Europarecht

Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Berufung, untersagung, Darlegung, Auskunft, Haftung, Partei, Kenntnis, Form, Gutachten, Rechtssatz, Vorsatz, Beweisaufnahme, ins Blaue hinein, billigend in Kauf, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  27 U 3561/21

Datum:
29.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30059
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

044 O 2667/20 2021-05-14 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14.5.2021, Az. 044 O 2667/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist auch nicht aus anderen Gründen geboten. Das klageabweisende Ersturteil des Landgerichts Augsburg vom 14.5.2021 entspricht der Sach- und Rechtslage.
Die hiergegen von der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne von § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Zu den Berufungsangriffen des Klägers im Schriftsatz vom 19.8.2021 (Bl. 210/252 d. A.) ist im Einzelnen Folgendes zu bemerken:

Gründe

I. Vertragliche Ansprüche:
Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb des Gebrauchtfahrzeugs Mercedes-Benz E 220, (Fahrzeugidentifikationsnummer …99), zum Preis von 18.000,00 € brutto, ausgestattet mit einem Dieselmotor OM 651, Erstzulassung 5.6.2012, Schadstoffklasse Euro 5, am 16.5.2018 von Xaver Sturm, 8..6438 Kissing, in Betracht.
II. § 826 BGB:
Der Kläger, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, das heißt sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
Diesen Anforderungen wird die Klagepartei nicht gerecht. Es fehlt vorliegend sowohl an der schlüssigen Darlegung eines sittenwidrigen Verhaltens als auch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten.
1. „Thermofenster“:
a. Hinsichtlich der im Fahrzeug unstreitig installierten temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (“Thermofenster“) fehlt es bereits an einer Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so auch Urteile des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, und vom 25.5.2020, VI ZR 252/19). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, und Beschlüsse des BGH vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, und 19.1.2021, VI ZR 433/19).
Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems gesteuert werde, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der Beklagten ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Gleichwohl wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Beschluss des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19).
Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt die temperaturgesteuerte Abgasrückführung auch nach klägerischem Vortrag darauf, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig anbeziehungsweise abgeschaltet wird. Wenn diese temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Temperatur richtet, ist sie nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 30). Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht von vornherein durch Arglist geprägt (vgl. Beschlüsse des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, und vom 9.3.2021, VI ZR 889/20).
Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes – jedenfalls bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 – als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden konnten, kann bei Fehlen jedweder, konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, und Beschlüsse des BGH vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, und vom 9.3.2021, VI ZR 889/20).
Derartige weiteren Umstände hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei indes nicht konkret dargetan. Ein substantiierter Sachvortrag, dem für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären, fehlt. aa. Soweit der Kläger bereits erstinstanzlich vorbringt, die besondere Verwerflichkeit ergebe sich aus
– dem von der Beklagten verursachten hohen Schaden,
– dem hohen Risiko für die zahlreichen Fahrzeugkäufer,
– dem erheblichen ökologischen Schaden für die Umwelt,
– der Inkaufnahme eines enormen Schadens zum Zwecke des Gewinnstrebens,
– dem hohen Maß an Skrupellosigkeit,
– dem unerlaubten Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern durch Kostenersparnis, hilft dies nicht weiter. Der pauschale Vortrag ist nicht geeignet, das Bewusstsein über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu begründen. Erstrebte Kostensenkungen und Gewinnerzielung genügen nicht (s.o.).
bb. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe den Einbau des „Thermofensters“ im Typgenehmigungsverfahren gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) bewusst nicht offengelegt. Sie habe im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch jahrelange bewusste und gewollte Täuschung des KBA Fahrzeuge, in denen „Thermofenster“ verbaut sind, in den Verkehr gebracht.
Auch dies hilft hier nicht weiter.
Zum einen ist auch dieser pauschale Vortrag nicht geeignet, das Bewusstsein der Beklagten über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu begründen.
