Europarecht

Zahl der notwendigen Stellplätze bei Nutzungsänderung einer bestehenden baulichen Anlage

Aktenzeichen  M 9 K 16.4086

Datum:
7.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2931
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 47

 

Leitsatz

Für die Ermittlung des zusätzlichen Stellplatzbedarfs, der durch eine Nutzungsänderung verursacht wird, ist ein rechnerischer Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten, neuen Anlage und dem des genehmigten Altbestands anzustellen. Dabei gilt, dass auch im Hinblick auf den Stellplatzbedarf des Altbestands, der nur als Rechengröße fiktiv ermittelt wird, auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Nutzungsänderung abgestellt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Nebenbestimmung Ziffer II.1 zur Baugenehmigung vom 11. August 2016, wonach eine Stellplatzpflicht für 7 Stellplätze besteht, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte hat zutreffend die Reduzierung um 50% nach Ziffer 7.1 der Anlage zur GaStS nach Abzug der abgelösten Stellplätze vom Gesamtbedarf vorgenommen.
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass nach der Berechnung der Klägerseite ein Stellplatz verbleibe. Soweit im Klageschriftsatz vorgetragen wurde, dass bereits bei der Stellplatzablöse im Jahr 1970 ein Bestand von 2 hergestellten Stellplätzen zugrunde zu legen sei, wurde dies nicht aufrechterhalten, da dieser Bestand zum einen real wegen Änderung der Straße zur Fußgängerzone nicht mehr existiere und zum anderen wohl bei der Berechnung der 11 abzulösenden Stellplätze berücksichtigt worden ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da die von der Beklagten vorgenommene Berechnung unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Gesetzes rechtlich zutreffend ist.
Nach Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind bei der Änderung oder Nutzungsänderung einer bestehenden Anlage Stellplätze in solcher Zahl herzustellen, dass die Stellplätze die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können. Nach Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO ist für die Zahl der notwendigen Stellplätze eine örtliche Bauvorschrift oder eine städtebauliche Satzung maßgeblich, wenn wie hier eine solche besteht; ansonsten gilt die auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayBO erlassene Rechtsverordnung, die Verordnung über den Bau und den Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (GaStellV). Nach Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO kann die Stellplatzpflicht durch Übernahme der Kosten für die Herstellung der notwendigen Stellplätze (Ablösungsvertrag) erfolgen. Für die Ermittlung des zusätzlichen Stellplatzbedarfs, der durch eine Nutzungsänderung verursacht wird, ist ein rechnerischer Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten, neuen Anlage und dem des genehmigten Altbestands anzustellen. Dabei gilt, dass auch im Hinblick auf den Stellplatzbedarf des Altbestands, der nur als Rechengröße fiktiv ermittelt wird, auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Nutzungsänderung abgestellt wird (Würfel in Simon/Busse, BayBO, Kommentar, Stand November 2017, Art. 47, Rn. 69 m.w.N.; Hensel in Spannowsky/Manssen, Bauordnungsrecht Bayern, Stand 01.06.2017, Art. 47, Rn. 47 f.). Dies bedeutet, dass von dem neuen Bedarf an erforderlichen Stellplätzen, der hier gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStS anhand der Richtzahlenliste über den Stellplatzbedarf, Anlage 1, ermittelt wird, alle bestehenden oder fiktiven Stellplätze für den Altbestand in Abzug zu bringen sind.
Weder der Wortlaut des Gesetzes noch der Wortlaut der GaStS lassen den Schluss zu, dass die „ermittelte Stellplatzzahl“, Ziffer 7.1 der Richtzahlenliste, Anlage 1 zur GaStS im Falle einer Nutzungsänderung vor Abzug des Altbestands zu halbieren ist. Die Richtzahlenliste dient nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStS nur dazu, die Anzahl der erforderlichen Stellplätze zu ermitteln. Die Satzung stellt insoweit nicht darauf ab, ob es sich um einen Neubau i.S. des Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO handelt, für den erstmals Stellplätze in ausreichender Zahl herzustellen sind, oder ob es sich um eine Nutzungsänderung i.S. des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO handelt, wonach die zusätzlich benötigten Stellplätze herzustellen sind. Der Hinweis auf die GaStellV in § 2 Abs. 1 Satz 2 GaStS für die übrigen Nutzungsbereiche bestätigt dieses Ergebnis, da die GaStellV in § 20 Satz 1 ebenfalls auf die sich aus der Anlage ergebende Gesamtzahl der notwendigen Stellplätze abstellt. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben in Art. 47 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BayBO bedeutet deshalb die Formulierung „Anzahl der erforderlichen Stellplätze“ nach dem Wortlaut, dass anhand der Richtzahlenliste für den Stellplatzbedarf sowohl der für den Altbestand nach heutigem Recht erforderliche Stellplatzbedarf als auch die bei einem Neubau oder einer Nutzungsänderung aktuell erforderliche Gesamtzahl der Stellplätze ermittelt wird. Soweit das Gesetz in Art. 47 BayBO von notwendigen Stellplätzen spricht und § 2 GaStS dagegen von erforderlichen Stellplätzen, ist dies lediglich eine andere Wortwahl ohne unterschiedliche Bedeutung.
Da die Richtzahlenliste für die Ermittlung sowohl des aktuellen Bedarfs als auch des Altbestands gilt, führt die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung des § 7.1 der Anlage 1 zur GaStS unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks des Art. 47 BayBO zu dem Ergebnis, dass die danach „ermittelte Stellplatzzahl“ die erforderliche Stellplatzzahl für den aktuellen Stellplatzbedarf i.S.v. § 2 Abs. 1 GaStS bzw. die notwendige Stellplatzzahl i.S. des Art. 47 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 BayBO ist. Die Richtzahlenliste dient nur der Berechnung der Anzahl der Stellplatzzahl und das Ergebnis ersetzt nicht die im nächsten Schritt vorgeschriebene Ermittlung der Anzahl der erforderlichen Stellplätze im Einzelfall. Bereits die Formulierung, dass diese Ermittlung anhand der Richtzahlenliste zu erfolgen hat, zeigt, dass die Richtzahlenliste nur ein Rechenwerk ist, anhand dessen über die Verpflichtung aus Art. 47 BayBO zur Schaffung von Stellplätzen erst zu entscheiden ist.
Ebenso wie § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStS stellt Ziffer 7.1 der Anlage durch den Wortlaut „ermittelt“ nicht auf das Rechenergebnis nach der Richtzahlenliste, sondern auf den unter Berücksichtigung des Art. 47 Abs. 1 BayBO für das aktuelle Bauvorhaben herzustellenden Bedarf ab. Diese Auslegung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks wird bestätigt durch § 4 GaStS, wonach die herzustellenden Garagen abgelöst werden können, wobei sich der Ablösebetrag aus einer Multiplikation mit der Stellplatzzahl nach § 2 GaStS errechnet. Herzustellende Stellplätze sind in Fällen der Nutzungsänderung nach Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO nur diejenigen, die zusätzlich zum fiktiv zu ermittelnden Stellplatzbestand notwendig sind. § 2 GaStS und damit auch Ziffer 7.1 der Anlage 1 zur Satzung ist unter Berücksichtigung der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen für den Neubau und für die Nutzungsänderung nur dann mit dem Gesetzeszweck der Errichtung einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen zu vereinbaren, wenn im Falle einer Nutzungsänderung die ermittelte Stellplatzzahl dem herzustellenden Stellplätzen i.S. des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO entspricht.
Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der im Einklang mit dem Gesetzeszweck stehenden Regelung der Ziffer 7.1 der Anlage 1 zur Satzungsregelung entspricht. Zutreffend wurde von der nach der Richtzahlenliste berechneten Stellplatzzahl für das geänderte Bauvorhaben die ebenfalls nach der Richtzahlenliste ermittelte Stellplatzzahl für den Altbestand abgezogen, Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Von der so ermittelten Stellplatzzahl der erforderlichen Stellplätze, § 2 Abs. 1 GaStS, ist die 50-prozentige Reduzierung unter Abrundung des Ergebnisses vorzunehmen. Dies ergibt im vorliegenden Fall 7 herzustellende Stellplätze, die nach § 4 GaStS abzulösen sind.
Soweit die Klägerseite vorträgt, das hier gefundene Ergebnis führe dazu, dass der Bauherr im Falle einer Nutzungsänderung oder Änderung einer Anlage schlechter gestellt werde als beim Neubau einer Anlage, trifft dies nicht zu. Nach der gesetzlichen Regelung des Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO werden im Falle eines Neubaus die erforderlichen Stellplätze ohne Berücksichtigung eines Altbestands ermittelt und dann unter den Voraussetzungen der Ziffer 7.1 der Anlage 1 zur GaStS um 50% reduziert. Im Falle eines Neubaus gibt es keine Anrechnung von früher einmal hergestellten Stellplätzen; dies würde hier bei einem Stellplatzbedarf von 26 Stellplätzen bedeuten, dass 13 Stellplätze für einen Neubau herzustellen oder abzulösen wären. Die Privilegierung des Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, wonach eine Anrechnung des gegebenenfalls fiktiven Bestands bei Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage erfolgt, führt dazu, dass unter Berücksichtigung der Ziffer 7.1 der Anlage 1 zur GaStS nur noch 7 Stellplätze abzulösen sind. Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Regelung in Art. 47 Abs. 2 Satz 1 BayBO würde es dem Gesetzeszweck der Herstellung einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen widersprechen, den für das genehmigte Bauvorhaben ermittelten gesamten Stellplatzbedarf zunächst um 50% zu reduzieren und davon den fiktiv zu ermittelnden Altbestand in voller Höhe abzuziehen. Dies würde eine übermäßige Privilegierung der Klägerin darstellen.
Da hier nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks eine Auslegung der Ziffer 7.1 Anlage 1 zu GaStS i.V.m. § 2 GaStS möglich ist, bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Satzungsregelung. Die hier durch die Stadt getroffene Regelung einer 50-prozentigen Reduzierung der Stellplatzzahl innerhalb des Stadtmauerrings ist deshalb hinreichend bestimmt und wirksam. Gründe, warum eine entsprechende Satzungsregelung aus sonstigen Gründen unwirksam sein sollte, sind weder erkennbar noch wurden sie vorgetragen. Gründe, dass wegen Unwirksamkeit der Ziffer 7.1 der Anlage 1 zur GaStS überhaupt keine Reduzierung erfolgen kann, bestehen deshalb nicht.
Die Klage war danach mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.


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