Europarecht

Verpflichtungsklage auf nachträglichen Erlass naturschutzrechtlicher Anordnungen (Nebenbestimmungen) zu bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Windkraftanlagen, Klagebefugnis eines Umweltverbands, Eingriff in den Kerngehalt immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen, Naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative

Aktenzeichen  Au 9 K 18.1392

Datum:
29.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10574
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
UmwRG § 1
BNatSchG § 3 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Soweit man den Klageantrag in Zusammenschau mit der hierzu erfolgten Klagebegründung vom 30. August 2019, dem ergänzenden Schriftsatz vom 23. März 2021 und den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend auslegt, dass der Kläger die Ergänzung der bestandskräftig gewordenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen um Nebenbestimmungen zum Schutz von Milan-Schlafplätzen im Zeitraum von Mitte August bis Mitte November insbesondere auch durch längere Abschaltzeiten begehrt, ist Klage zulässig. Insbesondere besteht für den Kläger als anerkannte Vereinigung im Sinn von § 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) eine Klagebefugnis bzw. ein Klagerecht aus § 1 Abs. 1Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Satz 2 und § 2 UmwRG.
2. Der Anwendungsbereich für eine Klage des Klägers, gestützt auf die Normen des UmwRG ist vorliegend eröffnet. Seit der Novelle des UmwRG 2017 erlaubt § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Satz 2 UmwRG generell Klagen, die darauf abzielen, behördliche „Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5“ zu erreichen, sofern es Ziel der Maßnahmen ist, die Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zu gewährleisten oder zu fördern. In § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG wird dabei vorausgesetzt, dass bereits eine Entscheidung i.S. der Nrn. 1 bis 5 getroffen wurde und es um deren Überwachung oder Durchsetzung mit Hilfe eines Verwaltungsakts (Art. 35 BayVwVfG) geht. Dies ist vorliegend mit den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen des Beklagten für die streitgegenständlichen Windkraftanlagen vom 21. Januar 2014 der Fall. Damit erfasst § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Satz 2 UmwRG auch Klagen auf behördliches Einschreiten gegen Vorhaben, die nach Auffassung der klagenden Vereinigung in rechtswidriger Weise verwirklicht werden (vgl. hierzu Bunge, Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2019, § 1 Rn. 170, 171; Schieferdecker in Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG, UmwRG, Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 1 UmwRG Rn. 42; Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Kommentar, Stand: August 2020, § 1 UmwRG Rn. 118, 129). Der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG verwendete Begriff der Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen ist hierbei weit zu verstehen. Er erfasst insbesondere die vorliegend in Streit stehende artenschutzrechtliche Eigenüberwachung von genehmigten Anlagen gemäß § 3 Abs. 2 BNatSchG (Fellenberg/Schiller in Landmann/Rohmer, a.a.O., § 1 UmwRG Rn. 11, Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Kommentar, 3. Aufl. 2021, § 64 Rn. 22). Nach dieser Vorschrift überwachen die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
Auch die weitergehende Vorschrift des § 2 UmwRG eröffnet vorliegend eine Klagemöglichkeit für den Kläger. Nach § 2 Abs. 1 UmwRG kann eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen u.a. einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1) und geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2). Bei Rechtsbehelfen gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder gegen deren Unterlassen muss die Vereinigung zudem die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen (Satz 2). Dies ist hier mit dem Begehren des Klägers im Hinblick auf die naturschutzrechtliche Überwachung der streitgegenständlichen Windkraftanlagen aus § 3 Abs. 2 BNatSchG zweifellos erfüllt.
