Familienrecht

FamFG, Verfahren, Verweisung, Bindungswirkung, Bestimmungsverfahren, Familiensachen, Gerichtsstandsbestimmung, Bestimmung, Stellungnahme, Betreuungsverfahren, Abgabe, Ausnahme, Aufenthaltsort, Ehesachen, von Amts wegen, keine Bindungswirkung

Aktenzeichen  102 AR 65/21

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11131
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Für Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und ebenso für Verfahren in Familiensachen (mit Ausnahme von Ehesachen und Familienstreitsachen, für die in § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die Zivilprozessordnung verwiesen wird), enthält § 5 FamFG eine abschließende Regelung der gerichtlichen Zuständigkeiten in Kompetenzkonflikten.
2. Eine Zuständigkeitsübertragung auf das Bayerische Oberste Landesgericht für Entscheidungen nach § 5 FamFG besteht nicht.

Tenor

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Bestimmung des im Betreuungsverfahren zuständigen Gerichts nicht zuständig.
2. Das Bestimmungsverfahren wird gemäß § 17a Abs. 2, Abs. 6 GVG an das Oberlandesgericht München verwiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Auf Anregung der Stadt I. – Betreuungsstelle – vom 7. August 2019 wurde für den Betroffenen, der zu dieser Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Amtsgerichts Ingolstadt hatte, eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Das gerichtliche Verfahren wurde aufgrund der Anordnung einer vorläufigen Betreuung gemäß Beschluss vom 12. September 2019 und der Betreuungsanordnung gemäß Beschluss vom 2. März 2020 bei dem Amtsgericht Ingolstadt geführt.
Die Betreuerin teilte dem Gericht mit Schreiben vom 22. Januar 2021 eine neue Adresse des Betreuten in B. mit. Das Bezirksamt M. von B. habe dem Betreuten bei dem bezeichneten Unterkunftsanbieter unter der genannten Adresse ein Einzelzimmer zugewiesen. Eine Rückkehr nach Ingolstadt beabsichtige der Betreute nach derzeitigem Stand nicht.
Das Amtsgericht Schöneberg, in dessen Bezirk die mitgeteilte neue Anschrift des Betreuten liegt, antwortete am 10. Februar 2021 auf eine Anfrage des Amtsgerichts Ingolstadt, dass keine Übernahmebereitschaft bestehe. Der Aufenthalt an der angegebenen Adresse sei als vorübergehend anzusehen. Auch wenn eine Rückkehr nach Ingolstadt nicht beabsichtigt sei, seien Abgabe und Übernahme erst möglich, wenn feststehe, wo der Betroffene künftig dauerhaft leben werde.
Mit den Verfahrensbeteiligten mitgeteiltem Beschluss vom 19. Februar 2021 hat das Amtsgericht Ingolstadt das Betreuungsverfahren an das Amtsgericht – Betreuungsgericht – Schöneberg abgegeben mit der Begründung, der Betroffene habe seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Bereich des genannten Gerichts.
Das Amtsgericht Schöneberg hat die Verfahrensakte mit Verfügung vom 26. Februar 2021 unter Hinweis auf die Stellungnahme vom 10. Februar 2021 und die unveränderte Sachlage dem Oberlandesgericht München vorgelegt.
Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 11. März 2021 die Vorlageverfügung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Schöneberg zurückgegeben mit der Begründung, gemäß § 9 EGZPO bestimme das mit Gesetz vom 12. Juli 2018 für das Gebiet des Freistaats Bayern wiedererrichtete Bayerische Oberste Landesgericht das zuständige Gericht, wenn nach § 5 Abs. 2 FamFG ein in seinem Bezirk gelegenes Oberlandesgericht an Stelle des Bundesgerichtshofs zu entscheiden hätte.
Das Amtsgericht Schöneberg hat daraufhin mit Verfügung vom 25. März 2021 die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.
Die Verfahrensbeteiligten haben gemäß Verfügung vom 14. April 2021 Gelegenheit erhalten, sich zu einer Abgabe des Bestimmungsverfahrens an das Oberlandesgericht München zu äußern. Sie haben keine Stellungnahme abgegeben.
II.
Das Bestimmungsverfahren wird gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 GVG an das zuständige Oberlandesgericht München verwiesen. Dessen Entscheidung vom 11. März 2021 entfaltet keine Bindungswirkung und hindert die Verweisung nicht.
1. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts München folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5, Abs. 2 FamFG, weil das im Rechtszug nächsthöhere gemeinsame Gericht über den ihre Zuständigkeit jeweils leugnenden Amtsgerichten der Bundesgerichtshof ist und das zuerst mit der Sache befasste Gericht, das Amtsgericht Ingolstadt, zum Bezirk des Oberlandesgerichts München gehört.
