Europarecht

Unwirksame Rechtswahlklausel in AGB eines Luftfahrtunternehmens

Aktenzeichen  12 C 1112/20

Datum:
12.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8476
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
Richtlinie 93/13 Art. 3
Fluggastrechteverordnung VO 261/2004/EG

 

Leitsatz

1. Gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13 ist eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen Treue und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertragspartners verursacht. Eine Klausel muss im Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalles den Anforderungen von Treue und Glauben, der Ausgewogenheit und der Transparenz genügen, wobei diese Beurteilung dem nationalen Gericht obliegt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gemäß diesen Kriterien ist eine Rechtswahlklausel in AGB irreführend und vor allem intransparent, wenn sie zum Ausdruck bringt, dass nur Übereinkommen und einschlägige Gesetze der Geltung nationalen (hier: irischen) Rechts entgegenstehen könnten. Diese Einschränkung des geltenden irischen Rechts ist aber unvollständig, denn auf europäischer Rechtsebene, zu der auch Irland gehört, gehen auch europäische Verordnungen dem nationalen Recht vor. Für den Bereich der Personenluftbeförderung, auf die sich das Geschäftsfeld des AGB-Verwenders bezieht, spielt die Fluggastrechteverordnung (EG-VO 261/2004) eine überragende Rolle, die aber als vorrangiges Recht bei der Rechtswahlklausel gerade nicht genannt ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen in welcher Höhe gemäß Art. 23 VO 1008/2008 EG als solche auszuweisende Steuern, Gebühren und sonstige Zuschläge bei den folgenden Buchungen angefallen sind:
Nr.
Name des Buchenden
Buchungsnummer
1
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90
91
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000 € vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Stufenklage ist in der ersten Stufe zulässig.
Das AG Memmingen ist zuständig gemäß Art. 7 Nr. 1a VO (EU) 1215/2012. Die im Beförderungsvertrag vorgesehene Leistung ist auch in Memmingen wegen des hier gegebenen Abflug- bzw. Ankunftsortes gegeben. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch steht als Hilfsanspruch neben dem das Rechtsverhältnis charakterisierenden Anspruch aus § 648 BGB (siehe unten), der einen vertraglichen Anspruch darstellt. Dass damit zugleich ein Anspruch nach § 812 BGB gegeben sein könnte, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Die Beklagte hat sich auf eine abweichende Reglung in den AGB’s berufen, ohne den Wortlaut mitzuteilen. Nach der insoweit unbestrittenen Darstellung der Klagepartei regelt Art. 2.4.3. gerade nicht den Gerichtsstand, soweit Verbraucher beteiligt sind. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Kunden bzw. Fluggäste Verbraucher sind. Damit ist bei Entstehen der Forderung eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen. Eine solche lebt auch nach Abtretung an eine Nicht-Verbraucherin nicht auf. Die Forderung behält nach der Abtretung ihren Charakter.
Die weiteren Voraussetzungen der §§ 254 und 260 ZPO sind unproblematisch gegeben.
Die Klage ist in der ersten Stufe auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf die begehrte Auskunftserteilung gemäß §§ 242, 398 BGB.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder dem Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete unschwer in der Lage ist, die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen. (vgl. Bundesgerichtshof, Urteile vom 17.01.2002 und vom 01.08.2013).
Die Voraussetzungen dieses Auskunftsanspruchs liegen vor. Die Klägerin bedarf zur Geltendmachung ihres Anspruchs der Auskunft der Beklagten, weil die Steuern und Gebühren entgegen Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1008/2008 EG in den jeweiligen Buchungsbestätigungen nicht ausgewiesen sind und der Klägerin keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen, die benötigten Auskünfte zu erhalten. Die Beklagte konnte nicht schlüssig darlegen, dass die Klägerin die benötigten Informationen ohne weiteres sich selbst verschaffen kann.
