Europarecht

Voraussetzungen zu Gerichtsstandbestimmungen

Aktenzeichen  34 AR 50/19

Datum:
4.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5302
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 37
GVG § 72a S. 1
WEG § 43 Abs. 1 Nrn. 1-3

 

Leitsatz

Die Bestimmung der funktionalen Zuständigkeit einer Spezialkammer nach § 72a Satz 1 GVG ist nicht erforderlich, wenn sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des örtlich und sachlich zuständigen Landgerichts ergibt, dass die für das Sachgebiet zuständige Kammer für die Erledigung des gesamten Rechtsstreits zuständig ist, auch wenn die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nur zum Teil eine Sachgebietszuständigkeit begründen.

Tenor

1. Als (örtlich und sachlich) zuständiges Gericht wird das Landgericht München I bestimmt. 
2. Der weitergehende Bestimmungsantrag wird abgelehnt. 

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft in München, beabsichtigt, die beiden Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe von 309.751,12 € in Anspruch zu nehmen. Zur Begründung trägt sie vor, die Antragstellerin habe die Antragsgegnerin zu 1, ein Architekturbüro, mit der Planung und Durchführung von Sanierungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum der Wohnanlage beauftragt. Die Antragsgegnerin zu 1 habe den mit der Antragstellerin geschlossenen Architektenvertrag durch mangelnde Planung, Überwachung und Rechnungsprüfung verletzt. Dadurch seien Kosten für Nachträge angefallen, die bei einer ordnungsgemäßen Planung nicht angefallen wären. Der Antragstellerin sei dadurch ein Schaden entstanden. Die Antragsgegnerin zu 2 sei die ehemalige Verwalterin der Antragstellerin. Sie habe das von der Antragstellerin beschlossene Budget für die Baumaßnahme um fast 1 Million Euro überschritten. Die Mehrausgaben hätten keine Werterhöhung des Gebäudes bewirkt. Die Antragstellerin habe daher gegen die Antragsgegnerin zu 2 einen Schadensersatzanspruch aus der Verletzung des Verwaltervertrages.
Die Antragsgegnerinnen haben ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts München II.
Die Antragstellerin hat Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gestellt und angeregt, das Landgericht München I, Baukammer, als zuständig zu bestimmen. Die Antragsgegnerinnen hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragsgegnerin zu 1 hat gegen eine Bestimmung des Landgerichts München I, Baukammer, ausdrücklich keine Einwendungen erhoben. Die Antragsgegnerin zu 2 ist der Ansicht, dass das Landgericht München II, Baukammer, zu bestimmen sei.
II.
Als (örtlich und sachlich) zuständig bestimmt wird das Landgericht München I.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des gemeinsam (örtlich und sachlich) zuständigen Gerichts sind gegeben (§ 36 Abs. 1 Nr. 3, § 37 ZPO). § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist entsprechend anwendbar für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit (BGH NJW 1984, 1624).
a) Die Antragsgegnerinnen sind nach dem maßgeblichen (Zöller/Schultzky ZPO 32. Aufl. § 36 Rn. 28 m.w.N), insoweit auch schlüssigen Vortrag der Antragstellerin in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO), da die geltend gemachten Ansprüche auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen 7. Aufl. § 60 Rn. 9). Die Antragstellerin geht davon aus, dass der von ihr geltend gemachte Schaden im Wesentlichen durch Pflichtenverstöße der Antragsgegnerinnen im Zusammenhang mit den Sanierungsarbeiten entstanden sein soll.
b) Ein gemeinsamer (sachlicher) Gerichtsstand besteht nicht. Soweit die Antragstellerin die Antragsgegnerin zu 2 als Verwalterin in Anspruch nehmen will, ist das Amtsgericht München örtlich und sachlich ausschließlich zuständig (§ 23 Nr. 2 c GVG, § 43 Nr. 3 WEG). Demgegenüber besteht für die Antragsgegnerin zu 1 keine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 43 WEG. Im Hinblick auf den Streitwert besteht sachlich die Zuständigkeit des Landgerichts (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG).
Auch örtlich lässt sich aus dem Sachvortrag der Antragstellerin ein gemeinsamer Gerichtsstand für beide Antragsgegnerinnen nicht einfach und zuverlässig herleiten. Für die Antragsgegnerin zu 2 besteht eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG) in München (= Landgericht München I). Für die Antragsgegnerin zu 1, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Landgerichtsbezirk München II hat, lässt sich hier ein Gerichtsstand im Landgerichtsbezirk München I nicht einfach und zuverlässig herleiten. Insbesondere lässt sich der Gerichtsstand des Erfüllungsort (§ 29 ZPO) nicht zweifelsfrei dort begründen. In diesen Fällen gebietet es die Prozessökonomie, solche Zweifel baldmöglichst durch eine bindende Gerichtsstandsbestimmung zu beseitigen (BGH vom 20.5.2008, X ARZ 98/08, juris; OLG Stuttgart MDR 2016, 179; auch BayObLG vom 10.4.2003, 1Z AR 25/03, juris; OLG Hamm BeckRS 2016, 17696).
2. Die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Auszuwählen ist grundsätzlich eines der Gerichte, an dem die Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) haben. Der Senat bestimmt als gemeinsam (örtlich und sachlich) zuständig das Landgericht München I.
Für die Antragsgegnerin zu 2 besteht eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 WEG in München. Hier befindet sich auch das Bauwerk, bei dessen Sanierung die Antragsgegnerinnen fehlerhaft gearbeitet haben sollen. Gegen eine Bestimmung des für München zuständigen Gerichts hat die Antragsgegnerin zu 1 ausdrücklich keine Einwendungen erhoben. Als sachlich zuständig wird das Landgericht bestimmt, da die Streitpunkte des Hauptsacheverfahrens nach dem bisherigen Parteivortrag wohl weniger auf dem Gebiet des Wohnungseigentumsrechts als vielmehr im Rahmen der erbrachten Architektenleistungen zu verorten sind, so dass insgesamt wohl eher eine bau- bzw. architektenrechtliche Prägung des Hauptsacheverfahrens vorliegen dürfte.
c) Die Bestimmung der funktionalen Zuständigkeit ist nicht veranlasst, da insoweit ein gemeinsamer Gerichtsstand für beide Antragsgegner besteht. Denn der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts München I legt unter „Allgemeine Bestimmungen Nr. 6“ (Stand 1.1.2019) fest, dass die Spezialkammer zur Erledigung des gesamten Rechtsstreits berufen ist, selbst wenn nur ein Teil der geltend gemachten Ansprüche die Sachgebietszuständigkeit berührt.
Sollte das zuständige Prozessgericht trotzdem eine gemeinsame Zuständigkeit verneinen, wird sich der Senat auf entsprechende Vorlage einer – wenn auch nur deklaratorischen – Gerichtsstandsbestimmung nicht verschließen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren gehört zum Rechtszug.


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