Europarecht

Streik – Schadensersatzanspruch Drittbetroffener

Aktenzeichen  1 AZR 875/13

Datum:
25.8.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2015:250815.U.1AZR875.13.0
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB
§ 328 BGB
§ 1 TVG
Art 56 Abs 1 AEUV
Art 57 Abs 2 Buchst a AEUV
Art 58 Abs 1 AEUV
Art 17 Abs 1 S 1 EUGrdRCh
Spruchkörper:
1. Senat

Leitsatz

Bei dem schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrags handelt es sich regelmäßig nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten von Dritten.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Frankfurt, 16. August 2012, Az: 12 Ca 8341/11, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 27. Juni 2013, Az: 9 Sa 1387/12, Urteil

Tenor

Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juni 2013 – 9 Sa 1387/12 – werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass unter Aufhebung der vorgenannten Entscheidung im Kostenpunkt die Kosten des Rechtsstreits die Klägerin zu 1. zu 50%, die Klägerin zu 2. zu 40% und die Klägerin zu 3. zu 10% zu tragen haben.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen eines Streiks.
2
Die Klägerinnen sind Fluggesellschaften. Die Beklagte ist die Gewerkschaft der Flugsicherung. Sie vertritt die berufs- und tarifpolitischen Interessen des Flugsicherungspersonals in Deutschland. Mit der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) hat sie eine Vereinbarung geschlossen, nach der im Falle eines Arbeitskampfes die Durchführung bestimmter Notdienstarbeiten in einem näher geregelten Umfang sicherzustellen ist.
3
Die DFS ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Anteile ausschließlich vom Bund gehalten werden. Nach § 1 der seit 1. Januar 1993 gültigen Verordnung zur Beauftragung eines Flugsicherungsunternehmens (zuletzt in der ab 29. August 2009 gültigen Fassung [BGBl. I S.2942, 2945]) ist sie damit beauftragt, die im Luftverkehrsgesetz (LuftVG) näher geregelten Flugsicherungsaufgaben wahrzunehmen. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 LuftVG in der bis 27. April 2012 geltenden Fassung (aF) waren die hierfür anfallenden Kosten (Gebühren und Auslagen) in einer vom zuständigen Bundesministerium erlassenen Rechtsverordnung festgelegt. Die Gebührensätze sind, soweit nicht das Recht der Europäischen Gemeinschaft eine abweichende Regelung enthält, so zu bemessen, dass der mit den Amtshandlungen verbundene Verwaltungsaufwand gedeckt wird (sog. Vollkostendeckungsprinzip,
§ 32 Abs. 4a Nr. 2 Satz 2 LuftVG aF).
4
Die Klägerinnen nutzten im August 2011 deutschlandweit Flughäfen zur Beförderung von Passagieren.
5
Am 2. August 2011 rief die Beklagte nach der Durchführung einer Urabstimmung alle tariflich beschäftigten Mitarbeiter der DFS für den 4. August 2011 in der Zeit von 6:00 Uhr bis 12:00 Uhr zum Streik auf. Ausgenommen von dem Streikaufruf waren die Flugsicherungsakademie der DFS in Langen sowie die Niederlassung in Maastricht. Hierüber informierte die DFS die Klägerinnen, die von der Streikankündigung bereits über das Internet bzw. die Presse erfahren hatten, noch am 2. August 2011 per E-Mail. Am 3. August 2011 untersagte das Arbeitsgericht Frankfurt am Main der Beklagten auf Antrag der DFS die Durchführung des angekündigten Streiks. Dagegen legte die Beklagte Berufung ein, sagte aber den für den 4. August 2011 beabsichtigten Arbeitskampf ab. Die DFS nahm daraufhin ihren Antrag zurück.
6
Am 8. August 2011 rief die Beklagte erneut alle Tarifbeschäftigten der DFS für den 9. August 2011 in der Zeit von 6:00 Uhr bis 12:00 Uhr zu einem Streik auf. Ausgenommen waren wiederum die Flugsicherungsakademie der DFS sowie die Niederlassung Maastricht. Auch über diese Ankündigung informierte die DFS die Klägerinnen am 8. August 2011 per E-Mail.
7
