Europarecht

Verletzung zweier europäischer Patente

Aktenzeichen  7 O 9076/19

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 36038
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 9, § 10, § 139, § 140a, § 140b
EPÜ Art. 64 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Schlechthinverbot ist gerechtfertigt, wenn die angegriffene Ausführungsform technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden kann. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der persönlich haftenden Gesellschafterin, Peter Dürrstein und Alexander Hack, zu vollziehen ist, zu unterlassen, eine Kamera – nämlich die Dentalkamera „X Dental VistaCam … “ – mit einem Gehäuse mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv, mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung und mit einer Steuerung für diese,
wobei die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist, wobei die Kamera als Dentalkamera ausgebildet ist und das elektro-optische Bauelement als variable Flüssiglinse ausgebildet ist, wobei die variable Flüssiglinse Teil des Objektivs ist, wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes, ein reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist und mit einer weiteren optischen Anordnung versehen ist, welche das reelle Zwischenbild auf den Bildabnehmer abbildet, wobei die variable Flüssiglinse zwischen dem reellen Zwischenbild und dem Bildabnehmer angeordnet ist, wobei die weitere optische Anordnung eine benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnete erste und eine davon beabstandet angeordnete zweite Linsengruppen aufweist und wobei zwischen diesen Linsengruppen die variable Flüssiglinse angeordnet ist,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
(unmittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des EP … 575 B1)
2. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der persönlich haftenden Gesellschafterin, Peter Dürrstein und Alexander Hack, zu vollziehen ist, zu unterlassen, eine Dentalkamera – nämlich die Dentalkamera „X Dental VistaCam … “ – mit einem Gehäuse, mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv, mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung und mit einer Steuerung für diese, wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist, welches als variable Flüssiglinse ausgebildet ist, wobei die variable Flüssiglinse im Bereich unmittelbarer Nähe einer Aperturblende angeordnet ist,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
(unmittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des EP … 607 B1)
3. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der persönlich haftenden Gesellschafterin, Peter Dürrstein und Alexander Hack, zu vollziehen ist, zu unterlassen, isoliert Kamerahandstücke oder Kameraköpfe, nämlich die Kameraköpfe CAM, Proof und Proxi, die geeignet sind zusammengesteckt eine Dentalkamera zu bilden, nämlich die Dentalkamera „X Dental VistaCam … “ – mit einem Gehäuse mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv, mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung und mit einer Steuerung für diese,
wobei die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist, wobei die Kamera als Dentalkamera ausgebildet ist und das elektro-optische Bauelement als variable Flüssiglinse ausgebildet ist, wobei die variable Flüssiglinse Teil des Objektivs ist, wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes, ein reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist und mit einer weiteren optischen Anordnung versehen ist, welche das reelle Zwischenbild auf den Bildabnehmer abbildet, wobei die variable Flüssiglinse zwischen dem reellen Zwischenbild und dem Bildabnehmer angeordnet ist, wobei die weitere optische Anordnung eine benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnete erste und eine davon beabstandet angeordnete zweite Linsengruppen aufweist und wobei zwischen diesen Linsengruppen die variable Flüssiglinse angeordnet ist, zur Bildung einer Dentalkamera in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich der Dentalkamera „X Dental VistaCam … “, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern;
(mittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des EP … 575 B1)
4. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der persönlich haftenden Gesellschafterin, Peter Dürrstein und Alexander Hack, zu vollziehen ist, zu unterlassen, isoliert Kamerahandstücke oder Kameraköpfe, nämlich die Kameraköpfe CAM, Proof und Proxi, die geeignet sind zusammengesteckt eine Dentalkamera zu bilden, nämlich die Dentalkamera „X Dental VistaCam … “ -mit einem Gehäuse, mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv, mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung und mit einer Steuerung für diese zu bilden, wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist, welches als variable Flüssiglinse ausgebildet ist, wobei die variable Flüssiglinse im Bereich unmittelbarer Nähe einer Aperturblende angeordnet ist, zur Bildung einer Dentalkamera in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich der Dentalkamera „X Dental VistaCam … “, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern;
(mittelbare Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 1 des EP … 607 B1)
5. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. und I.3. bezeichneten Handlungen seit dem 17.07.2010 und die unter Ziffer I.2. und 4. bezeichneten Handlungen seit dem 11.08.2013 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften gewerblicher Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der bezahlten Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kauf- oder Mietbelege, nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine, in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
6. der Klägerin in einer einheitlichen, geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen, hilfsweise Lieferscheinen oder Quittungen, schriftlich sowie in elektronischer Form, darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. und 3. bezeichneten Handlungen seit dem 17.07.2010 und die unter Ziffer I.2. und 4. bezeichneten Handlungen seit dem 11.08.2013 begangen hat, und zwar jeweils unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, einschließlich der Rechnungsnummern, und der jeweiligen Typenbezeichnungen und Modellnummern sowie der Namen und Abschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internet-Werbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume, und bei direkter Werbung, wie Rundbriefen, der Namen und Anschriften der Empfänger,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch die Einschaltung des Wirtschaftsprüfers entstehenden Kosten trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Angebotsempfänger oder nicht-gewerbliche Abnehmer in der erteilten Rechnungslegung enthalten sind,
7. die vorstehend unter Ziffer I.1., I.2., I.3. und I.4. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Erzeugnisse mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagekosten zu übernehmen, oder diese Erzeugnisse aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagte diese Erzeugnisse wieder an sich nimmt.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffern I.1. bis I.4. bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar wie folgt:
Ziffer I, 1.-4. und 7.: 2.800.000 Mio. € Ziffer I. 5. und 6.: 800.000 € Ziffer III.: in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die Klagen sind zulässig und begründet. Das Verfahren ist nicht mit Blick auf die anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen.
