbefangen sein können (BGH Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 LKW-Kartell I – juris, Rn. 31.; siehe unten Abschnitt C: III.4.) ist die Kognitionsbefugnis für Umsatzgeschäfte in allen im Kartellentscheid benannten Märkten, d.h. im gesamten EWR und damit auch für Ansprüche spanischer Marktteilnehmer aufgrund von Umsatzgeschäften in Spanien, gegeben.
Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I folgt aus §§ 87 Satz 1, 89 Abs. 1 GWB, § 33 Abs. 1 Nr. 1 GZVJu.
II.
Die Klage ist auch hinsichtlich des Feststellungsantrags Ziffer 5. zulässig. Da die Rechtsverfolgungskosten noch nicht abschließend feststehen, kann dem Antrag Ziffer 5. der Vorrang der Leistungsklage nicht entgegengehalten werden.
III.
Der Antrag Ziffer 4. ist teilweise zulässig, soweit die Feststellung weiteren Schadensersatzes hinsichtlich der Erwerbsvorgänge lfd. Nr. 2 bis 9 beantragt wird. Zwar gilt grundsätzlich der Vorrang der Leistungsklage. Es handelt sich jedoch um einen ergänzenden Feststellungsantrag zu den Zahlungsanträgen unter Ziffer 1. bis 3., der die weitere Schadensentwicklung, insbesondere für Schäden aus der verzögerten Einführung der jeweils neueren Emissionstechnologien, bezogen auf die Betriebskosten für die Lkws, erfasst. Da die genannten Lkws nach dem Klagevortrag (Schriftsatz vom 20.02.2019, S. 11, Bl. 576 d.A. in Verbindung mit der Tabelle Anlage K 4.neu) noch im betrieblichen Bestand der Klagepartei sind, ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen und daher ein Feststellungsinteresse gegeben.
Der Antrag ist auch hinreichend bestimmt, da die Erwerbsvorgänge, auf welche der Anspruch gestützt wird, im einzelnen aufgeführt werden.
Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags Ziffer 4. teilweise unzulässig, soweit Feststellung weiteren Schadensersatzes für die Erwerbsvorgänge lfd. Nr. 1, 10 bis 18 beantragt wird, da hier das besondere Feststellungsinteresse fehlt. Es gilt der Vorrang der Leistungsklage.
Ein berechtigtes Interesse an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage besteht grundsätzlich nicht, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II, NJW 2018, 2479, 2480, Rn. 15 m.w.N. zur st. Rspr.). Geht es um die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, ist anerkannt, dass eine Feststellungsklage zulässig ist, solange die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Schaden daher noch nicht endgültig beziffert werden kann (BGH, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Bei dem Feststellungsantrag Ziffer 4. handelt es sich ausweislich der Klagebegründung um einen ergänzenden Feststellungsantrag zu den Zahlungsanträgen Ziffer 1 bis 3, der die Schäden aus der verzögerten Einführung der jeweils neueren Emissionstechnologien, bezogen auf die Betriebskosten der 18 streitgegenständlichen Lkw, erfasst. Auch insoweit ist die Schadensentwicklung jedoch abgeschlossen, soweit die Lkws nicht mehr betrieblich verwendet werden. Für die Lkws unter der lfd. Nr. 1, 11, 13, 15, 17 und 18 haben die Kläger auf Hinweis des Gerichts (Verfügung vom 24.01.2019, Bl. 562 d.A.) zum Verkauf durch Bezugnahme auf die Anlage K 4 neu konkret vorgetragen. Auch die Lkws mit den lfd. Nr. 10, 12, 14, 16 sind nach dem Klägervortrag nicht mehr im betrieblichen Bestand.
C:
Die Klage ist in den Hauptanträgen unbegründet.
Die Klage ist in den Anträgen Ziffer 1. bis 3. unbegründet, da die Klagepartei keinen Beweis zur Entstehung des Schadens nach Grund und Höhe angetreten hat. Die Einzelansprüche zu den lfd. Nr. 15 und 16 sind zudem mangels Beweises zu den Erwerbstatsachen, der Einzelanspruch zu lfd. Nr. 10 mangels Beweises des Erwerbs im Kartellzeitraum und die Ansprüche zu lfd. Nr. 2, 3, 6, 7 und 9 mangels schlüssigen Vortrags zum Schaden unbegründet. Der Feststellungsantrag Ziffer 4. ist unbegründet, da zum Schaden nicht substantiiert vorgetragen wurde. Der Feststellungsantrag Ziffer 5. ist als Annexantrag ebenfalls unbegründet.
I.
International anwendbares Recht
Nach den Regeln des Internationalen Privatrechts ist deutsches Recht auf die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge in Spanien anwendbar.
1. Deutsches Sachrecht ist auf Ansprüche, die vor dem 01.06.1999 entstanden sind, anwendbar (lfd. Nummer 10 und 14).
Die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche sind deliktsrechtlich zu qualifizieren. Das Deliktsstatut ist vor dem 01.06.1999 nicht kodifiziert. Gewohnheitsrechtlich galt das Ubiquitätsprinzip, wonach das Recht am Handlungsort oder am Erfolgsort anwendbar ist. Soweit der Geschädigte keine Rechtswahl getroffen hat, war das günstigere Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. Palandt/Heldrich, BGB, 61. Aufl. 2002, Art. 40 EGBGB Rn. 1; Staudinger/v. Hoffmann, IPR Art. 38 bis 42 EGBGB, Bearb. 2001, Art. 40 EGBG Rn. 6).
Diese Regel wurde in Art. 40 Abs. 1 Satz 3 EGBGB (1999) dahin abgewandelt, dass an die Stelle der Günstigkeitsprüfung durch das Gericht ein Bestimmungsrecht des Geschädigten trat. Das IPR-Reformgesetz 1999 (G v. 21.5.1999, BGBl. I 1026) enthält keine Übergangsvorschrift. Die intertemporale Anwendbarkeit ist daher nach allgemeinen Regeln zu ermitteln. Hierfür kommt es auf die Qualifizierung des Bestimmungsrechts als materiell-kollisionsrechtlich oder als prozessual an. Nach richtiger Ansicht handelt es sich um eine Prozesshandlung, was sich aus dem Bezug auf Vorschriften der ZPO als auch aus dem systematischen Zusammenhang ergibt (vgl. z.B. Lorenz, NJW 1999, 2215, 2216; BeckOGK/Fornasier EGBGB Art. 40 Rn. 130; a.A. Staudinger/v. Hoffmann IPR Art. 38 bis 42 EGBGB, Bearb. 2001, Art. 40 Rn. 11, der aber trotz materieller Qualifikation eine Anwendung des Bestimmungsrechts auf Altfälle befürwortetet, a.a.O., Vor Art. 40 Rn. 73). Damit ist das Günstigkeitsprinzip auch für Ansprüche, die vor dem 01.06.1999 entstanden sind, durch das Bestimmungsrecht des Geschädigten beschränkt.
Die Klagepartei hat sich im Schriftsatz vom 14.05.2018, S. 4 ff., Bl. 429 ff. d.A. unter Bezugnahme auf ein Wahlrecht des Geschädigten unter mehreren möglichen Handlungsorten auf das deutsche Recht berufen und damit konkludent von ihrem Bestimmungsrecht Gebrauch gemacht.
Während der Erfolgsort am Sitz des Geschädigten und damit in Spanien zu verorten ist, liegt ein Handlungsort jedenfalls auch in Deutschland. Handlungs- und Tatort ist jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist. Die Beklagten haben alle in Deutschland ihren Sitz. Ab August 2002 liefen die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften der Kartellbeteiligten (Kommissionsentscheid Rn. 49, 55, 56). Am 4./5. Juli 2005 fand ein Treffen der Kartellbeteiligten in München statt (Kommissionsentscheid Rn. 59). Aus der im Kommissionsentscheid beschriebenen Art und Weise des Informationsaustausches und der dafür erforderlichen Vorbereitungshandlungen (Ermittlung der Informationen, Erstellen von Listen, Versenden von E-Mails, Telefonate, siehe dazu Kommissionsentscheid Rn. 51, 55, 60) ergibt sich, dass hier wesentliche Tatbeiträge für den einheitlichen Kartellverstoß erfolgten und dass die deutschen Tochtergesellschaften wesentliche Aufgaben der Organisation übernahmen. In Deutschland liegt daher ein Schwerpunkt des Tatgeschehens.
2. Deutsches Recht ist auch auf Ansprüche, die zwischen dem 01.06.1999 und dem 11.01.2009 entstanden sind, anwendbar (lfd. Nummer 11, 12, 13, 15, 16, 17).
a. Wie ausgeführt, sind die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche deliktsrechtlich zu qualifizieren. Das anwendbare Recht bestimmt sich daher gemäß Art. 40, 41 EGBGB, gültig ab 01.06.1999, nach dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. In Deutschland lag, wie festgestellt, ein Schwerpunkt der Organisation des Austausches, hier fanden gelegentlich Treffen statt. Bei den Beklagten handelt es sich um deutsche Kartellteilnehmer, die Tatbeiträge der deutschen Konzerngesellschaften werden im Kommissionsentscheid besonders hervorgehoben.
Es kommt nicht darauf an, dass eine konkrete Schädigung der Kläger für den hier geltend gemachten Schaden kausal auf einen Tatbeitrag in Deutschland zurückgeführt werden kann. Bei dem langjährigen Kartellverstoß handelt es sich um eine unerlaubte Handlung, die aus einer Vielzahl von Einzelakten besteht und die dabei auf die Marktgegenseite insgesamt zielt (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 31). Der Schwerpunkt liegt dabei auch angesichts der Beteiligung eines erheblichen Anteils von Unternehmen mit Sitz in Deutschland und deren Tatbeiträgen sowie der Bedeutung der kartellbefangenen Produkte für den deutschen Markt in Deutschland.
b. Die Anwendung eines anderen als des deutschen Rechts ergibt sich auch nicht aus § 130 Abs. 2 GWB (2005) für die Zeit ab 01.07.2005.
§ 130 Abs. 2 GWB (2005) wird überwiegend als einseitige, zwingende Kollisionsnorm verstanden, die unabhängig vom Handlungsort die Geltung deutschen Rechts anordnet, wenn sich der Verstoß im Inland ausgewirkt hat (vgl. Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB 4. Aufl. 2007, § 130 Rn. 320 ff.; MüKo/Säcker, Kartellrecht Bd. 2 GWB 2008, § 130 Rn. 9). Zu der Frage, welches Recht bei Auswirkungen des Kartellverstoßes im Inland und zugleich in anderen Staaten anwendbar ist, werden verschiedene Auffassungen vertreten. Während es nach einer Auffassung ausreicht, dass sich der Verstoß jedenfalls auch im Inland ausgewirkt hat, mit der Folge, dass einheitlich deutsches Recht anwendbar ist, auch wenn einzelne Abnehmer ihren Sitz im Ausland haben (LG Düsseldorf, Urteil v. 19.11.2017, 14d O 4/14 – juris, Rn. 175), wird auch das sog. „Mosaikprinzip“ vertreten, wonach für die jeweilige konkrete Lieferung zu fragen ist, wo sich das Kartell ausgewirkt hat, mit der Folge der Anwendung des dort geltenden Rechts (vgl. Harms/Schmidt WuW 2014, 364, 366). In Folge dieser Auffassung wäre jeweils das Recht am Sitz des Geschädigten anwendbar.
Einer solchen Erweiterung des Auswirkungsgrundsatzes im Sinne eines „Mosaikprinzip“ ist nicht zu folgen. Aus § 130 Abs. 2 GWB lässt sich diese Auffassung nicht begründen. Zumeist wird in der Literatur ohne nähere Erörterung davon ausgegangen, § 130 Abs. 2 GWB sei auf privatrechtliche Schadensersatzansprüche wegen Kartellverstoßes anwendbar (so Harms/Schmidt WuW 2014, 364, 366). Diese Annahme ist allerdings fraglich. Aus der Entstehungsgeschichte und dem systematischen Zusammenhang lässt sich vielmehr ableiten, dass § 130 Abs. 2 GWB, wie auch die bis zum 20.2.1990 geltende Vorgängernorm des § 98 Abs. 2 GWB, nur den territorialen Anwendungsbereich der ordnungspolitischen Wettbewerbsvorschriften regelt (vgl. Basedow NJW 1989, 627-638). Aus diesem Zusammenhang erklärt sich die Beschränkung des Anwendungsbefehls für das deutsche Wettbewerbsrecht auf Fälle mit Inlandsauswirkung (siehe auch Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB 4. Aufl. 2007, § 130 Rn. 325 zur Sonderanknüpfung ausländischen Kartellrechts; Loewenheim/Schwensfeier/Stockmann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, § 130 GWB, Rn. 11, zu völkerrechtlichen Anwendungsgrenzen). Für den Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts ist diese Beschränkung aufgrund der unionsrechtlichen Geltung und der Einbeziehung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV in § 33 Abs. 1 GWB (2005) obsolet. Dies gilt spiegelbildlich nicht für die Erwerbsvorgänge außerhalb des zeitlichen und räumlichen Bereichs des EWR. § 130 Abs. 2 GWB bringt insoweit den allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, dass ordnungspolitische Normen nur innerhalb ihres territorialen Geltungsbereichs Wirkung entfalten.
An der ordnungspolitischen Qualifizierung des § 130 GWB einerseits und der weiterhin deliktsrechtlichen Qualifizierung des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs andererseits hat die Schaffung einer speziellen Anspruchsgrundlage in § 33 Abs. 3 GWB durch die 7. GWB-Novelle 2005 und die damit verbundene Integration des Schadensersatzanspruchs in das GWB nichts geändert. Ein Wille des historischen Gesetzgebers dahingehend, dass hierdurch nunmehr aus § 130 Abs. 2 GWB die Entscheidung über das zur Anwendung auf den Schadensersatzanspruch berufene Privatrecht folge, kann nicht unterstellt werden. Aus dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 GWB lässt sich eine Begrenzung der Anwendung deutschen Kartellrechts auf Inlandssachverhalte nicht ableiten. Die Berufung auf den territorial begrenzten Schutzzweck des Wettbewerbsrechts, der zur Begründung dieser Auffassung angeführt wird (Lange/Bunte/Stadler, Kartellrecht Bd. 1, 12. Aufl. 2014, § 130 Rn. 126; Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, 4. Aufl. 2007, § 130 Rn 306), ist vor dem Hintergrund der europarechtlich normierten und im gesamten EWR gültigen Wettbewerbsnormen (Art. 81, 85 EGV, Art. 101 AEUV) nicht durchgreifend.
Für deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche ist das anwendbare Recht folglich weiterhin nach Art. 40 ff. EGBGB zu bestimmen, so dass auch insoweit deutsches Recht zur Anwendung berufen ist (siehe oben).
c. Für Ansprüche, die nach dem 10.1.2009 entstanden sind (lfd. Nummer 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 18), ist gemäß deren Art. 31 die Rom-II VO anwendbar. Auch insoweit ist das deutsche Recht zur Anwendung berufen.
Anwendbar ist hier Art. 6 Abs. 3 b. Rom-II VO. Nach den Feststellungen im Kommissionsentscheid bezweckte der Verstoß eine Wettbewerbsbeschränkung im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum, folglich ist eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs in mehreren Mitgliedstaaten wahrscheinlich. Gemäß Art. 6 Abs. 3 b. Rom-II VO ist die lex fori, d.h. deutsches Recht anwendbar, wenn das Gericht am Sitz des Beklagten angerufen wird und wenn auch der Markt am Sitz dieses Gerichts wahrscheinlich beeinträchtigt ist. Auch die zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 b Satz 2 Rom-II VO für den Fall einer Klage gegen mehrere Beklagte liegen hier vor. Unmittelbare und wesentliche Auswirkungen auf den deutschen Markt sind nach dem insoweit zugrunde zu legenden Klägervortrag durch das gemeinsame Verhalten aller Beklagter wie es im Kommissionsentscheid beschrieben wird gegeben oder wahrscheinlich.
Wie ausgeführt hat sich die Klagepartei im Schriftsatz vom 14.05.2018, S. 4 ff., Bl. 429 ff. d.A., auf die Anwendung deutschen Rechts berufen und damit ihr Optionsrecht ausgeübt.
II.
Intertemporal anwendbares Recht
Auf die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche, die jeweils materiell-rechtlich selbständige Ansprüche bilden (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris Rn. 73), ist jeweils das im Zeitpunkt der Schadensentstehung geltende Recht anwendbar (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10 – ORWI, GRUR 2012, 291 Rn. 13) d.h. maßgeblich ist der Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses, gleich ob der Erwerb im Wege des Leasings oder des Kaufs erfolgte.
Danach ist auf Ansprüche, die bis zum 31.12.1998 entstanden sind, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 85 EGV anwendbar (lfd. Nummer 10 und 14). Für die Erwerbsgeschäfte vom 01.01.1999 bis zum 30.06.2005 kommt als Anspruchsgrundlage auch § 33 Abs. 1 GWB (1999) (lfd. Nummer 11, 12, 15, 16,) in Betracht. Auf die Erwerbsvorgänge ab 01.07.2005 bis 08.06.2017 (lfd. Nummer 1 bis 9, 13, 17, 18) sind § 33 Abs. 3 GWB in der Fassung vom 07.07.2005 (7. GWB-Novelle) und die inhaltlich übereinstimmenden Folgevorschriften anwendbar (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 16).
