Europarecht

Wirkung des Übergangs der Zuständigkeit

Aktenzeichen  M 12 K 15.50031

Datum:
17.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Die objektive Zuständigkeitsregelung des Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO führt durch Ablauf der Sechs-Monatsfrist zum Übergang der Zuständigkeit. Im Falle einer Alleinzuständigkeit führt sie zu einem Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem nun zuständigen Staat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Januar 2015 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte die Einzelrichterin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Beteiligten – die Klägerin durch Erklärung ihres Bevollmächtigten vom …. September 2015 und die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung – hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -). Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat seine Beteiligung in den Schreiben vom 11. und 18. Mai 2015 ausdrücklich auf die Übersendung der jeweiligen End- bzw. Letztentscheidung beschränkt.
Die Klage hat nur zum Teil Erfolg.
1. Soweit mit der Klage über die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides hinaus die Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, ein Asylverfahren in eigener Zuständigkeit durchzuführen, ist sie unzulässig. Nach gefestigter höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung ist statthafte Klageart gegen eine Feststellung nach § 27a des Asylgesetzes (AsylG; vormals: AsylVfG) allein die Anfechtungsklage (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B.v. 20.5.2015 – 11 ZB 14.50036 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 11.2.2015 – 13a ZB 15.50005 – juris Rn. 8 ff.; OVG RhPf, U.v. 5.8.2015 – 1 A 11020/14 – juris Rn. 19; OVG NRW, B.v.16.6.2015 – 13 A 221/15.A – juris Rn. 16 ff.; VGH BW, U.v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 35 ff.). Diese gewährt den erforderlichen wie auch ausreichenden Rechtschutz: Nach Aufhebung des auf § 27a AsylG gestützten Bescheids hat die Beklagte eine inhaltliche Überprüfung des Asylantrags vorzunehmen, ohne dass es hierzu einer gesonderten Verpflichtung der Beklagten bedürfte. Denn auch insofern lebt nach erfolgreicher gerichtlicher Anfechtungsklage des „Dublin-Bescheids“ die gesetzliche Verpflichtung des Bundesamts zur Sachprüfung aus § 31 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG automatisch wieder auf. Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge auch dahingehend keines Verpflichtungsantrags auf Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland (OVG Magdeburg, U.v. 02.10.2013 – 3 L 643/12 – juris Rn. 22; VG München, U.v. 9.5.2014 – M 21 K 14.30300). Nach Abschluss dieser Prüfung hat die Beklagte eine inhaltliche Entscheidung über das Asylbegehren zu treffen. Im Falle einer negativen Entscheidung kann Verpflichtungsklage auf Statuszuerkennung erhoben werden.
2. Soweit die Klage als Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 5. Januar 2015 zulässig ist, ist sie auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts erweist sich im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Abschiebungsanordnung sind mit Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO geregelten Überstellungsfrist wegen des damit verbundenen Übergangs der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedsstaat (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) rechtswidrig geworden.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG).
Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, also auch auf das am 14. Oktober 2014 gestellte Schutzgesuch der Klägerin.
Vorliegend ist die Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylbegehrens entfallen und die Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden. Nach dieser Vorschrift geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedsstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der 6-Monats-Frist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedsstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, die Folgen tragen muss (BayVGH, B.v. 11.05.2015 – 13a ZB 15.50006 – juris Rn. 4 f.).
Die sechsmonatige Überstellungsfrist ist im vorliegenden Fall abgelaufen. Die Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedsstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat. Da die Klägerin einen nach § 34a Abs. 2 AsylG statthaften Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat, begann die sechsmonatige Überstellungsfrist vorliegend mit dem Tag der Zustellung des Eilbeschlusses an das Bundesamt zu laufen und endete gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 19. November 2015.
Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedsstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedsstaat übergeht. Der Asylantrag ist damit nicht mehr nach § 27a AsylG wegen Unzuständigkeit der Beklagten unzulässig.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist ferner geklärt, dass die angefochtene Entscheidung gemäß § 27a AsylG auch nicht auf der Grundlage von § 71a AsylG aufrechterhalten werden kann. Weder kann sie als negative Entscheidung über einen Zweitantrag angesehen noch in eine solche umgedeutet werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2015 – 13a ZB 15.50096 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 35 ff.; OVG Hamburg, B.v. 2.2.2015 – 1 Bf 208/14.AZ – juris Rn. 12 ff.). Der Ausspruch, dass der Asylantrag mangels Zuständigkeit unzulässig ist, enthält nicht zugleich eine materiellrechtliche Aussage dahingehend, dass ein weiteres Asylverfahren im Sinn von § 71a AsylG nicht durchzuführen ist (BayVGH, B.v. 15. 4.2014 – 13a ZB 15.50066 – juris Rn. 5).
Mit dieser zunächst objektiven Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids geht auch eine subjektive Rechtsverletzung der Klägerin im Sinne von §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO einher. Zwar handelt es sich bei den Dublin-Regularien um rein objektive Zuständigkeitsvorschriften, welche grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers begründen (vgl. BeckOK AuslR/Günther AsylVfG § 27a Rn. 30). Wenn allerdings wegen Ablaufs der Überstellungsfrist allein die Zuständigkeit der Beklagten bleibt, kann der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem dann zuständigen Staat geltend gemacht werden (vgl. VG Regensburg, U.v. 21.10.2014 a. a. O.; VGH Mannheim, U.v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass sich Ungarn entgegen den europarechtlichen Bestimmungen nicht auf den Fristablauf berufen wird und ausnahmsweise dennoch zur Übernahme der Klägerin bereit ist (BayVGH, B.v. 11.2. 2015 – 13a ZB 15. 50005 – juris Rn. 4). Auch bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2015 (BVerwG – 1 C 32.14 – juris) kann sich die Klägerin daher auf den Ablauf der Überstellungsfrist berufen, da Ungarn jedenfalls nicht verpflichtet ist, das Asylverfahren durchzuführen und der Anspruch der Klägerin auf Durchführung eines Asylverfahrens verletzt wäre (VG München, U.v. 28.10.2015 – M 11 K 14.50671).
Ist die Feststellung nach § 27a AsylG rechtwidrig, ist auch kein Raum mehr für die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nach Ungarn.
Das Bundesamt ist in der Folge kraft Gesetzes (vgl. § 31 Abs. 2 AsylG) verpflichtet, das Asylverfahren der Klägerin fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris Rn. 22).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Unterliegen der Klägerin war im Verhältnis zum Erfolg des eigentlichen Klagebegehrens als gering zu beurteilen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben