Familienrecht

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Inobhutnahme einer Pflegetochter

Aktenzeichen  W 3 S 18.745

Datum:
5.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21646
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1, 3
SGB VIII § 42 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine durch Bescheid an die personensorgeberechtigten Pflegeltern angeordnete Inobuhutnahme ihrer Pflegetochter gem. § 42 Abs. 1 SGB VIII ist ein belastender Verwaltungsakt, der nicht kraft Gesetzes, sondern nur aufgrund einer besonderen behördlichen Anordnung sofort vollziehbar ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Vollzieht die Behörde die Inobhutnahme trotz aufschiebender Wirkung einer Klage, liegt ein Fall sog. faktischen Vollzuges vor, in dem das Gericht die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO analog feststellen und die sofortige Aufhebung der Vollziehung durch  Rückführung der Pflegetochter gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO anordnen kann. (Rn. 23 und 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage der Antragsteller (W 3 K 18.744) gegen die vom Antragsgegner angeordnete Inobhutnahme ihrer Pflegetochter C. … aufschiebende Wirkung hat und dass der Antragsgegner das Kind den Antragstellern unverzüglich zu übergeben hat.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Inobhutnahme einer Pflegetochter der Antragsteller durch den Antragsgegner.
Das Pflegekind C. … wurde am … … 2002 geboren. Es wurde bereits am 8. März 2004 erstmals in einer Pflegefamilie untergebracht. C. befand sich seit dem 25. August 2009 bei den Antragstellern in Vollzeitpflege.
Das Amtsgericht Würzburg entzog den leiblichen Eltern C. mit Beschluss vom 5. August 2004 das Recht auf Aufenthaltsbestimmung, zur Regelung der ärztlichen Versorgung und zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen. Soweit die Rechte entzogen wurden, wurde die Pflegschaft angeordnet und auf den Antragsgegner übertragen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 11. Oktober 2016 wurde der Beschluss vom 5. August 2004 aufrechterhalten. Mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 16. Mai 2018 wurde der Antragsgegner als Ergänzungspfleger entlassen und die Antragsteller wurden gemeinschaftlich als neue Pfleger ausgewählt.
Während sich die Antragsteller im Mai 2018 in einem Urlaub befanden, hielt sich C. bei einer Gastpflegefamilie auf. Dort kam es am 22. Mai 2018 zu einem sexuellen Übergriff C. zum Nachteil eines dort lebenden Kindes. Dies teilte die Gastpflegefamilie dem Antragsgegner am 23. Mai 2018 mit. Der Antragsgegner informierte die Antragsteller, welche sich zu diesem Zeitpunkt im Ausland befanden. Sie erklärten sich damit einverstanden, dass ihre Pflegetochter während ihres Urlaubsaufenthaltes in Obhut genommen wird (vgl. E-Mail der Antragstellerin zu 1) an den Antragsgegner vom 23. Mai 2018; Antragsschrift vom 31. Mai 2018). Daraufhin brachte der Antragsgegner C. in die Einrichtung St. Ludwig.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2018, adressiert an die Antragsteller, nahm der Antragsgegner C. in Obhut und brachte sie in der Inobhutnahmestelle St. Ludwig des Antonia-Werr-Zentrums ab dem 23. Mai 2018 unter (Ziffer 1.). Gleichzeitig wurde den Antragstellern Jugendhilfe durch Übernahme der anfallenden Kosten gewährt (Ziffer 2.). Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, C. habe infolge eines aktuellen kindeswohlgefährdenden sexuellen Übergriffs in der Ferienpflegefamilie in Obhut genommen werden müssen. Immer wieder auftretende Grenzüberschreitungen und Eskalationen gefährdeten auch zunehmend das reguläre Pflegeverhältnis. Aus den dargelegten Gründen sei die Inobhutnahme der Pflegetochter der Antragsteller zu prüfen. Aufgrund fachlicher Feststellungen sei diese auch notwendig und angemessen gewesen.
Am 29. Mai 2018 kam es zu einem Gespräch zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner, an dem auch C. sowie eine Betreuerin aus der Inobhutnahmestelle teilgenommen haben. In einem in den Behördenakten befindlichen Vermerk einer Mitarbeiterin des Antragsgegners über den Inhalt dieses Gesprächs wird ausgeführt, C. habe gegenüber der Mitarbeiterin im Rahmen eines Vier-Augen-Gesprächs geäußert, es sei besser für sie, nach St. Ludwig zu gehen als nach Hause. Dort wäre es zu belastend für sie.
Daraufhin wurde C. nicht den Antragstellern übergeben, sondern in der Einrichtung St. Ludwig belassen.
