Familienrecht

Normenkontrollantrag gegen eine Wasserschutzgebietsverordnung, fehlende Prozessführungsbefugnis, eheliche Gütergemeinschaft, gemeinschaftliche Verwaltung des Gesamtguts, gewillkürte Prozessstandschaft

Aktenzeichen  8 N 19.2040

Datum:
12.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16850
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
WHG § 51
BGB §§ 1415, 1416, 1421 Abs. 1 S. 2, 1450 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren unzulässig.

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat entscheidet über den Normenkontrollantrag nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung; die Beteiligten haben damit ihr Einverständnis erklärt.
A. Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.
1. Der Antragsteller ist nicht (alleine) prozessführungsbefugt. Ihm steht das Eigentum an den im Wasserschutzgebiet liegenden Grundstücken, auf das er seine Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stützt, nur gemeinsam mit seiner Ehefrau zu.
Im Grundbuch von A* … sind als Eigentümer der Grundstücke FlNrn. …, …, …, …, …, …, … und … Gemarkung A* … der Antragsteller und seine Ehefrau „in Gütergemeinschaft“ eingetragen. Die Eheleute leben in Gütergemeinschaft (vgl. §§ 1415 ff. BGB). Die im Schutzgebiet liegenden Grundstücke gehören zum gesamthänderisch gebundenen gemeinschaftlichen Vermögen beider Ehegatten (Gesamtgut, vgl. §§ 1416, 1419 BGB). Der Antragsteller und seine Ehefrau haben nach eigener Aussage keine Vereinbarung zur Verwaltung des Gesamtguts getroffen; dieses wird somit gemeinschaftlich verwaltet (vgl. § 1421 Satz 2, § 1450 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Aktivprozesse über das Gesamtgut sind von beiden Ehegatten gemeinsam zu führen, soweit nicht ein – hier nicht geltend gemachter – gesetzlicher Ausnahmetatbestand vorliegt (vgl. Thiele in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 1450 Rn. 28; Völker in Kaiser/Schnitzler/Schilling/Sanders, BGB/Familienrecht, 4. Aufl. 2021, § 1450 Rn. 13). Dies gilt auch im Fall einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO gegen eine Wasserschutzgebietsverordnung, mit der die Nutzbarkeit von Grundstücken eingeschränkt wird, die dem Gesamtgut zugehören. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann in solchen Fällen auf eine mögliche Verletzung des Gesamthandseigentums infolge rechtswidriger Nutzungseinschränkungen gestützt werden, die Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen (vgl. BVerfG, B.v. 6.9.2005 – 1 BvR 1161/03 – NVwZ 2005, 1412 = juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 30.9.1996 – 4 NB 31.96 u.a. – ZfBR 1997, 94 = juris Rn. 39). Die Prozessführungsbefugnis steht dann beiden Ehegatten gemeinsam zu; ein Ehegatte ist als Gesamthandseigentümer nicht alleine prozessführungsbefugt (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 = juris Rn. 11; U.v. 23.9.2014 – 13 A 13.1958 – FamRZ 2015, 924 = juris Rn. 7 f; vgl. auch BGH, U.v. 7.12.1993 – VI ZR 152/92 – NJW 1994, 652 = juris Rn. 12). Ein Normenkontrollantrag, bei dem sich der Antragsteller auf ein Recht beruft, das ihm nicht oder nur gemeinsam mit anderen zusteht, ist unzulässig (vgl. Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 9, § 64 Rn. 67; vgl. auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 83; Schmidt-Kötters in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 42 Rn. 115).
2. Die von der Ehefrau des Antragstellers am 11. April 2022 erteilte „Ermächtigung zur Prozessführung“, die mit Schriftsatz der Antragstellerseite vom 27. April 2022 vorgelegt wurde, führt nicht zur Zulässigkeit des Normenkontrollantrags.
a) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist im Normenkontrollverfahren durch die Regelung in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgeschlossen.
Bei der gewillkürten Prozessstandschaft handelt es sich um die Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf einen anderen als den Rechtsinhaber (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.1981 – 6 P 20.80 – BVerwGE 61, 334 = juris Rn. 22; BGH, U.v. 21.3.1985 – VII ZR 148/83 – BGHZ 94, 117 = juris Rn. 18). Im Verwaltungsprozess wird sie zumindest in solchen Verfahren als unzulässig erachtet, die die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung voraussetzen (vgl. Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, VwGO, § 62 Rn. 21; Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu §§ 40 bis 53, Rn. 37). Dies gilt wegen § 42 Abs. 2 VwGO insbesondere für Anfechtungsklagen (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.1995 – 3 C 27.94 – NVwZ-RR 1996, 537 = juris Rn. 19).