III.
Kartellrechtlicher Schadensersatzanspruch
Die genannten intertemporal anwendbaren Tatbestände entsprechen sich in den Anspruchsvoraussetzungen weitgehend. Vorausgesetzt ist eine schuldhafte Pflichtverletzung durch Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, hier aufgrund der europaweiten Beteiligungen und Marktbezüge aus einem Verstoß gegen das europarechtliche Kartellverbot, das in den aufgeführten verschiedenen intertemporal gültigen Vertragsgrundlagen (Art. 85 EGV, Art. 81 EGV, Art. 101 AEUV) identisch ist. Dies setzt zunächst ein Rechtsgeschäft voraus, das in zeitlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht von der festgestellten Zuwiderhandlung erfasst wird und damit potentiell von schädlichen Auswirkungen betroffen sein kann. Das pflichtwidrige wettbewerbsbeschränkende Verhalten muss kausal für einen möglichen Schaden bei den Klägern sein. Der Schaden folgt der Höhe nach aus dem Vergleich des Vermögens des Geschädigten mit und ohne das schädigende Verhalten.
1. Pflichtverletzung
Ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV (vormals Art. 81 EGV, Art. 85 EGV) folgt aus den bindenden Feststellungen der EU-Kommission im Beschluss vom 19. Juli 2016. Die in § 33 Abs. 5 GWB (2005) normierte Bindungswirkung findet auch auf Verstöße Anwendung, die vor dem Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle am 01.07.2005 begangen wurden, da das Kartellverfahren nach dessen Geltung abgeschlossen wurde (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzement II, juris, Rn. 30-32). Die Bindungswirkung erstreckt sich auf alle Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, mit denen die Kartellbehörde einen Verstoß gegen das materielle Wettbewerbsrecht begründet. Fragen der Schadenskausalität sowie der Schadenshöhe nehmen nicht an der Bindungswirkung teil, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 24). Die Bindungswirkung ist unabhängig von der Art des von der Kommission durchgeführten Verfahrens, hier eines Vergleichsverfahrens (BGH a.a.O., Rn. 25 ff.).
Die Europäische Kommission hat im Beschluss vom 19. Juli 2016 festgestellt, dass die Beklagten und die weiteren Adressatinnen des Entscheids eine komplexe Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV begangen haben (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 LKW-Kartell I, juris, Rn. 19-23). Die unterschiedlichen Beteiligungszeiträume der Beklagten zu 1) bis 6) hat die Klagepartei in ihrer mit Schriftsatz vom 20.02.2019, Bl. 568 ff. d.A., geänderten Antragstellung berücksichtigt.
2. Verschulden
Der Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht setzt gemäß § 33 Abs. 3 GWB (2005) und den entsprechenden intertemporal anwendbaren Normen ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln voraus. Den Beklagten ist ein vorsätzliches Verhalten ihrer Mitarbeiter und leitenden Personen bei der im Kommissionsentscheid festgestellten Zuwiderhandlung zuzurechnen, § 31 BGB.
Die Klagepartei kann sich zur Begründung des Vorsatzes auf die Kommissionsentscheidung berufen. Zwar unterliegt die Feststellung des Verschuldens im Kommissionsentscheid nicht der Bindungswirkung gemäß § 33 Abs. 4 GWB (2005), wohl aber die Tatsachen, aus denen sich die Feststellung der Schuld ergibt. Aus dem im Kommissionsentscheid geschilderten langjährigen Verhalten, welches zunächst auf der Ebene der Hauptverwaltungen stattfand und später mit einem höheren Organisationsgrad auf der Ebene der deutschen Tochtergesellschaften, lässt sich ohne weiteres der Schluss auf ein vorsätzliches Verhalten der beteiligten Personen ziehen.
Konkret handelnde Personen aus der Leitungsebene, deren Verhalten den Beklagten organschaftlich gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist, hat die Klagepartei zwar nicht benannt. Dies steht der Zurechnung schuldhaften Verhaltens im konkreten Fall jedoch nicht entgegen. Nach allgemeinen Grundsätzen hat derjenige, der einen Anspruch geltend macht, auch darzulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter des in Anspruch genommenen Unternehmens im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, WM 2016, 1975, Rn. 27). Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, IV ZR 367/19, juris, Rn. 17 ff.). Die Beklagten sind dem Verschuldensvorwurf – mit Ausnahme der Beklagten zu 6) – nicht entgegengetreten. Damit gilt das vorsätzliche Handeln als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO (BGH, Urteil vom 20.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 37).
Die Beklagte zu 6) argumentiert in erster Linie damit, es habe für die an den Zuwiderhandlungen beteiligten Mitarbeiter kein Anlass bestanden, von einem Kartellverstoß auszugehen, da es sich lediglich um einen Informationsaustausch gehandelt habe. Dies unterstellt, läge allenfalls ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor, der nicht geeignet ist, den Vorsatz auszuschließen. Die für die Beklagte zu 6) handelnden Personen, die alle Tatbestandsumstände kannten, mussten damit rechnen, dass ihre kartellrechtliche Beurteilung von den zur Entscheidung berufenen Gerichten möglicherweise keinen Bestand haben würde (vgl. Langen/Bunte/Tolkmitt, Kartellrecht Bd. 1, 13. Aufl. 2018, § 33 a GWB Rn. 19 m.w.N.).
3. Erwerbsgeschäfte
Anspruch auf Schadensersatz hat bei einer Zuwiderhandlung der vorliegenden Art, wer bei einem bestimmten Umsatzgeschäft einen kartellbedingt überhöhten Preis gezahlt hat. Vorzutragen und ggf. zu belegen ist daher das Umsatzgeschäft nach Art (Kauf, Leasing etc.), Käufer, Verkäufer, Kaufgegenstand, Markt und Preis. Bei den Angaben zum Kaufgegenstand müssen die wesentlichen preisbildenden Merkmale zur Modellkonfiguration wie z.B. Leistung, Achsenzahl und Fahrerkabine erkennbar sein.
Die Erwerbsdaten sind die Tatsachen, die unter die Voraussetzungen des kartellbefangenen Rechtsgeschäfts als Teil des haftungsbegründenden Tatbestandes für den Schadensersatzanspruch zu subsumieren sind und damit dem Beweismaßstab des § 286 Abs. 1 ZPO unterliegen. Der gezahlte Preis ist zudem die entscheidende Bezugsgröße zur Ermittlung des Kartellschadens, also der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem kontrafaktischen Preis (LG Stuttgart, Urteil vom 23.01.2020, 30 O 5/18, juris, Rn. 45).
Nach diesen Maßstäben hat die Klagepartei ausreichend zu den Erwerbsvorgängen 1 bis 14, 17 und 18 vorgetragen und belegt. Nicht ausreichend sind die Nachweise zu den Erwerbsvorgängen Nr. 15 und 16.
a. Die Klägerin zu 1) hat zu dem Kauf der Fahrzeuge lfd. Nr. 1, 4 bis 9 im Einzelnen vorgetragen und dies durch Vorlage der Rechnungen belegt. Zwar wurden nicht alle Rechnungen übersetzt, anhand der übersetzten Anlage K 4.1 (Anlage K 10) konnte sich das Gericht jedoch eine Überzeugung bilden. Zu den lfd. Nr. 2 und 3 wurden die Leasingverträge in spanischer Sprache vorgelegt. Soweit ersichtlich handelt es sich dabei um klassisches Finanzierungsleasing. Da die Investitionssumme genannt und damit auf den Kaufpreis des Lkws geschlossen werden kann, außerdem FIN, Modell und Händler angegeben sind, ist der Leasingvorgang zur Überzeugung des Gerichts belegt.
Für den Kläger zu 2) wurde zum Kauf der Fahrzeuge lfd. Nr. 14, 17 und 18 ebenfalls unter Vorlage von Rechnungen zu den maßgeblichen Einzelheiten vorgetragen. Der Erwerb ist daher zur Überzeugung der Kammer belegt.
Ausreichend belegt ist auch der Erwerb von vier Lkws, die der Kläger zu 3) im eigenen Namen gekauft hat (lfd. Nummer 10 bis 13). Der Kläger zu 3) hat den Kauf in Bezug auf diese drei Lkws der Marke DAF und eines Lkws der Marke VOLVO individuell mit FIN bezeichnet, das konkrete Modell, Kaufpreis und Verkäufer durch Vorlage der Rechnung Anlagen K 4.10 bis 4.13 neu ausreichend substantiiert und belegt. Der Kaufzeitpunkt ist durch das jeweilige Rechnungsdatum in diesem Zusammenhang ausreichend genau festgelegt.