A.
Die Klagen sind zulässig. Insbesondere ist das LG München I nach § 32 ZPO i. V. mit § 38 Nr. 1 BayGZVJu örtlich und nach § 143 PatG ausschließlich sachlich zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit folgt hier schon daraus, dass die Beklagte Mittäterin neben der Muttergesellschaft X. Dental SE war, und die Klägerin daher auch gegen die Beklagte den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO an jedem Ort in Anspruch nehmen kann, an dem sie gegen die Muttergesellschaft vorgehen konnte. Denn unstreitig wusste die Beklagte, dass die von ihr an die Muttergesellschaft X. Dental SE gelieferten Produkte zum Weitervertrieb an Dritte gedacht waren. Dass sie nicht positiv von einer Patentverletzung wusste, steht dem nicht entgegen. Denn sie hätte, auch wenn sie nur an die Mutter lieferte, prüfen müssen, ob ihre Handlungen patentverletzend waren. Demzufolge hätte sie prüfen müssen, ob die Patentbenutzung durch eine Lizenzierung an die Beklagte oder an die Mutter gestattet war. Tat sie dies nicht, nahm sie eine etwaige Patentverletzung jedenfalls billigend in Kauf. Ein anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass sie gegenüber der Mutter weisungsgebunden war. Durch die gesellschaftsrechtliche Konstruktion kann die Beklagte einer Haftung nicht entgehen. Soweit die Beklagte sich hier auf die Entscheidung BGH NJW 2012, 3177, Rn. 28 stützt, handelt es sich um einen nicht vergleichbaren Sachverhalt: dort handelte ein Prokurist, der nach Ansicht des BGH gegenüber dem Geschäftsführer weisungsgebunden war. Das ist mit zwei rechtlich selbständigen Gesellschaften nicht vergleichbar.
Das Feststellungsinteresse für die Schadensersatzklage liegt vor, § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin kann ohne Auskunft und Rechnungslegung ihre Ansprüche nicht beziffern.
B.
Die Klage ist auch begründet.
I.
Das EP `575 betrifft eine Dentalkamera.
1. Die Patentschrift bezeichnet den Gegenstand des EPs `575 mit „Kamera“. Die beanspruchte Kamera weist ein Gehäuse und ein Objektiv mit einer elektrisch gesteuerten Fokussiereinrichtung auf, die eine variable Flüssiglinse umfasst. Es ist nach [0010] vorteilhaft, wenn eine Dentalkamera kompakt gebaut ist.
Anspruchsgemäß ist die Kamera wie folgt ausgestaltet: Sie hat ein Gehäuse und ist als Dentalkamera ausgebildet. Das Objektiv der Kamera umfasst ein Teilobjektiv, das ein reelles Zwischenbild erzeugen kann, mithin Lichtstrahlen, die weiterverarbeitet werden können. Eine „weitere optische Anordnung“, ebenfalls Teil des Objektivs, soll das Zwischenbild auf den Bildabnehmer abbilden. Die weitere optische Anordnung besteht aus zwei Linsengruppen, eine benachbart zu dem Teilobjektiv, eine von der ersten Linsengruppe beabstandet. Zwischen beiden Linsengruppen liegt die Flüssiglinse, gleichzeitig liegt die Flüssiglinse zwischen dem reellen Zwischenbild und dem Bildabnehmer.
Es ergibt sich mithin folgender Aufbau der Kamera (von links nach rechts betrachtet):
Teilobjektiv – Zwischenbild – 1. Linsengruppe – Flüssiglinse – 2. Linsengruppe – Bildabnehmer Mit der nachfolgenden Abbildung (Figur 1 des Klagepatents 575) wird der Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels verdeutlicht:
2. Das EP `575 benennt als Stand der Technik eine Kamera mit Gehäuse, Objektiv und Fokussiereinrichtung, DE 101 25 772 A1. Die Fokussiereinrichtung habe einen Elektromotor, der mittels einer an dem Gehäuse der Kamera angebrachten Bedienung gesteuert werden könne, [0002].
