Europarecht

Vertrags(zahn) Arztangelegenheiten: Anerkennung von Praxisnetzen

Aktenzeichen  S 28 KA 424/19

Datum:
7.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30724
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 87b
Rl-KVB § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1a

 

Leitsatz

1. Zur Regelungsstruktur der Richtlinie der KVB gemäß § 87b Abs. 4 SGB V zur Anerkennung von Praxisnetzen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Definition des Begriffs des Praxisnetzes. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Anerkennung als Praxisnetz.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der von der Klägerin erhobenen Verpflichtungsklage sind allesamt gegeben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin erfüllt nicht die Strukturvorgaben zur Anerkennung als Praxisnetz gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie der KVB gemäß § 87b Abs. 4 SGB V zur Anerkennung von Praxisnetzen (im Folgenden: RL-KVB).
Das Gericht weist darauf hin, dass es sich bei der Anerkennung als Praxisnetz um eine gebundene Entscheidung handelt. Dies könnte zwar aufgrund § 2 Abs. 1 Satz 1 Rahmenvorgabe für die Anerkennung von Praxisnetzen nach § 87b Abs. 4 SGB V der KBV (im Folgenden: Rahmenvorgabe) fraglich sein, in der es heißt: „kann…anerkennen“. § 2 Abs. 1 RL-KVB enthält jedoch keine Hinweise auf eine Ermessensentscheidung der Beklagten. Vielmehr „erfolgt“ die Anerkennung als Praxisnetz durch die KVB, wenn die in § 2 Abs. 1 abschließend aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin nicht die Strukturvorgabe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 RL-KVB „Teilnahme von mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Praxen (Netzpraxen)“ erfüllt.
Gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB sind Netzpraxen gemäß Nr. 1 insbesondere folgende Praxiskonstellationen:
„- Einzelpraxen (niedergelassener einzelner Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeut), inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume, sind jeweils eine Netzpraxis,
– Praxisgemeinschaften in Abhängigkeit der Anzahl der Hauptbetriebsstätten, über welche die Abrechnung erfolgt (je Hauptbetriebsstätte besteht eine Netzpraxis),
– Örtliche Berufsausübungsgemeinschaften inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis,
– Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis,
– Medizinische Versorgungszentren (MVZ) inklusive Filialen und ausgelagerter Praxisräume sind jeweils eine Netzpraxis.“
Bei allen Netzpraxen außer Einzelpraxen muss aus dem Anerkennungsantrag hervorgehen, dass mindestens ein Vertragsarzt bzw. ein Vertragspsychotherapeut der jeweiligen Praxis Mitglied des antragstellenden Praxisnetzes und damit Netzarzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 2 RL-KVB).
Die Klägerin verfügt aktuell insgesamt über 17 Netzpraxen, nämlich 15 MVZ als eigenständige Hauptbetriebsstätten sowie zwei überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften. Darauf, dass weitere 13 MVZ in den beiden überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften organisiert sind, kommt es nicht an, da gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB allein auf die überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften abzustellen ist. Dies entspricht dem vertragsarztrechtlichen Verständnis einer Praxis, wie es auch in § 1a Nr. 18 BMV-Ä (Definition der Arztpraxis) und der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 24/15 R, Rn. 14) zum Ausdruck kommt, wonach die BAG rechtlich gesehen eine Praxis darstellt. Da die Klägerin über weniger als 20 Netzpraxen verfügt und von dieser Untergrenze grundsätzlich nicht abgewichen werden kann (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 b) Satz 1 RL-KVB; vgl. allerdings § 2 Abs. 2 RLKVB, wonach der Vorstand der KVB in besonderen oder speziellen Einzelfällen von den Voraussetzungen nach §§ 3 bis 6 Ausnahmen zulassen kann), kommt es nicht mehr darauf an, ob in allen Netzpraxen auch jeweils ein Netzarzt tätig ist.
Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Strukturvorgabe gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB bestehen von Seiten der Kammer nicht.
Gem. § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V müssen für Praxisnetze, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen anerkannt sind, gesonderte Vergütungsregelungen vorgesehen werden; für solche Praxisnetze können auch eigene Honorarvolumen als Teil der morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen nach § 87a Absatz 3 gebildet werden.
Grundlage der RL-KVB ist § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die Kassenärztliche Bundesvereinigung Vorgaben zur Festlegung und Anpassung des Vergütungsvolumens für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung nach Absatz 1 Satz 1 sowie Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze nach Absatz 2 Satz 3 als Rahmenvorgabe für Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigungen, insbesondere zu Versorgungszielen, im Einvernehmen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu bestimmen hat. Auf der Grundlage der in der Rahmenvorgabe der KBV festgelegten Kriterien konkretisiert die Kassenärztliche Vereinigung in einer Richtlinie die Anerkennung von Praxisnetzen (§ 1 Abs. 3 Rahmenvorgabe). Die Rahmenvorgabe ist von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu beachten (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V).