Mit E-Mail vom 29. Mai 2018 teilten die Antragsteller dem Antragsgegner jeweils mit, dass sie eine (zeitlich begrenzte) Rückkehr C. als einzige Option sehen würden. Gleichzeitig solle möglichst schnell eine Anschlusseinrichtung gesucht und das weitere Vorgehen mit Hilfeplan besprochen werden.
Der Antragsgegner antwortete mit E-Mail vom 30. Mai 2018, den Antragstellern könne als Pflegeeltern C. nicht mehr die volle Verantwortung zugemutet werden, C. und sich selbst zu schützen. Die Fachkräfte des Jugendamtes hielten die Unterbringung C. in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung für dringend erforderlich. Das Pflegekind habe sich dem Pflegekinderdienst anvertraut und den Wunsch geäußert, in die Einrichtung zurückzukehren. Das Jugendamt müsse die Vorstellungen einer 16-Jährigen ernst nehmen.
Die Antragsteller erwiderten hierauf ebenfalls mit E-Mail vom 30. Mai 2018 und legten dar, als Ergänzungspfleger und Pflegeeltern mit dem geplanten Vorgehen nicht einverstanden zu sein.
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2018, bei Gericht am 1. Juni 2018 eingegangen, erhoben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg (W 3 K 18.744).
Mit demselben Schriftsatz baten sie im vorliegenden Verfahren um dringende Eilentscheidung und beantragten die sofortige Rückführung ihrer Pflegetochter.
Zur Begründung trugen sie vor, es habe Einverständnis mit einer vorübergehenden Inobhutnahme während der kurzen Auslandsreise der Antragsteller bestanden. Die Antragsteller seien für ihre Pflegetochter Vertrauens- und Bezugspersonen und eine professionelle Aufarbeitung der Vorkommnisse durch eine ihr vertraute Therapeutin sei dringend notwendig. Ebenso werde ihrer Pflegetochter die Teilnahme am Qualifizierenden Mittelschulabschluss vorenthalten, von dem sie bereits einen Teil abgelegt habe. Von der Einrichtung St. Ludwig aus sei ein Besuch der bisherigen Schule nicht möglich. Die im Bescheid des Jugendamtes genannten Gründe rechtfertigten keine weitere Aufrechterhaltung der Inobhutnahme. Da bei den Antragstellern keine weiteren Kinder seien, sei auch nicht von einer weiter andauernden Gefährdung auszugehen. Durch eine sofortige Rückkehr könne einer Traumatisierung C. vorgebeugt werden. Die Antragsteller hätten schließlich die emotionalen, sozialen und pädagogischen Kompetenzen zur Betreuung ihrer Pflegetochter.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Er legte dar, das zuständige Amtsgericht (Familiengericht) über die Nichtzustimmung der Sorgerechtsinhaber zur Inobhutnahme unterrichtet zu haben. Die Inobhutnahme sei gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII während des Aufenthaltes der Pflegetochter in einer Gastpflegefamilie aufgrund eines sexuellen Übergriffes der Pflegetochter zum Nachteil eines dort lebenden Kindes erfolgt. Während des Klärungsgesprächs im Jugendamt am 29. Mai 2018 habe C. in einem vertraulichen Gesprächsteil mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes erklärt, dass sie nicht wieder in die Pflegefamilie zurück wolle und es besser fände, weiterhin in der Einrichtung bleiben zu können. Daraufhin sei die Fortdauer der Inobhutnahme im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfolgt. Die Hilfe nach §§ 27, 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) sei nicht mehr die notwendige und angemessene Hilfeform. Dies ergebe sich aufgrund des derzeitigen Verhaltens C. Weiter sei es denkbar, dass das Pflegekind auch aus der derzeitigen Einrichtung heraus die Prüfungen für den Qualifizierenden Mittelschulabschluss absolvieren könne.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Antragsgegners, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
Der Antrag, der im Wege der Auslegung dahingehend verstanden wird, dass die Feststellung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird (§§ 122, 88 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Klage der Antragsteller im Verfahren W 3 K 18.744 gegen die Inobhutnahme ihrer Pflegetochter hat aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog). Die Pflegetochter ist den Antragstellern daher zu übergeben (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Antragsgegner hat durch den Erlass des Bescheides vom 24. Mai 2018 gezeigt, dass er im Rahmen einer Inobhutnahme seine hoheitlichen Befugnisse ausgeübt und damit öffentlich-rechtlich gehandelt hat (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 – juris Rn. 3; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 70 m.w.N.).
Statthafter Antrag ist vorliegend, die aufschiebende Wirkung der Klage festzustellen. Dies ergibt sich aus § 123 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog und entspricht dem tatsächlichen Begehren der Antragsteller.