Soweit die Beklagten rügen, es fehle an konkreterem Vortrag zur jeweiligen Ausstattung sowie zu Sonder- und Zusatzleistungen, vermag dies der haftungsbegründenden Kausalität der Kartellabsprachen auf diese Umsatzgeschäfte nicht entgegenzustehen. Ein Mindestmaß an Modellspezifikationen lässt sich aus dem Modelltyp und der FIN und aus Angaben in den vorgelegten Dokumenten ablesen. Die Frage, ob in den angegebenen Preisen auch Zusatz- und Sonderleistungen abgerechnet wurden, wird dagegen erst auf der Ebene der konkreten Schadenshöhe relevant, bei der Feststellung, für welche Preisbestandteile ein etwaiger Preisaufschlag wirksam geworden ist. Der Einwand der Beklagten, es fehle Vortrag zur Zahlung des Kaufpreises ist unbeachtlich, da bereits die Zahlungsverpflichtung einen Schaden begründen kann. Die Zahlung und der Zahlungszeitpunkt könnten zwar für den Zinslauf relevant sein, soweit dieser auf deliktischer Grundlage geltend gemacht wird (d.h. vor Geltung des § 33 Abs. Satz 3 und 4 GWB (2005)). Für den Vortrag zu den streitgegenständlichen Erwerbsgeschäften kommt es darauf jedoch nicht an.
Soweit in einigen Fällen im Vortrag der Klagepartei Zahlendreher und ähnliche Fehler in den aufgelisteten Fahrzeugidentifikationsnummern vorgekommen sind, ist dies unschädlich, da eine eindeutige Zuordnung erfolgen konnte.
b. Der Erwerb der Fahrzeuge lfd. Nr. 15 und 16 zu den vorgetragenen Konditionen und Daten ist dagegen nicht zur Überzeugung der Kammer belegt. Die Klagepartei hat hier lediglich auf der Grundlage des Erwerbs Nr. 14 eine Schätzung vorgenommen, da ihr weder Vertragsunterlagen noch eine sonstige Dokumentation zum Erwerbsvorgang vorliegen. Vorgelegt wurden unübersetzte Bescheinigungen, ein Fahrtenschreiberbeleg sowie Rechnungen, bei denen es sich nach einer ersten Einschätzung der Dokumente in spanischer Sprache um eine Rechnung über den Verkauf des Lkws als Gebrauchtwagen durch die Klägerin zu 1) und um eine Reparaturrechnung handelt. Diese Unterlagen sind – mit einer Ausnahme – nicht auf den Kläger zu 2), sondern auf die Klägerin zu 1) ausgestellt.
Die Beklagten, die nicht unmittelbar Vertragspartner sind, haben den Erwerb zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Zwar kann den jeweiligen Hersteller unter Umständen eine sekundäre Darlegungslast zu Erwerbsdaten treffen. Die Voraussetzungen hierfür sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Es handelt sich bei den Erwerbsdaten um Informationen, die originär der Klagepartei zur Verfügung standen. Verlust oder Vernichtung sind daher Umstände, die aus der Sphäre der Klagepartei stammen und folglich nicht geeignet, die Darlegungslast auf die Beklagten zu verlagern (LG München I, Urteil vom 27.02.2020, 37 O 18471/18, beck-online, Rn. 30; OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.03.2019 5 U 15/18, beck-online, Rn. 35; LG Stuttgart, Urteil vom 30.01.2020, 30 O 9/18, juris, Rn. 40 ff.; LG Hannover, Urteil vom 16.09.2019, 18 O 20/17, juris, Rn. 43).
Es handelt sich bei den einzelnen, jeweils auf eine kartellbedingte Preisüberhöhung bei einem Erwerbsgeschäft gestützten Schadensersatzansprüchen, um materiell-rechtlich selbständige Ansprüche, deren Tatbestandsvoraussetzungen folglich jeweils für sich am Maßstab des § 286 ZPO festzustellen sind. Die Grundsätze der freien Beweiswürdigung für die Ermittlung des Schadens gemäß § 287 ZPO können nicht auf die Feststellung übertragen werden, dass und zu welchen Bedingungen der potentiell Geschädigte ein Umsatzgeschäft abgeschlossen hat. Daher genügt der mit Beweismitteln unterlegte Vortrag zu einem oder mehreren Erwerbsvorgängen nicht zum Nachweis dafür, dass die Kläger andere Erwerbsgeschäfte zu bestimmten Bedingungen getätigt haben, wenn ihnen die Parameter dieser Geschäfte aufgrund fehlender Unterlagen nicht konkret bekannt sind, sie diese Angaben vielmehr lediglich ableiten oder schätzen. So mag zwar der auf Schätzung gegründete Sachvortrag konkret und damit substantiiert sein. Der „geschätzte“ Tatsachenvortrag vermag jedoch die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der auf einer Schätzung, Übertragung oder sonstigen Ableitung beruhenden Behauptung nicht zu bewirken.
Dies gelingt auch nicht unter Würdigung des Umstandes, dass das Fahrzeug auf eine bestimmte Person zugelassen war, denn die Zulassung ist nicht geeignet, den rechtsgeschäftlichen Erwerb mit den zugehörigen und für den Anspruch relevanten Einzeltatsachen zu belegen. Eigentum oder Besitz allein begründen keinen Schadensersatzanspruch. Kartellbefangen ist nicht der Erwerbsgegenstand, sondern das zugrundeliegende Rechtsgeschäft.
Im konkreten Fall ist zudem zu würdigen, dass die Unterlagen bis auf eine Ausnahme nicht auf den Kläger zu 2), sondern auf die Klägerin zu 1) ausgestellt sind. Das Gericht kann sich anhand dieser Belege daher keine Überzeugung von dem Erwerb durch den Kläger zu 2) bilden.
Die von Klageseite angebotenen Zeugen (insbesondere Schriftsatz vom 20.02.2019, Seite 11 f., Bl. 576 ff. d.A.) waren nicht zu vernehmen. Die Klagepartei hat vorgetragen, dass sie die Eintragungen zur lfd. Nr. 15 und 16 auf der Grundlage eines vorherigen Erwerbes geschätzt hat. Diese unbestrittene Behauptung ist nicht beweisbedürftig. Sollte das Beweisangebot so zu verstehen sein, dass die Zeugen den Inhalt der in die Tabelle zu lfd. Nr. 15 und 16 eingetragenen Parameter zum Erwerb als richtig bestätigen sollen, so folgt bereits aus der Methodik der geschilderten Ableitung dieser Daten aus vorangegangenen Geschäften, dass das Zeugenangebot ins Blaue hinein erfolgt ist und unzulässigerweise der Tatsachenermittlung dient.
Auch eine Vorlageanordnung an die Beklagten hinsichtlich der Erwerbsdokumente oder interner Daten zu den Verträgen gemäß § 89 b i.V.m. § 33 g GWB (2017) kommt nicht in Betracht.
§§ 89 b, 33 g GWB (2017) bezwecken den Ausgleich eines Informationsgefälles, welches wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten innewohnt. Die 9. GWB-Novelle, mit der §§ 89 b, 33 g GWB (2017) eingeführt wurden, diente insoweit der Umsetzung der EU-Schadensersatzrichtlinie (RL 2014/104/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union). Erwägungsgrund 15 dieser Richtlinie ist zu entnehmen, dass ein Offenlegungsanspruch der Kläger geschaffen werden sollte, weil wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten durch eine Informationsasymmetrie gekennzeichnet sind. Der Auskunftsanspruch dient also dem Ausgleich eines wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen typischerweise inhärenten Informationsdefizits. Im vorliegenden Fall resultiert die Ungewissheit der Kläger über den Umfang ihrer Ansprüche jedoch nicht aus einem derartigen Informationsgefälle, sondern aus einem Verlust von Vertragsunterlagen, die ihnen als einer der Vertragsparteien selbst ursprünglich zur Verfügung standen. Eine Informationsasymmetrie bestand insoweit nicht, sondern wurde erst durch Umstände aus der Sphäre der Kläger – verschuldet oder unverschuldet – herbeigeführt. Die Klagepartei befindet sich hier in einer Situation, die unabhängig von der Rechtsnatur des Anspruchs und etwa damit verbundener Informationsasymmetrien, jede Klagepartei eines Zivilrechtsstreits „treffen“ kann. In dieser Situation den Beklagten eine Auskunftspflicht nach §§ 89 b, 33 g GWB (2017) aufzuerlegen, würde dazu führen, dass die beklagte Seite bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen für jedweden Verlust von ehemals im Besitz der Klagepartei befindlichen Unterlagen geradezustehen hätte in dem Sinne, dass sie der Klageseite die verlorenen Informationen wiederbeschaffen müsste. Diesen Fall hatte Artikel 5 der RL 2014/104/EU ersichtlich nicht im Blick und er ginge über den bloßen Ausgleich des typisierten Informationsgefälles zwischen den Parteien hinaus, mit der Folge einer einseitigen Belastung der beklagten Partei (LG München I, Urteil vom 27.02.2020, 37 O 18471/18, beck-online, Rn. 28 ff.).
