Handels- und Gesellschaftsrecht

Gerichtsstand, Kaufpreis, Gesellschafter, Gesellschaft, Bestimmung, Haftung, Beteiligung, Antragsgegner, Gerichtsstandsvereinbarung, Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Verfahren, Klage, Streitgenossen, besonderer Gerichtsstand, gesetzlicher Vertreter, juristische Personen

Aktenzeichen  101 AR 36/22

Datum:
25.7.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18503
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

An der früheren Praxis des Bayerischen Obersten Landesgerichts, das sich bei Gelegenheit einer Entscheidung zur Bestimmung des für den Rechtsstreit gegen mehrere Streitgenossen gemeinsam (örtlich) zuständigen Gerichts auch mit der funktionellen Zuständigkeit befasst hat, wird angesichts der eindeutigen gesetzlichen Zuständigkeitsregelung in § 36 Abs. 1 ZPO nicht festgehalten.

Tenor

1. Als örtlich zuständiges Gericht wird das Landgericht Memmingen bestimmt.
2. Hinsichtlich des Antrags auf Bestimmung der gemeinsam funktionell zuständigen Kammer erklärt sich das Bayerische Oberste Landesgericht für sachlich unzuständig und verweist das Verfahren insoweit entsprechend § 281 Abs. 1 ZPO an das Oberlandesgericht München zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit.

Gründe

I.
Die im Bezirk des Landgerichts Memmingen wohnhafte Antragstellerin begehrt die Bestimmung des zuständigen Gerichts und der funktionell zuständigen Kammer für eine Klage, mit der sie die Antragsgegner zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner auf Zahlung eines offenen Kaufpreisteilbetrags in Anspruch nehmen möchte.
Nach ihrem Vorbringen verkaufte und übereignete sie gemäß Vertrag vom 14. Juli 2020 das in der Anlage 1 zum Vertrag verzeichnete Inventar und Anlagevermögen des von ihr betriebenen Gewerbebetriebs zu einem Gesamtkaufpreis von 180.000,00 € an die mit Gesellschaftsvertrag vom 22. Juni 2020 gegründete, mittlerweile umfirmierte Antragsgegnerin zu 1), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Deren Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer, die Antragsgegner zu 2) und 3), hätten gemäß Ziffer 8 des Vertrags die Bürgschaft für die Bezahlung des in drei Teilbeträgen fälligen Entgelts übernommen und hafteten nach der vertraglichen Abrede gesamtschuldnerisch mit der Antragsgegnerin zu 1) auf den Kaufpreis. Gegenstand der beabsichtigten Klage seien die am 27. Dezember 2021 und 30. Juni 2022 fällig gewordenen, aber nicht beglichenen Raten in Höhe von 60.000,00 € und 40.000,00 €.
Ziffer 10 des – von den Bürgen mitunterzeichneten – Vertrags lautet auszugsweise:
Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist das Landgericht Memmingen.
Die Antragsgegnerin zu 1), die bei Vertragsschluss ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Memmingen hatte, ist aufgrund der am 28. Februar 2022 beschlossenen Sitzverlegung nun im Bezirk des Landgerichts München II ansässig. Der Antragsgegner zu 2) ist – wie bereits bei Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung – im Bezirk des Landgerichts München II, der Antragsgegner zu 3) unverändert im Bezirk des Landgerichts Tübingen wohnhaft.
Die Antragstellerin hat bei dem Oberlandesgericht München um die Bestimmung des gemeinsam örtlich zuständigen Gerichts sowie der funktionell zuständigen Kammer nachgesucht. Sie hat die Meinung vertreten, den Antragsgegnern zu 2) und 3) sei es zumutbar, sich bei dem Landgericht Memmingen verklagen zu lassen, denn sie hätten die Verhandlungen des Kauf- und Bürgschaftsvertrags geführt, in dem die Parteien das Landgericht Memmingen als ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart hätten. Schützenswerte Interessen stünden einer Bestimmung dieses Gerichts nicht entgegen. Eine funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bestehe nur insoweit, als die Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1) gerichtet werden solle; in diesem Verhältnis resultiere die Streitigkeit aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft. Für die gegen die Bürgen beabsichtigte Klage sei hingegen die allgemeine Zivilkammer zuständig. Vor diesem Hintergrund werde angeregt, als funktionell zuständig die allgemeine Zivilkammer zu bestimmen.