Diese beantragten im Schriftsatz vom 31. Mai 2017 die sofortige Rückführung ihrer Pflegetochter. Im Betreff dieses Schriftsatzes richteten sie ihre Klage zudem gegen die andauernde Inobhutnahme und trugen gleichzeitig vor, die vom Antragsgegner genannten Gründe rechtfertigten keine weitere Aufrechterhaltung der Inobhutnahme. Hieraus wird deutlich, dass sich die Antragsteller mit einer Klage gegen die vom Antragsgegner erlassene Inobhutnahme wenden und im Rahmen des vorliegenden Eilantrags auf die sofortige Rückführung ihrer Pflegetochter hinwirken wollen. Dieses Ziel können die Antragsteller mit dem oben genannten Antrag erreichen.
Die Inobhutnahme stellt für die Antragsteller einen belastenden Verwaltungsakt gemäß Art. 35 Satz 1 BayVwVfG dar (vgl. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 67, 68a). Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Eine Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 SGB VIII wird vom Tatbestand des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht umfasst, die aufschiebende Wirkung entfällt daher auch nicht ausnahmsweise kraft Gesetzes (vgl. VG Neustadt a.d. Weinstaße, B.v. 22.2.2017 – 4 L 165/17 – BeckRS Rn. 4). Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 24. Mai 2018 zudem keine sofortige Vollziehung angeordnet, sodass auch aus diesen Gründen die aufschiebende Wirkung nicht entfällt (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
Nach der Gesetzessystematik wird in derartigen Fällen des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO Eilrechtsschutz bereits durch Klageerhebung gewährt. Der Verwaltungsakt wird durch die Rechtshängigkeit einer Klage zumindest in seiner Vollziehung gehemmt (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 22 m.w.N.). Vollzieht die Behörde einen Verwaltungsakt trotz aufschiebender Wirkung einer Klage, liegt ein Fall der sog. faktischen Vollziehung vor (vgl. dazu Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 80 Rn. 352 ff.). In diesem Fall kann das Gericht die (bereits bestehende) aufschiebende Wirkung zwar nicht anordnen, es kann jedoch nach § 80 Abs. 5 VwGO analog feststellen, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 181).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Antragsgegner hält trotz in einheitlichem Schriftsatz mit diesem Antrag erhobener und zugestellter Klageschrift an der Inobhutnahme fest. Dies ergibt sich spätestens aus der Antragserwiderung vom 5. Juni 2018. Er vollzieht den Verwaltungsakt somit trotz bestehender aufschiebender Wirkung.
Es kann dabei dahinstehen, ob sich die Inobhutnahme durch den Antragsgegner vorliegend alleine aus dem Bescheid vom 24. Mai 2018 oder aufgrund weiterer, ggf. im Rahmen des Gesprächs am 29. Mai 2018 mündlich erlassener Verwaltungsakte ergibt. Die Klage der Antragsteller hat in jedem Fall die aufschiebende Wirkung zur Folge, da sie sich gegen die „andauernde Inobhutnahme“ richtet.
Der Antragsgegner führt in seiner Antragserwiderung sinngemäß aus, die Inobhutnahme zunächst mit Zustimmung der Antragsteller auf § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII gestützt zu haben. Diesbezüglich hat er auf den Bescheid vom 24. Mai 2018 verwiesen. Gleichzeitig legte der Antragsgegner dar, dass nach der Mitteilung C., nicht in die Pflegefamilie zurück zu wollen, die Fortdauer der Inobhutnahme im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfolgt sei. Es wird nicht deutlich, ob der Antragsgegner diese Inobhutnahme ebenfalls auf den Bescheid vom 24. Mai 2018 stützen wollte, oder ob er diesbezüglich einen neuen, ggf. mündlichen Bescheid erlassen hat. Jedenfalls hat der Antragsgegner weder im Bescheid vom 24. Mai 2018 die sofortige Vollziehung angeordnet, noch hat er die Existenz eines weiteren schriftlichen, sofort vollziehbaren Bescheids vorgetragen. Eine eventuelle mündliche Inobhutnahme hätte im Übrigen nicht wirksam für sofort vollziehbar erklärt werden können, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet werden muss (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). In jedem Fall hat der Antragsgegner keinen sofort vollziehbaren Bescheid bezüglich einer Inobhutnahme C. erlassen, wodurch der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung statthaft ist.
Den Antragstellern fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
Zum einen hat der Antragsgegner spätestens durch seine Antragserwiderung vom 5. Juni 2018 deutlich gemacht, an der Inobhutnahme weiter festzuhalten. Aus dieser Tatsache entsteht für die Antragsteller das Interesse, die bestehende aufschiebende Wirkung ihrer Klage feststellen zu lassen, da anderenfalls mit dem Fortbestand des faktischen Vollzugs und dem weiteren Entzug des Pflegekindes zu rechnen ist.
Zum anderen können die Antragsteller geltend machen, durch den weiteren Vollzug der Inobhutnahme in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Tatsache, dass die Antragsteller nicht die leiblichen Eltern, sondern die Pflegeltern von C. sind, ändert an dieser Einschätzung nichts. Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden hat, dass sich aufgrund der privatrechtlichen Beziehung des Jugendamtes zur jeweiligen Pflegefamilie kein subjektiv-öffentliches Recht im Falle einer Inobhutnahme ergibt (B.v. 20.1.2014 – 12 ZB 12.2766 – NJW 2014, 715 (716)), ist dieser Sachverhalt nicht auf das vorliegende Verfahren übertragbar. Den Antragstellern wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 16. Mai 2018 die Ergänzungspflegschaft übertragen; der Antragsgegner wurde mit Beschluss desselben Datums aus der Pflegschaft entlassen. Aus den Beschlüssen des Amtsgerichts Würzburg vom 4. August 2004 und 11. Oktober 2016 wird ersichtlich, dass sich die angeordnete Ergänzungspflegschaft insbesondere auf das Recht zur Aufenthaltsbestimmung bezieht. Somit greift die Inobhutnahme in dieses Recht zur Aufenthaltsbestimmung der Antragsteller ein. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in der genannten Entscheidung selbst ausgeführt, dass Adressaten einer Inobhutnahme neben dem betroffenen Kind allein die jeweils Personensorgeberechtigten sind, in deren Aufenthaltsbestimmungsrecht mittels einer hoheitlichen Maßnahme eingegriffen wird (BayVGH, a.a.O.). Da die Antragsteller insoweit Inhaber der Personensorge sind, können sie die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes geltend machen.
Der Antrag ist schon deshalb begründet, weil die Klage der Antragsteller im Verfahren W 3 K 18.744 gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO – wie oben bereits festgestellt – aufschiebende Wirkung hat (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 80 Rn. 352 m.w.N.).
Der Schriftsatz vom 31. Mai 2018 ist als Anfechtungsklage gegen die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zu verstehen (§ 88 VwGO). Die Kläger wenden sich gegen die andauernde Inobhutnahme und überschreiben ihren Schriftsatz zudem mit „Klage“. Des Weiteren können sie ihr Ziel, die Beendigung der Inobhutnahme und Herausgabe ihrer Pflegetochter (s.o.), mit der Beseitigung der Inobhutnahme im Bescheid vom 24. Mai 2018 bzw. weiterer, evtl. bestehender Bescheide über die Inobhutnahme erreichen. Die Anfechtungsklage ist somit zulässig. Die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 SGB VIII ist weder eine Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 VwGO), noch die Maßnahme eines Polizeivollzugsbeamten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Die aufschiebende Wirkung wurde zudem nicht durch Gesetz vorgeschrieben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) und der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung nicht angeordnet (s.o.).
Aus diesen Gründen war die aufschiebende Wirkung der Klage festzustellen. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage durfte der Antragsgegner die Inobhutnahme nicht weiter vollziehen, die Pflegetochter ist unverzüglich an die Antragsteller zu übergeben (vgl. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 70a).
Ohne dass es entscheidend darauf ankäme, bestehen im Übrigen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme. Der Antragsgegner legte in seiner Antragserwiderung vom 5. Juni 2018 dar, die Inobhutnahme seit dem 29. Mai 2018 auf § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII zu stützen. Da die Antragsteller dieser Inobhutnahme spätestens mit ihrer E-Mail vom 30. Mai 2018 widersprochen haben, hat das Jugendamt eine Entscheidung darüber vorzunehmen, ob durch den Verbleib des Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdung des Kindeswohls besteht oder die Personensorgeberechtigten in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden (§ 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII). Besteht nach dieser Einschätzung eine solche Gefährdung des Kindeswohls nicht, hat der Antragsgegner C. unverzüglich den Antragstellern zu übergeben. Geht der Antragsgegner von einer Gefährdung des Kindeswohls bei einer Rückkehr C. zu den Antragstellern aus, hat er eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen herbeizuführen (§ 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII).
Insofern trug der Antragsgegner lediglich vor, das Familiengericht über die Nichtzustimmung der Sorgerechtsinhaber zur Inobhutnahme unterrichtet zu haben. Aus diesem Vortrag wird für das Gericht bereits nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner auch eine Entscheidung des Familiengerichts herbeiführt. Die bloße Unterrichtung genügt an dieser Stelle nicht. Zudem hat der Antragsgegner auch nicht glaubhaft gemacht, eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen. Er hat weder etwaige Schreiben in Kopie beigefügt, noch dargelegt, welchen Inhalt seine Unterrichtung des Familiengerichts gehabt haben soll. Zudem ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner die im § 42 Nr. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII geforderte Einschätzung durchgeführt hat; zumindest ist in den vorgelegten Verwaltungsakten nichts Derartiges dokumentiert.
Dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO analog war daher mit der Kostenfolge aus § 154 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

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