Familienrecht

7 AR 1163/21

Aktenzeichen  7 AR 1163/21

Datum:
15.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43545
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 17a Abs. 1 i. V. m. Abs. 6, § 17 a Abs. 4 S. 3
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 analog
FamFG § 266 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten in Bezug auf die funktionelle Zuständigkeit kommt trotz Vorliegens eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses nach § 17 a Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 GVG eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung analog § 36 Abs. 1 ZPO in Betracht, wenn dies im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten ist.
2. Die Durchbrechung der Bindungswirkung einer Entscheidung nach § 17 a Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 GVG kommt dann in Betracht, wenn ein extremer Verstoß gegen die die funktionelle Zuständigkeit regelnden materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften vorliegt.
3. Eine Schadensersatzklage zwischen einem Betreuten und seinem (Berufs)-Betreuer, die in dem Betreuungsverhältnis wurzelt, ist grundsätzlich keine Familiensache gemäß § 266 Abs. 1 Nr. FamFG.

Tenor

Zuständig ist das Landgericht Nürnberg-Fürth.

Gründe

Die Klägerin, Frau I. H., geboren am …, lebt in einem Pflegeheim und steht bezüglich sämtlicher Angelegenheiten unter Betreuung. Die Betreuung besteht seit 2015. Zunächst war der Sohn der Klägerin, Herr G. H., als Betreuer bestellt. Mit Beschluss vom 21. September 2016 entließ das Amtsgericht Schwabach diesen als Betreuer wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten und ernannte den Beklagten, Herrn B. C., zum Betreuer. Der Beklagte übte das Amt als Betreuer berufsmäßig aus. Mit Wirkung vom 5. April 2019 wurde schließlich Herr R. R. zum Betreuer für die Klägerin bestellt.
Die Klägerin begehrt im vorliegenden Rechtsstreit vom Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung seiner Pflichten als Betreuer und hat durch ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 beim Landgericht Nürnberg-Fürth eine entsprechende Schadensersatzklage eingereicht. Nach Zustellung der Klage wies das Landgericht Nürnberg-Fürth die Parteien mit Verfügung vom 20. August 2021 darauf hin, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Familiengericht zu verweisen, da für den Rechtsstreit die Familiengerichte zuständig sein dürften. Mit Beschluss vom 2. November 2021 erklärte sich das Landgericht Nürnberg-Fürth schließlich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit wie angekündigt von Amts wegen gemäß § 17a Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 S. 1 GVG an das Amtsgericht Nürnberg, Familiengericht. Der Beschluss erging durch den Einzelrichter. Zur Begründung führte dieser aus, dass es sich bei dem Rechtsstreit um eine Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG handele und deshalb das Familiengericht zuständig sei. Der Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der Parteien am 3. November 2021 zugestellt. Diese akzeptierten den Beschluss und erhoben dagegen kein Rechtsmittel. Das Amtsgericht Nürnberg – Abteilung für Familiensachen – lehnte ohne erneute Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 29. November 2021 die Übernahme des Rechtsstreits ab, erklärte sich für nicht zuständig und legte die Akte dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt und zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.
II.
1. Das zuständige Gericht ist analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen. Zwar hat das Landgericht Nürnberg-Fürth sich gemäß § 17a Abs. 6, Abs. 1 GVG für unzuständig erklärt, sodass Zuständigkeitszweifel grundsätzlich nur durch die Parteien mit der sofortigen Beschwerde geklärt werden können (§ 17a Abs. 4 S. 3 GVG). Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kommt in einem solchen Fall aber dennoch in Betracht, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege erforderlich ist (BGH Beschluss vom 13. Juli 2021, Az. X ARZ 147/21, juris; Zöller-Schultzky, ZPO, 33. Auflage, § 36 Rn 42 m.w.N.; a.M. OLG Brandenburg MDR 2018, 1210). So verhält es sich hier; denn sowohl das Landgericht Nürnberg-Fürth als auch das Amtsgericht Nürnberg – Abteilung für Familiensachen – haben sich für unzuständig erklärt und damit verdeutlicht, dass sie jeweils eine inhaltliche Befassung mit der Sache ablehnen.
2. Analog § 36 Abs. 1 ZPO ist für die Bestimmung des zuständigen Gerichts das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zuständig. Das Oberlandesgericht Nürnberg ist sowohl für das Landgericht Nürnberg-Fürth in Zivilsachen als auch für das Amtsgericht Nürnberg in Familiensachen das zunächst höhere Gericht. Demzufolge ist das Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen. Die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgericht ist nicht gegeben, da die beteiligten Ausgangsgerichte zum gleichen Oberlandesgerichtsbezirk gehören und das Bayerische Oberste Landesgericht nur zuständig ist, wenn der Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke besteht (analog § 36 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 9 EGZPO; Zöller-Heßler, ZPO, 33. Auflage, § 9 EGZPO Rn 3).