Zum anderen waren zu den Emissionsstrategien des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps im Rahmen der Typgenehmigung keine Angaben des Herstellers im sogenannten Beschreibungsbogen gefordert. Die genaue Beschreibung der Emissionsstrategien wurde erst ab 16.5.2016 mit der Verordnung (EU)2016/646 angeführt, also deutlich nach Erteilung der Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
So hat auch die Beklagte bereits erstinstanzlich erklärt, dass die im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens offenzulegenden Angaben zu dem verwendeten Emissionsminderungssystem erfolgt seien, wozu Angaben zu etwaigen Abschalteinrichtungen nicht gehört hätten. Die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren die erforderlichen Angaben zu den Emissionskontrollsystemen gemacht. Sie habe die EG-Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht „erschlichen“.
Schließlich bleibt auch festzuhalten, dass, selbst wenn die Beklagte verwaltungsrechtlich weitere Angaben zum Abgasrückführungssystem hätte machen müssen, es zivilrechtlich nicht anginge, dies ohne weiteres mit konkreten Falschangaben gleichzusetzen (vgl. hierzu auch Hinweisbeschluss des OLG München vom 1.3.2021, 8 U 4122/20).
Angesichts der allgemein bekannten Informationen und der Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung war die Auslegung einer unbestimmten Norm, wonach diese eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes (vgl. zur Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der VO 2007/715/EG auch die Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“, Stand April 2016, S. 126, zitiert nach OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585, demnach ein Gesetzesverstoß durch die von den Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vorliege) und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 39) kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 21725 Rn. 21).
b. Zudem fehlt es auch an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840).
Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
Die Annahme der – vorliegend auch in Betracht kommenden – Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, NJW-RR 2009, 1207, 1210). Der Vorsatz muss sich auch auf den Schaden erstrecken. Eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht. Er muss die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben. Es reicht nicht aus, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gegeben (vgl. Urteil des BGH vom 25.5.2020, VI ZR 252/19).
Von den materiellen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind die Anforderungen zu unterscheiden, die an seinen Beweis zu stellen sind. So kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war. Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich (BGH, NJW-RR 2012, 404 Rn. 11 m. w. N.).
Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des „Thermofensters“ kann noch nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer geschlossen werden.
Vorliegend hat der Kläger schon keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands/des verfassungsmäßigen Vertreters der Beklagten von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten Thermofensters fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstmaßnahmen – war auch nicht dargetan, dass sich den für die Beklagten tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen.
Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich insbesondere nicht aus der pauschalen klägerischen Behauptung, die Beklagte habe im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch jahrelange bewusste und gewollte Täuschung des KBA mit „Thermofenster“ ausgestattete Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, entnehmen.
Anders als bei einer Software, die die Situation auf dem Prüfstand erkennt, deswegen in einen anderen Modus schaltet und deren Unzulässigkeit deshalb ebenso wie die Gefahr eines Widerrufs der erschlichenen Betriebszulassung auf der Hand liegt, ist dies bei einer temperaturbedingten Abgasrückführung gerade nicht der Fall. Es sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Einbau des hier verwendeten Motors in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Denn der Einschätzung im Hinblick auf diese Abgasrückführung konnte auch eine möglicherweise fehl gehende, aber bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17.12.2020 dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele.
2. Steuerung des Abgasverhaltens aufgrund Softwarefunktion „1200 Sekunden nach Motorstart“ und „Eindüsung von AdBlue“:
Soweit der Kläger vorträgt, sein Fahrzeug verfüge auch über vorgenannte Abschalteinrichtungen, hilft dies nicht weiter. Diese klägerischen Behauptungen stellen willkürliche Behauptungen „ins Blaue hinein“ dar.
Zwar ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderung erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (ständige Rechtsprechung des BGH, so auch Urteile des BGH vom 18.5.2021, VI ZR 401/19, und vom 13.7.2021, VI ZR 128/20).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze enthält der klägerische Vortrag über die bloße pauschale Behauptung hinaus keine greifbaren Anhaltspunkte für die Verwendung solcher Steuerungsstrategien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug: a. Eine unterschiedliche Ad-Blue-Einspritzung liegt schon deshalb nicht vor, weil das Fahrzeug über kein SCR-System verfügt.
b. Entgegen der klägerischen Auffassung genügt auch der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandsbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-5-Norm) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße nicht (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20).
c. Soweit der Kläger hinsichtlich der von ihm behaupteten Funktion „1200 Sekunden nach Motorstart“ auf den Untersuchungsbericht Volkswagen (Anlage K 3) Bezug nimmt, hält der Senat fest, dass es sich bei der dort beschriebenen Strategie um die „von der Außentemperatur abhängige Abgasminderungsstrategie“ (vgl. S. 46 dieses Berichts), mithin das „Thermofenster“, handelt.
d. Soweit der Kläger auf S. 11 ff. seiner Berufungsbegründung meint, das von der Beklagte angebotene Software-Update stelle ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar, geht dies fehl.
