Europarecht

VI ZR 40/20

Aktenzeichen  VI ZR 40/20

Datum:
6.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:060721UVIZR40.20.0
Normen:
§ 249 Abs 1 BGB
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Ein Geschädigter, der durch das deliktische Handeln eines Dritten (hier: Fahrzeughersteller) zum Abschluss eines Kaufvertrages (hier: über ein Dieselfahrzeug mit Prüfstanderkennungssoftware) bestimmt worden ist, kann, wenn er die Kaufsache behalten möchte, als Schaden von dem Dritten den Betrag ersetzt verlangen, um den er den Kaufgegenstand – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat (sogenannter kleiner Schadensersatz).
2. Für die Bemessung dieses kleinen Schadensersatzes ist grundsätzlich zunächst der Vergleich der Werte von Leistung (Fahrzeug) und Gegenleistung (Kaufpreis) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Eine etwaige Aufwertung des Fahrzeugs durch eine nachträgliche Maßnahme (hier: Software-Update) des Schädigers, die gerade der Beseitigung der Prüfstanderkennungssoftware dienen sollte, ist im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen; dabei sind etwaige mit dem Software-Update verbundene Nachteile in die Bewertung des Vorteils einzubeziehen.
3. In den so zu bemessenden Schaden (Minderwert) sind Nachteile, die mit der Prüfstanderkennungssoftware oder dem Software-Update (Vorteilsausgleichung) verbunden sind, bereits “eingepreist”. Für eine Feststellung der Ersatzpflicht für diesbezügliche weitere Schäden ist daher kein Raum.

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 9. Dezember 2020, Az: VI ZR 40/20, Beschlussvorgehend OLG Stuttgart, 11. Dezember 2019, Az: 9 U 3/19vorgehend LG Rottweil, 30. November 2018, Az: 3 O 136/18

Tenor

Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2019 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte 95 %, die Klägerin trägt 5 %.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal geltend.
2
Die Klägerin erwarb von einem Autohaus am 9. Juli 2015 einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten VW Passat Variant 2.0 TDI, Erstzulassung Februar 2012, Laufleistung 58.500 km, zum Kaufpreis von 22.730 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet. Die im Zusammenhang mit dem Motor ursprünglich verwendete Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware). Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Modus 1 eingehalten.
3
Im Jahr 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf der mit dieser Software ausgestatteten Fahrzeuge an, weil es die Software als unzulässige Abschalteinrichtung einstufte. Die Beklagte entwickelte in der Folge ein Software-Update, das vom KBA freigegeben und auch im Fahrzeug der Klägerin aufgespielt wurde.
4
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zum Ersatz des Minderwerts, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, der jedoch mindestens 5.682,50 € (25 % des Kaufpreises) betrage, nebst Zinsen zu verurteilen. Der Minderwert entspreche dem aufgrund des Einsatzes der Motorsteuerungssoftware eingetretenen Wertverlust aller Fahrzeuge der Produktionslinie. Neben der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sie zudem die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten beantragt, der Klägerin weiteren über den Minderungsbetrag hinausgehenden Ersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren würden.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht im Wege des Grundurteils die Ansprüche auf Ersatz des Minderwerts und auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung gegen die Abweisung des Feststellungsantrags hat es im Wege des Endurteils zurückgewiesen. Mit den vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter, die Beklagte hält an ihrem Ziel der vollständigen Klageabweisung fest.


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