Handels- und Gesellschaftsrecht

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Aktenzeichen  22 O 13512/19

Datum:
10.7.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51474
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 265.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.01.2018 sowie weitere 3.694,83 € zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 265.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 265.000,00 € gemäß § 171 Abs. 2 i.V.m. § 172 Abs. 4 HGB sowie einen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.694,83.
I.
Die Klage ist zulässig, da das Landgericht München I gemäß §§ 12, 13 ZPO örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG sachlich zuständig ist.
II.
Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin gegen die Beklagte als (rechtsnachfolgende) Kommanditistin einen Anspruch auf Rückgewähr der Haftungseinlage gemäß § 171 Abs. 2 i.V.m. § 172 Abs. 4 HGB.
1. Grundsätzlich haftet die Kommanditistin gemäß § 171 Abs. 1 Hs. 1 HGB nur bis zur Höhe ihrer Einlage unmittelbar. Ist die Einlage geleistet, ist die Haftung gemäß § 171 Abs. 1 Hs. 2 HGB ausgeschlossen. Die Einlage gilt aber nach § 172 Abs. 4 S. 1 und 2 HGB als nicht geleistet, wenn der Kommanditist Gewinnanteile entnimmt, während sein Kapitalanteil durch Verlust unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert ist, oder soweit durch die Entnahme der Kapitalanteil unter den bezeichneten Betrag herabgemindert wird.
So liegt der Fall auch hier.
Der Rechtsvorgänger der Beklagten hat die Einlage zwar ursprünglich vollständig geleistet. Die Insolvenzschuldnerin hat in den Jahren 2003 bis 2008 jedoch insgesamt einen Betrag von 265.000,00 € an die rechtsnachfolgende Beklagte ausgekehrt. Die geleistete Einlage wurde durch die Entnahme von Gewinnanteilen um diesen Betrag herabgemindert.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die erfolgte Ausschüttung die Haftung nicht wieder begründet hat, trägt dabei die Beklagte (BGH, Urteil vom 22.03.2011 – II ZR 271/08 Rn. 21). Die Beklagte hat dazu nicht vorgetragen. Insbesondere der klägerische Vortrag, dass die Ausschüttungen verlustrelevant gewesen wären, wurde von der Beklagten nicht bestritten.
Die Haftung der Beklagten ist damit gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe der Ausschüttungen von insgesamt 265.000,00 € wiederaufgelebt. Die Klageforderung übersteigt diesen Betrag nicht.
2. Die Beklagte haftet für noch bestehende Forderungen der Insolvenzgläubiger. Die Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle hat für den Insolvenzverwalter und die Gläubiger gemäß § 178 Abs. 3 InsO die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. Der klägerische Vortrag zum Bestand, der Forderungen wurde von der Beklagten nicht bestritten.
3. Der, klägerisch geltend gemachte Haftungsbetrag wird offensichtlich auch benötigt, um die Gesellschaftsgläubiger zu befrieden. Es ist unstreitig, dass die freie Masse nicht genügt, um sämtliche Verbindlichkeiten aller Gläubiger zu befriedigen.
Die freie Masse betrug bei Verfahrenseröffnung lediglich 1.089,79 €, bei Klageerhebung waren lediglich 1.058,79 auf dem Massekonto vorhanden. Dem stehen – ebenfalls unstreitig – Insolvenzforderungen von über 52.000.000,00 € gegenüber.
4. Der Haftungsanspruch ist auch durchsetzbar. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch.
a. Festzuhalten ist zunächst, dass die Gläubigerforderungen gegen die Insolvenzschuldnerin nicht verjährt sind. Die widerspruchslose Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle hat für den Insolvenzverwalter und die Gläubiger die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils, § 178 Abs. 3 InsO. Für die Beklagte ergibt sich die Wirkung hingegen mittelbar aus § 201 Abs. 2 InsO (BGH, Urteil vom 20.02.2018, II ZR 272/16). Dies hat zur Folge, dass den Kommanditisten der Insolvenzschuldnerin die Einwendungen genommen sind, welche die Insolvenzschuldnerin selbst nicht mehr erheben kann (§§ 129 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB). Der Beklagten steht daher die Verjährungseinrede schon nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.2018, II ZR 272/16).
b. Jedenfalls ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, § 159 Abs. 4 HGB i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB.
Der Beklagten ist insoweit zu folgen, als dass Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus Verbindlichkeiten der Gesellschaft gemäß § 159 Abs. 1 HGB grundsätzlich in fünf Jahren nach Auflösung der Gesellschaft verjähren.
Entgegen der Auffassung der Beklagten findet jedoch die Verweisungsnorm des § 159 Abs. 4 HGB auch auf den Haftungsanspruch gemäß § 171 Abs. 1 Hs. 1 HGB i.V.m. § 172 Abs. 4 HGB gegen den Kommanditisten Anwendung. § 159 Abs. 4 HGB verweist auf § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB. Danach ist die Verjährung von Ansprüchen gegen die Gesellschaft mit Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren (und bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens) gehemmt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist unstreitig noch nicht beendet, so dass die Voraussetzungen der Norm erfüllt sind.
Soweit die Beklagte vorträgt, § 159 Abs. 4 HGB könne auf den Haftunganspruch gegen den Kommanditisten im Insolvenzverfahren keine Anwendung finden, verfängt die Argumentation des Beklagten nicht. Richtig ist, dass § 159 Abs. 4 HGB den Gläubiger der Gesellschaft dahingehend schützen soll, als dass verjährungshemmende Maßnahmen neben der Gesellschaft nicht auch gegen die einzelnen Gesellschafter („doppelt“ oder „vielfach“) erhoben werden müssen.
Auch im vorliegenden Fall ist danach aber keine teleologische Reduktion der Norm geboten.
Der Haftungsanspruch gegen die Beklagte aus § 171 Abs. 1 Hs. 1 HGB, § 172 Abs. 4 HGB ist durch die bestehenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft bedingt. Käme man zu dem Ergebnis, § 159 Abs. 4 HGB nicht anzuwenden, wäre die Verjährung der (festgestellten) Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin gehemmt, während der Haftungsdurchgriff auf die Gesellschafter – ohne entsprechende „Doppel- oder Vielfachklagen“ durch die Gläubiger – der Verjährungsfrist des § 159 Abs. 1 HGB unterläge. Im Ergebnis würde durch die teleologische Reduktion der Norm dazu führen, eine gläubigerschützende Norm in eine gesellschafter- und damit – schuldnerschützende Norm umzudeuten.
Eine teleologische Reduktion kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil der Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens gemäß § 171 Abs. 2 HGB den Haftungsanspruch der Gesellschaftsgläubiger verwaltet.
Das Argument der Beklagten, der Insolvenzverwalter mache nur einen Anspruch geltend, eine „Doppelverfolgung“ gegen die Gesellschaft und die Gesellschafter sei daher nicht zu befürchten, verfängt nicht. Richtig ist, dass den Gläubigern der Insolvenzschuldnerin grundsätzlich Ansprüche gegen die Gesellschaft und die Gesellschafter zustehen. Den Anspruch gegen die Gesellschafter können sie aber ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchsetzen, da der Insolvenzverwalter insoweit gemäß § 171 Abs. 2 HGB ermächtigt wird (vgl. MüKo, HGB, 4. Auflage, §§ 171 f. Rn. 110). Es wäre damit im Übrigen auch vom Zufall abhängig, ob einzelne Gläubiger ihre Forderungen rechtzeitig vor Insolvenzeröffnung gegen die Gesellschafter durchsetzen konnten oder nicht. Der Sinn des § 159 Abs. 4 HGB ist es hingegen gerade, die Gläubiger vor einen „doppelten“ Geltendmachung ihrer Ansprüche und dem damit verbundenen „Wettlauf“ zu schützen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten droht auch keine „unendliche“ Verjährungshemmung bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens. Diese Gefahr ist vielmehr allein theoretischer Natur, da sie voraussetzt, dass der Insolvenzverwalter untätig bleibt. Der Insolvenzverwalter ist aber dazu verpflichtet, für die bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu sorgen (vgl. Braun/Kroth, 8. Aufl. 2020, InsO § 80 Rn. 25). Dazu gehört auch die Durchsetzung der Haftungsansprüche gegen die persönlich haftenden Kommanditisten gemäß § 171 Abs. 1 Hs. 1, § 172 Abs. 4 HGB.
Im Ergebnis findet § 159 Abs. 4 HGB daher Anwendung. Die Verjährung des Anspruchs wäre daher jedenfalls gemäß § 159 Abs. 4 HGB, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB verjährt.
5. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Anspruch auch nicht nach § 242 BGB verwirkt.
Die Verwirkung setzt einen Umstands- und einen Zeitmoment voraus (Jauernig/Mansel, 17. Aufl. 2018, BGB § 242 Rn. 54).
Vorliegend fehlt es bereits an einem Umstandsmoment. Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass der Schuldner in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen durfte, nicht mehr von den Gläubigern in Anspruch genommen zu werden oder dass die verspätete Inanspruchnahme des Schuldners für diesen unzumutbar ist (Jauernig/Mansel, 17. Aufl. 2018, BGB § 242 Rn. 61 f.)
Die dargestellte, klare Intention des Gesetzgebers, die Insolvenzgläubiger vor der Verjährung ihrer Ansprüche gegen die persönlich haftenden Gesellschafter zu schützen, spricht gegen ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten. Die Inanspruchnahme ist auch nicht unzumutbar, da der Rechtsvorgänger der Beklagten als Kommanditist unter der vertraglich geschuldeten Haftungseinlage geblieben ist und dieser Betrag der Klageforderung entspricht.
Im Ergebnis ist der Anspruch daher vollumfänglich begründet.
III.
Der Kläger hat daher auch einen Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Kosten in Höhe von 3.694,83 € gemäß § 280 Abs. 1, 2 § 286 BGB.
IV.
Der Kläger hat hinsichtlich des Klageantrags zu 1) einen Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab dem 25.01.2018 gemäß § 280 Abs. 1, 2, § 286, § 288 BGB (vgl. Anlage K9). Hinsichtlich des Klageantrags zu 2) hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab dem 15.05.2018, § 280 Abs. 1, 2, § 286, § 288 BGB (vgl. Anlage K10).
V.
Die Nebenentscheidungen richten sich nach § 91 ZPO und § 709 ZPO.
Der Streitwert war auf 265.000,00 festzusetzen.


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