Familienrecht

Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch im Jugendhilferecht

Aktenzeichen  12 B 19.795

Datum:
9.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6668
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 5, § 8, § 8a, § 27 Abs. 1, § 33, § 44 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Jugendhilfeart unterliegt nur der eingeschränkten gerichthlichen Überprüfung, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Adressaten umfassend beteiligt worden sind. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII bei einer vom Personensorgeberechtigten gewünschten Pflegeperson setzt nicht die vorherige Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege voraus. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger eine ihm obliegende Pflicht insbesondere zur Beratung und Auskunft verletzt ist, diese Pflichtverletzung ursächlicher für den erlittenen Nachteil war und dass der Nachteil der durch eine zulässige, dem  Gesetzeszweck nicht widersprechende Amtshandlung beseitigt werden kann. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 3 K 16.1239 2017-11-28 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 28. November 2017 (Az. Au 3 K 16.1239), der Bescheid des Beklagten vom 30. März 2016 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2016 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin in der Zeit vom 15. März 2016 bis 9. Mai 2017 für das Kind Maria Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung der Klägerin hat in vollem Umfang Erfolg. Die Klägerin hat auch für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 15. März 2016 bis 9. Mai 2017 einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 Abs. 1, 33 SGB VIII und auf die damit verbundenen Annexleistungen nach § 39 SGB VIII.
1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im streitbefangenen Zeitraum für das Kind Maria ein Hilfebedarf vorlag und dieser grundsätzlich durch Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege nach §§ 27, 33 SGB VIII gedeckt werden konnte. Im Streit steht allein die Geeignetheit der konkret gewünschten Pflegefamilie.
1.1 Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart ist nach § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII im Zusammenwirken der Fachkräfte des Jugendamts zu treffen. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung mehrerer Fachkräfte, welches nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, jedoch eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthält, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Daraus folgt, dass sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung darauf zu beschränken hat, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Adressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (BayVGH, Beschluss v. 16.10.2013 – 12 C 13.1599 – juris; Beschluss v. 29.7.2013 – 12 C 13.1183 – juris). Dabei setzt die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII die Eignung der Pflegeperson voraus, wobei bei der Beurteilung der Eignung maßgeblich die Versagungsgründe aus Art. 35 AGSG zu berücksichtigen sind und zwar auch dann, wenn für eine geleistete Betreuung keine Pflegeerlaubnis im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erforderlich ist.
1.2 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Beklagten kann die Einschätzung der mangelnden Geeignetheit der gewünschten Pflegefamilie im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII nicht schon auf die dieser zunächst versagte Pflegeerlaubnis gestützt werden. Insoweit gehen sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Beklagte von unzutreffenden Prognosetatsachen aus. Denn die Gewährung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII bei einer von den Personensorgeberechtigten gewünschten Pflegeperson setzt gerade nicht die vorherige Erteilung einer Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII für diese Person voraus. Der in § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII verwendete Begriff der „Vermittlung“ durch das Jugendamt ist weit im Sinne einer Einschaltung des Jugendamts