Zutreffend ist, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug in Abstimmung mit dem KBA ein freiwilliges Softwareupdate angeboten wird (vgl. unstreitiger Tatbestand auf S. 2 des Ersturteils und auch Anlage K 6). Hierbei handelt es sich indes nicht – wie vom Kläger behauptet – um die klägerseits vorgelegte Anlage K 12a. Denn dieses betrifft ein Fahrzeug der Abgasnorm Euro 6 mit SCR-Katalysator.
Entgegen der Auffassung ders Klägers ist hierdurch indes nicht belegt, dass die freiwillige Servicemaßnahme allein dazu dient, einem offiziellen Rückruf durch das KBA zu entgehen. Insbesondere stellt das bloße Vorliegen einer freiwilligen Servicemaßnahme keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar.
Konkret ergibt sich dies aus der vorgelegten Auskunft des KBA vom 20.8.2020, 511-180/005#148 (vgl. Anlage B 6), zu einem Fahrzeug Mercedes Benz C 220 d 2.1 Diesel, Abgasnorm Euro 5.
Dort heißt es wörtlich:
„… Ich möchte darauf hinweisen, dass freiwillige Maßnahmen nur bei Fahrzeugen durchgeführt werden, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Im Rahmen von freiwilligen Maßnahmen droht zudem keine Betriebsuntersagung.“ (Hervorhebung durch den Senat)
Schließlich können auch aus einem später erfolgten freiwilligen Softwareupdate keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Beklagten zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung gezogen werden.
3. „On-Board-Diagnose-System (OBD-System)“:
Eine sittenwidrige Manipulation der Beklagten zum Nachteil ihrer Kunden ist auch nicht darin zu sehen, dass das OBD-System im Fahrzeug der Klagepartei nicht mittels eines Warnhinweises im Cockpit anzeigt, sobald der tatsächliche Stickoxidausstoß den Grenzwert überschreitet. Das OBD-System dient, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, dazu, Fehlfunktionen und deren wahrscheinliche Ursachen anzuzeigen. Die Beklagte durfte in vertretbarer Weise bei Entwicklung und Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon ausgehen, dass eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung im Interesse des Motor- und Bauteilschutzes zulässig ist und mithin bei bestimmten Betriebszuständen im realen Fahrbetrieb die für den Prüfstandsbetrieb geltenden Grenzwerte überschritten werden (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 29.04.2021 – 27 U 1194/21). Vor diesem Hintergrund liegt bereits eine anzeigepflichtige Fehlfunktion bei Überschreitung der Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb nicht vor.
4. „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“:
Soweit der Kläger zu einer prüfstanderkennenden Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung vorträgt, helfen auch diese Ausführungen nicht weiter.
a. Auch hier fehlt es an der substantiierten Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit.
Wann ein Verhalten als sittenwidrig zu beurteilen ist, hat der Senat bereits unter II 1 a näher ausgeführt.
Nach diesen Leitlinien handelt ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. Urteil des BGH vom 8.3.2021, VI ZR 505/19). Folglich müssten Personen auf Seiten der Beklagten bei der Entwicklung und/oder Verwendung einer derartigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. hierzu BGH, a.a. O).
Zwar durfte sich der Kläger auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe der Beklagten keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben, weswegen er diese als Vermutungen in den Rechtsstreit einführen können muss. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. BGH a.a.O.).
Vorliegend vermag der Senat nach Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil des BGH vom 13.7.2021, VI ZR 128/20) nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug des Klägers in objektiv sittenwidriger Weise tätig wurde.
Hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ist schon bis in jüngster Zeit nicht geklärt, ob es sich tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt (vgl. etwa OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2020 – 12 U 2149/19, BeckRS 2020, 9935 Rn. 26 ff.).
Im Übrigen würde nicht jede bloße Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung dazu führen, das Verhalten der Beklagten grundsätzlich als sittenwidrig zu qualifizieren.
