Familienrecht

Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung

Aktenzeichen  M 18 E 20.1940

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14018
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SGB VIII § 24 Abs. 2, § 79 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin einen dem individuellen Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege ab dem 7. Juli 2020 bis einschließlich 31. August 2020 nachzuweisen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Parteien je die Hälfte. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Die am 7. Juli 2019 geborene Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege nachzuweisen.
Die Mutter der Antragstellerin nahm wohl erstmals am 16. September 2019 mit dem Jugendamt des Antragsgegners telefonisch Kontakt auf, um sich hinsichtlich eines Platzes in der Kindertagespflege für die Antragstellerin zu erkundigen. Ausweislich eines Aktenvermerks des Antragsgegners seien der Antragstellerin in diesem Gespräch die Telefonnummern zweier Tagespflegepersonen, u.a. bei der Tagesmutter Frau W., weitergegeben worden mit dem Hinweis, dass nicht sicher sei, ob dort noch Plätze frei seien. Die Mutter der Antragstellerin sollte sich eigenständig bei diesen nach einem Platz erkundigen und sich wieder beim Antragsgegner melden, falls sie eine weitere Beratung wünsche.
In einem weiteren Aktenvermerk des Antragsgegners vom 2. Oktober 2019 wurde hinsichtlich eines weiteren Gesprächs mit der Mutter der Antragstellerin (wohl am 30. September 2019) festgehalten, dass die Mutter der Antragstellerin auf der Suche nach einem Krippenplatz ab dem 1. Mai 2020 sowie nach einem Kindergartenplatz ab dem 1. September 2020 für ihre beiden Kinder sei. Nach Aussage der Mutter der Antragstellerin habe der Bürgermeister der Gemeinde O., wo die Familie der Antragstellerin wohne, ab dem 1. September 2020 einen Krippenplatz in der eigenen örtlichen Krippe angeboten. Zeitgleich habe sich die Mutter der Antragstellerin bei den Tagespflegepersonen nach freien Betreuungsplätzen erkundigt, worauf die Tagesmutter Frau W. dieser einen Betreuungsplatz angeboten hätte, welcher bereits ab dem 1. Januar 2020 zur Verfügung stehen würde. Sie sei sich jedoch unsicher, da sie das Konzept der Tagespflege nicht kenne; sie würde befürchten, dass ihr Kind nach der Zeit bei der Tagespflege im Kindergarten kein Platz erhalten würde.
Am 25. Oktober 2019 wandte sich die Mutter der Antragstellerin per E-Mail erneut an den Antragsgegner. Dieser habe sie gebeten, ihre Vorgehensweise hinsichtlich des gewünschten Betreuungsplatzes noch einmal zusammenzufassen, damit klar ersichtlich sei, wann sie den Bedarf geltend gemacht habe. Am 30. September 2019 habe ein Termin mit dem Jugendamt stattgefunden bezüglich des Bedarfs der Betreuung ihrer beiden Kinder. Hier habe sie den Anspruch nach § 24 SGB VIII geltend gemacht. Sie werde ab dem 1. Juni 2020 wieder beruflich einsteigen und benötige dringend einen Platz in einer Krippe für die Antragstellerin ab dem 1. Mai 2020 und für ihren Sohn einen Platz in einem Kindergarten ab dem 1. September 2020. Es seien zwei Plätze in einer Einrichtung notwendig aufgrund der meist unterschiedlichen örtlichen Öffnungszeiten. Auch müssten sich diese Plätze in Fahrtrichtung Augsburg befinden. Sie arbeite von Montag bis Freitag von 8:00 bis 15:00 Uhr in Augsburg und müsste daher die Kinder um spätestens 7:00 Uhr in einer Einrichtung abgeben können. Eine Abholung könne frühestens ab 15:45 Uhr erfolgen.
Ausweislich eines Aktenvermerks des Antragsgegners führte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes am 10. Januar 2020 Gespräche mit mehreren Tagespflegepersonen. Laut der zusammengestellten Übersicht verfügte die Tagespflegeperson Frau W. über einen freien Platz ab September 2020; eine weitere Tagesmutter habe möglicherweise einen Platz ab Mai 2020, sei aber ab September voll. Eine weitere Tagespflegeperson, Frau S., habe aktuell einen Platz frei, auch ab 1. September 2020, bei Betreuungszeiten von 8:00 bis 15:00 Uhr von Montag bis Donnerstag. Inwieweit diese Informationen an die Antragstellerin weitergegeben wurden, ist aus der Akte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2020 wurde der Antragstellerin ein Betreuungsplatz in der örtlichen Kindertageseinrichtung in O. ab dem 1. September 2020 von der Leiterin der Einrichtung zugesichert.