4. Kartellbefangenheit
Die festgestellten Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht sind geeignet, sich haftungsbegründend kausal nachteilig auf Erwerbsgeschäfte auszuwirken, wenn diese auf dem Markt, auf den das wettbewerbswidrige Verhalten zielte, stattfanden, sie also in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht Gegenstand des Wettbewerbsverstoßes waren. Da es sich bei den Absprachen um ein Verhalten handelt, welches nicht gegen einzelne Marktteilnehmer, sondern gegen die Marktgegenseite gerichtet ist, kommt eine Beeinträchtigung des Marktes insgesamt in Betracht, ohne dass es auf eine weitergehende konkret-individuelle Betroffenheit ankäme (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 LKW-Kartell I, juris, Rn. 31).
a. Die Erwerbsvorgänge unterfallen mit Ausnahme der lfd. Nummer 10 in zeitlicher Hinsicht dem festgestellten Wettbewerbsverstoß. Nach dem Kommissionsentscheid dauerte das kartellrechtswidrige Verhalten vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 an. Die Erwerbsvorgänge lfd. Nr. 2 bis 9 fanden nach dem Ende des Kartellverstoßes statt. Für den Nachkartellzeitraum ist aus ökonomischer Sicht anerkannt, dass eine nachwirkende Beeinträchtigung des Marktes möglich ist. Ob eine solche Nachwirkung hier eingetreten ist und wie sich diese ggf. konkret auf die Preise ausgewirkt hat, ist eine Frage der Schadensfeststellung.
Die Klagepartei hat nicht nachgewiesen, dass der Erwerb des Lkw lfd. Nr. 10 (MAN FIN WMAT620053M… in zeitlicher Hinsicht kartellbefangen ist. Die Klagepartei trägt als Kaufzeitpunkt in der Übersicht Anlage K 4 den 08.08.1997 vor. Die Beklagten zu 1/2) haben dies unter Bezugnahme auf ihre internen Daten substantiiert und unter Beweisangebot bestritten. Es ergebe sich daraus eine Bestellung vom 08.10.1996. Die von der Klagepartei vorgelegte Rechnung (Anlage K 4.10, Übersetzung K 10) ist nicht ausreichend, um den Abschluss des Kaufvertrages, auf den es maßgeblich ankommt, erst im Jahr 1997 zu belegen. Zwar mag es sein, dass eine Lieferzeit von ca. 10 Monaten unüblich lang wäre. Allerdings ist auf der Rechnung vermerkt, dass es sich um eine Zweitrechnung („Duplikat“) wegen Verlustes des Originals handelt, wobei unklar bleibt, ob das Ausstellungsdatum der ursprünglichen Rechnung oder der Zweitschrift angegeben ist. Diese Unklarheit geht zu Lasten des beweisbelasteten Klägers zu 3). Hierauf wurde mit Verfügung vom 26.11.2019, S. 2, Bl. 1175 d.A., hingewiesen.
b. Die festgestellten Wettbewerbsverstöße betrafen in räumlicher Hinsicht den EWR, dem Spanien in der gesamten Zeitspanne des kartellrechtwidrigen Verhaltens angehört. Die streitgegenständlichen Umsatzgeschäfte sind daher sämtlich räumlich vom Wettbewerbsverstoß erfasst.
c. Die Absprachen zielten ausweislich des Kommissionsentscheides in sachlicher Hinsicht auf den Markt für Lastkraftwagen zwischen 6 und 16 Tonnen („mittelschwere Lkw“) sowie solche über 16 Tonnen („schwere Lkw“) und zwar sowohl Sattelzugmaschinen als auch Solofahrzeuge. Nach diesen Maßstäben sind alle streitgegenständlichen Erwerbsgeschäfte einschließlich der lfd. Nr. 1 bis 8 in sachlicher Hinsicht vom Wettbewerbsverstoß erfasst.
Die Beklagte zu 4) macht geltend, es handele sich bei den Fahrzeugen zu lfd. Nr. 1 bis 8 um sog. Lowliner oder um Gefahrgutfahrzeuge, also um Sonderfahrzeuge, die ausweislich der Kommissionsentscheidung nicht von dem wettbewerbswidrigen Austausch erfasst seien. Dies überzeugt nicht: Für die Gefahrgutfahrzeuge hat die Beklagte zu 4) bereits nicht vorgetragen, inwiefern sich die Fahrgestelle von den Grundmodellen oder „Ecktypen“ unterschieden haben, die jedenfalls Gegenstand der Preislisten waren, auf die sich der kartellrechtswidrige Austausch bezog (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 35). Die sog. Lowliner zeichnen sich durch tiefergelegte Fahrgestelle gängiger Modelle aus, die durch die geringere Aufsattelhöhe Volumentransporte möglich machen. Bei dieser Modifikation des Fahrgestells handelt sich nicht um ein Sonderfahrzeug, sondern um eine Sonderausstattung (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 28.2.2019, 30 O 47/17 – juris Rn. 134 ff.; anders LG Hannover, Urteil vom 17.06.2019, 13 O 9/19 – juris, Rn. 45). Für sämtliche Aufbauten und Sonderausstattungen stellt sich erst bei der Ermittlung der konkreten Schadenshöhe die Frage, ob und welche Preisbestandteile hierfür zu berücksichtigen sind.
5. Schaden
Die Klagepartei hat einen kartellbedingten Schaden für die streitgegenständlichen Ansprüche schlüssig begründet mit Ausnahme der Ansprüche unter den lfd. Nr. 2, 3, 6, 7 und 9. Sie hat jedoch den Beweis für den geltend gemachten Schaden und für die konkrete in Höhe von insgesamt 186.911,50 EUR nicht angetreten. Ein Mindestschaden gleich in welcher Höhe kann allein auf der Basis des Sachvortrages nicht durch das Gericht geschätzt werden.
Der Kommissionsentscheid enthält weder bindende Feststellungen dazu, wie sich der Austausch zu den Preisen konkret auf die Endkundenpreise ausgewirkt hat, noch dazu, ob und in welcher Weise die Absprachen zu der Einführung neuer Emissionstechnologien umgesetzt wurden. Da solche Feststellungen für das Bußgeldverfahren nicht erforderlich sind, lässt sich aus dem Fehlen einer Sachverhaltsermittlung dazu auch nicht der Umkehrschluss ziehen, dass es keine Auswirkungen gab oder dass keine Umsetzung erfolgt ist. Für die Prüfung der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen können die Tatsachen aus dem Kommissionsentscheid zugrunde gelegt und einer eigenen Würdigung unterzogen werden (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 61).
Die Klagepartei hat schlüssig zur Entstehung eines Schadens vorgetragen, indem sie behauptet, dass jeweils bei den konkret bezeichneten Umsatzgeschäften ein Preis gezahlt worden sei, der um einen bestimmten Betrag höher gewesen sei, als er ohne die im Kommissionsentscheid festgestellte Zuwiderhandlung gewesen wäre. Die Entstehung eines Schadens ist nicht aus den von den Beklagten vorgetragenen Gründen von vornherein ausgeschlossen. Der Sachverhalt, wie er aus dem Kommissionsentscheid folgt, ist vielmehr als Grundlage für eine Schadensermittlung unter Berücksichtigung aller Umstände sowie insbesondere einer ökonomischen Analyse zum kontrafaktischen Preis unter Würdigung der gesamtwirtschaftlichen Situation geeignet.
a. Einem möglichen Schaden stehen der Erwerb von Händlern, gleich ob diese mit den Beklagten konzernverbunden sind, ob es sich um Vertragshändler oder um herstellerungebundene Händler handelt, nicht entgegen.
Nach dem Grundsatz, dass „jedermann“ Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht verlangen kann, ist allgemein anerkannt und wird auch von den Beklagten nicht in Frage gestellt, dass auch derjenige, der nicht direkt von einer der Kartellbeteiligten erworben hat, anspruchsberechtigt ist (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10, WRP 2012, 209, 210, Rn. 23; Langen/Bunte/Tolkmitt Kartellrecht Bd. 1, 13. Auflage 2018, § 33a GWB Rn. 6). Die Beklagten machen jedoch geltend, die Klagepartei habe nicht substantiiert dazu vorgetragen, wie sich ein etwaiger Preisaufschlag in der Lieferkette ausgewirkt habe, so dass ein Schaden nicht schlüssig begründet sei.
