Insolvenzrecht

Aufrechnung der Altmasseverbindlichkeiten gegen Vorsteuer aus der Vergütung des Insolvenzverwalters

Aktenzeichen  2 K 1540/18

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2021, 58
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 387
InsO § 55 Abs. 4, § 96, § 209 Abs. 1, § 208 Abs. 1 S. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1
AO § 218 Abs. 1, § 251 Abs. 2 S. 1,

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Abrechnungsbescheid vom 11.05.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.10.2018 wird dahingehend geändert, dass ein Guthaben aus der Umsatzsteuervorauszahlung März 2014 von 139.322,93 € besteht.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO) und ist entsprechend zu ändern (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO), weil das Finanzamt zu Unrecht davon ausging, dass das Guthaben aus der Umsatzsteuervorauszahlung für März 2014 in Höhe von … € durch Aufrechnung mit der Umsatzsteuervorauszahlung für Mai 2013 erlosch.
1. Zwar lagen die steuerrechtlichen Voraussetzungen der Aufrechnung grundsätzlich vor. Die beiden Umsatzsteuervorauszahlungen standen sich als gleichartige Ansprüche gegenüber (§ 226 Abs. 1 AO, § 387 BGB). Maßgeblich ist insofern die formelle Bescheidlage (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 1 AO; BFH-Urteil vom 23.10.2018 VII R 13/17, BFHE 262, 326, BStBl. II 2019, 126, Rz 17 f.). Die Möglichkeit zur Aufrechnung mit dem Anspruch auf die Vorauszahlung bleibt dem Grunde nach vom etwaigen Erlass eines Umsatzsteuerjahresbescheids oder der Anmeldung zur Tabelle (vgl. BFH-Urteil vom 24.11.2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl. II 2012, 298, Rz 42) unberührt (BFH-Urteile in BFHE 189, 14, BStBl. II 2000, 46, unter 2.b.bb.ccc.; in BFHE 190, 25, BStBl. II 2000, 486 unter II.2.b.aa.).
2. Die Aufrechnung war aber nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen ausgeschlossen. Die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) bleiben nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO unberührt. Danach war die Aufrechnung zwar nicht in unmittelbarer Anwendung des § 96 InsO ausgeschlossen, weil die Umsatzsteuervorauszahlung Mai 2013 – unstreitig – nach § 55 Abs. 4 InsO Masseverbindlichkeit war. Die Unzulässigkeit der Aufrechnung ergibt sich aber aus der entsprechenden Anwendung des § 96 InsO aufgrund der Masseunzulänglichkeit. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob eine dem Grunde nach gegebene Möglichkeit zur Aufrechnung mit der Umsatzsteuervorauszahlung für Mai 2013 durch den Umsatzsteuerjahresbescheid oder die Anmeldung zur Tabelle der Höhe nach begrenzt (vgl. BFH-Urteil vom 17.09.2019 VII R 31/18, BFHE 266, 113, Rz. 38) wäre.
a) Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, so hat der Insolvenzverwalter nach § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Insolvenzgericht anzuzeigen, dass Masseunzulänglichkeit vorliegt. Er hat dann die Masseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 InsO in der dort geregelten Rangordnung zu berichtigen. Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelten die Aufrechnungsverbote nach § 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 InsO entsprechend, damit nicht die für die Verteilung der unzulänglichen Masse geltenden Rechtsregeln durch eine Aufrechnung unterlaufen werden können (BFH-Urteil in BFHE 266,113, Rz. 43, m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Aufrechnung im Streitfall nicht schon in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.
aa) Danach können Massegläubiger mit ihren Altforderungen gegen die Masse weiterhin gegen solche Ansprüche der Masse wirksam aufrechnen, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden sind; dagegen ist die Aufrechnung von Altforderungen gegen Neuansprüche der Masse, die erst nach dieser Anzeige begründet worden sind, unzulässig. Ebenso können Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden (BFH-Urteil vom 04.03.2008 VII R 10/06, BFHE 220, 295, BStBl. II 2008, 506, unter II.1.). Eine Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch, der sich aus anteiliger Verwaltervergütung für den Zeitraum bis zur Feststellung der Masseunzulänglichkeit ergibt, ist nicht zulässig, wenn eine entsprechende Teilvergütung vom Insolvenzgericht nicht festgesetzt worden ist (BFH-Urteil in BFHE 220, 295, BStBl. II 2008, 506, Leitsatz 2). Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht materiell-rechtlich, wenn die betreffende Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Auf den Besitz der Rechnung kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung des Erstattungsanspruchs nicht an (BFH-Urteil vom 12.06.2018 VII R 19/16, BFHE 261, 463, Rz. 14 ff.).
bb) Hiervon ausgehend, steht im Streitfall § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO analog der Aufrechnung nicht entgegen, weil nicht nur die von der Masse geschuldete Umsatzsteuervorauszahlung Mai 2013 Altmasseverbindlichkeit ist. Auch das Recht auf Vorsteuerabzug aus der Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung ist insolvenzrechtlich während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung, mithin vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet, unabhängig davon wann die Vergütung festgesetzt und abgerechnet wurde. Die Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung wurde zudem als solche gesondert festgesetzt.
c) Die Unzulässigkeit der Aufrechnung im Streitfall ergibt sich aber in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