Am Oberlandesgericht Nürnberg ist der 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen zur Entscheidung berufen und nicht der 1. Zivilsenat. Nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Nürnberg für das Jahr 2021 ist der 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen zuständig für Entscheidungen über Anträge auf Bestimmung des zuständigen Gerichts in Familiensachen, ansonsten der 1. Zivilsenat. Die Auslegung der Bestimmungen ergibt, dass der 7. Zivilsenat und Senat für Familiensachen aufgrund der größeren Sachnähe auch dann für die Bestimmung des zuständigen Gerichts zuständig ist, wenn wie im vorliegenden Fall gerade umstritten ist, ob eine Familiensache vorliegt oder nicht.
3. Zuständig für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist das Landgericht Nürnberg-Fürth.
a) Der Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg-Fürth steht nicht die Bindungswirkung seines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses vom 2. November 2021 entgegen (§ 17a Abs. 1 GVG). Zwar ist bei § 17a GVG das gesetzliche Mittel zur Überprüfung der Entscheidung das gegen den Verweisungsbeschluss zulässige Rechtsmittel (§ 17a Abs. 4 S. 3 GVG), sodass dann, wenn die Parteien von diesem Rechtsmittel keinen Gebrauch, grundsätzlich kein Anlass für eine Durchbrechung der Bindungswirkung mittels der analogen Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO besteht. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn extreme Verstöße gegen die einschlägigen materiell- oder verfahrensrechtlichen gesetzlichen Vorschriften vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994, Az. 9 AV 1/94; offen gelassen in BGH aaO).
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Dahingestellt bleiben kann, ob ein grober Verfahrensverstoß deshalb gegeben ist, weil, obwohl die vorliegende Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat, der Verweisungsbeschluss durch den Einzelrichter und nicht durch die Kammer ergangen ist (§ 348 Abs. 3 ZPO; Zöller-Greger aaO § 348 Rn 24); denn jedenfalls in der Annahme des Landgerichts Nürnberg-Fürth, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Familiensachen nach § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG handelt, ist ein solcher extremen Verstoß zu sehen. Dabei kann hier dahinstehen, ob für Schadensersatzansprüche des (minderjährigen) Mündels gegen seinen Vormund nach (bejaht von LG Koblenz, Beschluss vom 3. September 2010, Az. 12 T 103/20, juris) und Schadensersatzansprüche des Betreuten gegen seine Eltern, die als Betreuer eingesetzt sind (abgelehnt von OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. Januar 2010, Az. 6 UFH 4/09), entsprechend § 266 Nr. 4 FamFG als Familiensachen zu behandeln sind und damit die Zuständigkeit der Familiengerichte gegeben ist; denn im vorliegenden Fall geht es nicht um Schadensersatzansprüche gegen den Vormund oder gegen einen Betreuer, der mit der Klägerin in einem Eltern-Kind-Verhältnis steht, sondern um Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten, der vom Amtsgericht Schwabach für den Zeitraum vom 21. September 2016 bis 4. April 2019 für die Klägerin berufsmäßig als Betreuer bestellt worden ist.
Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegt eine Familiensache dann vor, wenn Ansprüche geltend gemacht werden, die aus einem Eltern-Kind-Verhältnis herrühren. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall (a.M LG Berlin Beschluss vom 8. März 2016, Az. 2 O 357/15, juris; auf diese Entscheidung wird ohne eigene Stellungnahme verwiesen in Zöller-Lorenz, ZPO, 33. Auflage § 266 Rn 19 a.E.); denn zwischen den Parteien besteht kein Eltern-Kind-Verhältnis und darüber hinaus hat der geltend gemachte Schadensanspruch auch nicht seine Grundlage in einem solchen Verhältnis, sodass dieser nicht aus dem Eltern-Kind-Verhältnis herrührt (OLG Frankfurt aaO, LG Flensburg Urteil vom 19. Juli 2019, Az. 2 O 365/16, juris, Prütting/Helms-Heiter, FamFG, 4. Aufl. § 266 Rn 57b, Keidel-Giers, FamFG, § 266 Rn 17-18). Grundlage für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist vielmehr das Betreuungsverhältnis zwischen den Parteien. Es besteht keine Veranlassung dazu, die im Wortlaut klare gesetzliche Regelung auf den vorliegenden Sachverhalt oder weitere Sachverhalte auszudehnen; denn der Katalog des Abs. 1 des § 266 FamFG ist abschließend (Keidel-Giers aaO Rn 4). Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16 /6308 Seite 262f). Danach wurden durch die Regelung in § 266 FamFG nicht alle allgemeinen Zivilsachen, die in familienrechtlichen Regelungsverhältnissen wurzeln, den Familiengerichten zugewiesen, sondern nur spezielle allgemeine Zivilsachen, die sich durch die besondere Sachnähe zu den konkret genannten Regelungsgegenständen des Familienrechts auszeichnen.
Aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth somit nicht haltbar, sodass ein extremer Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften zu bejahen ist und die Bindungswirkung des Beschlusses entfällt. Der Senat verkennt nicht, dass das Landgericht Berlin (aaO) eine andere Meinung vertritt und die Entscheidung des Landgerichts Berlin auch in Kommentaren zitiert wird. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes kann die Entscheidung des Landgerichts Berlin jedoch nicht als Argument dafür herangezogen werden, dass die Meinung, dass es sich hier um eine Familiensache handelt, vertretbar ist und damit ein extremer Verstoß nicht bejaht werden kann.
b) Da der Rechtsstreit keine Familiensache zum Gegenstand hat, sondern eine allgemeine Zivilsache, ist das Landgericht Nürnberg-Fürth funktionell, sachlich und örtlich zuständig (§ 71 Abs. 1, § 23 Nr. 1 GVG, §§ 12,13 ZPO).
4. Eine gesonderte Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (Zöller-Herget aaO § 91 Rn 13.23).
Die Entscheidung ist analog § 37 Abs. 2 ZPO nicht anfechtbar.


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