Auch § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sieht eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht vor (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2018 – 10 CN 1.17 – BVerwGE 162, 284 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 17.5.2021 – 15 N 20.2904 – BayVBl 2022, 165 = juris Rn. 23). Die antragstellende Person muss geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung „in ihren Rechten“ verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Gesetzgeber hat die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (BGBl I 1996, S. 1626) an die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO angepasst. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der sich an die Formulierung in § 42 Abs. 2 VwGO anlehnt, sondern auch die Gesetzesbegründung (vgl. BVerwG, U.v. 10.3.1998 – 4 CN 6.97 – NVwZ 1998, 732 = juris Rn. 12). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte durch die Neuregelung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gewährleistung des Individualrechtsschutzes als Zulassungsvoraussetzung ein stärkeres Gewicht erhalten (vgl. BT-Drs. 13/3993 S. 10; BT-Drs. 13/5098 S. 2). Aufgrund dieser inhaltlichen Übereinstimmung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO mit § 42 Abs. 2 VwGO scheidet eine gewillkürte Prozessstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO ebenfalls aus (vgl. Panzer bzw. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, § 47 VwGO Rn. 47, Rn. 148 zu § 47 Abs. 6 VwGO; vgl. auch NdsOVG, B.v. 17.6.2011 – 2 MN 31/11 – NdsVBl 2011, 276 = juris Rn. 7).
Darüber hilft auch nicht hinweg, dass der Antragsteller kein fremdes Recht beliebiger Dritter verfolgt, sondern Eigentümerrechte am Gesamtgut, die ihm als Mitglied der ehelichen Gütergemeinschaft gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau gesamthänderisch zustehen (so auch BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 = juris Rn. 16; vgl. auch BVerwG, U.v. 19.2.2015 – 7 C 11.12 – BVerwGE 151, 213 = juris Rn. 15 zur Miterbengemeinschaft; B.v. 15.4.2010 – 4 BN 41.09 – ZfBR 2010, 583 = juris Rn. 4 zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts). Zweck des § 42 Abs. 2 VwGO, an den sich § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO anlehnt (vgl. oben Rn. 31), ist nicht nur der Ausschluss der Popularklage, mit der sich der Kläger zum Sachwalter der Allgemeinheit oder einzelner anderer (Dritter) macht. Gleichfalls ausgeschlossen sind „Interessentenklagen“, mit denen keine Verletzung eigener Rechte, sondern die nachteilige Betroffenheit materieller oder sonstiger Interessen geltend gemacht wird (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2007 – 22 BV 05.3270 – BayVBl 2008, 149 = juris Rn. 19; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, § 42 Rn. 365; Wahl/Schütz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 7 ff.). Die Tatsache, dass der Antragsteller Mitglied der Gesamthandsgemeinschaft ist, der die im Wasserschutzgebiet liegenden Grundstücke der Eheleute zugehören (Gesamtgut), genügt deshalb nicht (vgl. auch BayVGH, B.v. 22.8.2017 – 1 ZB 15.289 – juris Rn. 6; Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, VwGO, § 62 Rn. 9); sie verhilft ihm nicht dazu, (Allein-)Inhaber des Eigentumsrechts zu sein.
Der Vorhalt des Antragstellers, er könne sich selbst auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG stützen, greift zu kurz. Schutzfähige Rechtsposition, auf die sich der Antragsteller berufen kann, ist nicht das Eigentum an den im Wasserschutzgebiet liegenden Grundstücken selbst, sondern seine diesbezügliche Rechtsstellung als Mitglied einer Gesamthandsgemeinschaft mit seiner Ehefrau (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2010 – 1 BvL 8/07 – BVerfGE 126, 331 = juris Rn. 84; U.v. 18.12.1968 – 1 BvR 638/64 u.a. BVerfGE 24, 367 = juris Rn. 61). Art. 19 Abs. 4 GG ist insoweit durch die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Prozessführung und – in den gesetzlichen Ausnahmefällen – auch alleinigen Prozessführung eines Ehegatten (vgl. oben Rn. 27) genügt.
b) Aber selbst wenn man eine gewillkürte Prozessstandschaft zuließe, wäre der Normenkontrollantrag unzulässig, weil der Antragsteller von seiner Ehefrau nicht innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zur Prozessführung ermächtigt wurde.