Des Weiteren nimmt das EP `575 Bezug auf DE 29824899 U1 ([0004], [0005]). Diese Druckschrift offenbare eine Kamera mit einem Gehäuse, einem optischen System (Objektiv), einem Bildabnehmer und einer Beleuchtungseinheit. Das Objektiv habe eine Fokussiereinrichtung in Form einer Umschaltmöglichkeit zwischen einer kleinen Blendenöffnung und einer großen Blendenöffnung (S. 8 Klageschrift 7 O 19301/17).
Schließlich benennt das EP `575 die Veröffentlichung „Philips Fluid Lenses“, wonach Flüssiglinsen zur Fokussierung verwendet werden, [0003].
3. An der DE 101 25 772 A1 kritisiert das Klagepatent die Verwendung mechanischer Teile für die Fokussiereinrichtung, [0008]. An den anderen beiden Veröffentlichungen erfolgt keine explizite Kritik.
Vor diesem Hintergrund stellt sich das EP `575 die Aufgabe, eine gattungsgemäße Kamera so weiterzubilden, dass sie ohne bewegliche Bauteile fokussieren kann, [0007].
Zur Lösung schlägt das dieser Aufgabe schlägt das EP 575 eine Kamera entsprechend dem unabhängigen Vorrichtungsanspruch 1 vor.
Die Kammer gliedert Anspruch 1 wie die Parteien (vgl. K 5):
Anspruch 1:
1.1 Kamera mit einem Gehäuse,
1.2 mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv,
1.2.1 mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung
1.2.2 und mit einer Steuerung für diese,
1.2.3 wobei die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist,
1.3 wobei die Kamera als Dentalkamera ausgebildet ist,
1.4 dass das elektro-optische Bauelement als variable Flüssiglinse ausgebildet ist,
1.5 wobei die variable Flüssiglinse Teil des Objektivs ist,
1.6 wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes, ein reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist
1.6.1 und mit einer weiteren optischen Anordnung versehen ist, welche das reelle Zwischenbild auf den Bildabnehmer abbildet,
1.7 wobei die variable Flüssiglinse zwischen dem reellen Zwischenbild und dem Bildabnehmer angeordnet ist,
1.8 wobei die weitere optische Anordnung eine benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnete erste und eine davon beabstandet angeordnete zweite Linsengruppen aufweist
1.9 und wobei zwischen diesen Linsengruppen die variable Flüssiglinse angeordnet ist.
4. Einige dieser Merkmale bedürfen näherer Erläuterungen.
a) Merkmale 1.1 und 1.2 („Kamera mit einem Gehäuse, mit einem darin angeordneten (…) Objektiv“) verlangen (nur), dass im Betriebszustand ein einheitlich handhabbares Gerät vorliegt, unabhängig davon, ob das Gehäuse aus zwei zusammengesteckten Bauteilen besteht. Dafür, dass der Anspruch eine Einstückigkeit des Gehäuses verlangt, bietet das EP `575 keinen technischen Anlass oder Anhaltspunkt. Technischfunktionell ist entscheidend, dass bei Betrieb eine eingliedrige Kamera vorliegt. Eine andere Einschätzung folgt nicht aus dem Umstand, dass die im Stand der Technik zitierten Schriften jeweils einstückige Kameras zeigen. Die gezeigten Ausführungsbeispiele dürfen nicht anspruchsbeschränkend mit Blick auf die zitierten Druckschriften verstanden werden. Auch das Ziel des EPs `575, möglichst klein zu bauen, gebietet keine andere Auslegung. Die Behauptung der Beklagten, durch eine modulare Bauweise würde etwaiger eingesparter Bauraum wieder aufgebraucht, ist nicht belegt. Dargelegt hat die Beklagte ihre Behauptung nicht, obwohl sie von den Vorverfahren der Muttergesellschaft Kenntnis hat (S. 9 Klageerwiderung). Die Erholung des angebotenen Sachverständigenbeweises ist daher nicht geboten: sie würde eine Ausforschung bedeuten. Im Übrigen verbietet das Ziel, möglichst klein zu bauen, nicht den Ansatz, gleichzeitig andere Ziele zu verwirklichen, wie etwa Wechselköpfe anzubieten um hierdurch verschiedene Einsatzmöglichkeiten adressieren zu können.
Soweit die Beklagte darauf verweist, auch außerhalb des Betriebs weise die Einstückigkeit einen technischen Vorteil auf, nämlich einen Schutz der Objektivteile vor schädlichen Einflüssen, gebietet dies ebenfalls keine andere Einschätzung. Schutz bietet auch ein Gehäuse, das durch mehrere abgeschlossene, aber verbindbare Gehäuseteile gebildet wird.
b) Ein elektrooptisches Bauelement im Sinne des Merkmals 1.2.3 („ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement“) ist nach der anspruchseigenen Definition in Merkmal 1.4 eine variable Flüssiglinse. Aufgrund der anspruchseigenen Definition ist nicht maßgeblich, wie der Fachmann (ein Diplom-Physiker mit Spezialisierung auf dem Gebiet der technischen Optik mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von elektronischen Endoskopen) den Begriff „elektrooptisches Bauelement“ in anderem Zusammenhang versteht. Ein anderes folgt nicht aus [0009], dort Zeile 48, wonach das elektrooptische Bauelement vorzugswürdig als variable Flüssiglinse ausgestaltet sein soll. Der Anspruch ist insoweit auf die variable Flüssiglinse als elektrooptisches Bauelement begrenzt.
