Europarecht

Vertrags(zahn) arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 65/19

Datum:
13.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2284
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 41 Abs. 1, § 106 Abs. 5 S. 8, § 106c Abs. 3 S. 6
SGG § 138, § 197a

 

Leitsatz

1. Hat sich der Beschwerdeausschuss mit dem Antrag der Klägerin befasst, weil vorausgehend die Prüfungsstelle einen Antrag nach § 21 Prüfvereinbarung annahm, steht einer Verurteilung des Beschwerdeausschusses die Vorschrift des § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V (a.F.) bzw. § 106c Abs. 3 S. 6 SGB V (n.F.) auch bei einer Prüfung nach § 24 Prüfvereinbarung nicht entgegen. (Rn. 16 – 17)
2. Werden bei einer Heilmittel-Verordnung elementare Grundsätze der Heilmittel-Richtlinie verletzt, handelt es sich nicht um eine unwirtschaftliche, sondern vielmehr um eine unzulässige Verordnung (Abgrenzung § 21 Prüfungsvereinbarung Bayern und § 24 Prüfungsvereinbarung Bayern). (Rn. 24 und 26)

Tenor

I. Der Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 23.01.2019 (Quartale 4/15 bis 2/16) wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, erneut über den Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet. Es handelt sich um eine Anfechtungsund Verbescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Das Gericht hat unmittelbar nach Urteilsverkündung erwogen, eine Berichtigung nach § 138 SGG vorzunehmen. Dies wurde den Beteiligten auch so mitgeteilt, die dagegen keine rechtlichen Bedenken vorbrachten. Hintergrund war, dass der beklagte Berufungsausschuss antragsgemäß verurteilt wurde, obwohl er für eine Entscheidung nach § 24 Prüfvereinbarung (PV) nicht zuständig ist, sondern vielmehr die Prüfungsstelle. Dagegen ist in Verfahren nach § 21 Prüfvereinbarung (PV) eine zweistufige Prüfung zunächst unter Befassung der Prüfungsstelle und nach Widerspruch unter Befassung des Beschwerdeausschlusses vorgesehen. Für eine Berichtigung nach § 138 SGG besteht aber nach Auffassung des Gerichts keine Veranlassung, da kein offensichtlicher Fehler vorliegt, der nach § 138 SGG zu korrigieren ist.
Es trifft zu, dass eine Einzelfallprüfung der Verordnungsweise nach § 21 PV zunächst von der Prüfungsstelle durchgeführt wird und nach Widerspruch der Beschwerdeausschuss zu befassen ist (§ 106 Abs. 5 S. 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.1999 (BGBl I S. 2626) bzw. § 106c Abs. 3 S. 1 SGB in der Fassung des Gesetzes vom 16.04.2015 (BGBl I S. 1211)). Dagegen findet die Prüfung unzulässiger Verordnungen nach § 24 Prüfvereinbarung statt. Hier gilt nach § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V (a.F.) bzw. nach § 106c Abs. 3 S. 6 SGB V (n.F.), dass eine Anrufung des Beschwerdeausschusses nicht erfolgt. Der Gesetzgeber ist der Auffassung, dass die Prüfung von Verordnungen, die nicht verordnungsfähig sind, relativ einfach darstellbar ist und es hierfür keines zweistufigen Verwaltungsverfahrens bedarf, während sich die Einzelfallprüfung der Verordnungsweise nach § 21 PV aufwendiger gestaltet und deshalb ein zweistufiges Verwaltungsverfahren einem Klageverfahren vorzuschalten ist.
Nachdem bereits die Prüfungsstelle den Antrag der Klägerin nicht als Antrag nach § 24 PV ansah und ihn in einen Antrag nach § 21 PV umdeutete, musste folgerichtig neben der Prüfungsstelle nach Widerspruch auch der Beschwerdeausschuss damit befasst werden. Dieser hat dann auch nach Widerspruch den Bescheid aus der Sitzung vom 24.10.2018 erlassen. Richtiger Beklagter ist somit der Beschwerdeausschuss und nicht die Prüfungsstelle. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist die Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Nur so erhält die Klägerin umfassenden Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz. Eine Klage nur gegen die die Entscheidung der Prüfungsstelle hätte zur Folge, dass bei einer stattgebenden Entscheidung der Bescheid des Beschwerdeausschusses bestandskräftig würde. Hat sich der Beschwerdeausschuss mit dem Antrag der Klägerin befasst, weil vorausgehend die Prüfungsstelle einen Antrag nach § 21 Prüfvereinbarung annahm, steht einer Verurteilung des Beschwerdeausschusses die Vorschrift des § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V (a.F.) bzw. § 106c Abs. 3 S. 6 SGB V (n.F.) auch bei einer Prüfung nach § 24 Prüfvereinbarung nicht entgegen. Dafür spricht auch, dass der Beschwerdeausschuss mit seiner Entscheidung das Verfahren an sich gezogen hat und „Herr“ des Verwaltungsverfahrens geworden ist. Schließlich sind auch Sinn und Zweck der Regelung des § 106 Abs. 5 S. 8 SGB V (a.F.) bzw. § 106c Abs. 3 S. 6 SGB V (n.F.) zu beachten. Die Vorschrift dient in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung, sodass eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses weder der Antrag stellenden Krankenkasse, noch dem von der Prüfung betroffenen Arzt zum Nachteil gereicht. Immerhin sind sowohl die Prüfungsstelle, als auch der Beschwerdeausschuss Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Der Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 23.01.2019 ist nach Auffassung des Gerichts rechtswidrig.
