Insolvenzrecht

Erfolgloser Antrag auf Nachtragsverteilung

Aktenzeichen  1501 IN 2013/02

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
InsO InsO § 203 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Von der Anordnung einer Nachtragsverteilung kann abgesehen werden, wenn die zur Nachtragsverteilung anstehenden Vermögenswerte nicht in einem adäquaten Kosten/Nutzen-Verhältnis zum Aufwand und zu den Kosten des Verfahrens stehen.   (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist absehbar, dass die Nachtragsverteilung zu keinem wirtschaftlichen Vorteil für die Gläubiger führen wird, so ist deren Anordnung abzulehnen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag des Insolvenzverwalters auf Anordnung der Nachtragsverteilung wird zurückgewiesen.
2. Gemäß § 203 Abs. 3 S. 1 InsO wird angeordnet, dass das Vorkaufsrecht zugunsten der Rechtsvorgängerin der Schuldnerin, eingetragen unter der laufenden Nummer … in Abteilung II des Grundbuchs … Gemarkung … Bd. … Bl. … der Insolvenzschuldnerin überlassen wird.

Gründe

Mit Schreiben vom 17.07.2017 … beantragte der Insolvenzverwalter die Nachtragsverteilung. Der Antrag des Verwalters ist zulässig, aber unbegründet.
Zu Gunsten der Insolvenzschuldnerin ist ein Vorkaufsrecht an einem Grundstück in … eingetragen. Wirtschaftlich ist dieses Recht für die Masse wertlos, da für die Insolvenzmasse die Ausübung nicht mehr möglich ist. Auf die Ausführungen des Insolvenzverwalters in seinem Antrag wird verwiesen. Die aktuellen Eigentümer des betroffenen Grundstücks wären aber im Hinblick auf die gewünschte Löschung dieses Rechtes bereit, einen Maximalbetrag von … EUR zum Zwecke der Nachtragsverteilung an die Masse zu leisten. Desweiteren würden die Eigentümer die Notar- und Gerichtskosten im Rahmen der Löschung des Rechtes tragen.
Angesichts einer Zahl vom 452 Gläubigern und angemeldeten Forderungen in Höhe von … EUR sowie einer ausgeschütteten Quote von … % bei Verfahrensabschluss, ist aber absehbar, das der Verwalter möglicherweise seine Auslagen im Falle einer Nachtragsverteilung ggf. über die angebotenen … EUR decken kann, aber mit Sicherheit keinerlei Verteilung an die Gläubiger erfolgen wird.
Das Gericht kann von einer Nachtragsverteilung absehen, falls die zur Nachtragsverteilung anstehenden Vermögensgegenstände nicht in einem adäquaten Kosten/Nutzen-Verhältnis zum Aufwand und zu den Kosten des Verfahrens stehen, d.h. die Geringfügigkeit des Betrags im Verhältnis zu den Kosten des Nachtragsverteilungsverfahrens wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint (Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 6. Aufl., Rn. 15 zu § 203 InsO).
Der seit 01.01.2000 unverändert gebliebene § 203 InsO ermöglicht in Absatz drei die Anforderung eines Kostenvorschusses. Üblicherweise ist dann ein Kostenvorschuss anzufordern, wenn unklar ist, ob überhaupt ein Erlös durch die Nachtragsverteilung erzielt werden kann. Normzweck für den Kostenvorschuss ist aus Sicht des Gesetzgebers, dass eine Nachtragsverteilung nur dann stattfinden soll, wenn das Ergebnis für die Gläubiger ökonomisch sinnvoll erscheint (Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 6. Aufl., Rn. 17 zu § 203 InsO). Hierbei wird von Teilen der Literatur auch vertreten, dass ein Kostenvorschuss auch dann anzufordern sei, wenn abzusehen ist, dass die mit der Nachtragsverteilung verbundenen Kosten die zur Verteilung erzielten Beträge übersteigen werden (Hintzen, in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 2, 3. Aufl. 2013, Rn. 27 zu § 203). Wenn aber bereits sicher absehbar ist, dass die Kosten für die Nachtragsverteilung den Erlös der Verteilung übersteigen werden, ist mehr als fraglich, ob überhaupt noch von einer Verteilung gesprochen werden kann, da die Gläubiger mit Sicherheit keinen Vorteil erhalten werden. Insoweit würde sich ein Kostenvorschuss bereits erübrigen, da die Verteilung aus Verhältnismäßigkeitsgründen abzulehnen wäre.
Eine Vorschussanforderung kommt aber im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Kosten der Nachtragsverteilung sind überschaubar, auch sind voraussichtlich die Kosten der Nachtragsverteilung durch die Zahlungen von dritter Seite gedeckt.
Letztendlich soll im vorliegenden Fall eine Art „virtuelle Verteilung“ vorgenommen werden, da vorhersehbar ist, dass lediglich der Grundstückseigentümer durch den Wegfall der Grundstücksbelastung nach Durchführung der Nachtragsverteilung einen Nutzen erlangt, während für die Gläubiger kein Vorteil entsteht, aber aufgrund der Tragung der Kosten durch Dritte die Gläubigergesamtheit auch nicht belastet wird. Aus Gläubigersicht ist die Nachtragsverteilung als wirtschaftlich neutral anzusehen. Faktisch handelt es sich also im vorliegenden Fall nicht um eine Nachtragsverteilung, sondern sozusagen um eine Grundbuchberichtigung „durch die insolvenzrechtliche Hintertür“. Diese Verwendung der Nachtragsverteilung widerspricht aber nicht nur dem Normzweck des § 203 InsO, dessen Ziel die Verwertung unbekannt gebliebener Gegenstände zugunsten der Gläubiger ist, sondern auch dem allgemeinen Ziel des Insolvenzverfahrens in § 1 InsO, nämlich der gemeinschaftlichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Das Insolvenzgericht verkennt zwar nicht, dass dem Insolvenzverfahren durchaus auch eine Ordnungsfunktion im Wirtschaftsgefüge zukommt. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wegen der hohen rechtlichen Hürden für die Löschung gegenstandsloser Eintragungen im Grundbuch (§§ 84 ff. GBO) Nachtragsverteilungen rein zum Ziele der Löschung von im ursprünglichen Insolvenzverfahren nicht berücksichtigter, wirtschaftlich aber geringwertiger Grundbuchrechte durchgeführt werden. Dies widerspricht nicht nur dem Normzweck, sondern führt auch in der Rechtspraxis zu teilweise unhaltbaren Ergebnissen. So ist die Nachtragsverteilung nach § 203 InsO zeitlich nicht an Fristen gebunden. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen erst nach vielen Jahren einem Insolvenzschuldner zustehende Rechte im Grundbuch aufgedeckt werden, die Akten des Insolvenzverfahrens (wie die Handakten des Insolvenzverwalters) aber aufgrund Ablaufs der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen längst vernichtet wurden. Hier würde eine Nachtragsverteilung bereits daran scheitern, weil eine Aktenrekonstruktion weder erfolgversprechend noch im Verhältnis zu Aufwand und Kosten steht. Ähnliche Probleme ergeben sich daraus, dass der bundesdeutsche Gesetzgeber, obwohl er beim Entwurf der Insolvenzordnung Anleihen bei § 138 der österreichischen Konkursordnung genommen hatte (siehe Bundestagsdrucksache 12/2443, S. 187), die Regelung des § 138 Abs. 4 der österreichischen Konkursordnung, wonach Gläubiger, die bei einer Nachtragsverteilung weniger als … EUR erhalten würden, nicht zur berücksichtigen seien, nicht in die Insolvenzordnung übernommen hat. Das Fehlen einer solchen Mindestbegrenzung führt dazu, dass in Kleinverfahren eine Zweckentfremdung der Insolvenzordnung formal zulässig wäre, da auch bei einem geringen Wert der im Grundbuch dem Insolvenzschuldner zustehenden Rechte eine zumindest geringe Verteilung auf alle Gläubiger möglich ist. Hingegen wäre dies in Großverfahren, wo weitaus wahrscheinlicher ist, dass Rechte im Grundbuch während des laufenden Verfahrens übersehen werden, in der Regel nicht möglich, da aufgrund der Relation zwischen dem zur Verfügung stehendem Betrag und der Gläubigeranzahl eine werthaltige Verteilung nur auf Großgläubiger entfallen würde oder, wie im vorliegenden Fall, die „Verteilung“ lediglich kostendeckend ist.
Schlussendlich steht der Grundstückseigentümer, der die Löschung eines dem Insolvenzschuldner zustehenden Rechts wünscht, auch nicht schutzlos da. Es besteht die Möglichkeit, dass das Insolvenzgericht das betreffende Recht bei Ablehnung der Nachtragsanordnung, wie im vorliegenden Fall durch Beschluss geschehen, dem Schuldner überlässt. Damit ist im vorliegenden Fall der Weg für eine Nachtragsliquidation hinsichtlich des zu löschenden Rechts eröffnet und damit die Möglichkeit gegeben, eine Vereinbarung zwischen dem Nachtragsliquidator und den Grundstückseigentümern zwecks Löschung des Vorkaufsrechts zu treffen.


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