Wie der Antragsgegner der Mutter der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Januar 2020 mitteilte, sei ab dem gewünschten Zeitpunkt Mai 2020 kein Platz frei. Auf die Zusicherung des Betreuungsplatzes ab September 2020 wurde Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass von Seiten des Antragsgegners der Mutter der Antragstellerin am 1. Oktober 2019 die Kontaktdaten diverser Tagesmütter mitgeteilt worden seien sowie ein Betreuungsplatz in der Tagespflege bei der Tagesmutter Frau W. angeboten worden sei.
Im weiteren Verlauf informierte die Mutter der Antragstellerin über den weiterhin bestehenden Bedarf einer Betreuung bezüglich der Betreuungslücke von vier Monaten. Ein Angebot seitens des Antragsgegners erfolgte nicht.
Mit Schriftsatz vom 1. Mai 2020, eingegangen bei Gericht am 7. Mai 2020, beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München sinngemäß,
den Antragsgegner zu verpflichten, einen Platz in einer Tageseinrichtung oder einer Kindertagespflege zur Verfügung zu stellen.
Es wurde ausgeführt, dass beide Eltern der Antragstellerin berufstätig und entsprechend auf einen Betreuungsplatz angewiesen seien. Die Eltern der Antragstellerin hätten sich bereits frühzeitig ab dem 12. September 2019 um einen Betreuungsplatz bemüht. Keine der kontaktierten Einrichtungen und Tagesmütter hätten einen Ganztagesplatz zur Verfügung stellen können. Sollte der Antragsgegner nicht in der Lage sein, ab dem 7. Juli 2020 einen Platz nachzuweisen, werde das Gericht um die Anordnung der Übernahme der zusätzlichen Kosten gebeten, die entstehen würden, wenn die Antragstellerin durch ein Aupair fremdbetreut werden müsste. Zusätzlich werde gebeten, die Zahlung von Schadensersatz gerichtlich anzuordnen, der den Eltern der Antragstellerin durch den Ausfall von Arbeitszeit entstehen sollte, falls sich auch kein Aupair finden sollte.
Das Gericht wies mit Schreiben vom 11. Mai 2020 darauf hin, dass die hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzansprüche ausschließlich vor der Zivilgerichtsbarkeit geltend gemacht werden können.
Die Eltern der Antragstellerin trugen mit E-Mail vom 15. Mai 2020 ergänzend vor, dass am 30. September 2019 ein persönliches Gespräch zwischen der Mutter der Antragstellerin und dem Bürgermeister der Gemeinde O. stattgefunden habe, in welchem der Bedarf nach einem Betreuungsplatz ab Juni 2020 geltend gemacht worden sei. Es sei geplant gewesen, dass die Mutter der Antragstellerin ab Juni 2020 wieder zu arbeiten beginne. Mit Eingewöhnungszeit hätte die Antragstellerin am 7. Mai 2020 starten können/sollen. Zudem habe zu diesem Zeitpunkt bereits Kontakt mit dem Jugendamt des Antragsgegners bestanden, welches ihnen auch keinen Platz habe vermitteln können.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner führte neben allgemeinen Ausführungen zur Kindergartenbedarfsplanung aus, dass der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII erst mit der Vollendung des ersten Lebensjahres, also ab dem 7. Juli 2020, bestehe. Für den Zeitraum ab 1. September 2020 sei ein Platz zugesichert; folglich verbleibe ein „strittiger“ Zeitraum vom 7. Juli bis 1. September 2020. Es sei seitens des Antragsgegners alles versucht worden, einen Betreuungsplatz für die Antragstellerin zu finden bzw. zu schaffen. Es sei eine Unterstützung der Familie durch diverse Gespräche mit verschiedenen Einrichtungen sowie Tagespflegepersonen erfolgt. Es sei jedoch festzustellen gewesen, dass die Mutter der Antragstellerin eine konkrete Vorstellung eines „perfekten“ Betreuungsplatzes gehabt hätte. Der Antragsgegner habe zweifelsfrei einen Platz für die Antragstellerin bei der Tagespflegeperson Frau W anbieten können bzw. angeboten. Dieser Platz sei leider nicht angenommen worden. Selbst ein persönliches Kennenlernen der Tagespflegeperson sei nicht in Erwägung gezogen worden. Objektive Gründe hierfür seien nicht erkennbar. Es kristallisierte sich im Gegenteil heraus, dass die Kindesmutter noch nicht einmal den telefonischen Kontakt zu Frau W. gesucht habe. Als Anlage war unter anderem ein Gesprächsvermerk vom 15. Mai 2020 beigefügt, wonach Frau W. telefonisch mitgeteilt habe, dass sie sich absolut sicher sei, dass sich die Kindesmutter noch nie telefonisch bei ihr gemeldet habe.
Auf gerichtliche Nachfrage hin führten die Eltern der Antragstellerin mit E-Mail vom 9. Juni 2020 aus, dass nach ihrer Ansicht mit Frau W. damals ein persönlicher Kontakt stattgefunden habe. Diese habe ihnen erst formlos einen Tagespflegeplatz ab dem Monat Mai 2020 in Aussicht gestellt, habe diesen jedoch kurzfristig wieder abgesagt. Der Anspruch auf einen Betreuungsplatz sei damit nicht erfüllt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache teilweise Erfolg.
Gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO ist der gestellte Antrag sachdienlich dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin von dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung den Nachweis eines Betreuungsplatzes ab dem 7. Juli 2020 begehrt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von der Antragstellerin begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Die Antragstellerin hat obigen Anforderungen entsprechend einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege ab dem 7. Juli 2020 glaubhaft gemacht. Allerdings wurde dieser für den Zeitraum ab dem 1. September 2020 bereits erfüllt.
Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Voraussetzung der Zuweisung eines Betreuungsplatzes ist gemäß § 24 Abs. 5 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG, dass die Erziehungsberechtigten die Gemeinde und bei einer gewünschten Betreuung durch eine Tagespflegeperson den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mindestens drei Monate vor der geplanten Inanspruchnahme in Kenntnis setzen.
Der Antragstellerin steht demnach nach Vollendung des ersten Lebensjahres ab dem 7. Juli 2020 ein Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu. Auch wurde der konkrete Betreuungsbedarf von der Mutter der Antragstellerin rechtzeitig spätestens mit der an den Antragsgegner am 25. Oktober 2019 gesendeten E-Mail geltend gemacht, in welcher diese unter Hinweis auf das Geburtsdatum ihrer Tochter auf die konkret gewünschten Betreuungszeiten hinwies. Dass die Mutter der Antragstellerin einen Bedarf bereits ab dem 1. Mai 2020, mithin also vor Vollendung des ersten Lebensjahres der Antragstellerin geltend machte, ist in Hinblick auf die dem Antragsgegner nach § 24 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII obliegende grundsätzliche Beratungspflicht unschädlich; ggf. hätte seitens des Antragsgegners ein Hinweis auf den von § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorgesehenen Beginn des Anspruchs auf frühkindliche Förderung erfolgen müssen.
Der Anspruch ist für den Zeitraum ab 7. Juli 2020 bis einschließlich 31. August 2020 auch nicht durch das Angebot eines zumutbaren Betreuungsplatzes als erfüllt anzusehen.
Zwar hat der Antragsgegner vorgetragen, dass er der Antragstellerin einen Platz bei der Tagesmutter Frau W. angeboten hätte. Ein solches dem Bedarf der Antragstellerin entsprechendes Angebot kann das Gericht jedoch nach eingehender Würdigung des Sachverhaltes nicht erkennen.
Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII erfordert auf der Grundlage der aus § 79 Abs. 2 SGB VIII folgenden Gewährleistungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe die Verschaffung bzw. Bereitstellung eines entsprechenden Platzes durch aktives Handeln (Vermitteln) des örtlich zuständigen Trägers (BayVGH, U. v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 28; BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 28). Der Antragsgegner hat vorliegend jedoch lediglich vorgetragen, der Mutter der Antragstellerin bei einem ersten Gespräch im September 2019 die Telefonnummern zweier Tagesmütter weitergegeben zu haben. Unabhängig davon, ob die Mutter der Antragstellerin den Kontakt mit der Tagesmutter Frau W. tatsächlich gesucht hat oder nicht, ist dieses Vorgehen allein nicht ausreichend für den Nachweis eines Betreuungsplatzes im Sinne einer aktiven Verschaffung. Der Antragsgegner gab bei der Weitergabe der Telefonnummern der Tagespflegepersonen selbst an, er wisse nicht, ob diese noch einen freien Platz hätten. Vom Antragsgegner wurde keinerlei Nachweis darüber geführt, ob zu dem für den Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII maßgeblichen Datum 7. Juli 2020 tatsächlich ein Platz zur Verfügung stand. Aus der vom Antragsgegner vorgelegten Akte ergibt sich lediglich, dass die Mutter der Antragstellerin in einem Gespräch (nach deren Aussage am 30. September 2019, nach Angabe des Antragsgegners am 2. Oktober 2019) berichtet habe, dass die Tagesmutter Frau W. einen Betreuungsplatz ab dem 1. Januar 2020 angeboten hätte.
Ein solches Angebot, sollte es denn überhaupt erfolgt sein – der Antragsgegner zweifelte zuletzt an, dass sich die Mutter der Antragstellerin tatsächlich mit der Tagesmutter Frau W. in Verbindung gesetzt habe – wäre allerdings auch nicht geeignet gewesen, den Anspruch aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu erfüllen. Der Nachweis eines Angebotes zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege genügt den Anforderungen des § 24 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 SGB VIII nur, wenn es dem konkret-individuellen Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 41). Vorliegend wurde durch die Mutter der Antragstellerin ein Betreuungsbedarf erst ab 1. Mai 2020 geltend gemacht. Es kann von den Eltern der nach § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kinder regelmäßig nicht erwartet werden, einen Betreuungsplatz schon weit vor dem gesetzlich vorgesehenen Beginn annehmen zu müssen, um ihren Anspruch nicht zu verlieren. Ein „Kinderkrippenjahr“ entsprechend dem Schuljahr mit festen Zeiten des Beginns in einem bestimmten Monat kennt die Vorschrift des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gerade nicht. Die Kapazitätsplanung ist vom örtlichen Jugendhilfeträger so vorzunehmen, dass er in der Lage ist, jederzeit einen entsprechenden Anspruch in dem Moment bedarfsgerecht zu erfüllen, in dem er entsteht. Die damit für die Jugendhilfeträger einhergehenden Schwierigkeiten, während des laufenden Jahres Betreuungsplätze bereitzustellen, sind dem Gericht zwar durchaus bewusst, dürfen jedoch im Einzelfall nicht zur Schmälerung des Anspruchs aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII führen.
Was den im Aktenvermerk des Antragsgegners vom 10. Januar 2020 erwähnten, zum damaligen Zeitpunkt freien Platz bei der Tagespflegeperson Frau S. anbelangt, ist weder vorgetragen noch dem Gericht ersichtlich, dass der Antragsgegner die Antragstellerin über diesen in Kenntnis gesetzt hätte. Der dem Antragsgegner obliegende Nachweis eines Betreuungsplatzes ist damit nicht gegeben.
Der Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes kann vom Antragsgegner erst für den Zeitraum ab dem 1. September 2020 geführt werden. Ab diesem Datum wurde der Antragstellerin ein Platz in der Kindertageseinrichtung in O. zugesichert. Der Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist daher ab diesem Zeitpunkt als erfüllt anzusehen. Dass dieser Platz in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht für die Antragstellerin nicht zumutbar wäre, ist nicht ersichtlich und wurde von der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren auch nicht behauptet. Der Antrag war daher für den Zeitraum ab 1. September 2020 abzulehnen.
Der Antragsgegner ist des Weiteren nicht dazu verpflichtet, für den „Überbrückungszeitraum“ von 7. Juli bis 31. August 2020 bereits einen Platz in der Kindertageseinrichtung in O. anzubieten, sondern kann auch auf Plätze anderer zumutbarer und bedarfsdeckender Einrichtungen zurückgreifen. Zwar würde eine kontinuierliche Betreuung in einer Einrichtung auch unter dem Gesichtspunkt der relativ kurz hintereinander zu erfolgenden Eingewöhnungsphasen dem Kindeswohl eher entsprechen, jedoch wird es im vorliegenden Fall gerade noch als zumutbar erachtet, wenn ein einmaliger Einrichtungswechsel zum 1. September 2020 stattfinden müsste (vgl. VG München, B.v. 6.8.2019 – M 18 E 19.3248 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 74 ff.). Besondere Umstände in der Person der Antragstellerin, die einen solchen Einrichtungswechsel ausnahmsweise als unzumutbar erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Übrigen wäre es auch alternativ vorstellbar, dass der Antragsgegner ab dem 7. Juli 2020 einen bedarfsgerechten Platz in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zur Verfügung stellt, der auch über den 1. September 2020 in Anspruch genommen werden kann.
Ein Anordnungsgrund, der es rechtfertigt, die Hauptsache vorwegzunehmen, liegt ebenfalls vor. Die Eltern der Antragstellerin haben hinreichend glaubhaft gemacht, ab der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Tochter berufstätig zu sein und damit nicht zur Betreuung der Antragstellerin zur Verfügung zu stehen. Die Betreuungslücke von 8 Wochen, die zwischen dem 1. Geburtstag der Antragstellerin und dem voraussichtlichen Beginn der Betreuung in der Kinderkrippe in O. liegt, kann nicht zumutbar durch die Eltern mit Urlaubstagen abgedeckt werden. Zur Vermeidung weiterer Nachteile für die Antragstellerin und ihre Eltern ist eine Vorwegnahme der Hauptsache daher angezeigt.
Dem Antrag war daher nur im tenorierten Umfang stattzugeben. Im Übrigen war er abzulehnen.
Über die gestellten „Hilfsanträge“ auf Schadensersatz, gegebenenfalls nach Verweisung an die Zivilgerichtsbarkeit, ist nicht mehr zu entscheiden. Dem von Antragstellerseite geltend gemachten Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes ist zum einen durch die vorliegende einstweilige Anordnung sowie mit dem von Antragsgegnerseite bereits erfolgten Angebot eines Platzes in einer Kindertageseinrichtung ab dem 1. September 2020 vollumfänglich Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.


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