Der mittelbare Erwerber kann sich darauf berufen, der Händler habe den Kartellaufschlag auf seine Einkaufspreise an seine Kunden weitergegeben, er ist aber nicht in jedem Fall darauf verwiesen. Vielmehr ist sein Klagevortrag auch dann schlüssig, wenn er eine preiserhöhende Wirkung der Zuwiderhandlung auf die Endkundenpreise behauptet. Da sich die Zuwiderhandlung im relevanten Zeitraum auf den Lkw-Markt insgesamt gerichtet hat, ist sie grundsätzlich geeignet, sämtliche Umsatzgeschäfte auch auf der Endkundenebene in der Preisfindung zu beeinträchtigen.
Die Beklagten führen allerdings eine Reihe von Argumenten an, nach denen die Bruttolistenpreise keine oder allenfalls eine sehr untergeordnete Bedeutung für den Endkundenpreis gehabt haben können. So habe es sich bei den Bruttolistenpreisen in erster Linie um interne Verrechnungs- oder Referenzpreise der Hersteller gehandelt, die für die konkreten Preisverhandlungen auf den unterschiedlichen Absatzstufen nicht entscheidend gewesen seien. Dies zeige sich besonders in Bezug auf die Verhandlungen des Endkunden mit dem Händler, die maßgeblich von den Preisvorstellungen der Kunden, die ihrerseits von den betriebswirtschaftlichen Kosten für die Nutzungsdauer bestimmt worden seien und der individuellen und stark variierenden Rabatt- und Preispolitik der Händler dominiert worden seien. Ökonomische Analysen belegten zudem die fehlende Korrelation von Listenpreiserhöhungen und der Veränderung der Transaktionspreise (= Endkundenpreise).
Diese Gesichtspunkte werden bei der Feststellung der individuellen Schadenshöhe im Wege einer ökonomischen Analyse zu untersuchen sein. Weder der Preisbildungsprozess bei den Herstellern und in der Absatzkette insgesamt, noch die Praxis hoher und stark unterschiedlicher Rabatte schließen aber denklogisch von vornherein aus, dass sich ein geringeres Ausgangsniveau der Bruttolistenpreise im Händlereinkaufspreis wie auch im Endkundenpreis niedergeschlagen haben kann (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 47). Wie in der Kommissionsentscheidung festgestellt, bilden die Listenpreise typischerweise den Ausgangspunkt der Preisgestaltung und sind daher jedenfalls potentiell geeignet, in gewissem Umfang auf die einzelnen Transaktionspreise durchzuschlagen (BGH a.a.O., Rn. 48). Die Schadensbehauptung kann auf diese Weise, vorbehaltlich anderweitiger Feststellungen dazu, nicht von vornherein widerlegt werden.
Das gilt gleichermaßen für die kostenbasierte Preisbildung, die nach dem Vortrag der Beklagten gegenüber großen Flottenkunden zur Anwendung kommt, da sich eine Beschränkung des Wettbewerbs durch das festgestellte kartellrechtswidrige Verhalten auch auf den Kostenansatz ausgewirkt haben kann.
b. Die Klagepartei hat ihren Schaden hinsichtlich der Erwerbsvorgänge lfd. Nr. 2, 3, 6, 7 und 9, denen Leasingverträge zugrunde liegen, nicht schlüssig begründet. Die Schadensbezifferung der Kläger folgt der Berechnung, wie sie den auf Kauf gestützten Ansprüchen zugrunde liegt, d.h. die Preisüberhöhung wird durch einen prozentualen Aufschlag auf die vollen Anschaffungskosten ermittelt, obwohl nach dem Vortrag der Klagepartei in keinem Fall eine Übernahme unter Zahlung des Restwertes erfolgte. Die Klagepartei lässt Elemente der Vertragsdurchführung bei Leasing, wie Ratenhöhe und Anzahl der gezahlten oder geschuldeten Raten, bei ihrer Begründung für den Schaden der Höhe nach vollständig außer Betracht.
Zwar ist grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz einer kartellbedingten Preisüberhöhung auch im Falle des Leasings möglich. Das gilt insbesondere in den Fällen des Finanzierungsleasing, da der Anschaffungspreis der zu finanzierenden Investition ein wesentlicher Faktor der Leasingrate ist und Aufschläge sich in Regel in der Leasingrate abbilden. In solchen Konstellationen obläge den Beklagten jeweils konkret für den einzelnen Anspruch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein etwaiger kartellbedingter Preisaufschlag bei den im Wege des Leasing finanzierten Investitionen durch besonders günstige Leasingbedingungen oder sonstige Vorteile bei begleitenden Vereinbarungen (Wartungsverträge, Serviceleistungen, Versicherungen oder Gutschriften) kompensiert wurde, so dass ein Vorteilsausgleich in einer bestimmten Höhe vorzunehmen wäre.
Im konkreten Fall ist die Schadensberechnung allerdings unschlüssig. Die Klagepartei kann einen kartellbedingten Schaden nur auf den Anteil der Investitionskosten beanspruchen, die sie tatsächlich aufgrund vertraglicher Verpflichtungen getragen hat. Eine Vollamortisation durch Übernahme zum kalkulierten Restwert ist nach dem ausdrücklichen Vortrag der Klagepartei nicht erfolgt. Die Kammer kann eine alternative Schadensberechnung auch nicht anhand der Dokumente im Anlagenkonvolut K 4 neu vornehmen. Zum einen lassen die – trotz mehrfacher Hinweise und Anordnungen, zuletzt mit Verfügung vom 26.11.2019 (Bl. 1174 d.A.) – nicht in Übersetzung vorgelegten und nicht näher erläuterten Leasingverträge keine gesicherten Schlüsse zu, zum anderen läge dies nicht mehr im Rahmen der durch die Dispositionsmaxime beschränkten Entscheidungsbefugnis des Gerichts, da es sich nicht nur um einen der Höhe nach geringeren, sondern um einen alternativen Schaden handelte. Auf die Grundsätze der Schadensberechnung beim Leasing hat die Kammer mit Verfügung vom 24.01.2019, Seite 7, Bl. 561 d.A., hingewiesen.
c. Ein möglicher Preisüberhöhungsschaden ist nicht bereits unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs wegen vollständiger Schadenweiterwälzung oder -kompensation ausgeschlossen.
Aus dem Umstand, dass der Kläger zu 3) die vier Lkw, die er in den Jahren 1996, 2003, 2004 und 2006 erworben hat, im Jahr 2009 als Sacheinlage in das Vermögen der Klägerin zu 1) eingebracht hat, lässt sich nicht auf eine vollständige Schadenweiterwälzung, wie sie die Beklagten einwenden, schließen. Eine solche Schadenweiterwälzung käme nur bei einer Einlage zum Neupreis in Betracht. Das ist aufgrund des Zeitablaufes nicht plausibel und von den Beklagten so auch nicht vorgetragen. Bei Einlage mit Bewertung zum Zeit- oder Abschreibungswert gelten andere Grundsätze. Dafür, dass hier eine Kompensation eines etwa überhöhten Kaufpreises stattgefunden hätte, fehlt es an Vortrag der Beklagten und auch an Anhaltspunkten. Auf die Hinweise in der Verfügung vom 26.11.2019, Seite 3, Bl. 1176 d.A., wird Bezug genommen.
Soweit die Beklagten sich für einen Vorteilsausgleich auf die Kompensation etwa erhöhter Kaufpreise bei Weiterverkauf und Verwertung der Lkw berufen, schließt dies einen Schaden nicht von vorneherein aus. Für ein Durchschlagen erhöhter Neuwagenpreise auf den Gebrauchtwagenmarkt haben die Beklagten nicht ausreichend vorgetragen. Ausweislich des Kommissionsentscheids waren jedenfalls die Zuwiderhandlungen nicht auf den Markt gebrauchter Lkw ausgerichtet, worauf sich auch die Beklagten in anderem Zusammenhang berufen. Mangels konkreten Vortrags zu den fortwirkenden oder mittelbaren Auswirkungen auf den Gebrauchtwagenmarkt, kommt diesbezüglich ein Vorteilsausgleich nicht in Betracht.