Das Oberlandesgericht hat der Antragstellerin mitgeteilt, es sei für die Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 2 ZPO nicht zuständig, und angefragt, ob Abgabe an das Bayerische Oberste Landesgericht beantragt werde. Gemäß dem daraufhin gestellten Antrag hat es die Sache ohne Anhörung der Antragsgegner mit Beschluss vom 15. März 2022 unter Bezugnahme auf § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben. Dieser Beschluss ist nur der Antragstellerin übermittelt worden.
Im Verfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht sind die Antragsgegner zu dem Bestimmungsantrag angehört worden. Sie haben geltend gemacht, eine Sachnähe des Landgerichts Memmingen bestehe nicht. Die Gerichtsstandsvereinbarung könne nicht maßgeblich sein, denn für die Bürgen, die keine Vollkaufleute seien, habe sie keine Bedeutung. Mit Blick darauf, dass die allgemeinen Gerichtsstände zweier Antragsgegner im Bezirk des Landgerichts München II lägen, erscheine die Auswahl dieses Gerichts zweckmäßig. Es werde angeregt, die Kammer für Handelssachen als zuständig zu bestimmen, da es um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf und somit um eine klassische handelsrechtliche Streitigkeit gehe.
Die Parteien sind darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, für den Rechtsstreit das Landgericht Memmingen als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Mit der Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts stehe das ihm übergeordnete Oberlandesgericht fest, dem die Entscheidung über die gemeinsam funktionell zuständige Kammer nach § 36 Abs. 1 ZPO obliege – hier das Oberlandesgericht München. Sie sind ferner darauf hingewiesen worden, dass nicht beabsichtigt sei, an der Praxis des früheren Bayerischen Obersten Landesgerichts festzuhalten, sich bei Gelegenheit einer Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit auch mit der funktionellen Zuständigkeit zu befassen. Die Antragstellerin hat Gelegenheit erhalten, insoweit Teilverweisung an das danach zuständige Oberlandesgericht zu beantragen, die Antragsgegner dazu, zu einem etwaigen Verweisungsantrag Stellung zu nehmen.
Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2022 hat die Antragstellerin beantragt, das Verfahren über den Antrag auf Bestimmung der funktionell zuständigen Kammer an das Oberlandesgericht München zu verweisen. Die Antragsgegner haben sich mit einer entsprechenden Teilverweisung einverstanden erklärt. Im Übrigen haben sie an ihrer Auffassung festgehalten und gegen die beabsichtigte Auswahl des Landgerichts Memmingen auf eine Sachnähe beim Landgericht München II abgestellt.
II.
Der Senat bestimmt das Landgericht Memmingen als das für den beabsichtigten Rechtsstreit gegen die Antragsgegner zu 1) bis 3) örtlich zuständige Gericht. Die Bestimmung der funktionell zuständigen Kammer obliegt hingegen dem Oberlandesgericht München, weil insoweit kein Fall des § 36 Abs. 2 ZPO vorliegt.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig, soweit es um die Bestimmung des gemeinsam örtlich zuständigen Gerichts für den beabsichtigten Rechtsstreit geht.
Die in Betracht kommenden Gerichte liegen in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Stuttgart), sodass das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht im Sinne des § 36 Abs. 1 ZPO der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle ist zur Entscheidung über das Gesuch das Bayerische Oberste Landesgericht berufen, weil ein in Bayern gelegenes Gericht bei noch nicht anhängigem Rechtsstreit zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. August 2008, X ARZ 105/08, NJW 2008, 3789 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 16. Dezember 2020, 101 AR 113/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 22. Oktober 1998, 1Z AR 88/98, juris Rn. 6; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 8).
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
a) Die Antragsgegner sollen nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 28) Vorbringen der Antragstellerin als Streitgenossen im Sinne von §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen werden.
b) Ein gemeinsamer Gerichtsstand, in dem die beabsichtigte Klage gegen alle Streitgenossen geführt werden könnte, besteht nicht.
