Familienrecht

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 18.02.2021 III R 27/19 – Anspruch auf deutsches Kindergeld in den Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen, wenn nur in Deutschland ein Kindergeldanspruch besteht)

Aktenzeichen  III R 2/20

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.180221.IIIR2.20.0
Normen:
§ 62 Abs 1 EStG 2009
§ 63 Abs 1 EStG 2009
§ 32 EStG 2009
Art 68 Abs 1 EGV 883/2004
Art 68 Abs 2 S 3 EGV 883/2004
Art 67 EGV 883/2004
Art 60 Abs 1 S 2 EGV 987/2009
EStG VZ 2017
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. NV: Der Anspruch auf Kindergeld im nachrangigen Staat ist nicht nach Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, wenn nur ein Anspruch im nachrangigen Staat besteht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch im vorrangigen Staat aber nicht erfüllt werden.
2. NV: Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ist nur anwendbar, wenn konkurrierende Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift vorliegen.
3. NV: Wird daher in dem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat für einzelne Kinder keine dem Kindergeld vergleichbare Leistung erbracht, weil die nationalen Rechtsvorschriften keinen Anspruch für das Kind vorsehen, müssen die allein durch den Wohnort einer berechtigten Person ausgelösten Ansprüche auf Familienleistungen für in einem anderen Mitgliedstaat lebende Kinder erfüllt werden.
4. NV: Die Wohnsitzfiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 kann bei Personen, die im EU-Ausland wohnen, dazu führen, dass der Anspruch auf deutsches (Differenz-)Kindergeld nicht dem in Deutschland lebenden Elternteil zusteht, sondern dem im anderen Mitgliedstaat zusammen mit den Kindern in einem Haushalt lebenden anderen Elternteil (vgl. schon Senatsurteil vom 27.07.2017 – III R 17/16, BFH/NV 2018, 201).

Verfahrensgang

vorgehend FG Nürnberg, 19. März 2019, Az: 6 K 508/18, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 19.03.2019 – 6 K 508/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, ob die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das im April 2005 geborene Kind E rechtmäßig ist.
2
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist italienische Staatsangehörige und wohnt zusammen mit E in Italien. Sie ist nicht erwerbstätig und bezieht keine Rente.
3
Der Kindsvater, ebenfalls italienischer Staatsangehöriger, wohnt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), ist nicht erwerbstätig und erhält Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
4
In Italien besteht für E nach den von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) unwidersprochenen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) kein Anspruch auf Familienleistungen.
5
Mit Bescheid vom 30.12.2014 setzte die Familienkasse zugunsten der Klägerin Kindergeld für E ab Mai 2010 bis April 2023 fest.
6
Mit Bescheid vom 05.12.2017 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung vom 30.12.2014 für E ab Juli 2017 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung gab sie an, dass sich die für den Anspruch auf Kindergeld wesentlichen Verhältnisse geändert hätten. Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 b iii der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 883/2004 –Grundverordnung–) sei Italien vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig, weil konkurrierende Ansprüche auf Kindergeld nach deutschem Recht und auf italienische Familienleistungen bestünden, die beide durch den Wohnsitz ausgelöst würden und die Kinder in Italien wohnhaft seien. Differenzkindergeld i.S. des Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der VO Nr. 883/2004 sei gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen.
7
Gegen den Aufhebungsbescheid vom 05.12.2017 legte die Klägerin Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 19.03.2018 zurückgewiesen wurde.
8
Die Klage hatte Erfolg. Das FG vertrat die Ansicht, dass ein Ausschluss des unstreitig bestehenden inländischen Kindergeldanspruchs nicht von Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 gedeckt sei.
9
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung von Bundesrecht.
10
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des FG Nürnberg vom 19.03.2019 – 6 K 508/18 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit es das Kind E betrifft.
11
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.


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