Familienrecht

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Überwiegen einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls eines in einer Pflegefamilie untergebrachten dreijährigen Kindes bei Intensivierung bestehender Umgangskontakte mit Kindesvater

Aktenzeichen  1 BvR 3189/09

Datum:
18.1.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Ablehnung einstweilige Anordnung
Normen:
Art 6 Abs 2 S 1 GG
§ 32 Abs 1 BVerfGG
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Köln, 20. November 2009, Az: 25 UF 126/09, Beschlussvorgehend AG Köln, 26. Mai 2009, Az: 313 F 49/08, Beschlussnachgehend BVerfG, 14. Juli 2010, Az: 1 BvR 3189/09, Stattgebender Kammerbeschluss

Gründe

I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde und im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung gegen die Zurückweisung seines Antrags auf erweiterten Umgang mit seinem Sohn.
2
1. Der Beschwerdeführer ist der Vater des aus einer kurzen Beziehung mit der Kindesmutter stammenden, im April 2006 geborenen
J. Die Kindesmutter setzte den Jungen unmittelbar nach der Geburt aus. Er kam an seinem 12. Lebenstag in eine Pflegefamilie,
in der er seither lebt. Die Kindesmutter ist alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts,
das dem Jugendamt übertragen wurde.
3
Im Juli 2006 beantragte der Beschwerdeführer, ihm jeden Sonntagnachmittag Umgang mit J. zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung
am 5. Dezember 2006 vertrat das Gericht die Auffassung, dass je nach Möglichkeit des Trägers ein- bis zweimal im Monat ein
begleiteter Umgang stattfinden solle. Sodann ordnete es das Ruhen des Verfahrens an. Ab Januar 2007 fanden begleitete Umgangskontakte
statt.
4
Der Beschwerdeführer beantragte im Februar 2008 die Durchführung eines unbegleiteten Umgangs jeweils samstags von 10.00 bis
18.00 Uhr sowie eine Feiertagsregelung. Den zugleich gestellten Eilantrag wies das Amtsgericht mit – nicht angefochtenem –
Beschluss vom 25. April 2008 zurück.
5
Nach Einholung schriftlicher Stellungnahmen des Jugendamtes und der Pflegeeltern fand am 2. Dezember 2008 vor dem Familiengericht
eine mündliche Verhandlung statt, in der der Beschwerdeführer, der Pflegevater, das Jugendamt und die Leiterin des Pflegekinderdienstes,
die die Umgangstermine begleitet, angehört wurden. Am Ende der Verhandlung verkündete das Amtsgericht einen – nicht begründeten
– Beschluss, wonach der Umgang künftig alle sechs Wochen, begleitet durch den Pflegekinderdienst, stattfinde. Auf die Beschwerde
des Beschwerdeführers wurde dieser Beschluss am 24. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Beschlussfassung an
das Familiengericht zurückverwiesen.
6
a) Nach erneuter mündlicher Verhandlung entschied das Amtsgericht mit – angegriffenem – Beschluss vom 26. Mai 2009, dass der
Beschwerdeführer ein Recht auf durch den Pflegekinderdienst begleiteten Umgang einmal im Monat nachmittags in Anwesenheit
des Pflegevaters habe. Den weitergehenden Umgangsantrag wies es zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass
einerseits das intensive Interesse des Beschwerdeführers an seinem Kind und andererseits der Umstand zu bedenken sei, dass
der Junge in einer Pflegefamilie aufwachse und seine Integration in dieses Umfeld nicht gestört werden dürfe. Bei dieser Sachlage
sei ein “normaler” Umgang jedes Wochenende und an Feiertagen ohne jede Begleitung derzeit nicht zu befürworten, weil dieser
der Situation des Kindes nicht gerecht werde und dieses überfordern würde, wenngleich die Fähigkeit des Beschwerdeführers
zum angemessenen Eingehen auf die kindlichen Bedürfnisse nicht in Zweifel gezogen worden sei. Auch im Hinblick darauf, dass
der Umgang ursprünglich alle vier Wochen stattgefunden habe, halte das Gericht es für dem Kindeswohl förderlich, entsprechend
dem Vorschlag des Jugendamtes einen begleiteten Umgangskontakt einmal im Monat vorzusehen.
7
b) Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht mit – angegriffenem – Beschluss vom