Denn die Klägerin hat ausdrücklich einen Antrag nach § 24 PV gestellt. Es ist bereits fraglich, ob die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss berechtigt waren, den Antrag in einen Antrag nach § 21 PV umzudeuten. Hierzu hätte es zumindest einer vorherigen Anhörung der Klägerin bedurft. Dieser formale Mangel könnte allerdings nach § 41 Abs. 1 SGB X nachträglich geheilt worden sein.
Letztendlich kommt es aber darauf nicht an. Die Begründetheit der Klage ist davon abhängig, ob die vom Beigeladenen zu 1 ausgestellten Verordnungen als unzulässig anzusehen sind (§ 24 PV), oder aber nur unwirtschaftliche Verordnungen vorliegen (§ 21 PV).
Der Beigeladene zu 1 hat mehrere Verordnungen für eine Stimmbandtherapie ausgestellt. Nach der Beklagtenakte fand erstmals eine Verordnung am 20.08.2015 (Therapiedauer: 45 Minuten; Verordnungsmenge: 10) statt. Dieser folgten die Verordnungen mit Datum vom 26.10.2015, 12.01.2016 und 02.05.2016. Gekennzeichnet wurden sämtliche Verordnungen als Folgeverordnungen. Als Diagnose wurde angegeben „Stimmentherapie bei Recurrens-Parese links; Z.n. Abtragung Stimmbandpolyps“. Die Verordnungsspalte „Medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des Regelfalls (Beiblatt)“ wurde nicht ausgefüllt.
Nach § 7 Abs. 1 Heilmittel-Richtlinie liegt den jeweiligen Abschnitten des Heilmittelkatalogs ein definierter Regelfall zugrunde. Dabei wird von der Vorstellung ausgegangen, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls das angestrebte Therapieziel erreicht werden kann. Bei Rezidiven und neuen Erkrankungsphasen kann ein neuer Regelfall ausgelöst werden, wobei Voraussetzung ist, dass nach der Heilmittelanwendung ein behandlungsfreies Intervall von zwölf Wochen abgelaufen ist (§ 7 Abs. 5 S.1 Heilmittel-Richtlinie). Für den Fall, dass sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkatalogs bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen lässt, sind nach § 8 Abs. 1 Heilmittel-Richtlinie weitere Verordnungen möglich. Es handelt sich hierbei um Verordnungen außerhalb des Regelfalls, die einer besonderen Begründung mit einer prognostischen Einschätzung bedürfen (§ 8 Abs. 1 S. 2 Heilmittel-Richtlinie) und bei denen eine weiterführende Diagnostik durchzuführen ist (§ 8 Abs. 3 Heilmittel-Richtlinie).
Unstrittig zwischen der Klägerin und dem Beklagten ist, dass der Beigeladene zu 1 die zulässige Gesamtverordnungsmenge (vgl. Heilmittelkatalog, II. Maßnahmen der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie 1.1.1) ausgeschöpft hat.
Der Wortlaut von § 24 Abs. 1 Prüfvereinbarung spricht davon, dass eine Krankenkasse … gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heiloder Hilfsmitteln, die von der Verordnung ausgeschlossen sind, … Erstattungsansprüche geltend machen kann. Eine unzulässige Verordnung von Heilmitteln liegt somit jedenfalls dann vor, wenn es sich um ein Heilmittel handelt, das im Heilmittelkatalog nicht aufgeführt ist. Bei der Stimmtherapie handelt es sich aber um ein Heilmittel, das im Heilmittelkatalog, II. Maßnahmen der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie 1.1.1 ausdrücklich genannt ist, sodass diese Therapie grundsätzlich als verordnungsfähig anzusehen ist. Eine solche Konstellation liegt hier zwar nicht vor.
Zu den elementaren Grundprinzipien der Heilmittel-Richtlinie gehört aber, dass zwischen Verordnungen im Regelfall und solchen außerhalb des Regelfalls zu unterscheiden ist. Letztere setzen eine besondere Begründung mit einer prognostischen Einschätzung voraus (§ 8 Abs. 1 S. 2 Heilmittel-Richtlinie) sowie, dass eine weiterführende Diagnostik durchgeführt wird (§ 8 Abs. 3 Heilmittel-Richtlinie). Durch die Kennzeichnung der Verordnungen als Folgeverordnungen, nicht als Verordnungen außerhalb des Regelfalls, was angezeigt gewesen wäre, sowie dadurch, dass eine Begründung für Verordnungen außerhalb des Regelfalls nicht erfolgte und nicht ersichtlich ist, dass eine weiterführende Diagnostik stattfand, hat der Beigeladene zu 1 gegen elementare Grundprinzipien der Heilmittel-Richtlinie verstoßen. Dies stellt keine Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise dar, sondern ist den Fällen gleichzusetzen, die in § 24 Prüfvereinbarung aufgeführt sind. Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Verordnungen unzulässig waren und von der Klägerin Erstattungsbetragsansprüche geltend gemacht werden können.
Im Übrigen ergibt sich aus der sich auf den Verordnungen wiederholten Diagnose „Stimmstörungen bei Recurrens-Parese links; Z.n. Abtragung Stimmbandpolyps“ nicht zwangsläufig, dass Verordnungen außerhalb des Regelfalls i.S.d. § 8 Abs. 1 Heilmittel-Richtlinie stattfinden können. Eine solche Interpretation ist nicht Aufgabe der Prüfungsgremien, sondern dem Beigeladenen zu 1 vorbehalten.
Selbst wenn von unwirtschaftlichen Verordnungen auszugehen und somit eine Prüfung nach § 21 PV vorzunehmen wäre, erschließt sich dem Gericht nicht, warum bei der Prüfhistorie (zahlreiche Wirtschaftlichkeitsprüfungen seit dem Jahr 2007) eine schriftliche Beratung als ausreichend anzusehen war. Zumindest hätte es einer detaillierten Begründung hierzu bedurft.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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