Die Antragsgegner haben ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13, 17 ZPO) in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken (München II und Tübingen).
Ein gemeinschaftlicher ausschließlicher oder besonderer Gerichtsstand ist nicht gegeben.
aa) Zwar enthält der mit dem Bestimmungsantrag vorgelegte und von allen Parteien unterzeichnete Vertrag vom 14. Juli 2020 eine Klausel, wonach das Landgericht Memmingen für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag ausschließlich zuständig sein solle.
Im Verhältnis zu den Antragsgegnern zu 2) und 3) ist die Gerichtsstandsvereinbarung jedoch nicht wirksam zustande gekommen, weil die Voraussetzungen des § 38 ZPO nicht erfüllt sind.
Nach § 38 Abs. 1 ZPO können nur Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlichrechtliche Sondervermögen Gerichtsstandsvereinbarungen treffen. Die Antragsgegner zu 2) und 3) sind die Bürgschaftsverpflichtung jedoch nach unstreitigem Parteivorbringen als Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH eingegangen, mithin nicht im Rahmen eines von ihnen selbst geführten Handelsgewerbes. Nur die GmbH ist nach § 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB Kaufmann, nicht hingegen deren Geschäftsführer; daran ändert der Besitz aller oder einiger GmbH-Anteile durch einen Geschäftsführer schon deshalb nichts, weil die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft – unabhängig von der Größe des Gesellschaftsanteils und des damit verbundenen Stimmgewichts – nach gefestigter Rechtsprechung zur privaten Vermögensverwaltung zählt und nicht auf das Ausüben eines Handelsgewerbes ausgerichtet ist (vgl. BGH, Urt. v. 28. Januar 1993, IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 [juris Rn. 32]; Schürnbrand/Weber in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 491 Rn. 24 ff. m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt die Übernahme einer Bürgschaft durch den Geschäftsführer/Gesellschafter einer GmbH für deren Verbindlichkeiten daher kein Handelsgeschäft im Sinne der §§ 343, 350 HGB dar (BGH, Urt. v. 8. November 2005, XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 [juris Rn. 15] m. w. N.).
Auch die in § 38 Abs. 2 oder 3 ZPO genannten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Sämtliche Vertragsparteien hatten nach Aktenlage zum Zeitpunkt des behaupteten Vertragsschlusses ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland, es gab damals weder Streitigkeiten noch erfolgte eine Beschränkung auf die in § 38 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genannten Fälle erschwerter Rechtsverfolgung.
bb) Unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) ist gleichfalls kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand eröffnet.
Gemäß § 29 Abs. 1 ZPO befindet sich der Gerichtsstand des Erfüllungsorts für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis dort, wo die jeweilige streitige Verpflichtung nach dem materiellen Recht zu erfüllen ist. Dies ist gemäß den hier maßgeblichen § 270 Abs. 4, § 269 Abs. 1 BGB der Ort, an welchem der jeweilige Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz bzw. Sitz hatte, sofern ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist.
Vereinbarte, zudem übereinstimmende Leistungs- oder Erfüllungsorte für die Zahlungsverpflichtungen aus dem Unternehmenskauf und den Bürgschaften sind nicht behauptet. Da sich auch den Umständen, insbesondere der Natur der Schuldverhältnisse kein Erfüllungsort entnehmen lässt, liegen die Erfüllungsorte für den Kaufpreisanspruch (vgl. BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992, IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 [juris Rn. 37]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.35) und für die Ansprüche aus den Bürgschaften (vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1996, IX ZR 264/95, NJW 1997, 397 [juris Rn. 22]; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20, juris Rn. 21; Beschluss vom 12. Februar 2020, 1 AR 94/19, NJW-RR 2020, 763 Rn. 31; Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 62/19, juris Rn. 10; Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.14) dort, wo die Antragsgegner zu 1) bis 3) zur Zeit der Entstehung der Schuldverhältnisse ihren jeweiligen Sitz bzw. Wohnsitz hatten, mithin in den Bezirken der Landgerichte Memmingen, München II und Tübingen. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass abweichend hiervon als Erfüllungsort für die Verbindlichkeiten aus den Bürgschaften der Leistungsort der Hauptverbindlichkeit maßgeblich sein solle. Solche Anhaltspunkte folgen insbesondere nicht aus der – in Richtung auf die Antragsgegner zu 2) und 3) prozessual unwirksamen – Gerichtsstandsklausel.
c) Der Zuständigkeitsbestimmung steht im Streitfall nicht entgegen, dass mit der Antragsgegnerin zu 1) ein – nach dem klaren Wortlaut der Klausel – ausschließlicher Gerichtsstand bei einem Gericht vereinbart worden ist, an dem keiner der zu verklagenden Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.
Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt zwar grundsätzlich voraus, dass die Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand eines von ihnen verklagt werden sollen.
Nach ständiger Rechtsprechung können jedoch besondere Sachgründe, gegebenenfalls auch eine durch Prorogation begründete ausschließliche Gerichtszuständigkeit, eine Ausnahme von dem Grundsatz zulassen (vgl. BGH NJW 2008, 3789 Rn. 11; Beschluss vom 9. Oktober 1986, I ARZ 487/86, NJW 1987, 439 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 16. Februar 1984, I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155 [159 f., juris Rn. 9 f.]; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20, juris Rn. 17).
Im Streitfall liegt mit Ziffer 10 des Vertrags vom 14. Juli 2020 eine wirksame, die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen begründende Gerichtsstandsvereinbarung zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1) vor. Denn nach unbestrittenem Sachvortrag der Antragstellerin hatte diese ein Handelsgewerbe in kaufmännischer Weise betrieben, § 1 HGB, sodass sie gemäß § 38 Abs. 1 ZPO eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung treffen konnte; für die Antragsgegnerin zu 1) als Formkaufmann gilt Entsprechendes, § 6 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG.
Das mit einem Streitgenossen als ausschließlich zuständig vereinbarte Gericht kann dem durch die Prorogation Begünstigten nicht durch eine Gerichtsstandsbestimmung entzogen werden (BGH, Beschluss vom 19. März 1987, I ARZ 903/86, NJW 1988, 646 [juris Rn. 8]; Beschluss vom 28. Oktober 1982, I ARZ 449/82, NJW 1983, 996 [juris Rn. 6]; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 78/20, juris Rn. 29; Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20, juris Rn. 17; NJW-RR 2020, 763 Rn. 46). Den anderen Streitgenossen kann dieses Gericht über eine Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur aufgedrängt werden, wenn – wie hier – ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand mit den übrigen Streitgenossen nicht bestanden hat und zudem den anderen Streitgenossen unter Berücksichtigung der mit der Prorogation verfolgten Zwecke zugemutet werden kann, sich ebenfalls vor diesem Gericht verklagen zu lassen (BGH NJW 2008, 3789 Rn. 11 m. w. N.; Beschluss vom 8. März 1957, I ARZ 12/57, BB 1957, 941; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 78/20, juris Rn. 30; Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20, juris Rn. 17, 27; Beschluss vom 15. März 1999, 1Z AR 15/99, NJW-RR 2000, 1592 [juris Rn. 7]; NJW-RR 2020, 763 Rn. 47; Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 62/19, juris Rn. 13; Beschluss vom 9. März 1999, 1Z AR 5/99, NJW-RR 2000, 660 [juris Rn. 8]; OLG Hamm, Beschluss vom 15. April 2020, 32 Sa 21/20, juris Rn. 13; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 24 m. w. N.).
Zwar wird die Bestimmung des einseitig vereinbarten Gerichtsstands des Gläubigers der Hauptschuld für den durch die Prorogation nicht gebundenen Bürgen in der Regel als unzumutbar anzusehen sein (BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20, juris Rn. 28; NJW-RR 2000, 660 [juris Rn. 9]). Dieser Grundsatz steht aber vorliegend einer Bestimmung des im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1) wirksam prorogierten Gerichts auch für die Antragsgegner zu 2) und 3) bereits deshalb nicht entgegen, weil der vereinbarte Gerichtsstand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem allgemeinen Gerichtsstand nicht nur der Antragstellerin, sondern ebenso der Antragsgegnerin zu 1) übereinstimmte. Es kann mithin nicht die Rede davon sein, dass die Antragstellerin ihren allgemeinen Gerichtsstand gegenüber ihrer Vertragspartnerin als verbindlich durchgesetzt hätte.