Praxisnetze im Sinne der Rahmenvorgabe sind Zusammenschlüsse von Vertragsärzten und Vertragsärztinnen verschiedener Fachrichtungen sowie Psychotherapeuten und -therapeutinnen zur interdisziplinären, kooperativen, wohnortnahen ambulanten medizinischen Versorgung unter Berücksichtigung der lokalen sozio-demographischen Situation. Ziel solcher Kooperationen ist, die Qualität sowie die Effizienz und Effektivität der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen einer intensivierten fachlichen Zusammenarbeit zu steigern (§ 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 Rahmenvorgabe). Diese Definition ist stark an die Definition des Ausschusses für Gesundheit angelehnt, wonach auch mit Zusammenschlüssen von Vertragsärztinnen und -ärzten verschiedener Fachrichtungen (vernetzte Praxen bzw. Praxisnetze) zur interdisziplinären, kooperativen und medizinischen ambulanten insbesondere wohnortnahen Betreuung und Versorgung der Patientinnen und Patienten die ambulanten Versorgungsstrukturen verbessert werden können (Ausschussbericht zum GKV-VStG, BT-Drs. 17/8005, S. 109).
Die Definition der Praxisnetze gem. § 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 KVB-RL entspricht derjenigen in § 1 Abs. 1 Sätze 2, 3 Rahmenvorgabe.
Ebenso entspricht die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 RL-KVB geregelte Strukturvorgabe der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Rahmenvorgabe normierten Festlegung, wonach das Praxisnetz u.a. folgende Strukturvorgabe nachzuweisen hat:
„1. Teilnahme von mindestens 20 und höchstens 100 vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Praxen. (…)“
Auch die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB näher erläuterten Praxiskonstellationen, die jeweils eine oder mehrere Netzpraxen darstellen, stehen nicht in Widerspruch zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 Rahmenvorgabe. Die als eine Netzpraxis jeweils angeführten Praxiskonstellationen stimmen mit der Definition einer Arztpraxis gem. § 1a Nr. 18 BMV-Ä überein. Diese lautet: „Tätigkeitsort des Vertragsarztes oder Vertragspsychotherapeuten an seiner Betriebsstätte, der auch die Nebenbetriebsstätten der Arztpraxis einschließt. Arztpraxis in diesem Sinne ist auch die Berufsausübungsgemeinschaft oder ein Medizinisches Versorgungszentrum.“
Im Übrigen weist die Kammer auf den Gestaltungsspielraum hin, den die KBV bei der Ausgestaltung der Rahmenvorgabe, aber auch die Beklagte bei der Ausgestaltung ihrer Richtlinie – innerhalb der zu beachtenden Rahmenvorgabe der KBV – innehat (vgl. auch Hamdorf in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 12/19, § 87b Rn. 148 m.w.N.). Der Gestaltungsspielraum der KBV folgt nicht zuletzt aus § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach die KBV Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze nach Absatz 2 Satz 3 als Rahmenvorgabe zu bestimmen hat.
Auch in der Zusammenschau des § 87b Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V ergeben sich keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) Satz 1 RL-KVB geregelten Strukturvorgabe:
§ 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V nennt lediglich Praxisnetze, für die gesonderte Vergütungsregelungen vorgesehen werden müssen. Eine Anwendung dieser Regelung auf sonstige kooperative Versorgungsformen – etwa Berufsausübungsgemeinschaften – kommt daher nicht in Betracht (Hamdorf, ebenda, § 87b Rn. 118). Der kooperativen Behandlung von Patienten in Versorgungsformen wie Berufsausübungsgemeinschaften hat der Verteilungsmaßstab gem. § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V ausreichend Rechnung zu tragen. In welcher Art und Weise die Kassenärztliche Vereinigung diese Vorgabe umsetzt, steht in ihrem Ermessen; in erster Linie dürften finanzielle Vergünstigungen in Betracht kommen (Hamdorf, ebenda, § 87b Rn. 117).
Die Vorschrift des § 87b Abs. 2 Satz 2 SGB V stellt die angemessene (honorarmäßige) Berücksichtigung der kooperativen ärztlichen Behandlung – auch in überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften – sicher. Dass darüber hinaus gehend eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit zahlreichen Standorten (etwa MVZ) auch (allein oder) im Zusammenschluss mit nur wenigen anderen Praxen zwingend ein Praxisnetz begründen können soll, um eine weitere zusätzliche Vergütung zu erhalten, kann den Vorschriften des § 87b Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V nach Überzeugung der Kammer nicht entnommen werden.
Die Klage war nach alledem abzuweisen.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.


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