Soweit der Kläger vorträgt, die Motorsteuerungssoftware enthalte eine Teststanderkennung, die den NEFZ-Zyklus an der geringen Motordrehzahl und der geringen benötigen Motorleistung erkenne, und hierbei auf Gutachten des Herrn Markus Heitz vom Bezug nimmt, handelt es sich um eine pauschale Behauptung ins Blaue hinein. Ungeachtet der Frage der Übertragbarkeit der dortigen Erkenntnisse auf das gegenständliche Fahrzeug – die Beklagte bestreitet dies jedenfalls im Hinblick auf die „Kühlerjalousie“ – teilte der Gutachter auf S. 4 seines Gutachtens vom 12.11.2020 (Anlage K 19) schon mit, dass er nicht in der Lage sei zu beurteilen, ob die von ihm ermittelten Werte ausschließlich auf dem Prüfstand oder auch im realen Fahrbetrieb eine Rolle spielten. Konkret führte er aus:
„Ob die hier beschriebene Absenkung der Kühlmittelsolltemperatur auch im normalen Fahrbetrieb auftreten kann, oder ob, umgekehrt, die Umschaltung auf die normale Kühlmittelsolltemperatur beim NEFZ möglich ist, kann ein KFZ-Sachverständiger besser beurteilen. Die Berechnung von Luftmassenströmen und Drehzahlen bei verschiedenen Fahrtzuständen fällt nicht in meinen Fachbereich.“
Soweit der Kläger vorträgt (vgl. S. 36 ff. der Berufungsbegründung und S. 3 der Anlage BK 1), die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei nur aktiv, wenn kumulativ folgende Parameter erfüllt seien:
1.Die Umgebungstemperatur liegt zwischen 15 und 35 Grad Celsius,
2.Die Ansauglufttemperatur liegt zwischen 15 und 50 Grad Celsius,
3.Der Luftdruck liegt über 800 hPa (Hektopascal). Das entspricht einer maximalen Höhe über dem Meer von circa 1950 Metern (wetterabhängig).
bleibt festzuhalten, dass die ersten zwei Bedingungen – entsprechend dem „Thermofenster“- (lediglich) eine Temperaturabhängigkeit beschreiben. Nachdem Fahrten über 1950 Metern Höhe jedenfalls in Europa keine echte praktische Relevanz zeitigen, liegt die 3. Bedingung gerade nicht nur im Prüfstand, sondern grundsätzlich bei jeder Fahrt vor.
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist damit nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
Derartige Umstände hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger indes nicht dargetan.
Im Rahmen der gebotenen Gesamtschau hat der Senat insbesondere folgende Umstände berücksichtigt:
aa. Der klägerische Vortrag, dass aufgrund der Abschalteinrichtung(en) die Stickoxidwerte im Realbetrieb deutlich überschritten würden, hilft nicht weiter. Der bloße Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die nach damaliger Rechtslage (Euro-5-Norm) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und anderen Betriebsbedingungen, wie unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße, genügt nicht, um ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu begründen.
bb. Auch der pauschale klägerische Vortrag zur erstrebten Kostensenkung, der damit verbundenen Gewinnmaximierung und der Sicherung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Konkurrenten hilft hier nicht weiter. Ihm lässt sich schon nicht entnehmen, dass die Beklagte in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und sie den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Insbesondere ist die Absicht, Gewinn zu erzielen, für sich nicht verwerflich (s.o.).
cc. Soweit der Kläger die fehlende Offenlegung dieser Regelung gegenüber dem KBA moniert, hilft auch dies nicht weiter. Auf die hierzu bereits erfolgten Ausführungen unter II 1 a bb des Senatshinweises wird Bezug genommen.
dd. Zwar ist das Fahrzeug nicht von einem Rückruf des KBA betroffen. Allerdings liegt eine freiwillige Servicemaßnahme vor. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II 2 d Bezug genommen.
