Familienrecht

Anspruch auf Gewährung von Hilfen zur Erziehung

Aktenzeichen  Au 3 K 15.1892

Datum:
25.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16987
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 64, § 74 Abs. 2, § 82 Abs. 1
ZPO § 62 Abs. 1, Abs. 2
SGB VIII § 27 Abs. 1
BGB § 1626 Abs. 1, § 1627

 

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung kann auch gerichtlich nur von beiden Personensorgeberechtigten gemeinsam geltend gemacht werden, da das Elternrecht aus Art. 6 GG beiden Elternteilen in unteilbarer Verantwortung zur gemeinsamen Ausübung zusteht. Sind nicht alle notwendigen Streitgenossen am Verfahren beteiligt, ist die Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abzuweisen.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Beitritt zum Verfahren auf klägerischer Seite setzt voraus, dass neben den für eine Klagerhebung notwendigen Inhalten nach § 82 VwGO der Handlungswille in Bezug auf die Erhebung einer Klage gegeben ist. Daran fehlt es, wenn der Handelnde in keiner Weise die Stellung einer Prozesspartei anstrebt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist mangels Klagebefugnis unzulässig, da sie lediglich durch den Kläger, der allein nicht klagebefugt ist, erhoben wurde.
1. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII steht der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung den Personensorgeberechtigten zu. Bei gemeinsamem Sorgerecht kann deshalb der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung – jedenfalls wenn es wie vorliegend um Hilfen außerhalb der elterlichen Familie geht – nur von beiden Sorgeberechtigten gemeinsam geltend gemacht werden, weil es sich für das Kind um eine Regelung von grundsätzlicher Bedeutung handelt, die nur beiden Eltern gemeinsam zusteht (Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 27 Rn. 11).
Dies gilt auch für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Wenn Eltern im eigenen Namen in einer Angelegenheit ihres Kindes aus dem Erziehungsrecht Klage führen, wie dies bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung der Fall ist, liegt ein Fall der echten, materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft i. S. d. § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO vor (Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 17). Dies führt dazu, dass die Klage von allen notwendigen Streitgenossen – vorliegend beiden Inhabern der elterlichen Sorge – erhoben werden muss. Gerichtliches Vorgehen nur eines Elternteils ist bei gemeinsamem Sorgerecht mangels Klagebefugnis unzulässig. Denn das Elternrecht aus Art. 6 GG steht ungeachtet seines individualrechtlichen Charakters beiden Elternteilen in unteilbarer Verantwortung zur gemeinsamen Ausübung zu (vgl. auch §§ 1626 I, 1627 BGB). Dies erfordert eine einvernehmliche Ausübung der elterlichen Befugnisse gerade auch im Hinblick auf die Führung des Rechtsschutzverfahrens zur Durchsetzung des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs (OVG Berlin-Brandenburg B.v. 30.8.2011 − 3 S 93/11 – NVwZ-RR 2011, 983 m.w.N.). Sind nicht alle notwendigen Streitgenossen am Verfahren beteiligt, ist die Klage mangels Klagebefugnis als unzulässig abzuweisen (BVerwG U.v. 29.11.1982 – 7 C 34/80 – NJW 1983, 1133; OVG Berlin-Brandenburg B.v. 30.8.2011 − 3 S 93/11 – NVwZ-RR 2011, 983; Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 20; m.w.N.).
Vorliegend üben der Kläger und die Kindsmutter die elterliche Sorge für die Kinder … und … gemeinsam aus, so dass eine gerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs durch den Kläger, der die streitgegenständliche Klage ohne Beteiligung der Kindsmutter erhoben hat, allein nicht möglich ist und die dennoch erhobene Klage unzulässig ist.
2. Nichts anderes ergibt sich auch aus der vom Kläger am 12. Juni 2018 übermittelten Erklärung der Kindsmutter.
a) Abgesehen davon, dass schon fraglich ist, ob dieses Schreiben den für eine Klageerhebung notwendigen Mindestinhalt im Sinne des § 82 Abs. 1 VwGO aufweist, weil es weder eine ladungsfähige Anschrift der Kindsmutter enthält, noch hinreichend zweifelsfrei zu entnehmen ist, um welches „Verfahren“ es ihr überhaupt geht, ergibt sich bei verständiger Auslegung, dass es der nicht anwaltlich vertretenen Kindsmutter vorliegend schon am Handlungswillen im Hinblick auf die Erhebung einer Klage und der damit verbundenen Konsequenzen fehlte. Zur Auslegung des Schreibens vom 12. Juni 2018 können auch die telefonisch abgegebene Äußerung der Kindsmutter und ihr Schreiben vom 18. Juni 2018 herangezogen werden. Daraus ergibt sich, dass die Kindsmutter davon ausging, durch eine pure Formalität lediglich ihrem früheren Ehemann einen Gefallen zu tun, dass sie aber in keinerlei Weise die Stellung einer Prozesspartei anstrebte.
b) Selbst wenn man dies anders sehen wollte und die Erklärung der Kindsmutter vom 12. Juni 2018 als Erklärung des Beitritts zum Verfahren auf klägerischer Seite wertete, wäre dieser jedoch verspätet, weil die für die Versagungsgegenklage geltende Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO durch die nach fast 3 Jahren abgegebene Erklärung nicht gewahrt wäre.
Die Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO ist von jedem notwendigen Streitgenossen zu wahren. Nichts anderes ergibt sich aus dem nach § 64 VwGO entsprechend anzuwendenden § 62 Abs. 2 Hs. 2 ZPO, wonach einzelne Streitgenossen, die einen Termin oder eine Frist versäumt haben, als durch die nicht säumigen vertreten angesehen werden (so Kopp/Schenke VwGO, 16. Aufl. 2009, § 64 Rn. 11). Diese Ansicht verkennt aber, dass die Vertretungsfiktion nur greifen kann, wenn der Handelnde und die Säumigen bereits Streitgenossen sind, ein Prozessrechtsverhältnis zueinander und zum Gericht also schon besteht. Sie kann daher noch nicht für die Klageerhebung gelten, durch die das Prozessrechtsverhältnis erst begründet werden soll. Deshalb kann die Klagefrist des § 74 VwGO nicht als Frist in diesem Sinn angesehen werden (Kintz in BeckOK VwGO, Stand: 01.04.2018, § 64 Rn. 14; Bier in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 64 Rn. 23 jeweils m.w.N.).
Damit bleibt es dabei, dass die lediglich vom Kläger wirksam und fristwahrend erhobene Klage mangels Klagebefugnis unzulässig ist.
c) An der Unzulässigkeit der Klage würde sich im Übrigen selbst dann nichts ändern, wenn man davon ausginge, dass durch das Schreiben vom 12. Juni ein wirksamer Beitritt erfolgt wäre und die rechtzeitige Klageerhebung auch zugunsten der säumigen Kindsmutter wirkte. In diesem Fall wäre jedenfalls ihr Schreiben vom 18. Juni, mit dem sie klar zum Ausdruck bringt, nicht Klägerin sein zu wollen, als Klagerücknahme zu werten, was dazu führte, dass die dann lediglich noch anhängige Klage des Klägers unzulässig würde (Clausing in Schoch/Schneider/Bier VwGO, 33. EL Juni 2017, § 92 Rn. 16).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO. Das Verfahren ist nach § 188 Abs. 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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