U.a. der Einsatz einer Flüssiglinse soll bewirken, dass die Kamera ohne bewegliche Bauteile fokussieren kann, [0007]. Das bedeutet, dass die Fokussierung erfolgen soll, ohne dass Teile des Objektivs bewegt werden, [0009]. Die Fokussierung erfolgt hierbei, wie vom Klägervertreter im Termin vom 31.10.2019 unbestritten vorgetragen, über Spannungsänderungen entweder direkt auf das Substrat oder auf die Geometrie des Substrats, ohne dass Teile des Objektivs hierzu bewegt werden.
c) Die Linsengruppe im Sinne der Merkmale 1.6 bis 1.9 von EP `575 („benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnete erste Linsengruppe“) muss aus mindestens zwei Linsen bestehen, wie die sprachliche, aber auch die funktionelle Auslegung des Begriffs ergeben. Funktion der Linsengruppe ist es (allein), das reelle Zwischenbild von links nach rechts zu befördern. Das gelingt auch bei Beabstandung der Linsen einer Linsengruppe, wenn zwei (beabstandete) Linsen derart zusammenwirken, dass sie die Abbildung des reellen Zwischenbildes auf den Bildabnehmer bewirken. Das EP `575 bietet daher keinen technischen Anhaltspunkt dafür, und trifft auch sonst keine Aussage darüber, ob ein Mindest- oder Höchstabstand zwischen den Linsen einer Gruppe bestehen muss oder darf. Die Figur des EPs `575, die in den Bauteilen 40 und 42 eingezeichnete Längsstriche zeigt, gebietet keine andere Einschätzung. Sie darf nicht anspruchsbeschränkend verstanden werden.
„Benachbart“ zu dem Teilobjektiv liegt die erste Linsengruppe bei funktioneller patentgemäßer Auslegung, wenn sie näher an dem Teilobjektiv gelegen ist als die zweite Linsengruppe. Es sind keine (technischen) Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die erste Linsengruppe in unmittelbarer Nähe zu dem Teilobjektiv angeordnet sein müsste. Für ein engeres Verständnis im Sinne einer unmittelbaren Nähe bietet das Klagepatent auch sprachlich keine Anhaltspunkte. Im Umkehrschluss zu Unteranspruch 2, in dem das Klagepatent gerade von unmittelbarer Nähe spricht, ist „benachbart“ funktionell vielmehr lediglich im Sinne einer Anweisung einer schematischen Anordnungsfolge zu verstehen.
d) Das Teilmerkmal “abbildenden“ im Sinne des Merkmals 1.2 adressiert die Aufgabe des Objektivs. Die sprachliche Fassung bedeutet nicht, dass hier der bereits aufgenommene Betrieb angesprochen ist. Entsprechend verlangt Merkmal 1.2.1 („mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung“) nicht eine Fokussierung nach Betriebsaufnahme, sondern macht nur die Vorgabe: wenn eine Fokussierung erforderlich ist, muss sie mittels einer elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung erfolgen.
II.
Das EP `607 betrifft eine Dentalkamera. Als solchen bezeichnet die Patentschrift den Gegenstand des EPs `607 in der maßgeblichen deutschen Fassung.
1. Als Stand der Technik bezeichnet das EP `607 die Druckschrift DE 101 25 772 A1, [0002] (wie vor).
Die Kritik am Stand der Technik ist dieselbe wie bei EP `575, [0003].
2. Aufgabe des EPs `607 ist es, eine gattungsgemäße Dentalkamera so weiterzubilden, dass sie kleinbauend ausgestaltet ist, [0004].
Zur Lösung schlägt das EP `607 eine Vorrichtung nach Anspruch 1 vor. Die Kammer gliedert den Anspruch wie die Parteien (K 8):
1.1 Dentalkamera mit einem Gehäuse,
1.2 mit einem darin angeordneten, ein Objekt auf einen Bildabnehmer abbildenden Objektiv,
1.2.1 mit einer dessen Fokussierung elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung
1.2.2 und mit einer Steuerung für diese,
1.2.3 wobei das Objektiv ein zwischen dem Objekt und dem Bildabnehmer liegendes reelles Zwischenbild erzeugendes Teilobjektiv aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.3 die Fokussiereinrichtung ein mittels einer elektrischen Spannung in seinen Abbildungseigenschaften veränderbares elektrooptisches Bauelement aufweist, welches als variable Flüssiglinse ausgebildet ist,
1.4 wobei die variable Flüssiglinse im Bereich unmittelbarer Nähe einer Aperturblende oder im Bereich unmittelbarer Nähe eines Bildes einer Aperturblende angeordnet ist.