Am 8. August 2011 wies das Arbeitsgericht Frankfurt am Main den auf Untersagung des angekündigten Streiks gerichteten Antrag der DFS zurück. Deren Berufung blieb vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht erfolglos. Anschließend rief die DFS die Schlichtung an, die am 31. August 2011 ergebnislos abgeschlossen wurde. Am 12. Oktober 2011 kam es nach der Durchführung eines weiteren Vermittlungsgesprächs zu einer Tarifeinigung zwischen der Beklagten und der DFS.
8
Mit ihren Klagen haben die Klägerinnen – jeweils – die Erstattung eines bezifferten Schadens verlangt und Feststellungsanträge angebracht. Sie haben die Auffassung vertreten, bereits mit der Ankündigung von Arbeitskampfmaßnahmen habe die Beklagte unmittelbar in das durch § 823 Abs. 1 BGB geschützte Recht der Klägerinnen am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Die Beklagte habe nur die Schädigung der Fluggesellschaften beabsichtigt. Durch die bei ihnen eintretenden wirtschaftlichen Schäden habe sie Druck auf die DFS und die Bundesregierung ausüben wollen, da der Eintritt eines wirtschaftlichen Schadens bei der DFS wegen des in § 32 Abs. 4a Nr. 2 Satz 2 LuftVG aF enthaltenen Vollkostendeckungsprinzips von vornherein ausgeschlossen gewesen sei. Die beabsichtigten Arbeitskampfmaßnahmen seien wegen Verstoß gegen die Friedenspflicht sowie wegen der angestrebten Einführung von Besetzungsregeln unzulässig gewesen. Bereits durch die Ankündigungen seien ihnen beträchtliche Schäden entstanden. Ihre Fluggäste hätten im Vorfeld Flüge annulliert oder von beabsichtigten Buchungen Abstand genommen. Wegen der drohenden Betriebseinschränkungen seien umfangreiche organisatorische und kostenintensive Änderungen in ihren Betriebsabläufen unumgänglich geworden. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche stünden ihnen auch aus § 280 Abs. 1 BGB iVm. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu. Die Friedenspflicht aus den zwischen der Beklagten und der DFS abgeschlossenen Tarifwerken wirke auch zu ihren Gunsten.
9
Die Klägerin zu 1. hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. 1.684.492,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2012 zu zahlen;
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 1. sämtliche weitere materielle Schäden zu ersetzen, die ihr infolge der Streikaufrufe der Beklagten vom 2. und 8. August 2011 entstanden sind und/oder zukünftig noch entstehen werden.
10
Die Klägerin zu 2. hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2. 1.516.868,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2012 zu zahlen;
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 2. sämtliche weitere materielle Schäden zu ersetzen, die ihr infolge der Streikaufrufe der Beklagten vom 2. und 8. August 2011 entstanden sind und/oder zukünftig noch entstehen werden.
11
Die Klägerin zu 3. hat zuletzt beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 3. 43.790,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Januar 2012 zu zahlen;
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 3. sämtliche weitere materielle Schäden zu ersetzen, die ihr infolge der Streikaufrufe der Beklagten vom 2. und 8. August 2011 entstanden sind und/oder zukünftig noch entstehen werden.
12
Die Beklagte hat beantragt,
        
die Klagen abzuweisen.
13
Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Ankündigung ihrer Arbeitskämpfe habe sie nicht in das Recht der Klägerinnen am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Die beabsichtigten Arbeitsniederlegungen hätten sich gegen die DFS und nicht gegen die Klägerinnen gerichtet. Allein aus deren Drittbetroffenheit könne nicht auf eine gegen sie gerichtete Streikmaßnahme geschlossen werden.
14
Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichteten Berufungen der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit ihren vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klagen weiter.

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