Handels- und Gesellschaftsrecht

Kapitalanlage

Aktenzeichen  III ZR 327/20

Datum:
5.5.2022
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:050522UIIIZR327.20.0
Normen:
§ 675 Abs 2 BGB
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Leitsatz

Kapitalanlage
Zur Bezeichnung einer Kapitalanlage als “bombensicher” (Anschluss an Senat, Urteile vom 19. Oktober 2006 – III ZR 122/05, NJW-RR 2007, 348 Rn. 13 und vom 12. Juli 2007 – III ZR 83/06, NJW-RR 2007, 1690 Rn. 9 f).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 30. Oktober 2020, Az: 12 U 42/19vorgehend LG Stuttgart, 30. Januar 2019, Az: 27 O 162/18

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart – 12. Zivilsenat – vom 30. Oktober 2020 aufgehoben, soweit zugunsten des Beklagten zu 1 erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die im dritten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin und des Beklagten zu 1, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin verlangt – nachdem sie die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil zurückgenommen hat, soweit darin die Klage gegen den seinerzeitigen Beklagten zu 2 abgewiesen worden ist, weiterhin – vom Beklagten zu 1 Schadensersatz wegen Investitionen bei der EN            (im Folgenden: EN).
2
Die Klägerin – ehemalige Musiklehrerin an einer Grund- und Hauptschule – vereinbarte mit Kauf- und Überlassungsvertrag vom 10. Juli 2015 mit der EN – einem Unternehmen, das eigenen Angaben zufolge hauptsächlich im Bereich der Vermietung von Datenspeichersystemen (Storage-Systemen) tätig war – den Kauf vier solcher Systeme zum Gesamtkaufpreis von 28.000 €. Mit Vertrag vom 19. Oktober 2015 erwarb sie von der EN ein weiteres System zum Preis von 8.000 €. Die Kaufpreissummen wurden bezahlt.
3
§ 5 Nr. 5.1 der Verträge lautet:
“EN        ist bereit, dem Käufer nach Ablauf der Gebrauchsüberlassung (Ziff. 4.6.) ein Angebot zum Rückkauf des Storagesystems zu unterbreiten, falls zu diesem Zeitpunkt folgende Bedingungen erfüllt sind:
a) Zwischen EN      und dem Storage-Kunden besteht ein laufender Nutzungsvertrag.
b) Der Nutzungsvertrag ist nicht gekündigt, der Storage-Kunde hat auch keine Kündigung für die nächsten 6 Monate in Aussicht gestellt.
c) Der Nutzungsvertrag mit dem Storage-Kunden wird tatsächlich durchgeführt.
d) Das Nutzungsentgelt wird vom Storage-Kunden ordnungsgemäß entrichtet.
EN       wird den Käufer über auftretende Umstände informieren, die den Bedingungseintritt gefährden könnten. Der Rückkaufpreis beträgt ca. 57,4% (fünf-sieben) Prozent des ursprünglichen Kaufpreises gem. Ziff. 2.1. Der Käufer nimmt das von EN    zu unterbreitende Angebot zum Rückkauf des Storagesystems hiermit an, sofern der Rückkaufpreis nicht unter 55,4% (fünf-fünf) Prozent liegt, und überträgt das Storage-System unter der aufschiebenden Bedingung der Zahlung des Rückkaufpreises durch EN       an EN        zurück.”
4
Über das Vermögen der EN wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 2. Mai 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet, wobei der Insolvenzverwalter den Verdacht äußerte, das Unternehmen habe ab 2012 ein Schneeballsystem betrieben.
5
Der Beklagte zu 1 ist Anlageberater. Zwischen ihm und der Klägerin kam es, noch bevor diese ihren ersten Kauf- und Überlassungsvertrag mit der EN schloss, zu mindestens einem persönlichen Gespräch im Hinblick auf den Abschluss eines solchen Vertrages. Dabei wurde – weil es für den Beklagten zu 1 eigener Einschätzung zufolge fernlag – nicht über ein Insolvenzrisiko der EN gesprochen. Der Beklagte zu 1 hat eingeräumt, keine Verlustrisiken angesprochen zu haben.
6
Die Klägerin hat unter anderem behauptet, der Beklagte zu 1 habe die Anlage als “bombensicher” beschrieben. Sie habe die Kauf- und Überlassungsverträge aufgrund der Zusicherung und der unterlassenen Risikohinweise des Beklagten zu 1 sowie aufgrund der Bestätigungen des vormals zu 2 beklagten Wirtschaftsprüfers gezeichnet. Da sie für den ersten Kauf- und Überlassungsvertrag Auszahlungen in Höhe von 8.736 € und für den zweiten in Höhe von 2.080 € erhalten habe, sei eine Rückforderung durch den Insolvenzverwalter zu befürchten.
7
Der Beklagte zu 1 hat unter anderem vorgebracht, die Klägerin habe sich über ihre Schwester und deren Ehemann bereits mit der Anlage befasst gehabt; die Risiken seien ihr bekannt gewesen. Eine längerfristige Anlage mit weniger Risiko und geringerer Rendite sei nicht gewünscht gewesen.
8
Das Landgericht hat der auf Zahlung von 25.184 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung/Abtretung der Rechte als Gläubigerin im Insolvenzverfahren über das Vermögen der EN, Feststellung des Annahmeverzuges und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich aller weiteren – ursächlich auf den Abschluss der Kauf- und Überlassungsverträge zurückzuführenden – zukünftigen Schäden gerichteten Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen.
9
Die Klägerin begehrt mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts in Bezug auf den Beklagten zu 1.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur teilweisen Aufhebung des angegriffenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
11
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1 sei bezüglich der hier in Rede stehenden Geldanlage ein Auskunftsvertrag geschlossen worden. Eine Pflichtverletzung des Beklagten zu 1 könne jedoch nicht festgestellt werden.
12
2. Ungeachtet dessen, dass dem Senat aufgrund der tatsächlichen Feststellungen das Vorliegen eines Anlageberatungs- statt eines bloßen Auskunftsvertrages näherzuliegen scheint, macht die Revision zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung sich mit dem Vortrag der Klägerin (Seite 5 der Klageschrift, LGU 5), der Beklagte zu 1 habe behauptet, das Investment sei “bombensicher”, nicht befasst und den diesbezüglich gestellten Beweisantrag, den Ehemann der Klägerin als Zeugen zu vernehmen, übergangen hat. Damit hat es gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen.
13
Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Aufgrund der Regelung in § 5 Nr. 5.1 der beiden von der Klägerin abgeschlossenen Kauf- und Überlassungsverträge vom 10. Juli 2015 und 19. Oktober 2015 über den bedingten Rückkauf des Storage-Systems durch die EN war – auch im Falle redlichen Verhaltens der Geschäftsführer der EN – keinesfalls mit Gewissheit davon auszugehen, dass die Klägerin nach Ablauf der Gebrauchsüberlassung von 36 Monaten ihr investiertes Geld in vollem Umfang zurückerhalten wird. Infolgedessen durfte eine solche Kapitalanlage nicht als “sicher” (vgl. Senat, Urteile vom 19. Oktober 2006 – III ZR 122/05, NJW-RR 2007, 348 Rn. 13 und vom 12. Juli 2007 – III ZR 83/06, NJW-RR 2007, 1690 Rn. 9 f) und erst recht nicht als “bombensicher” bezeichnet werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens der Klägerin und nach Beweisaufnahme zu einer anderen, ihr günstigeren Beurteilung der Sache gekommen wäre.
14
3. Das angefochtene Urteil ist somit im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat ergänzend darauf hin, dass der Beklagte zu 1 in dem als Anlage K 3 gleichfalls der Klageschrift beigefügten Schreiben vom 9. Juli 2015 ausgeführt hat: “Sie finden in diesem Vertrag alle wesentlichen Punkte, die wir gemeinsam in unserem Gespräch angesprochen haben und die Ihnen die Sicherheit geben, auf die Sie Wert legten.”
Herrmann     
      
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Herr     
      


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