Die maßgebliche Abweichung zu dem EP `575 liegt in Merkmal 1.4, der Aperturblende.
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.
a) Soweit die Auslegung der Merkmale 1.1 und 1.2 (Kamera mit einem Gehäuse) und des Merkmals 1.3 (elektrooptisches Bauelement) streitig ist, gilt gleiches wie zu EP `575 gesagt. Der Einsatz einer Flüssiglinse soll auch hier bewirken, dass die Fokussierung ohne Bewegung von Teilen des Objektivs erfolgen soll, [0006].
b) Eine Aperturblende im Sinne des Merkmals 1.4 des EPs `607 kann auch eine unverstellbare Blende sein. Dafür spricht ein Umkehrschluss aus Unteranspruch 6, der die Möglichkeit einer verstellbaren Blende adressiert.
Eine Erheblichkeit der Öffnungsbegrenzung ist dem Patent `607 nach funktionaler Auslegung nicht zu entnehmen.
III.
Die angegriffene Ausführungsform verletzt das EP `575, weil eine unmittelbare sowie eine mittelbare Patentbenutzung vorliegt.
1. Eine angegriffene Ausführungsform ist die X. Dental Vista Cam … Sie besteht aus einem Handstück, auf das drei verschiedene Kopfstücke aufgesetzt werden können: Der Cam-Kamerakopf, der normales weißes Licht ausstrahlt und Echtbilder liefert, der Proof-Kamerakopf, der UV-Licht ausstrahlt und der Karieserkennung dient und der Proxi-Kamerakopf, der Infrarotlicht nutzt und bei der Kariesfrüherkennung eingesetzt werden kann. Unstreitig sind die Proof- und Proxi-Wechselköpfe nicht mit einer Autofokus-Funktion versehen. Die Brennweite beider Köpfe ist automatisch auf einen festen Objektabstand von 8 mm eingestellt.
Nachfolgend ist eine Röntgenaufnahme der angegriffenen Ausführungsform wiedergegeben (K 12):
Bauteile 2 bis 4 sind Linsen, wobei hinsichtlich des Bauteils 4 streitig ist, ob es Teil der ersten Linsengruppe iSd Merkmals 1.8 ist. Bauteil 5 ist unstreitig ein Abdeckglas. Die Klägerin hat insoweit ihren schriftsätzlichen Vortrag im Termin klargestellt (S. 3 Protokoll). Bauteil 6 ist eine Linse, in der Lesart der Klägerin Teil einer Linsengruppe (gebildet aus Bauteilen 4 und 6). Bauteil 7 ist eine Flüssiglinse, Bauteile 8 und 9 sind eine Linsengruppe. Bauteile 10 und 11 sind der Bildabnehmer iSd Merkmale 1.2 und 1.7.
Unstreitig sind Teile des Objektivs, nämlich die Bauteile 1 bis 5, im Wechselkopf angebracht. Bauteile 6 bis 11 befinden sich im Handstück, davon die Bauteile 6 bis 9 im Zapfen.
2. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Anspruch 1 des EPs `575 wortsinngemäß unmittelbar. Das gilt auch hinsichtlich der streitigen Merkmale 1.1 und 1.2, 1.2.3 und 1.6 bis 1.9. a) Merkmale 1.1 und 1.2 sind verwirklicht. Für die Verletzungsbetrachtung ist der Zustand nach Zusammenfügung des Handstücks mit einem Wechselkopf maßgeblich, s.o.. Nach Zusammenfügung des Handstücks mit dem Kopfstück liegt ein Gehäuse vor, da das EP `575 keine Einstückigkeit voraussetzt, wie oben dargelegt.
b) Auch Merkmal 1.2.3 ist verwirklicht. Die angegriffene Ausführungsform weist unstreitig eine variable Flüssiglinse auf. Dass sie nach dem Prinzip des „electrowetting“ arbeitet und daher nicht die optischen Eigenschaften der Linse verändert werden, sondern nur die Form der Linsenflüssigkeit, ist dabei unbeachtlich. Denn nach oben dargelegter Auslegung ist ein anspruchsgemäßes elektrooptisches Bauelement schon dann gegeben, wenn eine variable Flüssiglinse vorliegt, bei der zur Fokussierung über Spannungsänderungen entweder direkt auf das Substrat oder auf die Geometrie des Substrats eingewirkt werde, ohne dass Teile des Objektivs hierzu bewegt werden [0009].
c) Die angegriffene Ausführungsform weist auch eine benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnete erste Linsengruppe im Sinne der Merkmale 1.6 bis 1.9 des EP `575 auf.
Unstreitig weist die angegriffene Ausführungsform eine Linsengruppe bestehend aus den Bauteilen 8 und 9 auf.
Die angegriffene Ausführungsform hat auch (näher zu dem Teilobjektiv angeordnet) eine erste Linsengruppe, bestehend aus Bauteilen 4 und 6. Dabei ist nach obiger Auslegung unbeachtlich, dass die Linsen 4 und 6 zueinander weiter beabstandet angeordnet sind, als es die Figuren das Klagepatents zeigen. Sie arbeiten funktional zusammen, um das Zwischenbild nach rechts zu befördern. Damit erfüllen sie die klagepatentgemäßen Anforderungen an die erste Linsengruppe.
Wollte man dies anders sehen, wäre auch nach der Lesart der Beklagtenseite eine Patentverletzung gegeben. Jedenfalls Bauteil 6 stellt nach Auffassung der Beklagtenseite eine Linsengruppe dar. Diese ist auch benachbart zu dem Teilobjektiv angeordnet, denn sie liegt (in der Röntgenaufnahme von links nach rechts besehen) näher an dem Teilobjektiv als die zweite Linsengruppe. Nichts anderes besagt das Teilmerkmal „benachbart“, wie oben dargelegt.
Dass das Bauteil 4 zusätzlichen Bauraum beansprucht, ist patentrechtlich irrelevant. Unbeachtlich ist dies schon deswegen, weil Bauteil 4 Teil der patentgemäßen ersten Linsengruppe ist. Wollte man nur Bauteil 6 als erste Linsengruppe ansehen, würde die Existenz des Bauteils 4 gleichwohl nicht aus einer Patentverletzung herausführen. Der Einsatz eines konkreten zusätzlichen Bauteils kann nur dann eine Patentverletzung hindern, wenn dessen Einsatz zu vermeiden Hauptzweck der Erfindung ist (GRUR 2006, 399, 401 Rn. 23 – Rangierkatze). Dem Klagepatent ist nicht zu entnehmen, dass eine zusätzliche Linse gerade nicht eingesetzt werden dürfte.
3. Die angegriffene Ausführungsform verletzt das EP `575 des Weiteren mittelbar, weil eine Patentbenutzung im Sinne des § 10 PatG vorliegt. Der Gefährdungstatbestand des § 10 PatG wird objektiv und subjektiv verwirklicht.
a) Ein Mittel im Sinne des § 10 PatG bezieht sich auf ein wesentliches Element der Erfindung, wenn es entweder mindestens ein Merkmal des Patentanspruchs ausfüllt oder geeignet ist, mit einem oder mehreren Merkmalen des Patentanspruchs bei der Verwirklichung des geschützten Erfindungsgedankens funktional zusammenzuwirken (Keukenschrijver in: Busse, Patentgesetz, 8. Aufl. 2016, § 10 Rn. 16 mwN).
Hiernach sind Handstück und Wechselköpfe Mittel iSd § 10 Abs. 1 PatG. Handstück und Wechselköpfe sind ausgebildet und geeignet, nach Zusammensetzung miteinander zusammenzuwirken. Nach Zusammensetzung des Handstücks mit einem Wechselkopf entsteht ein Gerät, das sämtliche Merkmale des Klagepatents 575 erfüllt.
b) Diese Mittel beziehen sich auf ein wesentliches Element der Erfindung. Zusammengesetzt ergeben Handstück und Wechselkopf die anspruchsgemäße Vorrichtung, die alle anspruchsgemäßen Merkmale verwirklicht.
c) Die angegriffene Ausführungsform ist objektiv zur unmittelbaren Patentbenutzung geeignet. Werden Handstück und Wechselkopf von einem Dritten bestimmungsgemäß zusammengesetzt, liegt eine Vorrichtung im Sinne des Anspruchs 1 des EPs `575 vor, wie oben dargestellt. Das angegriffene Mittel ist geeignet, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Nach der objektiven Beschaffenheit der angegriffenen Ausführungsform ist dies der Fall, weil eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung der geschützten Lehre mit allen ihren Merkmalen durch den Nutzer möglich ist.
Patentanspruch 1 wird durch die Nutzer wortsinngemäß benutzt. Das gilt auch hinsichtlich der streitigen Merkmale 1.1 mit 1.2, 1.2.3 und 1.6 bis 1.9 des EPs `575, wie oben dargelegt.
Auch Merkmal 1.2.1 des EP `575 ist verwirklicht. Soweit die Beklagtenseite sich darauf stützt, bei der Verwendung des Proof- oder Proxi-Wechselkopfes werde eine fixe Brennweite von 8 mm eingestellt, die unverändert bleibe, wenn zuletzt der Proof- oder Proxi-Wechselkopf verwendet worden sei, führt dies nicht aus der Verletzung heraus. EP `575 fordert nicht eine Fokussierung nach Betriebsaufnahme, sondern macht nur die Vorgabe, dass dann, wenn eine Fokussierung erforderlich ist, diese mittels einer sie elektrisch ändernden Fokussiereinrichtung erfolgt, wie oben dargelegt. Das ist der Fall.
d) Das Angebot oder die Lieferung im Inland zur Benutzung der Erfindung im Inland ist erfolgt. Unstreitig lieferte die Beklagte an die X. Dental SE im Inland. Dass die Lieferungen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden sollten, hat die Beklagte nicht behauptet.
e) Auch der subjektive Tatbestand ist gegeben. Die subjektive Bestimmung des (Letzt-) Abnehmers zur unmittelbaren patentverletzenden Verwendung ist offensichtlich, weil die angegriffene Ausführungsform zusammengesetzt die patentverletzende Vorrichtung darstellt und davon auszugehen ist, dass sie entsprechend zusammengesetzt wird. So wird sie in K 10 auch beworben. Die objektive Eignung und die Verwendungsbestimmung der Abnehmer sind für die Beklagte offensichtlich.
IV.
Die angegriffene Ausführungsform verletzt auch das EP `607 unmittelbar sowie mittelbar.
1. Eine wortsinngemäße unmittelbare Verletzung liegt vor. Auch die streitigen Merkmale 1.1 und 1.2, 1.2.3 und 1.4 sind verwirklicht.
a) Hinsichtlich der Merkmale 1.1 mit 1.2 und 1.3 gilt gleiches wie bei EP `575.
b) Auch Merkmal 1.4 ist verwirklicht. Die angegriffene Ausführungsform weist eine anspruchsgemäße Aperturblende auf.
Unstreitig weist die angegriffene Ausführungsform eine Leiterplattenöffnung und eine Fassung auf. Jedenfalls die Leiterplattenöffnung stellt eine Aperturblende im Sinne des Merkmals 1.4 des EP `607 dar.
Maßstab für eine Patentbenutzung ist die Verwirklichung eines patentgemäßen Merkmals. Erfüllt eine angegriffene Ausführungsform oder ein Teil derselben darüber hinaus weitere Funktionen, lässt das nicht die patentgemäße Benutzung entfallen. Vielmehr ist eine patentgemäße Nutzung auch dann gegeben, wenn die angegriffene Ausführungsform objektiv geeignet ist, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erzielen, unabhängig davon, ob deren Erzielung von dem Verletzer angestrebt ist (BGH GRUR 2006, 399, 401 – Rangierkatze).
Danach ist die Leiterplatte eine Aperturblende, weil sie unstreitig eine Öffnungsbegrenzung der Flüssiglinse bewirkt. Eine Begrenzung in relevantem Maße ist dabei nicht erforderlich, s.o. Dass die Leiterplatte möglicherweise auch andere Funktionen wahrnehmen soll, ist patentrechtlich nach vorzitierter höchstrichterlicher Rechtsprechung unbeachtlich.
2. Das EP `607 wird von der angegriffenen Ausführungsform auch mittelbar verletzt. Insoweit gilt gleiches wie oben festgestellt.
V.
Die Beklagte ist passivlegitimiert. Denn sie stellt die angegriffene Ausführungsform her und liefert sie an die X. Dental SE, wie sich aus der Leistungsabrechnung K 9 ergibt. Die in Bezug genommene Weisungsgebundenheit gegenüber der X. Dental SE führt nicht aus der Passivlegitimation hinaus, s.o..
VI.
Wegen der Patentverletzung hat die Klägerin die folgenden Ansprüche:
1. Der Anspruch auf Unterlassung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG. Hinsichtlich der angegriffene Ausführungsform besteht Wiederholungsgefahr mit Blick auf die Tathandlungen anbieten und liefern. Denn die Wiederholungsgefahr wird durch die festgestellten rechtswidrigen Benutzungshandlungen indiziert. Ein anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte aufgrund der gegen die X. Dental SE ergangenen, vorläufig vollstreckten Urteile die Herstellung der angegriffene Ausführungsform eingestellt hat (S. 32 Klageerwiderung). Dies bedeutet keine Distanzierung von der vorher erfolgten Handlung, die indes für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr erforderlich wäre.
Ein Schlechthinverbot ist gerechtfertigt: Die angegriffene Ausführungsform kann technisch und wirtschaftlich sinnvoll nur in patentverletzender Weise verwendet werden. Wie aus K 10 ersichtlich, sollen Handstück und Wechselköpfe zusammen eingesetzt werden.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, inländische Nutzer könnten zur Nutzung berechtigt sein (S. 31 Klageerwiderung), versteht sich dies als bloße Einleitung zu den (hier wie dort) nachfolgenden Punkten:
Soweit sie geltend machte, das Handstück der angegriffenen Ausführungsform sei auch ohne Wechselköpfe als Kamera einsetzbar und liefere bei 10 mm bis 35 mm gut brauchbare Aufnahmen (S. 31 Klageerwiderung), steht dies einem Schlechthinverbot nicht entgegen. Technisch mag der Einsatz des Kamerakopfes möglich sein, sinnvoll ist er nicht. K 10 stellt allein auf die Verwendung des Handstücks mit einem Wechselkopf ab. Der intraorale Einsatz mit dem gebotenen Abstand von 10 bis 35 mm ist technisch nicht zielführend, insbesondere nicht bei Einsatz an einem Patienten.
Soweit sie schließlich darauf verweist, auch die Kameraköpfe könnten patentfrei gebraucht werden, wenn die Beklagte oder Dritte modifizierte Handstücke anbiete (S. 32 Klageerwiderung), hat sie jedenfalls nicht vorgebracht, dass sie oder Dritte zum Schluss der mündlichen Verhandlung bereits modifizierte Handstücke anboten. Dass sie dies in der Zukunft einmal tun könnten, steht – im maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung – einem Schlechthinverbot nicht entgegen.
2. Der Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG, §§ 242, 259 BGB.
3. Der Anspruch auf Rückruf und Vernichtung ergibt sich aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1, Abs. 3 PatG.
Er liegt auch bezüglich der mittelbaren Verletzungshandlungen vor, da hier nach oben Gesagtem ein Schlechthinverbot auszusprechen ist (hierzu BeckOKPatR-Rinken, § 140a PatG Rn. 21 mwN).
4. Der Schadensersatzanspruch folgt aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
C.
Eine Aussetzung mit Blick auf die von der Mutter der Beklagten erhobenen Nichtigkeitsklagen (B 7 und B 8) nach § 148 ZPO ist nicht veranlasst.
I.
Die Einleitung eines Einspruchsverfahrens oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellen als solches keinen Grund dar, das Verfahren auszusetzen. Anderenfalls würde man dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beimessen, die ihm nach dem Gesetz gerade fremd ist (BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug). Bei der gebotenen Interessenabwägung hat grundsätzlich das Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung des von ihm erteilten Patents Vorrang (siehe Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 106 mwN). Denn das Patent bietet nur eine beschränkte Schutzdauer. Für die Dauer der Aussetzung ist das Schutzrecht mit Blick auf den Unterlassungsantrag, der einen wesentlichen Teil des Schutzrechts darstellt, noch zusätzlich praktisch aufgehoben. Daher kommt eine Aussetzung grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Vernichtung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Cepl/Voß-Cepl, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 148 ZPO Rn. 107 mwN).
Für die Neuheitsprüfung ist zu ermitteln, welche technischen Informationen eine Entgegenhaltung dem Fachmann offenbart, und zwar unmittelbar und eindeutig (BGH GRUR 2009, 382, 384, Rn. 25 – Olanzapin).
II.
Das Verfahren ist nach diesen Maßstäben nicht auszusetzen.
Nach Auffassung der Kammer ist der Gegenstand der Klagepatente in der jeweils erteilten Fassung patentfähig. Die von der Beklagten im Rahmen ihres Aussetzungsantrags geltend gemachten Nichtigkeitsargumente greifen nicht durch. Der Gegenstand ist insbesondere neu und wird durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
Der Gegenstand der entgegengehaltenen Druckschrift NK 12a steht der Patentfähigkeit des Gegenstand der Klagepatente nicht entgegen.
Die Druckschrift offenbart eine Bildaufnahmevorrichtung, die die Aufnahme eines guten Bildes bei Vergrößerung der Tiefenschärfe erreichen will. Es soll weder das Bild verzerrt noch der Kontrast verringert werden.
Unstreitig sieht NK 12 mechanisch bewegliche Bauteile vor, die auf die Fokussierung Einfluss haben. Figur 2 der NK 12 zeigt mit 202f Aktoren, die bei Spannungslegung eine Ausdehnung erfahren und dadurch gegen die Membran drücken. Hierdurch verändert sie ihre Form, so dass sich der Fokus ändert, [0022]. Nach vorgenannter Auslegung ist das nicht klagepatentgemäß. Die Offenbarung der Entgegenhaltung lehrt von der Erfindung der Klagepatente weg, die auf Bewegungen der Objektivteile verzichten will, [0006] von EP `607 und [0007] mit [0009] von EP `575. Die Aktoren 202f sind aber Teile der Varioobjektive, wie sie die Entgegenhaltung offenbart, [0022]. Daher ist die Kammer nicht der Auffassung, dass Merkmal 1.2.3 mit 1.4 des EP `575 bzw. Merkmal 1.3 des EP `607 eindeutig und unmittelbar offenbart ist.
2. Auf die Vorwegnahme der übrigen Merkmale des Klagepatents 575 durch NK 12 kommt es daher nicht mehr an.
D.
I.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits sind vollumfänglich der Beklagten aufzuerlegen.
II.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 und 3 ZPO. Sie gliedert sich wie erkannt. Die Sicherheitsleistung ist dabei an dem Streitwert zu orientieren. Der Feststellungsantrag ist nicht vorläufig vollstreckbar. Die Entscheidung über die Kosten ist nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


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