Familienrecht

Verfahrensunterbrechung aufgrund der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

Aktenzeichen  1 AR 86/20

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23929
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 240, § 249 Abs. 2
EGZPO § 9

 

Leitsatz

Ist über das Vermögen einer Partei das Insolvenzverfahren eröffnet worden und deswegen nach § 240 ZPO Unterbrechung des Verfahrens eingetreten, so kann sich ein Gericht während der Dauer der Unterbrechung nicht mehr im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklären. Ein dennoch erlassener die eigene Zuständigkeit leugnender Beschluss ist den Parteien gegenüber entsprechend § 249 Abs. 2 ZPO wirkungslos. (Rn. 12)

Verfahrensgang

7 O 27/20 — LGTUEBINGEN LG Tübingen

Tenor

Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 13. März 2020 hat sich das Landgericht Tübingen, nach Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 ZPO durch das Landgericht München I mit Beschluss vom 28. Januar 2020, für örtlich unzuständig erklärt und die Akte dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 19. Mai 2020 im Verfahren 1 AR 28/20 (juris) entschieden, dass die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht vorgelegen hätten. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass der Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 13. März 2020, mit dem dieses die Übernahme des Rechtsstreits verweigert habe, der Beklagten nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Der die Übernahme ablehnende Beschluss vom 13. März 2020 des Landgerichts Tübingen sei (formlos) lediglich der Beklagten selbst und nicht deren früheren, aber noch zustellungsbevollmächtigten Prozessbevollmächtigten übermittelt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, verwiesen (Bl. 72/83 d. A.).
Am 20. Mai 2020 ist die Akte dem Landgericht Tübingen als dem vorlegenden Gericht zurückgegeben worden. Am 15. Mai 2020 hat das Amtsgericht Tübingen das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet, was der Insolvenzverwalter mit an das Bayerische Oberste Landesgericht gerichtetem Schreiben vom 29. Mai 2020, das am 2. Juni 2020 eingegangen ist, mitgeteilt hat. Das Schriftstück ist dem Landgericht Tübingen mit Schreiben des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 3. Juni 2020, dort eingegangen am 4. Juni 2020, übermittelt worden.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2020 hat sich das Landgericht Tübingen erneut für örtlich unzuständig erklärt und zudem beschlossen, die Akte dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorzulegen. Die Begründung des Beschlusses entspricht derjenigen des Beschlusses vom 13. März 2020. Im Rubrum des Beschlusses ist allerdings nunmehr der frühere Prozessbevollmächtigte der Beklagten aufgeführt. Am 7. Juli 2020 ist vom Landgericht Tübingen den Parteien sowie zusätzlich für die Beklagte deren (früheren) Prozessbevollmächtigten das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 29. Mai 2020 in Ablichtung zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Am 8. Juli 2020 hat das Landgericht Tübingen den Beschluss vom 3. Juli 2020 der Klägerin sowie dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten übersandt und die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen auch jetzt nicht vor.
1. Gegenstand des Bestimmungsverfahrens ist der Zuständigkeitskonflikt, der zwischen dem Landgericht München I aufgrund dessen Verweisungsbeschlusses vom 28. Januar 2020 einerseits und dem Landgericht Tübingen aufgrund dessen Entscheidung vom 3. Juli 2020 andererseits besteht. Denn das Landgericht Tübingen hat nicht seinen früheren Beschluss vom 13. März 2020 dem (früheren) Prozessbevollmächtigten der Beklagten bekanntgegeben, sondern am 3. Juli 2020 eine neue, lediglich im Rubrum ergänzte und im Übrigen wortlautidentisch mit dem Beschluss vom 13. März 2020 gefasste Entscheidung getroffen.
2. Das Bayerische Oberste Landesgericht wäre für die Bestimmungsentscheidung zwar nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig, weil das für die am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.
3. Jedoch sind die Voraussetzungen für die Bestimmung der (örtlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) neuerlich nicht gegeben.
