Handels- und Gesellschaftsrecht

Untersuchungshaft, Berufung, Vollziehung, Hinterlegung, Schadensersatzforderung, Glaubhaftmachung, Antragsgegner, Betrug, Aufhebung, Marktmanipulation, Antragsteller, Anordnung, Erlass, Forderung

Aktenzeichen  3 U 3242/21

Datum:
27.9.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28915
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

27 O 4121/21 2021-04-29 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.04.2021, Az. 27 O 4121/21, wird aufgehoben.
2. Wegen einer Forderung des Arrestklägers und Berufungsklägers gegen den Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten in Höhe von 6.540,60 € sowie einer Kostenpauschale von 327,03 € wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten angeordnet.
3. Die Vollziehung des Arrestes wird durch Hinterlegung durch den Antragsgegner in Höhe von 6.867,63 € gehemmt.
4. Der Arrestbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Zur näheren Darstellung sowohl des Sachverhaltes als auch der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend und zusammenfassend ist folgendes auszuführen:
Mit Schriftsatz vom 26.03.2021 beantragte der Antragsteller den Erlass eines dinglichen Arrestes gegen den Antragsgegner. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin gegen den Antragsgegner eine Schadensersatzforderung in Höhe von 6.540,60 € zustehe, die darauf begründet sei, dass der Antragsgegner als Vorstandsvorsitzender der W. AG und zugleich als größter Einzelaktionär in den Jahren 2002 bis Juni 2020 zusammen mit zwei ehemaligen W.-Managern bandenmäßigen Betrug und Fälschung der Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie Marktmanipulation begangen habe. Die W. AG habe dadurch finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden sollen, umso regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren. Tatsächlich sei dem Antragsgegner jedoch klar gewesen, dass der W. Konzern Verluste erziele. Zur Glaubhaftmachung nahm die Antragstellerin auf eine Pressemitteilung der Stadtmannschaft München I vom 22.07.2020 Bezug. Der Antragsgegner sitzt seit dem 22.07.2020 aufgrund dieser Vorwürfe in Untersuchungshaft.
Dem Antragsteller sei aufgrund vorangegangen Aktienkaufs unter Zugrundelegung des Kurswertes von 1,15 € je Aktie am Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der oben genannte Verlust entstanden. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätte der Antragsteller die Aktien nicht erworben. Zur Glaubhaftmachung legt der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vor. Ein Arrestgrund liege deshalb vor, da die Vollstreckung eines Schadensersatzanspruches gegen den Antragsgegner aufgrund seiner österreichischen Staatsbürgerschaft und der zahlreichen Immobilien, welche der Beklagte im Ausland besitze, wesentlich erschwert würde.
Mit Endurteil vom 29.04.2021 wies das Landgericht München I den Antrag auf Erlass eines Arrestes zurück. Dieses Endurteil wurde dem Antragstellervertreter am 30.04.2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 28.05.2021 legt der Antragssteller gegen das Endurteil des Landgerichts München I Berufung ein und beantragte zugleich die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 31.07.2021. Mit Verfügung vom 10.06.2021 forderte der Vorsitzende Richter den Antragsteller dazu auf, den Verlängerungsantrag im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes näher zu begründen. Eine Reaktion von Seiten des Antragstellers erfolgte nicht. Mit weiterer Verfügung vom 06.07.2021 wies der Senat darauf hin, dass er davon ausgehe, dass die Berufung unzulässig sei. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist habe nicht stattgefunden, eine solche sei innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingegangen. Diese Verfügung wurde dem Antragstellervertreter am 08.07.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 29.07.2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründete der Antragsteller seine Berufung und nahm zugleich zu den Gründen der beantragten Fristverlängerung Stellung. Mit Verfügung vom 03.08.2021 wurde die zuvor beantragte Fristverlängerung gewährt.
Der Antragsteller beantragt,
1.Das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.04.2021, Az. 27 O 4121/21 wird aufgehoben.
2.Wegen einer Forderung des Arrestklägers und Berufungsklägers gegen den Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten in Höhe von 6.540,60 € sowie einer Kostenpauschale von 327,03 € wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten angeordnet.
3.Durch Hinterlegung von 6.867,63 € wird die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Arrestbeklagten Berufungsbeklagte berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arrestes zu beantragen.
Der Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Zur Ergänzung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
Die von dem Antragsteller eingelegte Berufung ist zulässig und in der Sache begründet.
