Europarecht

Verpflichtung zum Rückruf als Teil des Unterlassungsgebotes

Aktenzeichen  7 O 6409/19

Datum:
23.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2019, 36112
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PatG § 139

 

Leitsatz

1. Machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch, ist ihre Benutzung zu verbieten. (Rn. 31 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Unterlassungsgebot erfasst die Verpflichtung zum Rückruf und damit zum Handeln gegenüber den Abnehmern.  (Rn. 39 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verfügungsgrund für einen geltend gemachten Sequestrationsanspruch besteht nicht, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Antragsgegnerin die angegriffenen Ausführungsformen beiseiteschaffen könnte und damit das für eine Sequestration erforderliche Sicherungsbedürfnis der Antragstellerin nicht begründen kann.  (Rn. 71 – 72) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Antragsgegnerin zu vollziehen ist, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung gemäß §§ 935 ff., 890 ZPO verboten, elektrische Anschlussklemmen, wobei die elektrischen Anschlussklemmen einen Kontaktrahmen mit einem Leiterklemmanschluss für einen elektrischen Leiter umfassen und der Leiterklemmanschluss am Kontaktrahmen durch mindestens ein Federelement gebildet wird, dessen freies Ende eine gegen den elektrischen Leiter gerichtete und mit einer Klemmkraft beaufschlagten Klemmkante bildet und der Kontaktrahmen einen Kontaktboden aufweist, wobei der Kontaktboden derart aus der Fläche eines ebenen Metallteils herausgestellt ist, dass der Kontaktboden von dem Kanaleingang, durch den ein elektrischer Leiter in die elektrische Anschlussklemme einführbar ist, in Richtung der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses ansteigend in Richtung eines Leiters, wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist, wobei die elektrische Anschlussklemme ein Isolierstoffgehäuse aufweist, in dem der Kontaktrahmen mit dem Leiterklemmanschluss angeordnet ist, wobei sich an den Kontaktboden einenends am Kanaleingang ein erster Kontaktbereich und anderenends ein zweiter Kontaktbereich anschließt, nämlich Leiterplattenklemmen mit der Bezeichnung „L-T“ und kerngleiche Ausführungsformen,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen, bei denen der erste und der zweite Kontaktbereich eine Ebene bilden und die Gehäuseinnenwandung des Isolierstoffgehäuses gegenüberliegend zum geneigt ausgeführten Abschnitt des Kontaktbodens einen schrägen Bereich aufweist, der gegen einen Leiter, wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist und einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich bildet,
(Anspruch 1 des EP 3 159 974)
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Antragsgegnerin 80% und die Antragstellerin 20% zu tragen.
4. Das Urteil ist für die Antragstellerin gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von € 375.000,00 vorläufig vollstreckbar. Für die Antragsgegnerin ist es ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung der Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 375.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag ist im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch begründet. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund bestehen (1. Teil). Der geltend gemachte Sequestrationsanspruch ist indes unbegründet (2. Teil).
1. Teil
A. Verfügungsanspruch
I. Gegenstand von Patentanspruch 1 des Verfügungspatents ist eine elektrische Anschlussklemme.
Gattungsgemäße Anschlussklemmen sind dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrung in der Konstruktion von elektrischen Klemmen, im Stand der Technik bekannt gewesen. Das Verfügungspatent verweist hierzu auf verschiedene Dokumente (Beschreibungsstellen [0002] und [0003] des Verfügungspatents).
1. Gemäß dem Verfügungspatent habe die Aufgabe darin bestanden, eine elektrische Anschlussklemme für den Anschluss eines elektrischen Leiters bereitzustellen, welche durch eine verbesserte Leiterführung eine sichere Klemmung des elektrischen Leiters gewährleistet und gleichzeitig einen einfachen Aufbau aufweist ([0004]).