Dass die Beklagte für ein Fahrzeug eine freiwillige Servicemaßnahme anbietet, ist generell kein greifbarer Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung und erst recht nicht im Zusammenhang mit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 22.06.2021 – 8 O 115/21, BeckRS 2021, 15833 Rn. 46 f.). Gegen die von der Klagepartei behaupteten systematischen Manipulationen streiten bereits Auskünfte des KBA, z. B. dessen amtliche Auskunft vom 21.09.2020 – 511-180/005#149, wiedergegeben bei LG Saarbrücken, Urteil vom 04.12.2020 – 12 O 260/19, BeckRS 2020, 35323 Rn. 25 f., und LG Stuttgart, Urteil vom 22.06.2021 – 8 O 115/21, BeckRS 2021, 15833 Rn. 47:
Das KBA dort Folgendes ausgeführt: „Bei einigen Fahrzeugen des Typs Mercedes-Benz GLK wurde die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ im Motorwarmlauf durch das KBA mit Bescheid vom 21.06.2019 als unzulässig eingestuft. Da die D. AG gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt hat, wurde die Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung noch nicht bestandskräftig festgestellt. Mit Bescheid des KBA vom 05.06.2020 wurde die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ auch in einigen Fahrzeugvarianten der Mercedes-Benz A-, B-Klasse mit Dieselmotor OM640 Euro 5 und der Mercedes-Benz C-, E-, S-Klasse mit Dieselmotor OM651 Euro 5 als unzulässig eingestuft. Auch gegen diesen Bescheid hat die D. AG Widerspruch eingelegt. Die von den vorgenannten Bescheiden des KBA betroffenen Fahrzeuge betreffen allerdings nur bestimmte Varianten, vereinzelte Emissions-Genehmigungen und begrenzte Produktionszeiträume. Die Dieselmotoren OM651 sowie OM640 und OM 642 der D. AG weisen die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ auf. Jedoch bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Schadstoff- und Abgasstrategie in allen Fahrzeugtypen mit diesen Dieselmotoren als unzulässig einzustufen ist. Zu beachten ist dabei zunächst, dass einige Fahrzeuge mit einem Dieselmotor OM640, OM642 bzw. OM651 über die oben genannte Schadstoff- und Abgasstrategie verfügen und diese auch aktiv nutzen. Andere Fahrzeugtypen verfügen zwar in ihrer Software über die oben genannte Schadstoff- und Abgasstrategie, nutzen diese hingegen nicht wirksam. Es gilt weiterhin zu beachten, dass die Beurteilung der Zulässigkeit der Schadstoff- und Abgasstrategie von einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängig ist … Das streitgegenständliche Fahrzeug weist nach den vom KBA vorliegenden Informationen die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ im Motorwarmlauf auf und nutzt diese auch aktiv. Es konnte durch ein „Testing-Out“ der D. AG jedoch der Nachweis erbracht werden, dass das Fahrzeug Mercedes-Benz E 350 CDI 4Matic Kombi OM 642 Euro 5 mit dem Getriebe NAG2i auch mit aktivierter Abschalteinrichtung und damit verringerter Abgasrückführung die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte einhält. Das vorgenannte sowie das streitgegenständliche Fahrzeug sind hinsichtlich des Motors und der Abgasnachbehandlung vergleichbar. Aufgrund dessen wurde die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ an den Fahrzeugen Mercedes-Benz E 350 CDI 3.0l Diesel 170 kW Euro 5 mit der Variante L325M0 nicht als unzulässig eingestuft. Das streitgegenständliche Fahrzeug weist daher nach diesseitigem Kenntnisstand keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens auf. Es wurden daher weder Nebenbestimmungen zu diesem Fahrzeug angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf. Das Fahrzeug nimmt jedoch an einem freiwilligen Software-Update im Rahmen des Nationalen Forum Diesel teil. Freiwillige Maßnahmen der Hersteller dienen der Luftverbesserung und liefern einen Beitrag zu einer Reduktion der NOx-Emissionen. Es ist insoweit darauf hinzuweisen, dass freiwillige Maßnahmen nur bei Fahrzeugen durchgeführt werden, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde.“
Bereits aus der vorgenannten Auskunft des KBA ergibt sich kein Anhalt für ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Einsatz des „Geregelten Kühlmittelthermostats“. Vielmehr ist nach dieser Auskunft davon auszugehen, dass die Schadstoff- und Abgasstrategie „Geregeltes Kühlmittelthermostat“ von der Beklagten in den Motorbaureihen OM 651, OM 640 und OM 642 und damit in praktisch allen dem Senat bislang durch Berufung präsentierten PKW-Dieselmotoren vorhanden ist. Demgegenüber betreffen nach Mitteilung des KBA Beanstandungen nur den kleineren Teil von Fahrzeugen, in denen diese Strategie zum Einsatz kommt. Darüber hinaus ist die Zulässigkeit/Unzulässigkeit dieser Schadstoff- und Abgasstrategie von einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängig, wie z. B. Aufbau, Gewicht, Getriebe, Steuergerät und Luftwiderstand des Fahrzeugs. Begegnet mithin der Einsatz des „Geregelten Kühlmittelthermostats“ nach behördlicher Bewertung dem Grunde nach keinen Bedenken, kann von einer systematischen Manipulation des Abgasverhaltens durch die Beklagte schon von daher nicht ausgegangen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 27.09.2021 – 27 U 1463/21).
Überdies wurden dem Senat in weiteren gegen die Beklagte geführten Berufungsverfahren amtliche Auskünfte des KBA vorgelegt, nach denen bei überprüften Fahrzeugen, in denen das „Geregelte Kühlmittelthermostat“ zum Einsatz kommt, eine Prüfstanderkennung nicht festgestellt werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 27.09.2021 – 27 U 1463/21). Dies betrifft etwa einen Pkw Mercedes-Benz GLA 220 CDI mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 DE 22 LA der Euro 6-Norm, für den sich aus der Auskunft vom 19.04.2021, Aktenzeichen 400-26/006#068 auf Anfrage des Landgerichts Koblenz zum Aktenzeichen 1 O 342/19 ergibt, dass
– eine Prüfstanderkennung durch das Kraftfahrt-Bundesamt nicht festgestellt werden konnte,
– die Funktion des geregelten Kühlmittelthermostats auch im Straßenbetrieb bei Vorliegen der Eintrittsbedingungen aktiviert wird,
– die Funktion nicht notwendig ist, um die Grenzwerte in der Typ I-Prüfung einzuhalten und
– eine Prüfzykluserkennung mittels Lenkwinkel vom Kraftfahrt-Bundesamt nicht festgestellt wurde.
ee. Schließlich bleibt festzuhalten, dass hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung schon bis in jüngster Zeit gerichtlich nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.
Wenn aber sowohl Gerichte als auch das KBA noch mehrere Jahre nach der Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Frage der Unzulässigkeit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in zahlreichen Fahrzeugen der Beklagten mit OM651-Motor unterschiedlich bewerten, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen aufgrund einer grundlegenden strategischen Entscheidung bewusst und gewollt eine (evident) unzulässige Abschalteinrichtung verwendeten.
So hat auch die Beklagte selbst vorgetragen, ein systematisches manipulatives Fehlverhalten der Beklagten liege nicht vor. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, die Beklagte sei vielmehr von der Rechtsmäßigkeit dieser Funktion überzeugt. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei in beiden Fallgruppen (im Straßenverkehr und auf dem Prüfstand) aktiv. Sie diene gerade dem vom Gesetzgeber mit der Emissionsregulierung angestrebten Ziel: der Reduktion der Emissionen im Kaltstart.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelungen in Fahrzeugen der Beklagten mit OM651-Motor nur teilweise durch das KBA beanstandet und im Übrigen für zulässig erachtet wurden, war diese Einschätzung der Beklagtenseite gesamtwürdigend betrachtet jedenfalls nicht unvertretbar. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellungen der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht.
Nachdem sowohl das „Thermofenster“ als auch die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung von der Beklagten vertretbar als zulässig angesehen werden konnten und weitere unzulässige Abschalteinrichtungen vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen wurden, lassen sich auch aus dem bloßen Vorhandensein von Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und „Thermofenster“ keine Rückschlüsse auf ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten ziehen.
Nach Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls ist eine grundlegende strategische Entscheidung der Beklagten im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber Fahrzeuge mit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr zu bringen, nicht belegt. Eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten wurde klägerseits nicht dargetan.
b. Zweitens fehlt es auch an einer substantiierten Darlegung des Schädigungsvorsatzes:
Zu den Voraussetzungen des Schädigungsvorsatzes hat der Senat bereits unter II 1 b umfassend ausgeführt.
Einen Schaden könnte der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 21) durch den Erwerb des Fahrzeugs nur dann erlitten haben, wenn durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung das rechtliche Risiko einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach dem Zulassungsrecht bestünde.
Der Kläger hat hier weder substantiiert dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen noch ist ein solches Risiko nach Würdigung der Gesamtumstände ersichtlich:
Hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs liegt eine freiwillige Servicemaßnahme und kein verpflichtender Rückruf des KBA vor. Es verfügt über eine nach wie vor wirksame Typgenehmigung und darf seit der Erstzulassung im Juni 2020 und damit seit mehr als 9 Jahren unbeeinträchtigt im Straßenverkehr betrieben werden.
Anhaltspunkte für eine drohende Betriebsbeschränkung/ -untersagung bestehen nicht.
So hat auch das KBA hat in seiner Auskunft vom 20.8.2020 (Anlage B 6) erklärt:
„Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass freiwillige Maßnahmen nur bei Fahrzeugen durchgeführt werden, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Im Rahmen von freiwilligen Maßnahmen droht zudem keine Betriebsuntersagung.“ (Hervorhebung durch den Senat)
5. Da der Kläger bereits seiner primären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, greift auch nicht die sekundäre Darlegungslast der Beklagten. Einer sekundären Darlegungslast fehlt es vorliegend an der erforderlichen Grundlage. Diese kommt erst zum Tragen, wenn die primär darlegungs- und beweisbelastete Partei Anknüpfungstatsachen schlüssig vorgetragen hat und sich daraus eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Vortrags ergibt (BGH, NJW 2015, 947, 948; OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 586 Rn. 90). Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, vor § 284 Rn. 34).
Substantiierter Vortrag zu den anspruchsbegründenden Tatsachen des § 826 BGB fehlt. Ein Sachverständigengutachten sowie weitere Beweiserhebungen sind vor diesem Hintergrund nicht angezeigt (unzulässiger Ausforschungsantrag).
6. Vor diesem Hintergrund liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch Unterlassen der Anordnung eines Sachverständigengutachtens/der Vernehmung von Zeugen vor. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben. Wie dargelegt, ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BGH, BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 m. w. N.).
Hiergegen hat das Landgericht Augsburg nicht verstoßen, indem es den Vortrag des Klägers als unsubstantiiert angesehen und deshalb eine Beweisaufnahme abgelehnt hat
III. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB:
Der Schadensersatzanspruch setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands i. S. v. § 263 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Hier fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung dieser Merkmale. Weder eine Täuschung, noch ein entsprechender Vorsatz der Beklagten wurden vom Kläger substantiiert dargelegt. Gleiches gilt auch für die Bereicherungsabsicht und die in diesem Zusammenhang erforderliche Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden. Allein im Abschluss eines Vertrages, den der Kläger ohne eine Täuschung nicht geschlossen hätte, liegt noch kein Vermögensschaden. Beim hier vorliegenden Gebrauchtwagenkauf besteht auch keine Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsgemäßer Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (vgl. hierzu Urteil des BGH vom 30.7.2020, VI ZR 5/20).
IV. Schließlich scheitern Ansprüche des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5, 3 VO (EG) Nr. 715/2007 bereits daran, dass die letztgenannten Bestimmungen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20).
V. Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union:
Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV wegen der Auslegung der genannten Vorschriften nicht veranlasst.
Ein Vorabentscheidungsersuchen ist erforderlich, wenn sich eine entscheidungserhebliche und der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts stellt. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Rechtslage ist sowohl im Hinblick auf §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als auch im Hinblick auf Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 von vornherein eindeutig (“acte claire“, vgl. hierzu auch Urteile des Bundesgerichtshofs vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, und vom 30.7.2020, VI ZR 5/20).
VI. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Auch der Feststellungsantrag geht ins Leere.
Die Berufungsangriffe gehen insgesamt ins Leere. Das Ersturteil hat Bestand.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Ge richtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Es besteht Gelegenheit zur Berufungsrücknahme sowie zur Stellungnahme zum Senatshinweis bis spätestens 5.11.2021.
Binnen gleicher Frist können beide Parteien zum Streitwert Stellung nehmen.
Der Senat beabsichtigt, den Berufungsstreitwert auf bis zu 19.000,00 € festzusetzen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben