Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz wegen Entwendung des Transportguts aus abgestelltem Auflieger

Aktenzeichen  12 U 2204/15

Datum:
14.8.2017
Fundstelle:
TranspR – 2018, 118
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
CMR Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 3, Art. 29, Art. 41 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ist eine Bewachung des Transportguts nicht geschuldet, ist der Fahrer damit während einer Ruhepause zu einer Beobachtung nicht verpflichtet. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Behauptung, in Frankreich gebe es keine bewachten und gesicherten Parkplätze „im Sinne der deutschen Rechtsprechung“, ist nicht entscheidungserheblich, wenn ein Abstellen auf einem bewachten und gesicherten Parkplatz vertraglich nicht geschuldet war. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Abstellen eines von der Zugmaschine abgekoppelten Aufliegers reicht nicht aus, um allein deshalb ein qualifiziertes Verschulden anzunehmen; dies gilt auch dann, wenn der Auflieger zum Zwecke der Übernahme durch einen anderen Fahrer für mehrere Stunden (werktags nach Sonnenaufgang in einem Gewerbegebiet) am Straßenrand geparkt wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 U 2204/15 2017-07-04 Endurteil OLGNUERNBERG LG Nürnberg-Fürth

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.09.2015, Aktenzeichen 5 HK O 1279/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und die durch die Streithilfe im Berufungsverfahren verursachten Kosten.
3. Das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.734,38 € festgesetzt.

Gründe

1. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.09.2015 sowie auf die Sachverhaltsdarstellung im Hinweis des Senats vom 04.07.2017 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin und Berufungsklägerin:
Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.09.2015, Az. 5 HK O 1279/15, wird abgeändert; der Klage wird statt gegeben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.734,38 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.10.2014 zu zahlen.
Hilfsweise: Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
Die Berufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen, hilfsweise als unbegründet zurückgewiesen.
Die Streithelferin der Beklagten und Berufungsbeklagten beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.09.2015, Aktenzeichen 5 HK O 1279/15, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel der Klägerin offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 04.07.2017 (Bl. 347-360 d. A.) Bezug genommen.
Die Ausführungen in der Gegenerklärung der Klägerin vom 08.08.2017 (Bl. 370-377 d.A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Senat hat die dort erhobenen Einwendungen geprüft, indes nicht für durchgreifend erachtet. Auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Berufung sieht der Senat auch bei nochmaliger Überprüfung keinen Anlass, von der in Hinweis vom 04.07.2017 erfolgten Bewertung abzugehen. Das Vorbringen der Gegenerklärung veranlasst insoweit folgende ergänzenden Ausführungen:
a) Soweit die Berufung meint, die Beklagte habe ihre sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt, setzt sie unzulässigerweise ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen (in Ziffer 6 c bb des Hinweises vom 04.07.2017 näher dargelegten) des Senats. Von der Berufung vermisste weitere Angaben dazu, welche konkreten Maßnahmen zur Verhinderung von Entwendungen ergriffen worden seien, waren nicht erforderlich, nachdem die Beklagte bzw. deren Streithelferin vorgetragen hatte, wie das Transportgut verpackt war, dass dieses sich auf einem Planen-Lkw befand und wann dieser Lkw wo geparkt wurde. Von der Berufung vermisste weitergehende Angaben zur Tatzeit waren gleichfalls nicht erforderlich, nachdem die Beklagte den Tatzeitraum zwischen Abstellzeitpunkt des Lkw und Entdeckung des Diebstahls mitgeteilt hat. Von der Berufung vermisste weitergehende Angaben zum Tathergang [„wie genau das Aufschlitzen (der Plane) erfolgt sei“] waren ebenfalls nicht geschuldet, nachdem die Beklagte – wie aus Anlage B4 ersichtlich – Größe, Umfang und Position des in die Plane geschlitzten Loches dargelegt hat und weitergehende Einzelheiten, etwa die Art des zur Tatbegehung verwendeten Werkzeuges, nicht in ihren Betriebsbereich fallen. Von der Berufung vermisste weitergehende Angaben zur Anzahl der Täter, warum diese unentdeckt bleiben konnten und weshalb den oder die Täter niemand aufhielt, waren ebenfalls nicht geschuldet. Insoweit kann nur gemutmaßt werden, dass der oder die Täter möglicherweise deshalb unentdeckt blieb(en), weil die Plane des Lkw auf der rechten, dem Straßenrand zugewandten Seite aufgeschlitzt wurde, so dass die Sicht von der Straße auf den Diebstahl durch den Lkw verdeckt war.
Die vorgenannten Umstände stellen auch nicht etwa deshalb Umstände aus dem Betriebsbereich der Beklagten dar, weil diese vom Fahrer hätten beobachtet werden können. Wie im Hinweis des Senats (auf Seite 13) dargelegt, war eine Bewachung des Transportguts nicht geschuldet, der Fahrer damit zu einer Beobachtung nicht verpflichtet.
b) Soweit die Berufung meint, der Vortrag der Beklagten bzw. der Streithelferin, in Frankreich gebe es keine bewachten und gesicherten Parkplätze „im Sinne der deutschen Rechtsprechung“ (Schriftsatz des Streithelfervertreters vom 01.06.2015, Seite 7 = Bl. 43 d.A.) sei unkonkret, nicht bestimmbar und im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht ausreichend, folgt der Senat dem nicht. Bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt sich, dass ein bewachter und gesicherter Parkplatz das Vorhandensein einer – wie auch immer gearteten – Kontrolle und Sicherung, sei es der Zu- und Abfahrten zum Parkplatz, sei es eine Kameraüberwachung, sei es eine ständige Beaufsichtigung durch Wachpersonal, seien es weitere Sicherungsmaßnahmen wie Umfriedung, Beleuchtung etc. erfordert. Durch den Zusatz „im Sinne der deutschen Rechtsprechung“ wird der Vortrag der Streithelferin nicht unklar, da damit nur auf die von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an bewachte und gesicherte Parkplätze verwiesen wird.
Nachdem im Streitfall indes ein Abstellen auf einem bewachten und gesicherten Parkplatz nicht geschuldet war, kommt es hierauf nicht an. Wie bereits im Hinweis des Senats dargelegt, rechtfertigt das Abstellen eines mit Sammelgut beladenen Transportfahrzeugs selbst am Wochenende in einem unbewachten Gewerbegebiet nicht ohne weiteres den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens, und zwar selbst dann, wenn dem Frachtführer bekannt ist, dass sich unter dem Sammelgut leicht absetzbare Güter befinden (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2012 – I ZR 236/11, TranspR 2013, 286). Erst recht gilt dies für einen Abstellvorgang an einem Werktag nach 06:00 Uhr.
c) Auch wenn eine Kontrolle des Abstellplatzes (xy in Croissy-Beaubourg) nicht unstreitig, sondern von der Klägerin bestritten war, rechtfertigt dieser Umstand nicht die Bewertung, das Abstellen der strgg. Ladung in der geschehenen Weise sei als qualifiziertes Verschulden im Sinne des Art. 29 CMR zu bewerten. Auf die weiteren, im Hinweis des Senats (unter 6 e) dargestellten für die Beweiswürdigung relevanten Umstände wird verwiesen. Der Senat hält – entgegen der Sichtweise der Berufung – weiterhin das Abstellen eines von der Zugmaschine abgekoppelten Aufliegers für nicht genügend, um allein deshalb qualifiziertes Verschulden anzunehmen. Ein von der Berufung hierin gesehener Verstoß gegen die Gesetze der Denklogik besteht insoweit nicht.
d) Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte einen Sammeltransport veranlasst hat und in dessen Rahmen den Transport so organisierte, dass in der geschehenen Weise eine Übernahme durch einen zweiten Fahrer erfolgen musste. Nachdem ein Einzeltransport nicht vereinbart war, durfte die Beklagte eine Sammelladung veranlassen. Deren Organisation dahingehend, dass der Transport zum Zwecke der Übernahme durch einen anderen Fahrer für mehrere Stunden unterbrochen wurde und der Transportauflieger während dieses Zeitraums, abgekoppelt von der Zugmaschine, am Straßenrand geparkt wurde, mag fahrlässig, in Anbetracht des konkreten Transportgutes sogar leichtfertig erscheinen. Angesichts des Umstandes, dass das Abstellen werktags in einem Gewerbegebiet und nicht zur Nachtzeit, vielmehr erst nach Sonnenaufgang erfolgte und ein Diebstahl damit für die Täter mit einem nicht unerheblichen Entdeckungsrisiko verbunden war, hält der Senat indes eine sich der Beklagten (Streithelferin) aus deren Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen, für nicht nachgewiesen. Die bloße Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für sich allein wäre insoweit nicht ausreichend, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (Ziffer 6 a des Hinweises des Senats). Wie in Ziffer 6 e des Hinweises vom 04.07.2017 dargelegt, ist die Beweiswürdigung des Landgerichts – das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sei nicht nachgewiesen – nicht zu beanstanden und entspricht auch der Bewertung des Senats.
e) Soweit die Berufung schließlich meint, im Hinblick auf ein Anerkenntnis der Beklagten sei eine Umkehr der diesbezüglichen Beweislast anzunehmen, ist ihr Vorbringen nicht verständlich. Eine „vorbehaltlose vorgerichtliche Teilzahlung“ der Beklagten ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
Möglicherweise meint die Berufung den Umstand, dass der Versicherer der Streithelferin (G. V. AG) über die Beklagte an die Klägerin vorgerichtlich eine Zahlung von 4.561,97 EUR geleistet hat; hierbei handelte es sich um den nach Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 3 CMR geschuldeten Haftungshöchstbetrag der „Gewichtshaftung“.
Dieses Moment kann indes weder als Anerkenntnis einer unbegrenzten Haftung seitens der Beklagten gewertet werden noch gar zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 29 CMR führen.
Jegliche Umkehr der Beweislast würde zudem nur „leichtes“ Verschulden erfassen; haftungserweiterndes Verschulden gemäß Art. 29 CMR muss hingegen grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden, da die unbegrenzte Haftung bei qualifiziertem Verschulden einen Ausnahmetatbestand darstellt. Die Beweislastverteilung zu Lasten des Geschädigten bzw. Anspruchsstellers lässt sich aus dem Haftungssystem der CMR ableiten, das dem Frachtführer bis zum Verschuldensgrad des Art. 29 CMR die Beweislast für ein fehlendes Verschulden auferlegt, ihn dafür aber nur beschränkt haften lässt. Da der Frachtführer nach Art. 29 CMR ohne Grenzen haftet, verbietet es sich aber, ihm über die Konstruktion einer Beweislastumkehr die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass ihn kein qualifiziertes Verschulden treffe. Ein Frachtführer, der seiner Aufklärungs- bzw. sekundären Darlegungspflicht nachgekommen ist, hat seiner Mitwirkungspflicht Genüge getan; die Beweislast, dass er etwa durch eine schwer mangelhafte Organisation qualifiziert schuldhaft gehandelt habe, verbleibt beim Geschädigten, dessen Auskunftsanspruch nämlich nicht so weit gehen darf, dass er faktisch eine Entlastungspflicht des Frachtführers und damit eine Beweislastumkehr schafft, die sich nach Art. 41 Abs. 2 CMR (wonach jede Abmachung, durch die die Beweislast verschoben wird, nichtig ist) verbietet (vgl. Oberster Gerichtshof Wien, Entscheidung vom 27. September 2000 – 7 Ob 160/00f -, juris).
f) Soweit die Berufung schließlich die Einräumung einer weiteren Stellungnahmefrist hinsichtlich des Vortrags konkreter bewachter Parkplätze sowie hinsichtlich des Vortrags „wo es zur Vielzahl der Diebstähle kam“ beantragt, war dem nicht nachzukommen. Unabhängig von der Frage, ob diesbezüglich substanziierter Vortrag erfolgte, war der Klägerin – zumal noch im Berufungsverfahren – keine entsprechende Schriftsatzfrist für neuen Sachvortrag zu gewähren. Das Gericht ist nicht verpflichtet, hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Kardinalfrage des Nachweises des Vorliegens eines qualifizierten Verschuldens der Beklagten im Sinne des Art. 29 CMR vor einer Sachentscheidung auf deren beabsichtigten Inhalt hinzuweisen und den Parteien zu ermöglichen, diesbezüglichen weiteren Sachvortrag zu halten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Endurteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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