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 in merkmalsmäßiger Gliederung vor:
1. elektrische Anschlussklemme, wobei
1.1 die Anschlussklemme (1) einen Kontaktrahmen (4) mit einem Leiterklemmanschluss für einen elektrischen Leiter (5) umfasst,
1.2 die Anschlussklemme ein Isolierstoffgehäuse (2) aufweist, in dem der Kontaktrahmen (4) mit dem Leiterklemmanschluss angeordnet ist,
1.3 der Leiterklemmanschluss am Kontaktrahmen (4) durch mindestens ein Federelement (9) gebildet wird, dessen freies Ende eine gegen den elektrischen Leiter (5) gerichtete und mit einer Klemmkraft beaufschlagten Klemmkante (10) bildet und
1.4 der Kontaktrahmen (4) einen Kontaktboden (11) aufweist,
1.4.1 wobei der Kontaktboden (11) derart aus der Fläche eines ebenen Metallteils herausgestellt ist, dass der Kontaktboden (11) von dem Kanaleingang (8), durch den ein elektrischer Leiter (5) in die elektrische Anschlussklemme (1) einführbar ist, in Richtung der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses ansteigend in Richtung eines Leiters (5), wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist und
1.4.2 sich an den Kontaktboden (11) einenends am Kanaleingang (8) ein erster Kontaktbereich (16) und anderenends ein zweiter Kontaktbereich (16) anschließt dadurch gekennzeichnet, dass
1.4.3 der erste und der zweite Kontaktbereich (16) eine Ebene bilden und
1.5 die Gehäuseinnenwandung (31) des Isolierstoffgehäuses (2) gegenüberliegend zum geneigt ausgeführten Abschnitt des Kontaktbodens (11) einen schrägen Bereich aufweist, der gegen einen Leiter (5), wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist und einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich bildet.
2. Eine erfindungsgemäße elektrische Anschlussklemme ist in Figur 1 des Verfügungspatents beispielhaft gezeigt.
Die patentgemäße elektrische Anschlussklemme weist ein Isolierstoffgehäuse (2) auf, in dem ein oder – wie im Ausführungsbeispiel gezeigt – zwei metallische Kontaktrahmen (4) aufgenommen sind.
In der Darstellung gemäß Figur 2 des Verfügungspatents ist das Isolierstoffgehäuse nicht enthalten, so dass der Anschluss eines elektrischen Leiters (5) am Kontaktrahmen (4) erkennbar wird. Hierbei verfügt der Kontaktrahmen (4) über einen – wie z. B. in Figur 2 gezeigten – Leiterklemmanschluss für einen elektrischen Leiter (5).
Gemäß Merkmal 1.3 wird der Leiterklemmanschluss weiter dahingehend konkretisiert, dass der Leiterklemmanschluss am Kontaktrahmen durch mindestens ein Federelement gebildet wird, dessen freies Ende eine gegen den elektrischen Leiter gerichtete und mit einer Klemmkraft beaufschlagte Klemmkante bildet.
Das Federelement kann wie im gezeigten Ausführungsbeispiel als Blattfederpaar ausgebildet sein. Die Blattfedern sind aus dem Metallteil herausgebogen und deren freie Enden bilden eine gegen den elektrischen Leiter gerichtete und mit einer Klemmkraft beaufschlagte Klemmkante, so dass die zwei gegenüberliegenden Klemmkanten (10) der Blattfedern eine Klemmstelle für den elektrischen Leiter bilden.
3. Nach Merkmal 1.4/1.4.1 weist der Kontaktrahmen einen Kontaktboden auf, der vom Kanaleingang, durch den ein elektrischer Leiter in die elektrische Anschlussklemme einführbar ist, in Richtung der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses ansteigend in Richtung eines Leiters geneigt ausgeführt ist.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin braucht der geneigte Bereich nicht am Kanaleingang zu beginnen. Der Anspruch gibt insofern lediglich die Richtung vor, in der die Neigung verläuft. Er macht jedoch keine Vorgaben, von wo bis wohin sich der geneigte Bereich erstrecken muss. Käme es hierauf an, wäre ein anderer Wortlaut des Merkmals zu erwarten gewesen (z. B. „vom Kanaleingang bis zur Klemmstelle“). Außerdem steht dieses Verständnis mit der Beschreibung im Einklang. Vor allem aus [0021] folgt, dass der vom Kanaleingang in Richtung Klemmstelle geneigte Kontaktboden „im Wesentlichen“ im Leitereinführungsbereich (30) ansteigend ausgeführt ist. Es kann offen bleiben, ob sich etwas anderes aus Figur 5a ergibt, weil sie lediglich eine bevorzugte Ausführungsform zeigt.