Die Frage, ob ein Vorteilsausgleich wegen einer Weiterwälzung etwa überhöhter Preise auf die Auftraggeber für Transportdienstleistungen, also die Kunden der Klägerin zu 1) in Betracht kommt, kann dahinstehen. Die Beklagten machen geltend, dass typischerweise die Kosten für die Anschaffung von Lkw als Betriebsmittel in der Kalkulation der Preise eines Transportunternehmers berücksichtigt werden. Daher verbleibe ein etwaiger Schaden aus kartellbedingt überhöhten Preisen nicht bei dem Transportunternehmer. Kartellbedingt überhöhte Preise vorausgesetzt, wäre hier, vorbehaltlich einer wertenden Betrachtung wie sie in der Rechtsprechung erwogen wird, jedenfalls eine ökonomische Analyse veranlasst, die auf der Grundlage der ökonomischen Theorie zur Preisbildung Aussagen zur Abwälzung trifft. Jedenfalls erscheint eine vollständige Weitergabe nicht offensichtlich, so dass ein bei den Klägern verbleibender Schaden nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann. Es bestand daher keine Veranlassung, über die Auskunfts- und Offenlegungsanträge der Beklagten 1/2) zu der Preiskalkulation etc. der Klägerin zu 1) zu entscheiden.
d. Aus der Art der Zuwiderhandlung kann nicht darauf geschlossen werden, dass ein Schaden von vornherein unplausibel ist, wie die Beklagten unter Berufung auf ökonomische Privatgutachten einwenden. Ausgangspunkt dieser Gutachten ist die Bewertung der im Kommissionsentscheid geschilderten Zuwiderhandlung als bloßer Informationsaustausch (z.B.: Gutachten … Anlage HM 47, S. 5 ff.; Gutachten … Anlage GL 22 S. 1, 10 ff.; Gutachten … Anlage GL 37, S. 20). Die Bedingungen dafür, dass sich aus einem solchen Austausch eine stillschweigende Koordinierung ergebe, seien angesichts der konkreten Preisbildungsprozesse, der Produktvielfalt, der mangelnden Preistransparenz, der Vielzahl an Wettbewerbsparametern, der kundenindividuellen Endpreise mit hohen und stark variierenden Rabatten, der instabilen Nachfrage und der asymmetrischen Marktstruktur unwahrscheinlich. Auch zeigten Analysen, dass es keine systematische Übereinstimmung von Listenpreisänderungen und Transaktionspreisänderungen gebe.
Aus den Feststellungen des Kommissionsentscheids kann bereits nicht der Schluss gezogen werden, zwischen den Beteiligten der Zuwiderhandlung habe lediglich ein Informationsaustausch über Listenpreise stattgefunden (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 42 ff.). Vielmehr haben die Kartellbeteiligten ihre künftigen Listenpreise sowie deren Erhöhung miteinander besprochen und ihre zukünftige Preissetzung sowohl durch Vereinbarungen als auch durch abgestimmte Verhaltensweisen koordiniert. Ein solches Verhalten unterscheidet sich von einem bloßen Informationsaustausch, auch wenn Vereinbarungen über Preise nur punktuell vorgekommen sein mögen. Auch ohne eine ausdrückliche Abstimmung des Preissetzungsverhaltens wird hierdurch die Unsicherheit im Wettbewerb und damit der Wettbewerbsdruck gemindert (vgl. BGH a.a.O.).
e. Ob und wie sich das kartellrechtswidrige Verhalten über den Zeitraum der Zuwiderhandlung und die betroffenen Märkte auf die Preise ausgewirkt hat, ist unter Würdigung aller Umstände festzustellen. Die richterliche Überzeugungsbildung kann sich dabei auf Indizien, die die Klagepartei darzulegen und zu beweisen hat, sowie auf Gegenindizien, für welche die Beklagten die Widerlegungslast tragen, stützen (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 58 ff.; BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell I, juris, Rn. 61 ff., BGH, Urteil vom 28.01.2020, KZR 24/17 – Schienenkartell II, juris, Rn. 35 ff.). Die Klagepartei trägt Indizien vor, die für einen Preisüberhöhungseffekt sprechen können. Neben den Feststellungen im Kommissionsentscheid zu Dauer und Intensität der Zuwiderhandlung beruft sie sich unter anderem auf die Gewinnmargen der Lkw-Hersteller und auf die hohe Marktabdeckung des Kartells. Die Beklagten tragen unter Bezugnahme auf umfangreiche ökonomische Analysen dazu vor, dass ein Preisüberhöhungsschaden nicht eingetreten sei und berufen sich zusätzlich auf im Wege der ökonomischen Regressionsanalyse unter Zugrundelegung ihrer Transaktionsdaten durchgeführte Schätzungen, die keinen Schaden ergeben haben (z.B.: Gutachten … für den spanischen Markt Anlage FBD 8; Gutachten … für den spanischen Markt, Anlage GL 40 (bzw. GL 41); Gutachten … mit Länderteil Spanien, Anlage DAF 8).
Für die richterliche Überzeugungsbildung ist die Erholung eines Gutachtens, welches die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ebenso wie die tatsächlich erzielten Transaktionspreise in den Blick nimmt und dabei die von den Parteien vorgetragenen Indizien einer Würdigung unterzieht, unerlässlich. Der lange Kartellzeitraum mit zahlreichen Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Wirtschaft, wie die Osterweiterung der EU, die Einführung des EURO, die fortschreitende Integration des europäischen Wirtschaftsraums, regulatorischen Eingriffen, Wirtschaftsboom und Wirtschaftskrise sowie die Heterogenität der nationalen Märkte, der unterschiedlichen Branchen auf der Nachfrageseite etc. begründen das Erfordernis einer ökonomischen Analyse. Die Grenzen einer Überzeugungsbildung, die sich unter Verzicht auf eine ökonomische Analyse wesentlich auf eine Exegese des Kommissionsentscheids stützt, wird durch die bisher stark uneinheitliche Würdigung der Zuwiderhandlung in der Rechtsprechung anschaulich (z.B.: einerseits: LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 20.02.2020, 19 O 1506/19, juris, Rn. 54 ff., 67 ff.; LG Mannheim, Urteil vom 24.04.2019, 14 O 114/18, NZKart 2019, 389, 391, Rn. 32 ff.; LG Leipzig, Urteil vom 24.03.2020, 5 O 477/18, beck-online, Rn. 42 ff., jeweils argumentativ eine Schadensvermutung verneinend; andererseits: LG Dortmund, Urteil vom 27.06.2018, 8 O 13/17, juris, Rn. 87 ff. und LG Hannover, Urteil vom 15.10.2018, 18 O 19/17, juris, Rn. 48 ff., für einen Anscheinsbeweis; LG Stuttgart, Urteil vom 30.01.2018 30 O 9/18, juris, Rn. 74; Urteil vom 06.06.2019, 30 O 88/19, beck-online, Rn. 79, für eine tatsachliche Vermutung). Die Kammer hat daher bereits in mehr als 50 Verfahren Beweisbeschlüsse zur Feststellung eines Schadens im Wege einer ökonomischen Analyse erlassen und Sachverständige beauftragt. Ergebnisse stehen noch aus.
Die Durchführung der Beweisaufnahme gefährdet in keiner Weise die effektive Durchsetzung etwaiger Ansprüche, sie ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung dafür. Die Höhe des Kostenvorschusses, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung mit einem Betrag unter 10.000,00 EUR in Aussicht gestellt hat, ist unter Berücksichtigung der Höhe des Streitwertes und der Erfolgsaussichten nicht geeignet, eine rational-ökonomisch denkende Partei von der Fortsetzung des Verfahrens abzuhalten.
In Ausübung richterlichen Ermessens erholt das Gericht das Sachverständigengutachten nicht gemäß § 144 Abs. 1 ZPO von Amts wegen. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Schwerpunkt einer etwaigen sachverständigen Tätigkeit hier in der Feststellung und Bewertung von Tatsachen liegt, die der Dispositionsmaxime unterfallen und nicht darin, dem Gericht Sachkunde zu verschaffen (vgl. Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 5. Aufl. 2015, S. 267 Rn. 22; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess 2015, § 160 Rn. 3). Auch wäre eine Vorleistung der Staatskasse für die Beweiserhebung hier nicht angemessen, auch im Hinblick darauf, dass andere Klageparteien den Vorschuss geleistet haben. Auf die Folgen der Rücknahme des Beweisangebotes und die richterliche Ausübung des Ermessens wurde in der Verfügung vom 30.03.2020 Bl. 1346 d.A. hingewiesen; dies war außerdem Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2020 (Sitzungsniederschrift Bl. 1401 d.A.).
f. Aus den genannten Gründen kommt auch eine freie Schätzung des Schadens durch das Gericht, wie sie die Klagepartei reklamiert und wie sie das Landgericht Dortmund in einem Verfahren zum Schienenkartell vorgenommen hat (LG Dortmund, Urteil vom 30.09.2020, 8 O 115/14 (Kart), NZKart 2020, 612, 613), nicht in Betracht. Zwar gilt für die Entstehung eines Schadens und dessen Höhe der Beweismaßstab des § 287 ZPO (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 287 Rn. 3). Für die Feststellung, dass ein vereinbarter Preis für ein Wirtschaftsgut im Vergleich zu einem Preis, wie er ohne den Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vereinbart worden wäre, aufgrund der Zuwiderhandlung um einen bestimmten Betrag höher ist, reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris, Rn. 56). Angesichts der dargelegten komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge und Entwicklungen ist hier ein Sachverständigengutachten als gesicherte Grundlage für die richterliche Schadensschätzung jedoch unabdingbar.
Da angemessene Alternativen zur freien Schätzung des Schadens zur Verfügung stehen, kann diese auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung einer effektiven Rechtsdurchsetzung gefordert werden. Die Kammer hat in zahlreichen Verfahren zum LKW-Kartell bereits ökonomische Gutachten in Auftrag gegeben, welche insbesondere eine Schadensschätzung im Wege der Regressionsanalyse beinhalten sollen. Dabei handelt es sich um eine in der ökonomischen Literatur und in der Rechtsprechung allgemein anerkannte Methode zur näherungsweisen Ermittlung des kontrafaktischen Preises. Anhaltspunkte dafür, dass auf diesem Wege belastbare Grundlagen für die Schadensschätzung nicht feststellbar wären, gibt es bisher nicht.
Da aus den genannten Gründen konkrete Anhaltspunkte, die die Schätzung eines bestimmten Schadens zuließen, nicht ersichtlich sind, wäre eine solche Schätzung, gleich in welcher Höhe, willkürlich und kommt daher nicht in Betracht. Die Berufung der Klagepartei auf eine nicht näher dargelegte „gesamtwirtschaftliche Analyse“ vermag sachverständige Feststellungen als Grundlage der richterlichen Schätzung ebenso wenig zu ersetzen, wie der Verweis auf die allgemein preistreibende Wirkung von Kartellen. Als Schätzgrundlage für eine bestimmte Preisüberhöhung sind wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Kartellen ebenfalls nicht geeignet. Hiergegen stehen die große Bandbreite der in Studien festgestellten Kartellpreisaufschläge, ein erheblicher Anteil dort erfasster wirkungsloser Kartelle sowie die begrenzte Aussagekraft von Metastudien, die Daten aus unterschiedlichen Quellen, Zeiträumen und Märkten zusammenfassen (vgl. Coppik/Heimeshoff, WuW 2020, 584-592).
Die freie Schätzung eines Mindestschadens kann auch nicht mit dem Verweis auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten gerechtfertigt werden. Dieser sind die Beklagten jedenfalls mit der Bezifferung der Preisdifferenz auf null und substantiiertem Vortrag zum kontrafaktischen Preis unter Bezugnahme auf Gutachten nachgekommen.
g. Der Beweisantritt ist weder unter Berufung darauf, dass die Klagepartei eine Vorlageanordnung zu Dokumenten u.a. aus dem kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren, insbesondere dort vorgelegte Protokolle und Unterlagen, Anordnungen und Ersuchen der Kommission, außerdem zu internen Geschäftsunterlagen der Beklagten zum Thema Schadensersatz (Vorstandsprotokolle, Gutachten und Stellungnahmen), zu Preisblättern, zur Kommunikation mit Händlern, zu sämtlichen Unterlagen und Daten zu den streitgegenständlichen Lkw etc. verlangt, noch im Hinblick auf ihre Auskunftsanträge zu Rückstellungen, Kosten, Preisen und Preiserhöhungen sowie Einzelheiten zu den im Kartellentscheid beschriebenen Zuwiderhandlungen einschließlich der Namen der beteiligten Mitarbeiter sowie zahlreicher weiterer interner Vorgänge, entbehrlich. Die Klagepartei macht hierzu pauschal geltend, dass ihr diese Informationen zur Begründung ihres Schadens fehlen. Inwieweit dieses Sammelsurium zusätzlicher Dokumente und Informationen etwas zur Feststellung des Schadens beitragen können, erschließt sich jedoch nicht. Eine sachverständige Analyse kann hierdurch nicht ersetzt werden. Die Vorlage war daher mangels Erheblichkeit gemäß §§ 89 b, 33 g Abs. 3 Nr. 3 GWB (2017), 142 ZPO nicht anzuordnen.
IV.
Feststellungsantrag Ziffer 4.
Der Antrag Ziffer 4. ist, soweit er zulässig ist, unbegründet.
Die Klagepartei hat den von ihr behaupteten Verzögerungsschaden durch die verspätete Einführung von Fahrzeugen nach den neuen Emissionstechnologien nicht substantiiert. Erforderlich wäre Vortrag dazu, welches Fahrzeug mit welcher Emissionsnorm in welchem Zeitraum mit welcher Kilometerleistung eingesetzt wurde und welche Betriebskosten pro Einsatzkilometer angefallen sind. Erst auf dieser Basis könnten die hypothetischen Betriebskosten ohne die möglicherweise verzögerte Umstellung auf die neue Technologie ermittelt werden. Darauf, dass der Klagepartei möglicherweise Umstände aus der Sphäre der Beklagten zur Entwicklung der Emissionstechnologien, der Geschäftspolitik zu ihrer Einführung sowie etwaiger Absprachen hierzu nicht bekannt sind, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Daher war auch über die hierauf gerichteten Auskunfts- und Offenlegungsanträge nicht zu entscheiden.
V.
Feststellungsantrag Ziffer 5.
Bei dem Feststellungsantrag Ziffer 5., gerichtet auf die Feststellung des Ersatzes von Rechtsverfolgungskosten, handelt es sich um einen Annexantrag zu den Anträgen Ziffer 1 bis 4., der folglich ebenfalls unbegründet ist.
D:
Da die Hauptanträge unbegründet sind, war über den hilfsweise im Termin vom 14.10.2020 gestellten Feststellungsantrag zu entscheiden. Der Hilfsantrag ist unzulässig. Es liegt bereits kein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO vor. Das besondere Feststellungsinteresse ergibt sich weder daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, noch daraus, dass zur Bezifferung des Schadens ein ökonomisches Gutachten erforderlich ist.
Ein berechtigtes Interesse an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage besteht grundsätzlich nicht, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II, NJW 2018, 2479, 2480, Rn. 15 m.w.N. zur st. Rspr.). Geht es um die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, ist anerkannt, dass eine Feststellungsklage zulässig ist, solange die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Schaden daher noch nicht endgültig beziffert werden kann (BGH, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klagepartei macht Schadensersatzansprüche aus Lkw-Bezugsvorgängen zwischen 1997 und 2016 geltend. Die schadensbegründenden Handlungen lagen damit im Zeitpunkt der Stellung des Hilfsantrages am 14.10.2020 mindestens vier Jahre zurück, so dass nicht mehr damit zu rechnen war, dass sich – über die ergänzenden und zulässigen Feststellungsanträge zu Ziffer 4. und 5. hinaus – künftig weitere Schäden ergeben könnten (vgl. auch BGH, Urteil vom 23.09.2020, KZR 4/19 – Schienenkartell V, juris, Rn. 70 zu den Voraussetzungen eines Grundurteils).
Ein besonderes Feststellungsinteresse ergibt sich auch nicht daraus, dass zur Bezifferung des Schadens ein ökonomisches Gutachten erforderlich wäre, da dies dem Kläger angesichts der Erforderlichkeit, der Feststellungsklage eine Leistungsklage mit beziffertem Klageantrag folgen zu lassen, ohnehin nicht erspart bliebe (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II, NJW 2018, 2479, 2480, Rn. 18 m.w.N.; LG München I, Urteil vom 28.06.2019, 37 O 18505/17, juris, Rn. 62). Die Klagepartei selbst hat ein solches Gutachten zur Bezifferung ihrer Ansprüche für entbehrlich gehalten, eine Bezifferung mit Leistungsantrag vom 20.02.2019 war ihr ohne ein solches Gutachten möglich.
Ein besonderes Feststellungsinteresse kann auch nicht mit dem Anspruch auf effektive Rechtsdurchsetzung begründet werden. Vielmehr wäre ein Feststellungsurteil geeignet, zu einer ungerechtfertigten Verzögerung und Verteuerung des Prozesses zu führen, da die Tatsachen, für Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches in einem engen Zusammenhang stehen und eine einheitliche Entscheidung gebieten (BGH, Urteil vom 28.01.2020, KZR 24/17 – Schienenkartell II, NJW 2020, 1430, 1436, Rn. 54).
Das Feststellungsinteresse lässt sich schließlich auch nicht mit der Vermeidung einer als drohend erachteten Abweisung des Leistungsantrages begründen.
E.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1, 269 Abs. 1 ZPO. Eine anteilige Kostenteilung gemäß § 100 Abs. 2 ZPO war nicht veranlasst, da die Verschiedenheit der Beteiligung an dem Rechtsstreit unter Berücksichtigung der Teilklagerücknahme durch den Kläger zu 3) und des Feststellungsantrages Ziffer 4. nicht erheblich ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 709 Satz 2 ZPO.


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