a) Zwar hindert die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten grundsätzlich nicht die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Das Bestimmungsverfahren betrifft nicht die Hauptsache selbst, sondern nur die gerichtliche Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren. Insoweit hat das Bestimmungsverfahren lediglich vorbereitenden Charakter (vgl. allgemein Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 16; Toussaint in BeckOK ZPO, 37. Ed. Stand: 1. Juli 2020, § 37 Rn. 7.1; zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO: BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ARZ 578/13, NJW-RR 2014, 248 Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 35/20, Rn. 16; jeweils m. w. N.; zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO: BAG, Beschluss vom 21. Dezember 2015, 10 AS 9/15, juris Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Dezember 2016, 32 SA 69/16, juris Rn. 14; OLG Celle, Beschluss vom 18. Juni 2002, 4 AR 45/02, juris Rn. 6).
b) Allerdings ist der Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 3. Juli 2020, der nicht ohne Anhörung der Parteien hätte ergehen dürfen (vgl. insbesondere die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, Gliederungspunkt II. 3. b [juris Rn. 35]), unzulässig und als eine nach außen wirkende Handlung des Gerichts den Parteien gegenüber wirkungslos. Denn die Hauptsache, also der prozessuale Anspruch, wird nicht nur von Entscheidungen sachlichrechtlichen Inhalts, sondern in gleicher Weise auch von rein verfahrensrechtlichen Entscheidungen oder Anordnungen betroffen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, § 249 Rn. 10; vgl. Jaspersen in BeckOK ZPO, § 249 Rn. 16; Stackmann in Münchener Kommentar zur ZPO, § 249 Rn. 19; vgl. BAG, Beschluss vom 21. Dezember 2015, 10 AS 9/15, juris Rn. 17 f.; a.A., allerdings ohne Begründung: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. November 2011, 5 Sa 89/11, juris Rn. 6). Die Entscheidung ist in Ansehung der Hauptsache ergangen, obwohl zum Zeitpunkt ihres Erlasses durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten bereits Unterbrechung des Rechtsstreits gemäß § 240 Satz 1 ZPO eingetreten war; der Rechtsstreit ist beim Landgericht Tübingen auch weder aufgenommen worden noch ist das Insolvenzverfahren beendet.
Die Voraussetzungen des § 249 Abs. 3 ZPO liegen nicht vor. Der Beschluss vom 3. Juli 2020 ist nicht aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen. Es kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht (vgl. Jaspersen in BeckOK ZPO, § 249 Rn. 21).
c) Damit erfüllt die ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit durch das Landgericht Tübingen als desjenigen Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist, wiederum nicht das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, mit der Folge, dass eine Zuständigkeitsbestimmung nach wie vor nicht erfolgen kann. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt haben. Das erfordert, dass die entsprechenden Entscheidungen gegenüber den Parteien wirksam geworden und somit nicht lediglich gerichtsinterne Vorgänge geblieben sind (vgl. zum Erfordernis der Bekanntgabe: BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997, XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 19. Juni 1996, XII ARZ 5/96, NJW-RR 1996, 1217 [juris Rn. 1]; Beschluss vom 13. Mai 1992, XII ARZ 9/92, juris Rn. 1; BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, juris Rn. 20; Beschluss vom 26. März 2020, 1 AR 13/20, juris Rn. 11; OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. November 2019, 1 W 82/19, juris Rn. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, MDR 2015, 419 [juris Rn. 8]; Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 35). Der Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 3. Juli 2020, mit dem es eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat, ist wegen Unterbrechung des Rechtsstreits gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 ZPO bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses gegenüber den Parteien wirkungslos und damit eine gerichtsinterne Entschließung geblieben. Er kann daher nicht als Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO angesehen werden.
d) Dem steht nicht entgegen, dass (auch) der Beschluss des Senats vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20 bereits nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten ergangen ist. Der Rechtsstreit ist durch diesen Beschluss nicht in der Hauptsache gestaltet worden, zumal das zuständige Gericht mit diesem Beschluss gerade nicht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt worden ist.
4. Aus den genannten Gründen ist das Verfahren erneut an das vorlegende Gericht, hier das Landgericht Tübingen, zurückzugeben.


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