Außerdem besteht die technische Funktion des geneigten Bereichs darin, im Zusammenspiel mit dem gegenüberliegend geneigten Abschnitt gemäß Merkmal 1.5 einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich zu erzeugen, der eine Führung für den einzusteckenden elektrischen Leiter bildet, so dass das abisolierte Ende zielgerichtet der Klemmstelle zugeführt werden kann ([0025]). Hierfür ist entgegen der Antragsgegnerin nicht erforderlich, dass der Kontaktboden am Kanaleingang beginnt und bis zur Klemmstelle (durchgehend) ansteigend geneigt ausgeführt ist. Die erfindungsgemäße Führungsfunktion kann auch dann gewährleistet werden, wenn die Neigung des Kontaktbodens erst mit einem gewissen Abstand nach dem Kanaleingang anfängt. Denn nach der Beschreibung braucht der Leitereinführungsbereich bloß „abschnittsweise trichterförmig“ ausgebildet zu sein ([0024]).
Eine konkrete Ausgestaltung dieser Vorgaben stellt das Verfügungspatent in das Ermessen und Können des Fachmanns. Diesem bleibt es überlassen, den geneigten Abschnitt im Detail so auszubilden, dass die patentgemäße Führungsfunktion (noch) erfüllt werden kann. Insofern kann der Kontaktboden im Anschluss an den Kanaleingang zunächst flach ausgeführt werden, wenn erst im weiteren Verlauf die Neigung in Richtung der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses ansteigt. Erstreckung oder gar einen Neigungswinkel gibt die patentierte Lehre nicht vor.
4. Gleichfalls bleibt es dem Fachmann überlassen, den schrägen Bereich der Gehäuseinnenwandung (Merkmal 1.5) so auszugestalten, dass die Gehäuseinnenwandung des Isolierstoffgehäuses gegenüberliegend zum geneigt ausgeführten Abschnitt des Kontaktbodens einen schrägen Bereich aufweist, der gegen einen Leiter, wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist und einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich bildet.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist hiermit nicht vorgegeben, dass der zu bildende Leitereinführungsbereich ganz oder zu einem erheblichen Teil trichterförmig ausgebildet sein muss. Dies folgt weder aus Figur 5a, die lediglich eine bevorzugte Ausführungsform darstellt. Noch ergibt sich dies aus dem Wortsinn. Denn solange die Führungsfunktion erreicht werden kann, die durch die Anordnung der Blattfedern und durch den schrägen Bereich gemäß Merkmal 1.5 sowie den geneigten Abschnitt gemäß Merkmal 1.4.1 erzeugt wird, bleibt die konkrete Ausgestaltung dem Fachmann überlassen. Für die Ausführung der Führungsfunktion reicht es nach der Beschreibung nämlich aus, dass der Leitereinführungsbereich (30) „zumindest abschnittsweise trichterförmig“ ausgebildet ist ([0024]).
Nach diesem Merkmal muss der schräge Bereich zudem gegen einen Leiter geneigt ausgeführt werden, wenn ein solcher eingesteckt ist. Im Zusammenhang mit der zu erzielenden Trichterform bedeutet „gegen“, dass der Leiter durch den schrägen Bereich der Gehäuseinnenwandung in Richtung (also zur) Klemmstelle geführt werden kann.
II. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch.
1. Zu Recht streiten die Parteien nicht um die Benutzung der Merkmale 1 bis 1.4, 1.4.2 und 1.4.3. Diese werden von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht.
2. Die angegriffene Ausführungsform macht auch von Merkmal 1.4.1 Gebrauch. Denn der Kontaktboden ist bei der angegriffenen Ausführungsform in diesem Sinn ansteigend geneigt ausgeführt.
Wird bei der angegriffenen Ausführungsform ein Leiter durch die Leitereinführungsöffnung in die Klemme eingeführt, trifft er auf den ansteigend geneigten Bereich des Kontaktbodens und wird zur Klemmstelle geführt. An der Führung des Leiters ändert sich dadurch nichts, dass sich die Neigung des Kontaktbodens bei den Verletzungsgegenständen nicht bis zur Klemmstelle erstreckt. Der Leiter wird beim Auftreffen auf die Neigung ein Stück nach oben geführt und folgt stetig dieser Richtung. Dieser Anstieg im Kontaktboden, den die Antragsgegnerin mit „Stufe“ bezeichnet, erfüllt den Zweck, den Leiter zu führen bzw. führen zu können.
3. Gleichfalls macht die angegriffene Ausführungsform von Merkmal 1.5 Gebrauch.
Die angegriffene Ausführungsform besitzt einen „schrägen Bereich“ des Isolierstoffgehäuses. Jedenfalls wenn der Leiter, der selbst kein Teil der beanspruchten Vorrichtung ist, horizontal in die Klemme eingeführt wird, ist der schräge Bereich der Gehäuseinnenwandung gegen einen eingesteckten Leiter geneigt.
Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund folgender, von der Antragstellerin vorgelegten Zeichnung fest, die einen horizontal eingeführten Leiter zeigt:
Insofern ist der Leitereinführungsbereich zumindest zu einem erheblichen Teil trichterförmig ausgestaltet und eine sichere Leiterführung kann mit dem ansteigend geneigten Abschnitt des Kontaktbodens, dem nach unten geneigten Bereich der Gehäuseinnenwandung und den Blattfedern gewährleistet werden.
III. Das Unterlassungsgebot erfasst die Verpflichtung zum Rückruf.
Die Antragsgegnerin ist nicht lediglich zum Unterlassen verpflichtet, sondern auch zum Handeln gegenüber den Abnehmern. Insofern hat die Antragstellerin klargestellt, dass neben der Unterlassung auch eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt werde, gegenüber Empfängern von verletzenden Ausführungsformen einen späteren Rückruf vorzubereiten (Protokoll Seite 2 = Bl. 182 d. A.)
B.
Der erforderliche Verfügungsgrund liegt ebenfalls vor. In zeitlicher Hinsicht besteht Dringlichkeit. Außerdem ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents nach der Überzeugung der Kammer hinreichend gesichert und auch nach Abwägung sämtlicher Interessen besteht der Verfügungsgrund.
I. Der Antrag besitzt die erforderliche zeitliche Dringlichkeit. Die Monatsfrist hat die Antragstellerin eingehalten.
Die Veröffentlichung der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung des Verfügungspatents hat am 8. Mai 2019 stattgefunden. Da die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 13. Mai 2019 gestellt hat, ist die Monatsfrist eingehalten.
Es kann offen bleiben, ob die Antragstellerin, wie die Antragsgegnerin meint, bereits binnen eines Monats nach Kenntnis der Bekanntgabe über die bevorstehende Eintragung des parallelen Gebrauchsmusters, also am 11. April 2019, den Verfügungsantrag hätte stellen müssen, weil auch in diesem Fall der Verfügungsantrag rechtzeitig gestellt worden ist. Da der 11. Mai 2019 ein Samstag gewesen ist, endete die Monatsfrist am 13. Mai 2019, also an dem Tag, an dem der Verfügungsantrag bei Gericht eingegangen ist.
II. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert.
1. Nach ständiger Rechtsprechung im Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgerichts München setzt der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitsachen nicht voraus, dass das Verfügungspatent bereits ein kontradiktorisches Verfahren durchlaufen hat, um von einem gesicherten Rechtsbestand ausgehen zu können (vgl. OLG München, Urteil vom 26. Juli 2012 – 6 U 1260/12, BeckRs 2012, 16104). Der Antragsteller trägt im Verfügungsverfahren grundsätzlich die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast dafür, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend gesichert ist. Hierfür ist allerdings erforderlich, dass der Antragsgegner den Rechtsbestand des Verfügungspatents hinreichend substantiiert in Abrede stellt.
2. Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Einwendungen begründen nach Auffassung der Kammer keinen Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents.
a) Es liegt keine unzulässige Erweiterung vor, weil die hier gegenständliche Erfindung ursprungsoffenbart ist.
aa) Sie ist in der Stammanmeldung (Anlage HL7) als eine eigenständige technische Lehre beschrieben. Die Stammanmeldung offenbart zwei selbständige und somit voneinander trennbare Erfindungen: Zum einen den trichterförmigen Leitereinführungsbereich [0018 ff. sowie Figuren] und zum anderen die Betätigungsvorrichtung (vor allem [0005] bis [0009]). Dem Fachmann wird eine Vorrichtung erläutert, die mehrere Elemente umfassen kann. Es wird beschrieben, warum das eine Element in Bezug auf eine bestimmte Lösung eines Problems und das andere Element in Bezug auf die Lösung eines anderen Problems vorteilhaft ist. Das Europäische Patentamt hat diese Anmeldung dementsprechend auf Antrag geteilt, nachdem es die Voraussetzungen von Art. 76 EPÜ geprüft und als erfüllt angenommen. hat Anders als die Antragsgegnerin meint, steht dem nicht entgegen, dass eine Anschlussklemme ohne Betätigungsvorrichtung nicht funktionsfähig wäre. Der Fachmann versteht den Offenbarungsgehalt so, dass er diese zwei Elemente (zwei Erfindungen) miteinander kombinieren kann, aber nicht kombinieren muss. Einen solchen Offenbarungsgehalt, dass beide Lehren sachlich zusammengehören, kann die Kammer der Stammanmeldung nicht entnehmen, weil beide Lehren als solche technisch jedenfalls nicht untrennbar miteinander verknüpft sind.
Gleichfalls weist die Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 14. Februar 2017 (Anlage ASt16) im Zusammenhang mit der Anmeldung vom 9. März 2011 (Anlage HL19) und dem Schreiben der patentanwaltlichen Vertreter der Antragstellerin an das Amt vom 27. September 2017 (Anlage ASt17) entgegen dem Verständnis der Antragsgegnerin in keine andere Richtung. Denn bereits aus der Anmeldung vom 9. März 2011 (Anlage HL19) ergibt sich, dass die Antragstellerin von zwei Erfindungen ausgegangen ist (Seite 2, Zeilen 26 ff. und Seite 3, Zeilen 26 ff.) und dass sie entgegen der Annahme der Antragsgegnerin gegenüber dem Prüfer keinen falschen Eindruck erzeugt hat. Sofern der Prüfer in seiner Mitteilung vom 14. Februar 2017 (Anlage ASt16, dort auf Seite 1 Abs. 2) auf die Anmeldung der Antragstellerin und insbesondere auf Seite 2 Zeilen 26 bis 30 verweist, handelt es sich nach Auffassung der Kammer um einen Tippfehler. Gemeint ist Seite 3. Dies ergibt in der Sache Sinn und auf Seite 3 der Anmeldung sind die Zeilen 26 bis 30 vorhanden. Auf Seite 2 gibt es hingegen lediglich 29 Zeilen. Jedenfalls folgt aus dem Vortrag der Antragsgegnerin und den vorgelegten Unterlagen für die Kammer nicht, dass das Europäische Patentamt die Teilung der Stammanmeldung zu Unrecht vorgenommen hat.
bb) Der Gegenstand der Merkmale 1.4.1 und 1.5 ist ebenfalls ursprungsoffenbart.
Dies ergibt sich besonders aus den Figuren der Stammanmeldung, die mit denen des Verfügungspatents übereinstimmen. Auch die breitere Formulierung des Anspruchs ist hier zulässig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich eine unzulässige Erweiterung nicht bereits dadurch, dass die ursprünglich in [0019] beschriebenen Blattfedern und die Angabe des „umfangsseitig vollständig geschlossen Seins“ als Merkmale so nicht im Anspruch enthalten sind.
Die beanspruchte Merkmalskombination ist bereits in der Anmeldung als zur Erfindung gehörig offenbart. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind Verallgemeinerungen erlaubt. Grundsätzlich braucht der Anmelder nicht sämtliche Merkmale, die ein (ggf. auch bloß in den Figuren gezeigtes) Ausführungsbeispiel aufweist, in den geänderten Anspruch aufzunehmen, sondern er kann sich auf einzelne beschränken. Der Fachmann versteht in der Regel diese Merkmale so, dass er sie einzeln miteinander kombinieren kann, aber nicht muss. Insofern wird vom Fachmann im Streitfall eine Merkmalskombination beansprucht, die er der Anmeldung als zur Erfindung gehörig entnehmen kann.
Der Kontaktrahmen ist in Merkmal 1.3 definiert und Merkmal 1.5 verlangt, dass der „geneigt ausgeführte Abschnitt des Kontaktbodens“ und der „schräge Bereich“ der Gehäuseinnenwandung einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich bilden. Das schließt entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht aus, dass weitere Elemente (beispielsweise die Blattfedern) Teil des Leitereinführungsbereichs sind. Auch das Merkmal „gegenüberliegend“ wird im Sinne von Merkmal 1.5 in den Zeichnungen (Figuren 5a und 5b) sowie in der Beschreibung ([0021]) ursprungsoffenbart. Insofern entnimmt der Fachmann der Zusammensetzung der elektrischen Anschlussklemme aus Gehäuse und Kontaktrahmen, dass eine seitliche Begrenzung gegeben ist. Es ergibt sich für ihn aber nicht zwingend, ob diese Begrenzung durch feste Wände oder durch Bereiche einer Blattfeder verwirklicht werden muss.
b) Der Gegenstand des Verfügungspatents ist neu gegenüber dem Gegenstand der (deutschen) Offenlegungsschrift 39 10 937 (Anlage HL9).
Diese betrifft aneinander reihbare Anschlussklemmen für Leiterplatten. Eine solche Klemme kann Figur 1 entnommen werden.
Merkmal 1.5 wird nicht neuheitsschädlich vorweggenommen.
Es fehlt am schrägen Bereich der Gehäuseinnenwandung des Isolierstoffgehäuses, der gegenüberliegend zum geneigt ausgeführten Abschnitt des bereits nicht vorhandenen Kontaktbodens einen schrägen Bereich aufweist, der gegen einen Leiter, wenn eingesteckt, geneigt ausgeführt ist und einen trichterförmigen Leitereinführungsbereich bildet. Denn in der Entgegenhaltung kann der Leitereinführungsbereich lediglich durch das Gehäuse gebildet werden und nicht durch die Käfigzugfeder (10) oder die Stromschiene (9), die sich erst hinter diesem Bereich befinden.
c) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Verfügungspatents beruht auf erfinderischer Tätigkeit.
Der Fachmann hatte entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin keine Veranlassung, von der (deutschen) Offenlegungsschrift 10 2005 048 972 A1 (Anlage HL10) oder von der europäischen Patentanmeldung 65 357 (Anlage HL11) zur verfügungspatentgemäßen Lehre zu gelangen.
aa) Die Offenlegungsschrift HL10 offenbart eine Federkraftklemme mit Klemmfeder und Strombalken. Eine bevorzugte Ausführungsform ergibt sich aus den Figuren 1 und 2.
Die offenbarte Klemmfeder (8) ist kein verfügungspatentgemäßer Kontaktrahmen. Denn die Klemmfeder fungiert lediglich als Federelement, das den Leiter (4) gegen den Strombalken (9) drückt. Insofern bildet sie selbst keinen elektrischen Kontakt aus und weist auch keinen Kontaktboden auf. Ob der Strombalken (9) ein verfügungspatentgemäßer Kontaktrahmen mit einem Kontaktboden sein könnte, braucht nicht entschieden zu werden. Denn dieser ist jedenfalls nicht aus der Fläche eines ebenen Metallteils herausgestellt. Beide Strombalkenschenkel (9.1) und (9.2) sind eben.
Die Antragsgegnerin hat nicht dargetan, welche Veranlassung der Fachmann gehabt haben soll, die offenbarte Federkraftklemme mit Klemmfeder und Strombalken in Richtung des verfügungspatentgemäßen Gegenstands abzuändern. Besonders ergeben sich aus der HL10 keine Hinweise oder Anregungen, Verbesserungen an der Kontaktierung in Angriff zu nehmen und die offenbarte Vorrichtung an mehreren Stellen umzugestalten.
bb) Die Anmeldeschrift HL11 offenbart einen „low insertion force connector“.
Eine bevorzugte Ausführungsform ergibt sich aus Figuren 2 und 3.
Zwischen den Parteien ist zu Recht unstreitig, dass (jedenfalls) die Merkmale 1.4.2 und 1.4.3 nicht offenbart sind. Es besteht aber für den Fachmann kein Anlass, diese in Richtung der verfügungspatentgemäßen technischen Lehre abzuändern. Insofern fehlt es in der HL11 an jeglichen Hinweisen oder Anregungen.
III. Auch unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ist der Verfügungsgrund gegeben.
Die Antragsgegnerin ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und damit deren Anspruch auf rechtliches Gehör beachtet worden.
Im Übrigen sind das von der Antragsgegnerin behauptete zögerliche Verhalten der Antragstellerin in Bezug auf Verfahren vor dem Landgericht Mannheim und Oberlandesgericht Karlsruhe aus Rechtsgründen nicht geeignet, den Verfügungsgrund entfallen zu lassen. Insofern ist hier ein anderer Streitgegenstand betroffen, der grundsätzlich losgelöst von dem Verhalten der Antragstellerin in diesen Verfahren beurteilt werden muss.
Schließlich vermag die Kammer auch keine Überrumpelung der Antragsgegnerin mit diesem Verfügungspatent und -antrag zu erkennen, deren Folgen ggf. nach Treu und Glauben abzuschwächen sein könnten. Da die Parteien Mitbewerber sind und seit Jahren gerichtlich Konflikte austragen, dürfte die Antragsgegner erst recht gehalten gewesen sein, Patenterteilungen zugunsten der Antragstellerin zu beobachten und ihr Verhalten insofern darauf einzurichten. Wenn sie das nicht gemacht hat oder ihr dieses Verfügungspatent oder dessen Schutzbereich nicht bewusst gewesen sind, kann eine Unterlassungsverfügung jedenfalls kein für sie schlechterdings untragbares Ergebnis begründen und den Verfügungsgrund entfallen zu lassen.
2. Teil
Der Verfügungsgrund für den geltend gemachten Sequestrationsanspruch besteht entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht.
Ein diesen Anspruch begründendes hinreichendes Sicherungsbedürfnis hat die Antragstellerin nicht dargetan. Die Sequestration setzt eine besonders sorgfältige Abwägung der Interessen der Parteien voraus. Dass die Antragsgegnerin die angegriffenen Ausführungsformen beiseiteschaffen könnte, weil es sich um „flüchtige Waren“ handeln soll, kann als zutreffend unterstellt werden. Dies begründet aber kein Überwiegen der Interessen der Antragstellerin, weil diese bereits durch das Unterlassungsgebot und den darin enthaltenen Rückruf hinreichend gesichert ist. Ein weiterreichendes Sicherungsbedürfnis braucht nach Überzeugung der Kammer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht ausgesprochen zu werden.
3. Teil
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 91, 92 ZPO.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer ist auch bei Verfügungsverfahren grundsätzlich eine Sicherheitsleistung auszusprechen. Diese orientiert sich aus praktischen Gesichtspunkten an der Höhe des Streitwerts, falls keine anderen Erkenntnisse für die Höhe eines eventuellen Schadensersatzanspruchs der Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin aus § 945 ZPO vorliegen, so wie es hier der Fall ist.


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