Der allein im Namen des Antragsstellers erhobene Normenkontrollantrag konnte die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht wahren, weil die Voraussetzungen der Prozessstandschaft nicht innerhalb der Antragsfrist vorgelegen haben; noch viel weniger wurde rechtzeitig offengelegt, dass die Prozessführung auch in fremden Namen erfolgen soll.
Wird die Prozessführung durch einen Dritten oder – wie hier durch einen gemeinschaftlich Mitberechtigten – erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist genehmigt, wirkt die Genehmigung nicht auf den Zeitpunkt der Antragserhebung zurück. Die Verfahrenseinleitung eines Nichtberechtigten bzw. nicht allein Berechtigten stellt nämlich keine Verfügung über das Recht dar, die materiell-rechtlich nach § 185 BGB genehmigt werden könnte (vgl. BGH, U.v. 27.11.2020 – V ZR 71/20 – NJW-RR 2021, 667 = juris Rn. 15 zu § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG in der bis 30.11.2020 geltenden Fassung). Die gewillkürte Prozessstandschaft kann von einem (Mit-)Berechtigten, der es versäumt hat, rechtzeitig (auch) einen Normenkontrollantrag zu erheben, nicht dazu genutzt werden, um durch Genehmigung eines bislang mangels Antragsbefugnis unzulässigen Normenkontrollantrags die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu umgehen (vgl. NdsOVG, U.v. 10.7.2018 – 1 KN 158/16 – BauR 2018, 1872 = juris Rn. 45; vgl. auch Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, Vorb. zu § 50 Rn. 30). Im Übrigen ist anerkannt, dass die Wirkungen einer gewillkürten Prozessstandschaft erst in dem Zeitpunkt eintreten, in dem sie prozessual offengelegt wird oder offensichtlich ist (vgl. BGH, U.v. 27.11.2020 – V ZR 71/20 – NJW-RR 2021, 667 = juris Rn. 20 m.w.N.). Dass die Prozessführungsbefugnis als Sachurteilsvoraussetzung grundsätzlich erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz vorliegen muss (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.1981 – 6 P 20.80 – BVerwGE 61, 334 = juris Rn. 21; BGH, U.v. 7.12.1993 – VI ZR 152/92 – NJW 1994, 652 = juris Rn. 17), ändert daran nichts.
Die gewillkürte Prozessstandschaft führt damit prozessrechtlich zu keiner anderen Rechtsfolge als ein späterer Beitritt des mitberechtigten Ehegatten zum anhängigen Normenkontrollverfahren, der als subjektive Klageänderung an § 91 VwGO zu messen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 24.10.2013 – 7 C 13.12 – LRE 67, 16 = juris Rn. 25; Peters/Kujath in Sodan/Ziekow, VwGO, § 91 Rn. 20; BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2018, 596 = juris Rn. 17 a.E.). Maßgebend für die Wahrung der Antragsfrist wäre dort der Zeitpunkt des Beitritts der neuen Aktivpartei (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2001 – 6 A 1.01 – NVwZ 2002, 80 = juris Rn. 7 zu § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO; NdsOVG, U.v. 22.6.2009 – 1 KN 89.07 – BRS 74 Nr. 49 [2009] = juris Rn. 49).
Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Umstellung der Begründung einer gegen eine Wasserschutzgebietsverordnung gerichtete Normenkontrolle, die nur ein Ehegatte – unter Berufung auf Alleineigentum an im Wasserschutzgebiet liegenden Grundstücken – erhebt und später darauf stützt, dass das Eigentum nicht ihm selbst, sondern – als Bestandteil des Gesamtguts (§ 1416 BGB) – einer aus ihm und seiner Ehefrau bestehenden Gesamthandsgemeinschaft zusteht (vgl. § 1419 Abs. 1 BGB), zu einer Änderung des Streitgegenstands führt. Der Vorhalt der Antragstellerseite, der Streitgegenstand der Normenkontrolle nach § 47 VwGO werde durch die objektiv-rechtliche Gültigkeit der Rechtsnorm und nicht vom Bestehen subjektiver Rechte bestimmt (vgl. Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 121 VwGO Rn. 67; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, § 121 Rn. 55), greift deshalb nicht durch.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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