aa) Die Aufrechnung ist nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach § 129 Abs. 1 InsO nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten. Anfechtbar ist insbesondere eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (inkongruente Deckung), nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte. Eine solche Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, ist nach der Rechtsprechung insbesondere auch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die dazu führt, dass das Finanzamt mit Steuerschulden gegen einen Vorsteueranspruch aufrechnen kann (BFH-Urteile vom 02.11.2010 VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl. II 2011, 374, Rz. 22 ff., 41; vom 02.11.2010 VII R 62/10, BFHE 232, 290, BStBl. II 2011, 439, Rz. 34; vom 05.05.2015 VII R 37/13, BFHE 249, 418, BStBl. II 2015, 856, Rz. 8 f.; krit. Pflaum, UR 2019, 401 -406 (BFH-Urteil in BFHE 231, 488, BStBl. II 2010, 488, Rz. 41;).
bb) Die entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO bei Masseunzulänglichkeit bedeutet zunächst, dass die Aufrechnung unzulässig ist, wenn ein Altmassegläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Analogie (vgl. unter a) entspricht der bei unmittelbarer Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltenden Unterscheidung zwischen Insolvenz- und Massegläubigern bei entsprechender Anwendung die Unterscheidung zwischen Alt- und Neumassegläubigern (BFH-Urteil in BFHE 220, 295, BStBl. II 2008, 506, unter II.1.).
cc) Die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Streitfall war auch anfechtbar im Sinne des entsprechend angewandten § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO.
(1) „Anfechtbar“ im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezieht sich auf die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO). Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der InsO und wird durch die Entwurfsbegründung zur InsO (BT-Drucks. 12/2443, S. 141) bestätigt. Insbesondere § 131 InsO erfordert für die Anfechtung eine Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers, ist daher seinem Wortlaut nach gegenüber Massegläubigern nicht einschlägig.
(2) § 131 InsO ist bei Masseunzulänglichkeit aber nicht unmittelbar, sondern wie § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO sinngemäß anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind im Fall der Masseunzulänglichkeit die insolvenzrechtlichen Vorschriften, die für die Verteilung des Vermögens im Allgemeinen einen Interessenausgleich zwischen der durch die Aufrechnungslage gebildeten Sicherung des Insolvenzgläubigers einerseits sowie dem Gebot der gleichmäßigen Gläubigerbehandlung andererseits schaffen, sinngemäß anzuwenden.“ (BFH-Urteil in BFHE 220, 295, BStBl. II 2008, 506, unter II.1.). Zu diesen Vorschriften gehören nicht nur die Aufrechnungsverbote, sondern auch die darin in Bezug genommenen Anfechtungstatbestände.
Im Fall der Masseunzulänglichkeit ist § 131 InsO daher in der Weise anzuwenden, dass an die Stelle eines Insolvenzgläubigers ein Altmassegläubiger und an die Stelle des Eröffnungsantrags die Anzeige der Masseunzulänglichkeit tritt. Ausgeschlossen ist allerdings die sinngemäße Anwendung des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, der an die Zahlungsunfähigkeit anknüpft, weil es bei der Masseunzulänglichkeit kein der Zahlungsunfähigkeit vergleichbares Kriterium gibt. Die Zahlungsunfähigkeit stellt auf die Liquidität ab (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO), die Masseunzulänglichkeit hingegen – wie die Überschuldung (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) – auf das Vermögen. Die Überschuldung ist in § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO aber nicht angesprochen. Anfechtbarkeit in sinngemäßer Anwendung des § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfordert im Fall der Masseunzulänglichkeit insbesondere, dass der Altmassegläubiger zur Zeit der Handlung wusste, dass die Masse nicht zur Befriedigung aller Altmassegläubiger ausreichen würde (vgl. BGH-Urteil vom 18.12.2003 IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, unter II.2.b.).
(3) Nach diesen Grundsätzen ist die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur insoweit – in sinngemäßer Anwendung des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO – anfechtbar, als sie auf den letzten Monat vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entfällt, das heißt den Zeitraum ab 04.05.2013 (vgl. § 139 Abs. 1 Satz 1 InsO analog). Für den Zeitraum vom 21.03.2013 bis 03.05.2013 ist die sinngemäße Anwendung des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgeschlossen und die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit in sinngemäßer Anwendung von § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO liegen nicht vor. Es sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, dass das Finanzamt nicht nur von einer möglicherweise bevorstehenden Insolvenz, sondern auch von der bevorstehenden Masseunzulänglichkeit wusste.
(4) Gleichwohl ist die Aufrechnung insgesamt ausgeschlossen, weil die Vergütung für die gesamte Dauer der vorläufigen Insolvenzverwaltung einheitlich festgesetzt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann das Finanzamt in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO mit Altmasseverbindlichkeiten nicht gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch aufrechnen, der teilweise auf Leistungen des Insolvenzverwalters vor und teilweise auf Leistungen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit beruht. Der Vorsteuervergütungsanspruch wird von dem Aufrechnungsverbot in vollem Umfang erfasst (BFH-Urteil in BFHE 220, 295, BStBl. II 2008, 506, unter II.2.). Gründe, weshalb in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO etwas Anderes gelten sollte, sind nicht ersichtlich. Daher unterliegen auch Vorsteuervergütungsansprüche, die – wie im Streitfall – nur teilweise auf entsprechend § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbaren, im Übrigen unanfechtbaren Rechtshandlungen beruhen, in vollem Umfang dem Aufrechnungsverbot.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Der Senat lässt nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu, weil die Frage, wann eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO analog vorliegt und wie weit gegebenenfalls das Aufrechnungsverbot reicht, von grundsätzlicher Bedeutung ist.


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