Familienrecht

XII ZB 300/21

Aktenzeichen  XII ZB 300/21

Datum:
29.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:290921BXIIZB300.21.0
Normen:
§ 329 Abs 1 S 1 FamFG
Spruchkörper:
12. Zivilsenat

Leitsatz

Zu den Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung von einem Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20, FamRZ 2021, 1242).

Verfahrensgang

vorgehend LG Saarbrücken, 31. Mai 2021, Az: 5 T 185/21vorgehend AG Merzig, 14. Juli 2020, Az: 4 XVII (R) 209/19

Tenor

Dem Betroffenen wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt    beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Merzig vom 14. Juli 2020 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 31. Mai 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.
1
Der Betroffene leidet seit 2012 an einer paranoid-psychotischen Störung aus dem schizophrenen Formenkreis. Seit Juni 2017 ist für ihn eine Betreuung eingerichtet. Nachdem der Betroffene im Juni 2020 nach der Einnahme einer Überdosis von Aufputschmitteln in eine Klinik eingeliefert werden musste, hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers zunächst durch einstweilige Anordnung die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis längstens 17. Juli 2020 genehmigt.
2
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers mit Beschluss vom 14. Juli 2020 die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 13. Juli 2022 genehmigt. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat einen Verfahrenspfleger bestellt, den Betroffenen angehört und schließlich dessen Beschwerde zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, weil es an einer ausreichenden Begründung für eine Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr fehlte (Senatsbeschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20 – FamRZ 2021, 1242). Mit Beschluss vom 31. Mai 2021 hat das Landgericht unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen den Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis zum 26. Juni 2021 gerichtlich genehmigt wird. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Feststellung begehrt, dass die genannten Beschlüsse ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg; sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts.
4
1. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der – hier vorliegenden – Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 291/20 – FamRZ 2021, 462 Rn. 5 mwN).
5
2. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 291/20 – FamRZ 2021, 462 Rn. 6 mwN).
6
a) Die erneute Entscheidung des Landgerichts verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, weil darin die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung für die festgesetzte Dauer von insgesamt einem Jahr (§ 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG) nicht ausreichend dargelegt wurden.
7
aa) Zwar ist das Landgericht noch zutreffend davon ausgegangen, dass sich der Fristablauf für die erforderliche Dauer einer Unterbringung grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens orientieren muss und die Frist daher nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2016 – XII ZB 236/15 – FamRZ 2016, 1065 Rn. 23 mwN).
8
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung jedoch nicht berücksichtigt, dass die Jahresfrist des § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Höchstgrenze darstellt, die nicht als Regelfrist verstanden werden darf (vgl. MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 329 Rn. 4). Die Dauer der Unterbringungsmaßnahme ist daher stets für den konkreten Einzelfall und unter strikter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzusetzen und kann auch für einen kürzeren Zeitraum festgelegt werden (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Juli 2021] § 329 Rn. 2). Deshalb muss das Gericht auch dann, wenn es die Höchstfrist von einem Jahr nach § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG festsetzen möchte, begründen, warum es genau diese Dauer wählt. Die Begründung darf sich dabei nicht darauf beschränken, der festgesetzte Zeitraum entspreche der gesetzlich vorgesehenen Jahresfrist (MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 329 Rn. 4; BayObLG FamRZ 1995, 695, 696).
9
bb) Diesen Anforderungen wird die erneute Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht. Denn es fehlt weiter an einer tragfähigen tatrichterlichen Würdigung der für die Unterbringungsdauer maßgeblichen Umstände. Die Begründung des Landgerichts erschöpft sich darin, die Ausführungen des Senats in dessen Entscheidung vom 21. April 2021 (XII ZB 520/20 – FamRZ 2021, 1242) zu den Anforderungen an die Begründung bei Festsetzung einer Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr wortgetreu zu wiederholen und daraus den Schluss zu ziehen, dass damit die Unterbringung auf längstens ein Jahr festzusetzen sei. Ob möglicherweise eine kürzere Unterbringungsdauer in Betracht zu ziehen ist, erörtert das Landgericht nicht, obwohl es der Sachverständige für denkbar gehalten hat, dass bereits nach sechs Monaten der Unterbringung abhängig vom klinischen Verlauf und nach Absprache mit dem Klinikpersonal „Lockerungsbestrebungen“ vorgenommen werden könnten. Das Landgericht hat sich ersichtlich auch nicht die Frage vorgelegt, ob im Hinblick auf die bereits verstrichene Zeit, in der der Betroffene zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bereits in einer geschlossenen Einrichtung behandelt worden ist, eine Verbesserung seines Gesundheitszustands erreicht wurde, der die Festsetzung einer kürzeren Unterbringungsdauer hätte rechtfertigen können.
10
b) Ebenso wird der Betroffene durch die Entscheidung des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt, weil auch diese keine ausreichende Begründung für die festgesetzte Unterbringungsdauer enthält.
11
3. Der Betroffene ist durch die nicht ausreichend begründete Unterbringungsdauer in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der – hier durch Zeitablauf erledigten – Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 291/20 – FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN).
12
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose     
      
Schilling     
      
Günter
      
Nedden-Boeger     
      
Krüger     
      


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