1. Der Arrestkläger hat die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO gewahrt. Mit der Einlegung der Berufung wurde durch den Berufungskläger die erstmalige Fristverlängerung um einen Monat begehrt. Zwar erfolgte auf die Verfügung des Vorsitzenden Richters vom 10.06.2021 zunächst keine Reaktion, sodass eine Entscheidung über diesen Antrag nicht stattfand. Erst nach entsprechendem Hinweis nahm der Antragstellervertreter mit Schriftsatz vom 29.07.2021 zu den Gründen für eine Fristverlängerung Stellung und führte dazu aus, dass aufgrund eigenen Urlaubs und Vertretung abwesende Kollegen eine Fristwahrung nicht möglich war. Die nunmehr vorgetragenen Gründe durch den Antragstellervertreter und der Umstand, dass es sich um die erstmalige Fristverlängerung handelt, rechtfertigen die Fristverlängerung bis zum 31.07.2021. Dem Antrag des Antragstellervertreters vom 28.05.2021 war daher nachzukommen, was mit Verfügung vom 03.08.2021 erfolgte. Damit hat der Antragstellervertreter durch die Berufungsbegründung vom 29.07.2021 diese Frist gewahrt, auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam es daher nicht an.
2. Die Berufung ist auch begründet. Dem Antrag auf Anordnung des Arrestes war nach §§ 916, 917, 923 ZPO stattzugeben. Der Antragsteller hat Arrestanspruch und Arrestgrund ausreichend glaubhaft gemacht.
2) Der Arrestanspruch ergibt sich zumindest aus § 826 BGB. Es kann dahinstehen, ob daneben auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 iVm § 331 Nr. 1, 4 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG oder iVm § 264 a StGB oder § 263 StGB besteht.
2) Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner als Vorstandsvorsitzender der W. AG zusammen mit weiteren Vorständen und Mitarbeitern seit dem Jahr 2015 wissentlich das Unternehmen finanzkräftiger dargestellt hat, als es in Wirklichkeit war. Die Bezugnahme auf die staatsanwaltschaftliche Presseerklärung insbesondere vom 22.07.2020 reicht in diesem Fall aber zur Glaubhaftmachtung auch des subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB aus.
2) Dem Antragsteller ist durch die systematische Falschinformation seitens des Antragsgegners der geltend gemachte Schaden entstanden. Zwar wird durch den Antragsteller weder in der Antrags- noch in der Berufungsschrift zu einem Schaden vorgetragen, jedoch nimmt der Antragsteller Bezug auf die vorgelegten Unterlagen. Zu diesen gehört ein Schriftsatz des Antragstellers vom 19.01.2021 mit welchem eine Klage bei dem Landgericht München I eingereicht wird. In dieser wird ausgeführt, dass der Antragsteller am 24.02.2020 50 Aktien der W.AG zu gesamt 6.540,60 € erworben hat, eine entsprechende Wertpapierkaufabrechnung findet sich in den Anlagen ebenfalls. Unter Berücksichtigung des allgemein bekannten Verlustes der Aktie sieht der Senat daher einen möglichen Schaden als ausreichend glaubhaft gemacht an. Dafür, dass die streitgegenständlichen Investitionen im Vertrauen auf den dargelegten Sachverhalt getätigt wurden bzw. dass der Antragsteller bei Kenntnis der wahren Umstände hiervon Abstand genommen hätte, spricht zudem bereits die Vermutung Aufklärung richtigen Verhaltens.
2) Ein Arrestgrund liegt vor.
2) Der Arrestgrund wird durch das bisherige Verhalten des Antragsgegners indiziert. Es besteht regelmäßig ein Arrestgrund, wenn das dem Arrestanspruch zugrundeliegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet (BGH, Beschluss vom 24.03.1983 – III ZR 116/92, KG Berlin, Beschluss vom 07.01.2010 – 23 W 1/10, OLG München, Beschluss vom 13.10.2016 – 15 W 1709/16). Aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen ist eine vorsätzliche Straftat zulasten des Vermögens der Antragsteller hinreichend wahrscheinlich. Ob im Ergebnis ein Betrug nach § 263 BGB oder ein Anlagebetrug nach § 264 a StGB inmitten stehen wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, ist aber auch für die Qualifizierung als Straftet zulasten der Antragsteller ohne Belang. Hat sich der Antragsgegner eines Vermögensdeliktes zulasten der Antragsteller strafbar gemacht, ist die Annahme gerechtfertigt, der Antragsgegner werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder erschweren (KG a.a.O.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass diese Prognose unrichtig sein könnte, sind vorliegend nicht gegeben. Zwar hat sich der Antragsgegner dem Strafverfahren gestellt und verhält sich nunmehr kooperativ. Im Hinblick auf die Massivität der Vorwürfe, das offensichtlich über Jahre hinweg mit großer krimineller Energie vorgenommene Verschleiern, Verschweigen und Beschönigen der wirklichen Unternehmenslage und angesichts der im Juni 2020 für den Antragsgegner bestehenden ausweglosen Lage, kann allein die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen.
2) Soweit das Erstgericht in seinem Endurteil darauf verweist, dass ein Arrestgrund nicht bestehe, da der Antragsgegner aufgrund der seit Juli 2020 andauernden Untersuchungshaft über sein Vermögen nicht verfügen könne, so überzeugt dies nicht. Allein die Untersuchungshaft hindert den Arrestbeklagten weder rechtlich noch tatsächlich daran, Vermögensverfügungen ggf. über beauftragte Personen vorzunehmen und lässt daher den Arrestgrund nicht entfallen.
2) Der Senat geht weiterhin davon aus, dass auch ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Arrest besteht. Dabei war nicht zu entscheiden, ob das Rechtsschutzbedürfnis dann entfällt, wenn sämtliche Vermögenswerte bereits durch Seiten der Staatsanwaltschaft arrestiert worden sind. Gerichtsbekanntermaßen entstehen dem Antragsgegner derzeit aus Endurteilen, welche das Landgericht München I im Widerspruchsverfahren über Arreste erlässt, Kostenerstattungsansprüche gegen die jeweiligen Arrestkläger. Diese können jedoch durch einen bestehenden Arrest gepfändet werden. Dass diese ebenfalls von Seiten der Staatsanwaltschaft München I arrestiert worden sind, wird nicht vorgetragen.
3. Die Abwendungsbefugnis basiert auf § 923 ZPO.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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