Zumutbarkeit ist in Fällen bejaht worden, in denen eine über die Bürgschaft hinausgehende enge Verbundenheit zwischen dem durch die Prorogation gebundenen Hauptschuldner und dem nicht gebundenen Bürgen dergestalt bestanden hatte, dass der Bürge zugleich als gesetzlicher Vertreter der Hauptschuldnerin den die Gerichtsstandklausel enthaltenden Vertrag für diese unterzeichnet hatte und die Hauptschuldnerin ohnehin im Prozess vertrat (BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 62/19, juris Rn. 14; OLG München, Beschluss vom 26. September 2017, 34 AR 140/17, juris Rn. 8; allgemein: BGH, NJW 2008, 3789 Rn. 11; zur Zumutbarkeit des im Verhältnis zur Gesellschaft prorogierten Gerichts für das als Streitgenossen unter dem Gesichtspunkt des Delikts mitverklagten Vorstandsmitglied: BGH, NJW 1988, 646 [juris Rn. 8 f.]).
Eine solche Konstellation liegt im Streitfall vor. Zwischen der Antragsgegnerin zu 1) und den Antragsgegnern zu 2) und 3) als deren Geschäftsführer und einzige Gesellschafter besteht eine – über die Bürgschaft hinausgehende – enge Verbundenheit mit der durch die Prorogation gebundenen Antragsgegnerin zu 1). Als deren Geschäftsführer haben sie nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragstellerin den Vertrag verhandelt; die in den Vertragsbedingungen enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung war ihnen bekannt. Dass nur der Antragsgegner zu 2) den Vertrag als Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1) und zugleich als Bürge unterzeichnet, der Antragsgegner zu 3) hingegen allein in seiner Funktion als Bürge unterschrieben hat, gibt keine Veranlassung für eine Differenzierung. Nach den Ortsund Datumsangaben sind die Unterschriften unter das einheitliche Dokument taggleich in Memmingen geleistet worden. Anhaltspunkte für Unterschiede hinsichtlich der Verhandlungsbeiträge oder Interessen der Geschäftsführer, die für die Frage der Zumutbarkeit von Relevanz wären, sind nicht zu erkennen. Zudem werden die Antragsgegner zu 2) und 3) in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1) ohnehin für diese die Verteidigung im Rechtsstreit mit der Antragstellerin zu planen und zu organisieren haben. Dass sie nach den Einträgen im Handelsregister jeweils zur Einzelvertretung berechtigt sind, führt zu keiner anderen Bewertung. Zudem werden alle drei Antragsgegner von demselben Rechtsanwalt vertreten. Vor diesem Hintergrund ist es den Antragsgegnern zu 2) und 3) zumutbar, sich als Bürgen der behaupteten Forderung in dem mit der Antragsgegnerin zu 1) vereinbarten Gerichtsstand auch selbst verklagen zu lassen.
d) Das Landgericht Memmingen ist mithin als gemeinsamer Gerichtsstand zu bestimmen. Für die Auswahl eines anderen Gerichts unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist aus den unter c) dargestellten Gründen vorliegend kein Raum.
3. Für die Bestimmung der gemeinsam funktionell zuständigen Kammer in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO besteht keine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts.
a) § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist nach allgemeiner Meinung grundsätzlich (entsprechend) anwendbar, wenn nach der gesetzlich geregelten gerichtsinternen Zuständigkeit für einen Streitgenossen die Kammer für Handelssachen gemäß §§ 94, 95 GVG und für einen anderen die Zivilkammer zuständig ist (vgl. BayObLG NJW-RR 1999, 1010 [juris Rn. 19]; OLG München, Beschluss vom 4. April 2019, 34 AR 50/19, juris Rn. 11; OLG Köln, Beschluss vom 14. Mai 2007, 8 W 23/07, juris Rn. 2; OLG Schleswig, Beschluss vom 13. Dezember 2002, 2 W 211/02, NJW-RR 2003, 1650; OLG Koblenz, Beschluss vom 7. August 1997, 4 SmA 8/97, juris Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 1996, 19 Sa 63/95, MDR 1996, 524; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. Mai 1992, 20 AR 92/92, NJW 1992, 2900; Toussaint in BeckOK ZPO, 44. Ed. Stand: 1. März 2022, § 36 Rn. 17.2; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 10, 20; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 36 Rn. 14; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 36 Rn. 19; Becker in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 36 Rn. 20 Stichwort „Funktionelle Zuständigkeit“; Chasklowicz in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl. 2020, § 36 Rn. 16; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 25; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 36 Rn. 9; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 4).
b) Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben.