als fachlich verantwortlicher „Mittler“ zu verstehen (Nellissen in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 33 SGB VIII Rn. 70). In einem solchen Fall bedarf es einer Erlaubnis nicht, da das Jugendamt im Rahmen der Entscheidung über die im Einzelfall geeignete und notwendige Hilfe zur Erziehung ohnehin die Eignung der gewünschten Pflegeperson zu überprüfen hat, was die Feststellung nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, dass das Wohl des jeweiligen Kindes oder des Jugendlichen im Einzelfall in der Pflegestelle gewährleistet ist, mit einschließt (OVG Lüneburg, Beschluss v. 7.6.2017 – 4 LA 281/16 – juris, m.w.N.). Durch die Gewährung einer Hilfe zur Erziehung ist sichergestellt, dass das dann eingeschaltete Jugendamt Gefahren für das Kindeswohl bereits im Vorfeld zu begegnen weiß, sodass das Bedürfnis des Jugendamts nach Informationen im Rahmen der Aufsicht nach § 44 SGB VIII im Wesentlichen nur in den Fällen bestehen bleibt, in denen keine Hilfe zur Erziehung geleistet wird, und dass der Erlaubnisvorbehalt daher keine eigenständige Funktion mehr hat, wenn das Jugendamt das Kind oder den Jugendlichen auf Wunsch des Personensorgeberechtigten im Rahmen der Hilfe zur Erziehung in eine Pflegefamilie vermittelt (vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 82). Dabei ist die Vermittlung nicht etwa als zeitlich „vorgeschaltet“ (vgl. Mörsberger in: Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 44 Rn. 13), sondern als Tatbestandsmerkmal ab dem Augenblick der Leistungsgewährung im Sinne von § 33 SGB VIII zu verstehen. In den Fällen, in denen das Pflegeverhältnis zunächst ohne Einschaltung des Jugendamts zustande gekommen ist, übernimmt das Jugendamt mit der Gewährung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege die fachliche Verantwortung für die Geeignetheit der Pflegeperson in dem konkreten Pflegeverhältnis, sodass auch dann eine Vermittlung der Pflegeperson durch das Jugendamt vorliegt. Da das Jugendamt des Beklagten letztlich ab dem 10. Mai 2017 die begehrte Hilfe zur Erziehung gewährt hat, bedurfte es einer gesonderten Pflegeerlaubnis für die Pflegefamilie nicht.
1.3 Nicht tragfähig ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Pflegeerlaubnis im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII sei nur dann entbehrlich, wenn die Unterbringung aufgrund einer Vermittlung durch das Jugendamt und zwar das für die Entscheidung über die Pflegeerlaubnis zuständige erfolgt. Diese Auffassung findet bereits im Gesetzeswortlaut keine Stütze (s. auch Mörsberger in: Wiesner, SGB VIII, a.a.O., § 44 Rn. 13: „… durch ein Jugendamt vermittelt wurden“). Bei Auseinanderfallen der Zuständigkeiten für die Hilfe zur Erziehung und der Erteilung einer Pflegeerlaubnis, wie hier, würde dies zudem zu einer Verdopplung der Entscheidung führen, die nicht dem Gesetzeszweck des § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII entspricht (vgl. hierzu JAmt, 2004, S. 173).
2. Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten hat das Verwaltungsgericht die begehrte Jugendhilfeleistung auch nicht allein aufgrund der fehlenden Pflegeerlaubnis für die Pflegefamilie als nicht geeignet erachtet, sondern darüber hinaus eine Prüfung der geeigneten und notwendigen Hilfe anhand der in Art. 35 AGSG geregelten Kriterien für die Versagung einer Pflegeerlaubnis nach § 44 Abs. 1 SGB VIII vorgenommen. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Es hat jedoch nicht hinreichend die mit der Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in der Pflegefamilie ab dem 10. Mai 2017 verbundene Feststellung der Geeignetheit der Pflegestelle trotz unverändert gebliebener Umstände, insbesondere im Hinblick auf die Anzahl und den Betreuungsbedarf der zu betreuenden Kinder, die entscheidend die Einschätzung der Ungeeignetheit wegen Überforderung der Pflegemutter im Sinne des Art. 35 Satz 2 Nr. 2 AGSG durch den Beklagten bestimmten, berücksichtigt. Eine bloße Teilrevision der Prognosetatsachen ohne entsprechende rechtfertigende Umstände für eine solche nachträgliche Differenzierung kommt nicht in Betracht.
2.1 Ob sich der Beklagte bei seiner zunächst getroffenen Entscheidung maßgeblich von der Versagung der Pflegeerlaubnis für die Pflegeeltern durch das hierfür zuständige Jugendamt bzw. später durch den Beschluss des Petitionsausschusses des Bayerischen Landtags vom 24. November 2016 hat leiten lassen, kann letztlich dahingestellt bleiben, da er jedenfalls mit Gewährung der Hilfe zur Erziehung ab dem 10. Mai 2017 die Geeignetheit der Pflegestelle festgestellt hat. Dass die nunmehr getroffene Entscheidung insoweit auf einer Veränderung der Gesamtsituation beruhen würde, ist aus den Akten nicht ersichtlich und wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Er hat jedenfalls nicht dargetan, dass die Pflegefamilie vor dem 10. Mai 2017 trotz unveränderter Gesamtsituation mit der Betreuung der Pflegekinder überfordert gewesen wäre. Zu Recht weist deshalb die Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass sich im Nachhinein die Prognose als falsch erwiesen hat. Behördliche Bedenken hinsichtlich der Eignung einer Pflegeperson müssen substantiiert und mit konkreten Ereignissen belegt werden, um tragfähig zu sein (BayVGH, Beschluss v. 16.10.2013 – 12 C 13.1599 – juris; Beschluss v. 29.7.2013 – 12 C 13.1183 – juris). Denn das Jugendamt trägt im Hinblick darauf, ob das Wohl des Kindes in der Pflegestelle nicht gewährleistet ist, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast (VG München, Urteil v. 11.12.2013 – M 18 K 12.5685 – juris m.w.N.). Der Beklagte hat indes nicht dargetan, warum trotz positiver Feststellung der Geeignetheit der Pflegeperson ab dem 10. Mai 2017 bei gleicher Gesamtsituation im davor liegenden Zeitraum das Wohl des Kindes nicht ebenso gewährleistet war. Offensichtlich hat der Beklagte selbst das Kind in der Pflegefamilie gut aufgehoben gewusst, andernfalls er geeignete Alternativen hätte aufzeigen müssen. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 29. März 2019 an keiner Stelle die Eröffnung eines Verfahrens bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a SGB VIII gefordert. Vielmehr ist der hier zu beachtende Maßstab, die Geeignetheit einer Pflegeperson für die Gewährung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege zu beurteilen. Zu Recht verweist die Klägerbevollmächtigte auf die Unvereinbarkeit zwischen dem Kindeswohl und dem Verbleib in einer für ungeeignet erachteten Pflegestelle. Mit dem Kindeswohl wäre es auch nicht vereinbar, bei vorliegendem Hilfebedarf erst nach Zeitablauf und einer Erprobungs- bzw. „Bewährungs“-phase ab diesem Zeitpunkt die Geeignetheit einer Pflegeperson festzustellen. Auf die den Pflegeeltern ebenfalls ab dem 10. Mai 2017 erteilte Pflegeerlaubnis durch das hierfür zuständige Jugendamt kommt es nicht an, da eine solche, wie ausgeführt, nicht erforderlich war.
2.2 Auch wenn der Senat grundsätzlich keine Entscheidung über die geeignete und notwendige Hilfeart treffen kann, ist bei der vorliegenden Fallkonstellation des Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen nach § 27 SGB VIII ausnahmsweise der Beklagte zur Gewährung der konkret beantragten Jugendhilfeleistung zu verpflichten. Der Beklagte kann nicht einerseits rückwirkend zum 10. Mai 2017 Hilfe zur Erziehung gewähren und andererseits für den davor liegenden Zeitraum versagen, ohne dass sich der zugrunde liegende Sachverhalt insoweit wesentlich anders gestalten würde. Ein solches Vorgehen verstößt nicht nur gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium); es verletzt zugleich auch das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), denn sachlich rechtfertigende Gründe für eine entsprechende Differenzierung sind insoweit nicht ersichtlich. Eine bloße Teilrevision kommt deshalb nicht in Betracht.
3. Ungeachtet dessen lässt sich ein Anspruch auf die begehrte Leistung, insbesondere auf die Zahlung des Pflegegeldes als Annexleistung nach § 39 SGB VIII, auch aus den Grundsätzen über den in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Dieser ist darauf gerichtet, in Fällen von Pflichtverletzungen eines Sozialleistungsträgers den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zuständige Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte (BGS, Urteil v. 12.10.1979 – 12 RK 47/77 – BSGE 49, 76, 79). Diese für das Sozialrecht entwickelten Grundsätze sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dort anwendbar, wo Pflichtverletzungen in einem sozialrechtlich geprägten Verwaltungsverfahren durch Naturalrestitution auszugleichen sind und keine Spezialregelungen bestehen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil v. 30.6.2011 – 3 C 36/10 -, BVerwGE 140, 103 bis 113).
3.1 Das Vorliegen eines sozialrechtlichen Verhältnisses ist vorliegend offenkundig und auch die weiteren Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind gegeben.
3.1.1 Dieser setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I) verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Verpflichtung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht und schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Eine Korrektur durch den Sozialrechtlichen Herstellungsanspruch darf dabei dem Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl. BayVGH v. 24.9.2012 – 12 ZB 11.712 – juris; v. 24.9.2008, BayVBl 2009, 212 ff. m.w.N.).
3.1.2 Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Zu Recht weist die Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass die Kontaktaufnahme zur Pflegefamilie durch den Beklagten, der der Klägerin die Pflegefamilie benannt hat, selbst initiiert wurde und nur aufgrund dieses Kennenlernens die Unterbringung des Kindes in der dortigen Pflegefamilie erfolgt ist. Deshalb verfängt der Einwand des Beklagten hinsichtlich der selbst beschafften Maßnahme nicht. Wenn der Beklagte meint, aufgrund der nunmehr im Berufungsverfahren erhobenen Vorwürfe gegen die Pflegefamilie, deren vermeintliche Ungeeignetheit in der Vergangenheit begründen zu können, übersieht er, dass er sich dadurch nicht der Verantwortung für die Einleitung der Unterbringung des Kindes entziehen kann. Darüber hinaus legt er auch nach wie vor nicht dar, in wieweit diese „Mängel“ ab Gewährung der Hilfe zur Erziehung bei weitest gleichgebliebener Sachlage entfallen wären.
Dass zugleich die erste Kontaktaufnahme zwischen dem Kind und der Pflegefamilie positiv verlaufen ist und die Klägerin deshalb und auch mangels konkreter Alternativen das Kind dort belassen hat, kann ihr nicht angelastet werden. Wenn der Beklagte nunmehr meint, dass eine Unterbringung dort lediglich für kurze Zeit angedacht gewesen sei, dann muss er sich entgegen halten lassen, dies nicht von Anbeginn in dieser Deutlichkeit kommuniziert und der Klägerin in der Folge auch keine andere Möglichkeit der Unterbringung, nunmehr auf Dauer, aufgezeigt zu haben. Der Beklagte hat es versäumt, im Hinblick auf den unbestritten vorliegenden Hilfebedarf zeitnah eine geeignete Alternative aufzuzeigen, auch wenn sich die Klägerin dahingehend geäußert hat, das Kind in der Pflegestelle belassen zu wollen. Der Beklagte verkennt seine Verantwortung, wenn er trotz Initiierens der Unterbringung diese nunmehr als zwischenzeitlich eigenmächtig von der Klägerin vorgenommen erachtet und der Klägerin ihr Beharren darauf vorwirft. Der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln bei der Klägerin eingetretene Nachteil kann durch die rückwirkende Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII beseitigt werden.
4. Da sich nach alledem der Bescheid des Beklagten vom 30. März 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2016 als rechtswidrig erweist, ist er aufzuheben und der Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für die Zeit vom 15. März 2016 bis zum 9. Mai 2017 Hilfe zur Erziehung in Form der Unterbringung ihrer Tochter in der Pflegefamilie Prinz und der damit verbundenen Annexleistung nach § 39 Abs. 4 SGB VIII zu gewähren.
5. Der Beklagte trägt nach § 152 Abs. 1 VwGO die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung ist nach § 167 Abs. 2 VwGO nur hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Gründe, nach § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben