Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz aufgrund eines Totalschadens an Arzneimitteln

Aktenzeichen  1 HK O 3/19

Datum:
23.8.2019
Fundstelle:
TranspR – 2021, 67
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 86 Abs. 1
BGB § 398
HGB § 335, § 425 Abs. 1, § 435, § 461 Abs. 2

 

Leitsatz

Bei Übergabe an eine nicht nach den ABG berechtigte Person musste dem Frachtführer bewusst sein, dass eine Unterbrechung der Kühlkette durchaus möglich ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Beklage wird verurteilt, an die Klägerin 12.031,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 6.12.2018 zu bezahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert für das Verfahren wird auf 12.031,50 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin aktivlegitimiert.
Ausweislich der Anlage K 18 (welche zwar nicht den streitgegenständlichen Zeitraum umfasst) in Verbindung mit der vorgelegten Korrespondenz (Anlage K 5, K 6, K 9) ist die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts der Transportversicherer der St. Georg-Apotheke. Die Anlagen K 5 und K 7 weisen den Versicherungsvertrag nach und sprechen für einen Übergang von Forderungen der … Apotheke auf die Klägerin gemäß § 86 Abs. 1 VVG. Hinsichtlich des Selbstbehalts von 1.000,- Euro liegt eine Abtretungserklärung (Anlage K 9) vor.
II.
Die Beklagte ist passivlegitimiert.  Bereits die Erklärung des Versicherers der Beklagtenseite vom 6.12.2018 (Anlage K 7) spricht dafür, dass eine Vertragsbeziehung mit der vormaligen … GmbH & Co. KG bzw. … GmbH & Co. KG nunmehr mit der Beklagten (… GmbH) fortgeführt wird. Dies bestätigt auch das Reklamationsprotokoll (Anlage K 4), welches von der Beklagten herrührt.
III.
Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 12.031,50 Euro gemäß §§ 425 Abs. 1, 428, 429, 431, 435 HGB i.V.m. § 398 ff. BGB.
1. Die Klägerin ist aufgrund des Forderungsübergangs gemäß § 86 Abs. 1 VVG nunmehr Forderungsinhaberin. Hinsichtlich des Selbstbehalts von 1.000,- Euro liegt eine Abtretungserklärung der Versicherungsnehmerin der Klägerin (Anlage K 9) vor. Die Abtretung und der damit einhergehende Forderungsübergang sind zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen.
2. Zur Überzeugung des Gerichts ist es in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung zu einer Beschädigung der streitgegenständlichen Medikamente gekommen.
a) Nach Überzeugung des Gerichts wurden die streitgegenständlichen Medikamente ausreichend vorgekühlt an die Beklagte übergeben. Die glaubwürdige Zeugin  hat ausgesagt, dass die Medikamente bereits von der Beklagten in das Kühllager der Versicherungsnehmerin der Klägerin transportiert werden. Die Zeugin hat glaubwürdig ausgeführt, wie mit den Medikamenten im temperaturüberwachten Kühlraum verfahren wird und dass es nur kurze Zeiträume außerhalb des Kühlraums gibt. Die Zeugin konnte sich zwar hinsichtlich der konkreten Medikamente an keine eigene Wahrnehmung erinnern, sondern bezog sich auf die von ihr im Zusammenhang mit dem Schadensfall vorliegenden Unterlagen (Bl. 176 d.A.). Sie hat auch das Kühlprotokoll des Lagerraums zum Zeitpunkt der Übergabe der streitgegenständlichen Medikamente vorgelegt und erklärt, dass die streitgegenständlichen Medikamente zum Zeitpunkt der Übergabe an die Beklagte ausreichend vorgekühlt waren. Daher ist zur Überzeugung des Gerichts eine ausreichende Vorkühlung und eine unversehrte Übergabe der Ware an die Beklagte nachgewiesen.
b) Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es im Haftungszeitraum zu einer Beschädigung der streitgegenständlichen Medikamente kam. Der Haftungszeitraum beginnt mit dem Erwerb des Besitzes und endet mit der Aufgabe des Besitzes. Jedoch stellt eine pflichtwidrige Aufgabe des Besitzes in der Regel einen Verlust dar (Koller, Transportrecht, § 461 HGB Rdziff. 4). Vorliegend war in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage K 20 Ziff. 3.2.2) geregelt, dass die Zustellung gegen Unterschrift des Warenempfängers oder sonstiger Personen, von denen nach den Umständen angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendung berechtigt sind, erfolgt. Weiterhin ist geregelt, dass hierzu insbesondere in den Räumen des Empfängers anwesende Personen zählen, in Ausnahmefällen könnten mit Waren-Empfängern Abstellgenehmigungen vereinbart werden. Vorliegend hatte die Warenempfängerin nach Vortrag der Beklagten bereits geschlossen. In deren Räumen konnte die Ware also nicht abgegeben werden. Die Vereinbarung einer Abstellgenehmigung mit dem Warenempfänger, die nach den AGB ausnahmsweise möglich ist, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht nachgewiesen. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, dass der Fahrer von einem vermuteten Einverständnis ausgegangen ist, liegt nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen eine pflichtwidrige Ablieferung vor.
c) Soweit man nicht bereits durch die pflichtwidrige Aufgabe des Besitzes von einem Verlust ausgehen möchte, liegt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls eine Beschädigung im Sinne des § 425 Abs. 1 HGB vor. Beschädigung ist die Veränderung des chemisch/physikalisch/biologischen Zustandes des Gutes bei der Ablieferung im Vergleich zu dessen Zustand bei Übernahme, die einen Wertverlust zur Folge hat (Verschlechterung der Substanz des Gutes). Hierfür genügt ein Verdacht (Koller, Transportrecht, § 425 HGB Rdziff. 1 m.w.N.). Durch die Falschablieferung war jedenfalls die Kühlkette für die temperatursensiblen Medikamente nicht mehr nachweisbar eingehalten. Es ist für das Gericht nachvollziehbar, dass bei temperatursensiblen Medikamenten eine durchgängige Kühlung nachgewiesen sein muss. Durch die Falschablieferung war zumindest dieser Nachweis von der Beklagten nicht mehr zu führen, so dass nicht mehr von einer Verwendbarkeit der temperatursensilen Medikamente auszugehen ist. Dieses Ergebnis wird durch die klägerseits vorgelegten Unterlagen (Anlage K 11 bis K 15) bestätigt. Hinsichtlich einer weiteren Verwendbarkeit der streitgegenständlichen Medikamente wäre die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten oblegen.
3. Wie bereits ausgeführt, sieht das Gericht unter Berücksichtigung von Anlage K 20 Ziffer 3.2.2 das vorliegende Abliefern im vermuteten Einverständnis durch den Fahrer als Pflichtenverstoß an. Aus Sicht des Gerichts ist dieser Pflichtenverstoß auch als leichtfertig zu qualifizieren. Von Leichtfertigkeit kann nur bei besonders schweren Pflichtenverstößen gesprochen werden, bei denen sich der Frachtführer oder seine Leute in krasser Weise über die Interessen des Vertragspartners hinweggesetzt haben (Koller, Transportrecht, § 335 HGB, Rdziff. 6 m.w.N.). Leichtfertig wird gehandelt, wenn im Einzelfall maßgebliche Pflichten grob oder krass missachtet werden. Dies setzt in aller Regel voraus, dass die Gefährdung des Gutes offensichtlich war und die Angemessenheit der geschuldeten Schutzmaßnahmen auf der Hand lag. Leichtfertig handelt, wer grundlegende auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten verletzt, naheliegende Überlegungen nicht anstellt, sich über Bedenken in Anbetracht von Gefahren hinwegsetzt, die sich jedem aufdrängen müssen.
Aus Sicht des Gerichts wurden mit Ziffer 3.2.2 bis 3.2.4. der AGB (Anlage K 20) klare Regelungen über die Zustellung vereinbart. Die Vereinbarung von Abstellgenehmigungen war nur in Ausnahmefällen möglich. Bei erfolgloser Zustellung war ein weiterer Zustellversuch ausdrücklich geregelt. Selbst bei Unterstellung des Vortrags der Beklagten, dass der ausführende Fahrer im vermuteten Einverständnis die Medikamente bei einer anderen Arztpraxis abgegeben hat und diese dort angenommen wurden (Bl. 44 d.A.), lässt aus Sicht des Gerichts nicht entfallen, dass gegen die ausdrücklichen Regelungen der allgemeinen Geschäftsbedingungen verstoßen wurde. Entweder waren dem Fahrer die ausdrücklichen vertraglichen Regelungen nicht in ausreichendem Maße verdeutlicht worden, dann wäre von einem leichtfertigen Verhalten der Beklagten im Hinblick auf Auswahl und Schulung ihrer Subunternehmer auszugehen. War der Fahrer jedoch ausreichend geschult, musste es für diesen evident gewesen sein, dass bei Abgabe einer kühlpflichtigen Sendung in einer anderen Arztpraxis die Gefahr einer unzureichenden Kühlung besteht. Aus der Tatsache, dass in der anderen Arztpraxis eine Person annahmebereit gewesen ist, ergibt sich aus Sicht des Gerichts nichts anderes. Die Verantwortlichkeit für hochpreisige Medikamente kann nicht durch faktisches Abgeben auf Dritte übertragen werden.
Auch dem Fahrer musste daher bekannt sein, dass wahrscheinlich ein Schaden eintreten wird (Koller, Transportrecht, § 435 Rdziff. 14). Es genügt, dass dem Fahrer die Art des Schadens sowie die generelle Richtung des möglichen Schadensverlaufs zu Lasten eines Ersatzberechtigten bekannt war. Indem der Fahrer auf die Kühlpflichtigkeit hinwies (Bl. 46 d.A.), musste ihm bei Übergabe an eine nicht nach den AGB berechtigte Person bewusst sein, dass eine Unterbrechung der Kühlkette durchaus möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit des Schadens muss nach der Vorstellung des Schädigers nicht notwendig mehr als 50% betragen. Vielmehr ist aus der Kenntnis des grob mangelhaften Zustellungsversuchs auf das Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu schließen (Koller, Transportrecht, § 435 HGB Rdziff. 16).
Bei einer Gesamtabwägung der Umstände und der Zugrundelegung des Vortrags der Beklagtenseite geht das Gericht von Leichtfertigkeit aus. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Interesses von Ärzten an einer zügigen Zustellung von (temperatursensiblen) Medikamenten und bei Annahme der gleichen Adresse. Es liegt eine Ablieferung der Sendung an einen nicht berechtigten Dritten vor, wobei es sich um ein wertvolles und temperatursensibles Gut handelte (vergleichbare Einzelfälle in Koller, Transportrecht, § 435 HGB Rdziff. 8 d).
4. Das Gericht geht von einem Schaden in Höhe von 12.031,50 Euro aus. Nach der gesetzlichen Vermutung des § 492 Abs. 3 HGB unter Berücksichtigung der Anlagen K 1, K 2, K 3 und K 4 ist 1 HK O 3/19 – Seite 8 – der Schadenseintritt ausreichend nachgewiesen. Der Nachweis eines niedrigeren Schadens ist durch die Beklagte nicht geführt.
Die Klageseite war auch nicht an ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 19.6.2019 festzuhalten, nachdem eine „- unstreitige – Regulierung des streitgegenständlichen Schadens in Höhe der vermeintlichen Regelhaftung von 1.000,- Euro“ vorliege (Bl. 139 d.A.). Dieser Vortrag steht im offensichtlichen und damit konkludenten Widerspruch zur Klageschrift.
Auch aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass dieser Betrag nicht gezahlt wurde, sondern lediglich im Rahmen einer gütlichen Einigung angeboten wurde (Anlage K 7). Die Klägerin hat dies mit Schriftsatz vom 29.7.2019 (in insoweit nicht nachgelassener Schriftsatzfrist) ausdrücklich klargestellt.
Daher ist von der Schadenssumme auch nicht ein Betrag von 1.000,- Euro abzuziehen.
IV.
Der Anspruch aus Verzugszinsen ergibt sich aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB i.V.m. § 352 HGB.
Die Beklagte hat nach vorheriger Zahlungsaufforderung durch ihren Versicherer am 6.12.2018 die Leistung endgültig verweigert (Anlage K 7).
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die vorläüfige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
Verkündet am 23.08.2019


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