Im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und den Antragsgegnern zu 2) und 3) liegt zweifelsfrei keine Handelssache im Sinne des § 95 GVG vor. Weder sind die Antragsgegner zu 2) und 3) Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuchs (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG) noch resultiert ihre streitige Bürgenverpflichtung aus einem Rechtsverhältnis der in § 95 Abs. 1 Nr. 4 GVG enumerativ aufgezählten Art. Dagegen stellt sich die Streitigkeit im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1) als Handelssache im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 Buchst. d) GVG dar, denn der Anspruch, um dessen Erfüllung es geht, resultiert aus dem Unternehmensverkauf, der für beide Teile ein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 HGB darstellt, und die Antragsgegnerin zu 1) ist im Handelsregister eingetragen.
c) Die Bestimmung der gemeinsam funktionell zuständigen Kammer obliegt gemäß § 36 Abs. 1 ZPO demjenigen Oberlandesgericht, das dem Landgericht, dessen örtliche Zuständigkeit aufgrund der Bestimmungsentscheidung des Senats feststeht, übergeordnet ist.
aa) Nach ihren eigenen Angaben beabsichtigt die Antragstellerin, Klage gegen alle Streitgenossen zur Zivilkammer zu erheben. Ihr Antrag verfolgt das Ziel sicherzustellen, dass der Rechtsstreit insgesamt von der Zivilkammer verhandelt und entschieden wird. Für diesen beabsichtigten Rechtsstreit steht mithin ein gemeinsam funktionell zuständiges Gericht zur Verfügung, sodass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (entsprechend) an sich nicht vorliegen. Allenfalls könnte die Gefahr bestehen, dass der (beabsichtigte) Rechtsstreit auf einen Verweisungsantrag nach § 98 Abs. 1 GVG hinsichtlich desjenigen Streitgenossen, für den die Streitigkeit als Handelssache nach § 95 GVG zu qualifizieren ist, abgetrennt und insoweit an die Kammer für Handelssachen verwiesen wird (dazu: OLG Dresden, Beschluss vom 29. Januar 2010, 3 AR 3/10, juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, MDR 1996, 524; LG Berlin, Beschluss vom 6. März 2017, 28 OH 2/17, BeckRS 2017, 105273).
Ob unter diesem Gesichtspunkt bereits vor Klageerhebung und in Unkenntnis dessen, ob ein solcher Antrag auf Teilverweisung gestellt werden wird, ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorbeugende Bestimmung der für den Rechtsstreit einheitlich funktionell zuständigen Kammer besteht, muss der Senat mangels eigener Zuständigkeit ebenso wenig entscheiden wie die Frage, ob – mit der vorherrschenden Meinung – in einer solchen Konstellation nur eine Bestimmung der Zivilkammer in Betracht kommt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 14. Mai 2007, 8 W 23/07, juris Rn. 2; OLG Schleswig, Beschluss vom 13. Dezember 2002, 2 W 211/02, NJW-RR 2003, 1650 [juris Rn. 8]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 1996, 19 Sa 63/95, MDR 1996, 524; OLG Frankfurt a. M., NJW 1992, 2900; auch BayObLG, Beschluss vom 25. Januar 2005, 1Z AR 001/05 und v. 6. Juli 2004, 1Z AR 069/04, beide unveröffentlicht; Toussaint in BeckOK ZPO, § 36 Rn. 17.2; Lückemann in Zöller, ZPO, GVG § 95 Rn. 2; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, GVG § 95 Rn. 3; Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, GVG § 95 Rn. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, GVG § 95 Rn. 1; Eymelt-Niemann in Kern/Diehm, ZPO, GVG § 95 Rn. 3; Gaul, JZ 1984, 57 [59]; a. M. Pernice in BeckOK GVG, 14. Ed. Stand: 15. Februar 2022, § 94 Rn. 5; Cuypers, MDR 2009, 657).
bb) Zuständig für eine Bestimmung der gemeinsam funktionell zuständigen Kammer entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist das Oberlandesgericht München, weil ein Fall des § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO insoweit nicht vorliegt.
Mit der Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts steht das ihm übergeordnete Oberlandesgericht fest, dem nach § 36 Abs. 1 ZPO die Entscheidung über die gemeinsam funktionell zuständige Kammer obliegt – hier das Oberlandesgericht München.
Das Bayerische Oberste Landesgericht ist auch nicht durch den Abgabebeschluss des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über das Gesuch betreffend die funktionell zuständige Kammer zuständig geworden.
Es bedarf vorliegend keiner grundsätzlichen Entscheidung darüber, ob im Verfahren der Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO einer Verweisung entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO Bindungswirkung zukommen kann (vgl. dazu: OLG Hamm, Beschluss vom 20. September 2018, 32 SA 31/18, juris Rn. 7; OLG Dresden, Beschluss vom 14. Mai 2009, 3 AR 35/09, juris Rn. 6; OLG München, Beschluss vom 10. November 2006, 31 AR 114/06, NJW 2007, 163 [164, juris Rn. 7]; BayObLG, Beschluss vom 14. August 2003, 1Z AR 90/03, BayObLGZ 2003, 215 [217, juris Rn. 7] zu einem vor Rechtshängigkeit der Hauptsache gestellten Bestimmungsantrag; Toussaint in BeckOK ZPO, § 37 Rn. 6; Schultzky in Zöller, ZPO, § 37 Rn. 3 a. E.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 36 Rn. 12, § 37 Rn. 5). Auch kommt es nicht darauf an, dass der Abgabebeschluss schon deshalb nicht die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfaltet, weil er ohne Anhörung der Antragsgegner ergangen ist. In der – zutreffend als Abgabe bezeichneten – Entscheidung liegt bereits deshalb keine bindende Verweisung, weil der Beschluss den Antragsgegnern nicht zur Kenntnis übermittelt worden ist. Mangels Bekanntgabe an alle Parteien ist diese Entscheidung nicht wirksam geworden, § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Da sie somit nicht als Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO angesehen werden kann, liegen auch die Voraussetzungen für eine Vorlage an das übergeordnete Gericht zur Bestimmung des insoweit für die Bestimmungsentscheidung zuständigen Gerichts nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997, XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 22. Februar 1995, XII ARZ 2/95, NJW-RR 1995, 641 [juris Rn. 11]; BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, juris Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, juris Rn. 8; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35).
In dieser Verfahrenslage verweist der Senat das Verfahren zur Bestimmung der funktionell zuständigen Kammer – auf entsprechenden Antrag – an das Oberlandesgericht München.
Angesichts der eindeutigen Rechtslage sieht sich der Senat gehindert, eine Bestimmung hinsichtlich der funktionellen Zuständigkeit vorzunehmen. Eine Sachlage, in der das Gericht ausnahmsweise befugt sein könnte, trotz zweifelhafter Bindungswirkung einer Verweisung die Bestimmung vorzunehmen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 14. Mai 2009, 3 AR 35/09, juris Rn. 6), ist nicht gegeben. An der früheren Praxis des Bayerischen Obersten Landesgerichts, das sich bei Gelegenheit einer Entscheidung zur Bestimmung des für einen Rechtsstreit gegen mehrere Streitgenossen gemeinsam (örtlich) zuständigen Gerichts auch mit der funktionellen Zuständigkeit befasst hat – wenn auch nur dergestalt, dass ein Bedürfnis für eine 101 AR 36/22 – Seite 13 – Bestimmung in der damaligen Fallkonstellation verneint worden ist (BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 1998, 1Z AR 75/98, NJW-RR 1999, 1010) -, wird angesichts der eindeutigen gesetzlichen Zuständigkeitsregelung in § 36 Abs. 1 ZPO nicht festgehalten.


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