Da mithin eine Klagebefugnis des Klägers ohne Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung bereits aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Satz 2, § 2 Abs. 1 UmwRG besteht, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob für den Kläger auch die Voraussetzungen einer naturschutzrechtlichen Verbandsklage aus § 64 BNatSchG gegeben sind.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 UmwRG ist ein Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG nur begründet, soweit die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind (Nr. 1), oder die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind (Nr. 2), und der Verstoß Belange berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der Kläger hat nach § 3 Abs. 2 BNatSchG keinen Anspruch auf Erlass nachträglicher Nebenbestimmungen zum Schutz der Population von Rot- bzw. Schwarzmilanen. Der Bescheid des Beklagten vom 3. August 2018 ist daher rechtmäßig. Der Vortrag des Klägers im Klagebegründungsschriftsatz vom 30. August 2019 bzw. 23. März 2021 konnte dabei zugunsten des Klägers umfassend Berücksichtigung finden. Eine innerprozessuale Präklusion nach § 6 UmwRG (vgl. hierzu Winkler in Hoppe/Beckmann/Kment, a.a.O., § 6 UmwRG Rn. 10; Schlacke, NVwZ 2017, 905 (911)) erachtet das Gericht nicht für gegeben, da es nach dem in § 6 Satz 3 UmwRG entsprechend anwendbaren § 87b Abs. 3 Satz 3 VwGO jedenfalls mit geringem Aufwand möglich war, den Sachverhalt zu ermitteln.
a) Nach § 3 Abs. 2 BNatSchG kann der Beklagte als Träger der sachlich und örtlich zuständigen unteren Naturschutzbehörde im Rahmen der ihm obliegenden Überwachung naturschutzrechtlicher Vorschriften nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall zur Einhaltung dieser Vorschriften erforderlichen Maßnahmen treffen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Hierzu zählt auch die Überwachung der Einhaltung des in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG für wildlebende, besonders geschützte Arten normierten Tötungsverbots. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören.
Unter den Status der besonders geschützten Arten fallen gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 13 BNatSchG Tier- und Pflanzenarten, die im Anhang A oder Anhang B der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels (ABl. L 61 vom 3. März 1997, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 709/2010 (ABl. L 212 vom 12. August 2010, S. 1) geändert worden ist, genannt bzw. die als streng geschützten Arten im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 14 BNatSchG per se besonders geschützte Arten sind, Tier- und Pflanzenarten, die in Anhang IV der RL 92/43/EWG Erwähnung finden, europäische Vogelarten, sowie Tier- und Pflanzenarten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 1 BNatSchG aufgeführt sind. Bei den in Anhang I der RL 79/409/EWG, geändert durch RL 2009/147/EG aufgeführten Arten Rot- und Schwarzmilan, handelt es sich um besonders geschützte Arten nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. b) bb) BNatSchG.
b) Damit ist zwar der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich eröffnet, aber noch keine Aussage darüber getroffen, ob der Kläger den von ihm begehrten Anspruch auf Ergänzung der bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für die streitgegenständlichen Windkraftanlagen in Form betriebseinschränkender Nebenbestimmungen besitzt.
Um nicht in Konflikt mit dem Regelungsgehalt der zuvor erteilten, fortbestehenden bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen und ihrer Legalisierungswirkung (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2008 – 7 C 48.07 – juris Rn. 27) zu geraten, ist im Wege der systematischen Auslegung eine Einschränkung in zweifacher Hinsicht geboten: Erstens sind Maßnahmen auf der Grundlage von § 3 Abs. 2 BNatSchG ausgeschlossen, die einer (Teil-)Aufhebung oder Änderung einer zuvor erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gleichkommen. Die Befugnisse der naturschutzrechtlichen Fachbehörde enden nämlich dort, wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung oder Abänderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung voraussetzen würde (vgl. Seibert in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, a.a.O., § 13 BImSchG Rn. 119; OVG SA, B.v. 9.11.2016 – 2 L 112/14 – juris Rn. 63; VG Würzburg, U.v. 22.1.2019 – W 4 K 17.987 – NuR 2019, 575 f. = juris Rn. 45). Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die erforderlichen Anordnungen die (bestandskräftigen) immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen „einschränken“ oder diese unberührt lassen. Kommt die begehrte Anordnung einer (Teil-)Aufhebung oder wesentlichen Änderung einer zuvor erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gleich, so fallen derartige Regelungen gestützt auf Art. 48 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) (Teil-Rücknahme) bzw. des § 21 BImSchG (Widerruf) ausschließlich in die Kompetenz der Immissionsschutzbehörde (vgl. Jarass, BImSchG, Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 13 Rn. 25; NdsOVG, U.v. 13.3.2019 – 12 LB 125/18 – NuR 2019, 335 ff. = juris Rn. 40). Die Anwendung des § 3 Abs. 2 BNatSchG ist zweitens auf ein Einschreiten wegen nachträglich eingetretener veränderter Umstände beschränkt, weil die immissionsschutzrechtliche Genehmigung die Feststellung enthält, dass im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung (§§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) die Errichtung und der Betrieb der Anlage den öffentlich-rechtlichen, d.h. auch den naturschutzrechtlichen Vorschriften entsprochen hat (vgl. Seibert in Landmann/Rohmer, a.a.O., § 13 BImSchG, Rn. 122 f.).
Vorliegend spricht vieles dafür, dass bereits der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 BNatSchG durch die Vorschrift des § 21 BImSchG über den Widerruf der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung verschlossen ist. Für die Frage, ob eine Maßnahme, mit der – wie hier – nachträglich Betriebszeiten eingeschränkt werden sollen, als (Teil-)Widerruf zu qualifizieren ist, sind wiederum zwei Kriterien maßgeblich: Zum einen ist darauf abzustellen, ob sich die Maßnahme bei Genehmigungserteilung als inhaltliche Einschränkung bzw. Teilversagung der Genehmigung und nicht lediglich als Nebenbestimmung dargestellt hätte (vgl. Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, a.a.O., § 21 BImSchG Rn. 32). Zum anderen ist maßgeblich, ob mit der behördlichen Maßnahme eine unverhältnismäßige (§ 17 Abs. 2 Satz 1 BmSchG) Einschränkung der Betriebszeiten, also ein Eingriff in den „Genehmigungskern“, verbunden ist (NdsOVG, U.v. 13.3.2019 – 12 LB 125/18 – juris Rn. 42 m.w.N.).
Soweit der Kläger auf Seite 10 seines Klagebegründungsschriftsatzes vom 30. August 2019 (Gerichtsakte Bl. 43 ff.) und im Schriftsatz vom 23. März 2021 wohl längerfristige zumindest temporäre Abschaltzeiten der Windkraftanlage zum Schutz der beeinträchtigten Vogelarten begehrt – in der mündlichen Verhandlung wurden zuletzt zum Schutz von Schlafplätzen naturschutzrechtliche Anordnungen für den Zeitraum Mitte August bis Anfang November eines Jahres beantragt – greifen die begehrten Regelungen wesentlich in den Inhalt der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen ein. Das Begehren entspricht nicht mehr lediglich einer zulässigen Ergänzung durch Nebenbestimmungen, sondern kommt vielmehr einem (Teil-)Widerruf der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG gleich. Greift aber eine Anordnung in den „Genehmigungskern“ ein, sind die Eingriffsinstrumente des BImSchG (§§ 17, 20, 21 BImSchG) als abschließend zu betrachten, sodass der Eingriff unzulässig ist, wenn nicht wenigstens die Tatbestandsmerkmale einer der genannten Ermächtigungsgrundlagen erfüllt sind. Dies folgt daraus, dass die ursprünglich erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung die für sämtliche Behörden bindende Feststellung der Legalität der Anlagen enthält. Die Feststellungswirkung der Genehmigung reicht soweit, als die Konformität mit der Rechtsordnung im Genehmigungsverfahren zu prüfen war oder geprüft wurde. Nachträgliche Eingriffe in die Genehmigung sind damit nur unter den Voraussetzungen der §§ 17, 20, 21 BImSchG bzw. Art. 48 BayVwVfG zulässig, die ihrerseits auch Regelungen zum Vertrauensschutz des Anlagenbetreibers enthalten. Diese gesetzliche Konzeption ausgehend von § 13 BImSchG kann jedenfalls nicht durch eine großzügige Handhabung der Vorschrift des § 3 Abs. 2 BNatSchG in Umgehung der §§ 17, 20, 21 BImSchG erfolgen (vgl. hierzu und auch zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Bedenken Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165).
c) Selbst wenn das Begehren des Klägers auf die Ergänzung zulässiger Nebenbestimmungen zu werten ist, bliebe er ohne Erfolg, da die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 3 Abs. 2 BNatSchG nicht vorliegen.