Die Beklagte hingegen ist zur Auskunftserteilung ohne weiteres möglich, da ihr bekannt ist, welche Steuer und Gebühren sie an die jeweiligen Zahlungsempfänger zu entrichten hat. Darüber hinaus sind diese Beträge Grundlage der Kalkulation des Flugentgelts, das sie von den jeweiligen Fluggästen erhebt. Diese Beträge der abzuführenden Steuern und Gebühren sind in den Datenbanken abrufbar und können ohne weiteres beziffert werden. In der Auskunftserteilung liegt auch keine unzumutbare Offenlegung ihrer Kalkulation, da es sich bei den Steuern und Gebühren um Fremdgeld handelt, das zu behalten der Beklagte nicht berechtigt ist. Im Übrigen ist die Beklagte gemäß Art. 23 Abs. 1 Verordnung 1008/2008 EG gerade zur unaufgeforderten Offenlegung verpflichtet. Aus diesem Gesichtspunkt ergibt sich, dass eine unzumutbare Belastung der Beklagten gerade nicht besteht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt das Rechtsverhältnis der Parteien deutschem Recht.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die AGBs wirksam einbezogen sind oder nicht. Selbst wenn von einer wirksamen Einbeziehung auszugehen ist, ist die Rechtswahlklausel in den ABGs unwirksam. Damit gilt deutsches Recht auf die den Forderungen zugrundeliegenden Verträge.
Grundsätzlich beurteilt sich die Rechtswirksamkeit einer Rechtswahlabrede gemäß Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 der Rom I-VO nach irischem Recht. Zum Kontrollmaßstab zählen aber auch die der Umsetzung der Klausel-Richtlinie dienenden Vorschriften, die ihrerseits richtlinienkonform auszulegen sind. Gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13 ist eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen Treue und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertragspartners verursacht. Hieraus folgert der europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.07.2016 (Az: C 191/15), dass eine Klausel im Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalles den Anforderungen von Treue und Glauben, der Ausgewogenheit und der Transparenz genügen muss und diese Beurteilung dem nationalen Gericht obliegt.
Gemäß diesen Kriterien ist die Rechtswahlklausel in den AGBs der Beklagten irreführend und vor allem intransparent. Sie bringt zum Ausdruck, dass nur Übereinkommen und einschlägige Gesetze der Geltung irischen Rechts entgegenstehen könnten. Diese Einschränkung des geltenden irischen Rechts ist aber unvollständig, denn auf europäischer Rechtsebene, zu der auch Irland gehört, gehen auch europäische Verordnungen dem nationalen Recht vor. Für den Bereich der Personenluftbeförderung, auf die sich das Geschäftsfeld der Beklagten bezieht, spielt die Fluggastrechteverordnung (EG-VO 261/2004) eine überragende Rolle, die aber als vorrangiges Recht bei der Rechtswahlklausel gerade nicht genannt ist. Indem die Rechtswahlklausel nicht ansatzweise exakt bestimmt, welche übernationalen Regelungen der Anwendung irischen Recht vorgehen, wird die Klausel intransparent, weil der Anwendungsbereich des irischen Rechts nicht mehr in transparenter Weise festgelegt ist. Die Gültigkeit der europäischen Fluggastrechteverordnung als vorrangig anzuwendendes Recht wird von dem Verweis auf „Übereinkommen“ und „einschlägige Gesetze“ nicht erfasst. Das für den Flugverkehr maßgebliche Recht umfasst internationale Übereinkommen wie das Montrealer Übereinkommen. Das Rechtsverhältnis wird aber auch durch einschlägige Gesetze geregelt. Dass es darüber hinaus auch eine europäische Verordnung gibt, die das Rechtsverhältnis im Flugverkehr ganz wesentlich regelt, wird von den genannten Begriffen nicht erfasst.
An anderen Stellen der AGBs findet die Fluggastrechteverordnung dadurch Erwähnung, dass von der „EU-Verordnung 261/2004“ gesprochen wird. (vgl. AGBs 2.4.2, 10.2, 15.2.1 und 15.2.9). Diese Verordnung wird aber nicht unter der allgemeinen gebräuchlichen Bezeichnung Fluggastrechteverordnung erwähnt. Deshalb wird das Informationsbedürfnis des Vertragspartners auch nicht durch diese in anderen Bestimmungen der AGBs genannte Regelung erfüllt. Es wird gerade umgekehrt der Eindruck erweckt, es gibt eine sogenannte Fluggastrechteverordnung nicht und diese geht auch nicht dem irischen Recht vor. Hieraus folgt die Irreführung, die zur Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel führt (vgl. Staudinger, Juris Monats Zeitschrift 219, Seite 134 ff., Amtsgericht Brühl Urteil vom 11.11.2019, Urteil Landgericht Berlin vom 10.09.2020, Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 03.07.2020, Urteil des Landgerichts Frankfurt, Az. 24 O 100/19).
Der Unterzeichner schließt sich dieser Auffassung an.
Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Die einzelnen Fluggäste haben ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Flugentgelts im Bezug auf Steuern und Gebühren wirksam an die Klägerin abgetreten. Die jeweiligen Abtretungserklärungen wurden eingereicht. Sie sind von Seiten der Beklagten inhaltlich nicht beanstandet worden.
Die Abtretungen sind nicht nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das RDG unwirksam. Die Geltendmachung von durch Abtretung entstandenen eigenen Forderungen auf eigenes wirtschaftliches Risiko ist keine Rechtsdienstleistung (§ 2 RDG).
Die Abtretungen sind auch nicht nach § 134 BGB wegen eines Verstoßes gen die Regelungen des ZAG unwirksam. Die Klägerin erbringt keine Finanzdienstleistung, da sie die Forderungen nach deren Entstehung von einzelnen Personen ankauft und im eigenen wirtschaftlichen Risiko geltend macht. Die Geltendmachung eigener Forderungen auf eigenes wirtschaftliches Risiko ist keine Dienstleistung für Dritte.
Die Abtretungen sind auch wirksam. Das in den AGBs der Beklagten enthaltene Abtretungsverbot ist nicht wirksam, da es gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB verstößt. In dem Abtretungsverbot liegt vorliegend eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste. Zwar ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Ausschluss der Abtretung in allgemeinen Geschäftsbedingungen grundsätzlich als wirksam angesehen worden, wenn er die Hauptleistungspflichten des Verwenders betrifft. Eine solche Klausel ist jedoch dann unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluss nicht besteht oder die Berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit der vertraglichen Forderung das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegt.
Für das Abwägen dieser einander gegenüberstehenden Interessen ist ein generalisierender Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtung zugrunde zu legen. Auf die Umstände des Einzelfalls kommt es nicht an. Vorliegend ist ein solch schützenswertes Interesse der Beklagten nicht zu erkennen. Die Bearbeitung von Anfragen von spezialisierten Rechtsdienstleistem und Forderungsaufkäufem führt nicht erkennbar zu einem höheren Aufwand als die Bearbeitung von Anfragen der einzelnen Fluggäste selbst. Es ist eher umgekehrt zu beachten, dass professionalisierte Forderungsaufkäufer eine Vielzahl von Forderungen in gleichförmiger Weise bearbeiten und dadurch der Aufwand für die Beklagte sinkt. Außerdem liegt es im Interesse der Fluggäste, wenn die Durchsetzung ihrer Ansprüche einen spezialisierten Dienstleister überlassen werden kann, weil die Geltendmachung der Einzelansprüche für den einzelnen Fluggast eine mühevolle Auseinandersetzung mit der Beklagten bedeutet.
Auch die in den AGB’s der Beklagten enthaltene Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam. Ein schützenswertes Interesse der Beklagten eine derartig kurze Ausschlussfrist zu vereinbaren, damit eine Rückforderung schon deutlich vor dem Eintreten der gesetzlichen Verjährungsfrist ausgeschlossen ist, ist vorliegend nicht zu erkennen. Darüber hinaus ist die Klausel auch intransparent, da sie den Vertragspartner über den Fristbeginn im Unklaren lässt.
Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht der Fluggäste dem Grunde noch ein Anspruch auf Rückzahlung der Steuern und Gebühren aus § 648 BGB zu. In dem Nichtantritt der jeweiligen Flüge ist eine Kündigung des zugrundeliegenden Beförderungsvertrages zu sehen. Der Beförderer behält zwar seinen Anspruch auf das Flugentgelt, muss jedoch das sich anrechnen lassen, was er durch die Nichtausführung des Fluges erspart hat. Dies betrifft jedenfalls die auf den Fluggast entfallenen Steuern und Gebühren, da diese nur dann anfallen, wenn der Fluggast den Flug tatsächlich antritt. Ober diesen Anspruch bzw. dessen Höhe ist derzeit nicht zu entscheiden. Da dieser Anspruch aber besteht, ist das Rechtsschutzinteresse für den Auskunftsanspruch gegeben.
Ob die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Bearbeitungsgebühr hat, ist derzeit nicht zu entscheiden, weil eine Aufrechnung dieses möglichen Anspruchs gegen den Auskunftsanspruch nicht in Betracht kommt. Dass ein möglicher Aufrechnungsanspruch in jedem Fall den Anteil der Steuern und Gebühren übersteigt und damit der Klage auf Auskunftserteilung das Rechtsschutzbedürfnis wegen des fehlenden Zahlungsanspruchs fehlen könnte, ist nicht erkennbar und nicht vorgetragen.
Ob der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 BGB zusteht, ist umstritten, kann derzeit aber offen bleiben, weil derzeit nicht über die Zahlung zu entscheiden ist und die Klägerin die Vorlage der Abtretungsurkunden vor der Entscheidung der dritten Stufe vorlegen kann. Im übrigen stellt sich die Frage, ob der Beklagten das Leistungsverweigerungsrecht auch dann zusteht, wenn die Abtretungen als solche nicht bestritten sind, sondern nur deren Rechtswirksamkeit (§ 242 BGB).
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.


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