Familienrecht

Zur Regelung der Angelegenheiten der elterlichen Sorge mittels einer umfassenden Vollmacht zwischen den Sorgeberechtigten

Aktenzeichen  7 UF 185/21

Datum:
18.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41538
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1671 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Eine Bevollmächtigung durch einen Elternteil macht die Übertragung des Sorgerechts entbehrlich, wenn und soweit eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrung der Kindesbelange vorhanden ist. (Rn. 11)
2. Durch umfassend erteilte Vollmachten für Teilbereiche der elterlichen Sorge ist der betreuende Elternteil in der Lage, die Entscheidungen für die Kinder in diesen Bereichen hinreichend zu treffen. Das gilt auch für den Fall, dass sich ein Elternteil dauernd im Ausland aufhält. (Rn. 11)
3. Durch moderne Kommunikationsmittel (Telefon, E-mail) und die Möglichkeit, auch Unterschriften elektronisch zu leisten, ist ausreichender Kontakt sichergestellt. (Rn. 13)
Dem Bedürfnis der gesetzlichen Gesamtvertretung gemeinsamer Kinder durch die sorgeberechtigten Eltern kann durch die Erteilung der Vollmacht eines Elternteils an den Anderen entsprochen werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 F 657/21 2021-07-29 Bes AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin vom 30.09.2021 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Amtsgerichts -FamiliengerichtWürzburg vom 29.07.2021 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die mittlerweile geschiedenen Eltern der Kinder K1, geb. am … und K2, geb. am … Die Kinder leben bei der Antragstellerin. Der Antragsgegner lebt mittlerweile in der Türkei, eine Rückkehr nach Deutschland ist nicht beabsichtigt. Die Beteiligten streiten über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder.
Der Antragstellerin wurde durch Beschluss vom 02.04.2013 im Verfahren 4 F 85/13 durch das Amtsgericht Würzburg das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden gemeinsamen Kinder zur alleinigen Ausübung übertragen.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.07.2021 wurde der Antragstellerin die Vermögenssorge sowie das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII für die gemeinsamen Kinder zur alleinigen Ausübung übertragen. Im Übrigen wurde der Antrag zurückgewiesen.
Die Antragstellerin begehrt mit der Beschwerde die Übertragung der kompletten elterlichen Sorge und beantragt hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.
Der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 29.07.2021 wurde der Antragstellerin am 30.07.2021 zugestellt. Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.08.2021, eingegangen beim Amtsgericht Würzburg am 27.08.2021 Beschwerde ein, welche mit Schreiben vom 30.09.2021, eingegangen beim Oberlandesgericht am gleichen Tag, begründet wurde.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin das Ziel die gesamte alleinige elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder übertragen zu erhalten. Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, dass zwar der Antragsgegner ihr eine schriftliche Vollmacht am 02.05.2021 für beide Kinder erteilt habe, und damit die Antragstellerin handlungsfähig sei, dies aber nicht zur gewünschten Ruhe für die Kinder führe. Sowohl K1 als auch K2 hätten in ihrer Anhörung eindeutig formuliert, dass sie möchten, dass die Mutter alleine über und für sie entscheide. Die Kinder hätten in den vergangenen Jahren das hohe Konfliktpotential zwischen den Eltern miterlebt und insbesondere auch die Impulsivität des Antragsgegners wahrgenommen. Damit gründe der Wunsch der Kinder auf Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf einem realen Hintergrund, welcher ernst genommen werden solle. Dem Antrag der Antragstellerin habe sich auch der Verfahrensbeistand angeschlossen. Zudem verfüge der Antragsgegner über erhebliche kriminelle Energie, da er strafrechtlich wegen Betrugs und ähnlicher Delikte verurteilt sei. Die Antragstellerin traue dem Antragsgegner letztlich alles zu, zumal dieser nach wie vor im Besitz gültiger türkischer Reisepässe der Kinder sei und diese nicht an die Kindsmutter herausgeben wolle. Auch wolle der Antragsgegner nicht nach Deutschland zurückkehren, so dass faktisch auch die elterliche Sorge von ihm nicht ausgeübt werden könne.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Er führt aus, dass ein Grund für die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein nach §§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 nicht vorliege. Zum einen hätte die Antragstellerin bereits das Aufenthaltsbestimmungsrecht und nun auch das Recht zur Regelung der Angelegenheiten der Vermögensvorsorge und Antragstellung nach dem SGB VIII inne. Es verblieben letztendlich nur die Teilbereiche der schulischen Angelegenheiten und der Gesundheitsfürsorge, welche von Relevanz wären. Regelungen in diesen Bereichen dürften jedoch kaum anstehen. Beide Kinder würden bereits die Schule besuchen, welche sie voraussichtlich auch mit einem entsprechenden Abschluss verlassen werden. Hier stehe aller Voraussicht nach überhaupt keine Entscheidung bis zur Volljährigkeit an. Die Kinder könnten zudem, da sie gesund sind und einfache ärztliche Behandlungen ohne Einwilligung des anderen Elternteils möglich seien, ärztlich behandelt werden. Zudem werde der Antragsgegner selbstverständlich im Interesse der Kinder notwendigen ärztlichen Eingriffen zustimmen. Der Antragsgegner liebe seine Kinder und möchte, dass es ihnen gut gehe. Die Antragstellerin könne aufgrund der allumfassenden Vollmacht für beide Kinder auch für den Antragsgegner unterschreiben und so vollumfänglich für die Kinder rechtssicher handeln. In der Vergangenheit sei lediglich ein einziges Mal die Unterschrift vom Antragsgegner notwendig geworden. Dies habe den Aufenthalt des Sohnes im Schullandheim betroffen. Hier habe der Antragsgegner unproblematisch die Unterschrift geleistet. Er habe auch nicht vor, die vollumfänglich erteilten Vollmachten zu widerrufen, da er selbst wisse, dass aufgrund seines Auslandsaufenthaltes es notwendig sei, dass jemand für die Kinder handeln könne. Die früheren Streitigkeiten seien vergangen und hätten im Übrigen mit der gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts nicht zu tun. Beide Eltern hätten immer im Willen, nur das Beste für die Kinder zu erreichen, gehandelt. Der Verbleib seines (teilweisen) Sorgerechts zeige auch den Kindern, dass sich der Antragsgegner nach wie vor um sie sorge und für sie zuständig sein wolle.
II.
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war zurückzuweisen, da die beabsichtigte Beschwerde keine hinreichende Erfolgsaussicht besitzt (§ 76 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
Soweit die Entscheidung durch die Beschwerde angegriffen ist, hat das Amtsgericht, in seiner Entscheidung vom 29.07.2021, zu Recht nicht gemäß § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB weitere Teilbereiche der elterlichen Sorge übertragen. Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht zur Überzeugung gelangt ist, dass es dem Kindeswohl am besten entspricht, wenn die gemeinsame elterliche Sorge insoweit aufrechterhalten bleibt. Das Bedürfnis der gesetzlichen Gesamtvertretung der gemeinsamen Kinder durch die sorgeberechtigten Eltern kann durch die Erteilung der Vollmacht des Antragsgegners an die Antragstellerin entsprochen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29.4.2020, Az. XII ZB 112/19).
Die Bevollmächtigung der Antragstellerin macht die Übertragung des Sorgerechts entbehrlich, wenn und soweit eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrung der Kindesbelange vorhanden ist. Hierfür ist eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und Bereitschaft der Eltern erforderlich, die auch unter Berücksichtigung der Vollmacht und des damit erweiternden Handlungsspielraums unerlässlich ist, aber auch in diesem Lichte zu prüfen ist (BGH, a.a.O.). Es ist damit im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob eine Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 25.9.2020, Az. 12 WF 105/20). Eine Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 1 BGB ist jedenfalls dann unverhältnismäßig und hat zu unterbleiben, wenn die Eltern keine unterschiedlichen Entscheidungen in kindesbezogenen Belangen treffen bzw. wechselseitig verlangen und der eine Elternteil den betreuenden Elternteil hinreichend in die Lage versetzt, eigenständig Entscheidungen mit Wirkung gegen und für das Kind zu treffen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.02.2019, Az. 8 UF 61/18).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Einzelfall, dass der im Ausland lebende Vater bereits der Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge (Vermögenssorge, Antragstellung nach SGB VIII) zugestimmt hat und überdies die Antragstellerin bereits das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder innehat. Sofern sie Besorgnis äußert, der Antragsgegner könne die Kinder in der Türkei bei einem Besuch behalten, so wird dies bereits am Aufenthaltsbestimmungsrecht der Antragstellerin scheitern. Dies kann übrigens auch nur die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und nicht der übrigen Teilbereiche der elterlichen Sorge begründen.
Hinsichtlich der restlichen Teilbereiche der elterlichen Sorge ist die Antragstellerin durch die umfassend erteilten Vollmachten vom 02.05.2021 in der Lage, die Entscheidungen für beide Kinder hinreichend zu treffen. Auch die Ortsverschiedenheit der Antragstellerin zum Antragsgegner ist durch moderne Kommunikationsmittel (Telefon, E-mail) und die Möglichkeit, auch Unterschriften elektronisch zu leisten, ausreichend.
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, warum der Antragsgegner die vollständige elterliche Sorge verlieren soll, zumal keine Schwierigkeiten in den übrigen Teilbereichen geschildert worden sind, welche nicht durch die bestehende Vollmacht oder gegebenenfalls mit Hilfe Dritter bereinigt werden könnten. Auch der Umstand, dass sowohl K1, als auch K2 bei der Anhörung durch das Amtsgericht Würzburg am 29.07.2021 erklärt haben, dass derzeit kein Kontakt zum Vater stattfindet, führt nicht zur Übertragung der gesamten elterlichen Sorge, denn Fragen des Sorgerechts sind unmittelbar zwischen den Elternteilen zu klären. Würde die elterliche Sorge dagegen vollständig an die Antragstellerin übertragen, so würde das letzte Band der Kinder zu ihrem Vater reißen, da dieser bereits ortsabwesend ist und aufgrund der Schwierigkeiten in der Vergangenheit derzeit kein Kontakt stattfindet.
Die Antragstellerin hat auch keine Gesichtspunkte von ausreichend Gewicht vorgetragen, die gegen eine gemeinsame Sorge der noch verbleibenden Teilbereiche sprechen. Sie hat nicht mitgeteilt oder dargelegt, dass der Antragsgegner nicht in der Lage ist, in den Teilbereichen die in naher Zeit anstehenden Entscheidungen zu treffen, zumal sie durch die Vollmacht ohnehin in der Lage ist, die Unterschrift auch für den Antragsgegner zu leisten. Der Widerruf der Vollmachten steht auch nicht ernstlich im Raum, zumal der Antragsgegner erklärt hat, diese nicht zu widerrufen. Weiter steht derzeit eine Entscheidung in den noch nicht übertragenen Teilbereichen der elterlichen Sorge nicht an.
In der Gesamtschau erweist sich daher die Entscheidung des Amtsgerichts als zutreffend, so dass gemäß § 176 FamFG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu versagen ist.


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