Für die Bestimmung desjenigen Gerichts, das den Kompetenzkonflikt zu entscheiden hat, kann dahinstehen, ob sich beide am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte bereits „rechtskräftig“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG für unzuständig erklärt haben.
2. Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts zur Entscheidung des Kompetenzstreits besteht nicht.
Gemäß § 9 EGZPO bestimmt das Bayerische Oberste Landesgericht das zuständige Gericht, wenn nach § 36 Abs. 2 ZPO ein in seinem Bezirk gelegenes Gericht über die Zuständigkeitsfrage zu entscheiden hätte.
§ 36 Abs. 2 ZPO ist in der hier vorliegenden Sache jedoch nicht anwendbar, denn es handelt sich bei dem Ausgangsverfahren um eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Sinne der § 23a Abs. 2 Nr. 1 GVG, § 271 FamFG. Der Zuständigkeitsstreit in einer Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist – wovon auch das Oberlandesgericht München zutreffend ausgeht – auf der Grundlage des § 5 FamFG zu entscheiden.
Für Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (und ebenso für Verfahren in Familiensachen – mit Ausnahme von Ehesachen und Familienstreitsachen, für die in § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf die Zivilprozessordnung verwiesen wird [vgl. dazu: BayObLG, Beschluss vom 15. Mai 2019, 1 AR 35/19, juris]) enthält § 5 FamFG eine abschließende Regelung der gerichtlichen Zuständigkeiten in Kompetenzkonflikten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2016, XII ARZ 40/16, NJW-RR 2017, 1 Rn. 10). Eine Zuständigkeitsübertragung auf das Bayerische Oberste Landesgericht für Entscheidungen nach § 5 FamFG besteht nicht.
§ 199 Abs. 1 FGG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung hatte den Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt, die Entscheidung über das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde einem der mehreren Oberlandesgerichte oder an Stelle eines solchen Oberlandesgerichts dem obersten Landesgericht zuzuweisen. Hatte der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, fielen dem danach bestimmten Gericht gemäß § 199 Abs. 2 Satz 2 FGG auch die Entscheidungen nach § 5 FGG (Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts) und § 46 FGG (Abgabe an ein anderes Vormundschaftsgericht) zu.
Die Möglichkeit der Zuständigkeitskonzentration besteht nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vom 17. Dezember 2008 nicht mehr. Eine Norm, die vergleichbar der früheren Regelung in § 199 Abs. 2 FGG anordnete, dass im Falle einer Zuständigkeitskonzentration auch die Bestimmungsverfahren nach § 5 FamFG beim berufenen Gericht konzentriert seien, gibt es seither nicht mehr. Die Zuständigkeit des zur Bestimmungsentscheidung berufenen Oberlandesgerichts ist deshalb auch in den Ländern, die ursprünglich von der Konzentrationsermächtigung Gebrauch gemacht hatten, nunmehr allein anhand der allgemeinen Norm des § 5 FamFG zu bestimmen. Das wiedererrichtete Bayerische Oberste Landesgericht hat keine Zuständigkeit für Verfahren in Familiensachen – im Rahmen der oben genannten Einschränkungen – und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Sternal in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 5 Rn. 34a; Prütting in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 35; Pabst in Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 5 Rn. 19 f.; Burschel in BeckOK FamFG, 38. Ed. Stand: 1. April 2021, § 5 Rn. 16).
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 11. März 2021 entfaltet keine Bindungswirkung und ist nicht geeignet, die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts entgegen der gesetzlichen Regelung zu begründen.
Die Verweisung des Bestimmungsverfahrens beruht auf § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 GVG und erfolgt nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen. Die Vorschrift ist hier anwendbar, denn das Bayerische Oberste Landesgericht ist in Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung als Gericht der streitigen Zivilgerichtsbarkeit tätig; die Verweisung erfolgt an das für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit funktionell zuständige Gericht. Der Begriff „Rechtsstreit“ in § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG („… verweist den Rechtsstreit …“) meint nicht nur das Hauptsacheverfahren, sondern kann weitere vor-, nach- oder – wie hier – nebengelagerte Verfahren erfassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020, XII ZB 276/20, FamRZ 2021, 113 Rn. 20).
4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG liegen nicht vor.


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