Es bereits nicht ersichtlich, dass der genehmigte uneingeschränkte Betrieb der Windenergieanlagen gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstößt, wonach es u.a. verboten ist, wildlebende Tiere der besonders geschützten Arten zu verletzen oder zu töten. Da das Tötungsverbot individuenbezogen zu verstehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.7.2008 – 9 A 14.07 – juris Rn. 91), ist nicht darauf abzustellen, ob durch den Anlagenbetrieb die Population der Rot- bzw. Schwarzmilane insgesamt gefährdet wird. Der Verbotstatbestand ist allerdings nicht immer schon dann erfüllt, wenn einzelne Exemplare besonders geschützter Arten trotz aller Vermeidungsmaßnahmen durch Kollisionen mit Windenergieanlagen geschädigt oder getötet werden. Derartige Schäden müssen als unvermeidlich ebenso hingenommen werden wie Verluste im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 9 A 10.15 – juris Rn. 141). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das artenschutzrechtliche Tötungsverbot erst dann erfüllt, wenn sich das Risiko des Erfolgseintritts durch das Vorhaben in signifikanter Weise erhöht.
Ob ein signifikant erhöhtes Risiko für artengeschützte Tiere vorliegt, hängt von den Ergebnissen der den konkreten Standort betreffenden naturschutzfachlichen Erhebungen einerseits und dem allgemeinen Gefährdungspotenzial solcher Anlagen mit Blick auf die spezifischen Arten andererseits ab (vgl. OVG NW, U.v. 30.7.2009 – 8 A 2357/08 – juris Rn. 149). Die untere Naturschutzbehörde des Beklagten hat am 28. Juni 2018 (Verfahrensakte Bl. 531) die Einschätzung getroffen, dass das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos, das die Unzulässigkeit der genehmigten Windkraftanlagen belegen könnte und die Möglichkeit zur Anordnung von Betriebseinschränkungen eröffnen würde, nicht gegeben ist. Dieses ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der jeweiligen Genehmigungsbehörde ist bei der Prüfung, ob der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand erfüllt ist, ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dabei bezieht sich die behördliche Einschätzungsprärogative sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 4 C 1.12 – juris Rn. 14). Diese naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative besteht auch bei einem nachträglichen Einschreiten der Behörde auf Grundlage des BNatSchG (vgl. NdsOVG, U.v. 13.3.2019 – 12 LB 125/18 – NuR 2019, 335 ff. = juris Rn. 60).
Grund für die Zuerkennung einer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist der Umstand, dass es im Bereich des Naturschutzes regelmäßig um ökologische Bewertungen und Einschätzung geht, für die normkonkretisierende Maßstäbe fehlen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis angewiesen, die sich aber nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist. Bei zahlreichen Fragestellungen steht vertretbar naturschutzfachliche Einschätzung gegen naturschutzfachliche Einschätzung, ohne dass sich eine gesicherte Erkenntnislage und anerkannte Standards herauskristallisiert hätten. Sind verschiedene Methoden wissenschaftlich vertretbar, so bleibt die Wahl der Methode der Behörde überlassen (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 4 C 1.12 – juris Rn. 15). Diese sachlichen Unsicherheiten bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Verbot in § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG durch die Behörde bestehen gleichermaßen im Kontext eines naturschutzrechtlichen Einschreitens der Behörde nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens. Die Einschätzungsprärogative bezieht sich damit auch auf das Vorliegen des Tatbestandes des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (NdsOVG, U.v. 13.3.2019 – 12 LB 125/18 – NuR 2019, 335 ff., juris Rn. 62).