20. November 2009 zurück. Das Hereinwachsen des noch kleinen Kindes in die Pflegefamilie, das von beiden Elternteilen befürwortet
werde, verlange zum Wohle des Kindes eine behutsame Gestaltung des Umgangsrechts. Es müsse für das Kind deutlich bleiben,
dass sein Lebensschwerpunkt in der Pflegefamilie sei. Da derzeit nur die Pflegeeltern als seine wesentlichen Bezugspersonen
anzusehen seien und der Junge noch nicht zwischen Pflegevater und leiblichem Vater differenzieren könne, sei eine behutsame
Ausgestaltung des Umgangs erforderlich. Ein intensiverer Umgang würde die für ihn notwendige Stabilität in seinem persönlichen
Umfeld gefährden. Dies gelte unabhängig davon, dass es keine Bedenken dagegen gebe, dass der Beschwerdeführer geeignet sei,
das Kind zu betreuen.
8
2. Der Beschwerdeführer, der mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Elternrechts rügt, beantragt, ihm im
Wege der einstweiligen Anordnung unbegleiteten Umgang mit seinem Sohn alle zwei Wochen für drei Stunden zu gestatten.
II.
9
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, weil die erforderliche Folgenabwägung zuungunsten des
Beschwerdeführers ausfällt.
10
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund
zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes
vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier
also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88,
185 ; 103, 41 ; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn
die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen,
die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen
wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 ; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem
verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab
anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht
seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen
zu Grunde (vgl. BVerfGE 34, 211 ; 36, 37 ).
11
2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die gebotene Folgenabwägung
führt allerdings dazu, dass eine einstweiligen Anordnung nicht zu erlassen ist.
12
Bei der Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nicht lediglich die Aufrechterhaltung eines bestehenden
Zustandes anstrebt, sondern eine Intensivierung der bislang praktizierten Umgangskontakte begehrt.
13
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, so würde es zunächst bei der bisher praktizierten Regelung eines begleiteten
Umgangs alle vier Wochen bleiben. Der Beschwerdeführer wäre im gleichen Umfang wie bisher in der Lage, sein Kind zu sehen
und sich auf diese Weise von seinen Entwicklungsschritten und seinem Wohlergehen selbst ein Bild zu machen. Die von ihm gewünschte
Intensivierung des Umgangs sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch dergestalt, dass er sich mit seinem Sohn ohne Begleitung
beschäftigen kann, würde sich allerdings – sofern sich die Verfassungsbeschwerde nachfolgend als begründet erwiese und das
zuständige Gericht nach erneuter Prüfung eine ihm günstige Entscheidung erließe – verzögern.
14
Erginge die einstweilige Anordnung, so würde das Kind über die bisher praktizierte Umgangsregelung hinaus intensiveren und
gegebenenfalls unbegleiteten Kontakten mit dem Beschwerdeführer ausgesetzt, ohne dass eine abschließende gerichtliche Prüfung
erfolgt wäre, inwieweit eine solche Ausweitung des Umgangs dem Wohl des Kindes tatsächlich entspricht.
15
Im Rahmen der gebotenen Abwägung erweisen sich daher die Nachteile, die dem Beschwerdeführer im Falle der Versagung des Erlasses
der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwerwiegend als die mögliche Gefährdung des Kindeswohls, die im Falle deren
Erlasses nicht ausgeschlossen werden könnte. Den im vorliegenden Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht abschließend
aufklärbaren Kindeswohlinteressen gebührt der Vorrang vor dem möglicherweise zeitweise eingeschränkten Elternrecht des Beschwerdeführers.


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