Dies zugrunde gelegt ist die naturschutzfachliche Einschätzung des Beklagten vom 28. Juni 2018 nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung, dass die Population von Rot- und Schwarzmilanen im Bereich der genehmigten Anlagen (Naturschutzgebiet „…“) bereits im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren hinreichende Berücksichtigung gefunden hat. Im Vorfeld des mit der Klage angegriffenen Bescheids wurde nochmals eine naturschutzfachliche Einschätzung des Tötungsrisikos für die geschützten Arten Rot- bzw. Schwarzmilan vorgenommen. Der Beklagte ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass die bis zum Genehmigungserlass und auch zeitlich nachfolgend bekanntgewordenen Tatsachen in Bezug auf geschützte Vogelpopulationen kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko belegen. Diese Einschätzung ist in Ausübung der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative des Beklagte zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ergangen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass sich ein signifikantes Tötungsrisiko bislang auch offensichtlich trotz des bereits mehr als sechsjährigen Betriebs der Anlagen nicht manifestiert hat. Die vom Kläger im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten Dokumentationen beschränken sich auf das Vorhandensein größerer Greifvogelpopulationen im Nahbereich der Anlagen. Solche werden auch vom Beklagten nicht bestritten. Belege dafür, dass es innerhalb der Population zu nennenswertem Vogelschlag gekommen ist, bleibt der Kläger jedoch schuldig. Der letzte dokumentierte Vogelschlag geht offensichtlich auf Vorfälle im Mai 2015 zurück. Auch der Landesbund für Vogelschutz (LBV) hat noch unter dem 24. August 2019 (Gerichtsakte Bl. 126) ausgeführt, dass die Schwarzmilane im betroffenen Gebiet gut etabliert seien und auch die Rotmilanpopulation nach wie vor hoch sei. Die bekannten Schlaf- und Sammelplätze würden im Sommer/Herbst weiterhin unverändert aufgesucht. Dies zugrunde gelegt lässt das unbestrittene Vorhandensein der Vogelpopulationen im betroffenen Gebiet nicht schon den Schluss zu, dass die Tiere einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt wären. Die hierfür erforderlichen Belege im Einzelfall wurden jedenfalls bereits von Klägerseite nicht erbracht.
Auch der im Nachgang zum streitgegenständlichen Bescheid bekannt gewordene Rotmilanhorst am Südende des Naturschutzgebietes „…“ rechtfertigt unter Berücksichtigung des im Klageverfahren maßgeblichen Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 26. Aufl. 2020, § 113 Rn. 217) kein anderes Ergebnis. Der vorbezeichnete Rotmilanhorst befindet sich, was unbestritten geblieben ist, im Abstand von 1.550 m zur Windkraftanlage 1. Damit ist aber der in Anlage 3 Spalte 2 der Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (Windenergie-Erlass – BayWEE) vom 19. Juli 2016 für Rotmilane (Abstand Brutplatz zur WEA 1.500 m) geforderte Abstand bereits überschritten, sodass schon deshalb davon ausgegangen werden kann, dass kein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht (Nr. 8.4.1 Umgang mit Vogelarten – Abschichtung und Untersuchungsumfang des BayWEE). Die in Anlage 3 Spalte 2 angegebenen Abstände beschreiben die von der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten empfohlenen Abstände von Windenergieanlagen zu Brutplätzen bzw. zu Kolonien von Arten, deren Hauptverbreitungsgebiete auch in Bayern liegen. Für den Fall, dass die in Anlage 3 Spalte 2 genannten Abstände für die jeweilige Art überschritten werden, ist davon ausgehen, dass kein signifikant erhöhtes Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht. Lediglich für den Fall, dass die Abstände unterschritten werden, ist eine weitergehende nähere Betrachtung erforderlich. Aber auch allein aus der Unterschreitung des Abstandes zu einer geplanten Windenergieanlage kann nicht per se ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko hergeleitet werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2014 – 22 B 14.1079 – juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – juris Rn. 50).
Da bereits kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko infolge des Betriebs der Windkraftanlagen belegt ist, liegt bezüglich des Erlasses der vom Kläger begehrten naturschutzrechtlichen Nebenbestimmungen eine Ermessensreduktion auf Null zu Gunsten des Klägers, die allein einen Erfolg der Klage begründen könnte, nicht vor.
Da nach den vorhandenen Erkenntnissen bei der Ablehnung des klägerischen Antrags im streitgegenständlichen Bescheid vom 3. August 2018 auch keine beachtlichen Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO vorliegen, besitzt der Kläger auch keinen Anspruch auf Neuverbescheidung im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
3. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, da diese sich mit ihrer Antragstellung im Verfahren einem Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Insoweit entspricht es der Billigkeit, die außergerichtlich entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit in Bezug auf die Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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