Insolvenzrecht

Insolvenzverfahren: Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Beschlussaufhebung bei mehrheitlich ablehnender Beschlussfassung der Gläubigerversammlung

Aktenzeichen  IX ZB 64/17

Datum:
28.5.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:280520BIXZB64.17.0
Normen:
§ 78 Abs 1 InsO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Beschlussaufhebung ist in der Regel nicht gegeben, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung mehrheitlich abgelehnt hat.

Verfahrensgang

vorgehend LG Bückeburg, 28. August 2017, Az: 4 T 57/17, Beschlussvorgehend AG Bückeburg, 7. Juni 2017, Az: 47 IN 17/15

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 28. August 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag der weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 10. April 2017 unzulässig ist.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren trägt die weitere Beteiligte.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die weitere Beteiligte ist Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über den Nachlass des am 16. Dezember 2016 verstorbenen    P.   (nachfolgend Schuldner). Noch zu Lebzeiten des Schuldners war am 1. März 2015 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden. Nach dem Tod des Schuldners wurde das Verfahren mit Beschluss vom 11. Januar 2017 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet. Es sind Forderungen in Höhe von gut 230.000 € zur Insolvenztabelle festgestellt. Davon entfallen etwa 150.000 € auf das Finanzamt.
2
Im März 2017 beantragte die weitere Beteiligte die Einberufung einer Gläubigerversammlung. Sie wollte sich von der Versammlung ermächtigen lassen, eine Auskunftsklage gegen die vom Schuldner vor Verfahrenseröffnung beschäftigte Steuerberatungsgesellschaft zu erheben (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Der Schuldner hatte an die Steuerberatungsgesellschaft mehrfach Geldbeträge gezahlt zur Weiterleitung an bestimmte Gläubiger, unter anderem an das Finanzamt. Durch die Auskunftsklage sollten mögliche Anfechtungsansprüche der Masse aufgedeckt werden.
3
Mit Beschluss vom 23. März 2017 ordnete das Insolvenzgericht für die beantragte Gläubigerversammlung das schriftliche Verfahren an und bestimmte den „Stichtag“ der Versammlung auf den 10. April 2017. An diesem Tag erklärte das Finanzamt schriftlich, dass es der von der Insolvenzverwalterin beabsichtigten Klage nicht zustimme. Weitere Gläubiger äußerten sich nicht. Ein unter dem 10. April 2017 durch die Rechtspflegerin verfasstes Protokoll, nach dem die Zustimmung durch die Gläubigerversammlung nicht festgestellt werden konnte, ging der Insolvenzverwalterin am 24. April 2017 formlos zu. Diese beantragte daraufhin mit einem am 25. April 2017 beim Insolvenzgericht eingegangenen Schriftsatz die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung gemäß § 78 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger.
4
Das Insolvenzgericht hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hat keinen Erfolg gehabt (LG Bückeburg, ZInsO 2019, 1174). Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Insolvenzverwalterin ihren Antrag auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung weiter.
II.
5
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
6
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Zulässigkeit des Antrags der weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung stehe nicht ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis entgegen. Im Falle der Aufhebung des Beschlusses habe die Gläubigerversammlung erneut über den Antrag, die weitere Beteiligte zur Erhebung der Auskunftsklage zu ermächtigen, abzustimmen. Damit ergäbe sich die – wenn auch angesichts des angekündigten Abstimmungsverhaltens des Finanzamts nur geringe – Chance auf eine positive Beschlussfassung. Gleichwohl könne dahingestellt bleiben, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Beschlusses vorlägen. Die weitere Beteiligte habe den Antrag auf Beschlussaufhebung nicht rechtzeitig gestellt.
7
2. Dies hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Mit Recht hat das Beschwerdegericht erkannt, dass der Antrag der weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung unzulässig ist. Es fehlt allerdings bereits am Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der weiteren Beteiligten auf Beschlussaufhebung.
8
a) § 78 InsO schafft ein “Veto-Recht” für die in Abs. 1 der Vorschrift genannten Gläubiger und den Insolvenzverwalter (vgl. MünchKomm-InsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 78 Rn. 1). Das Recht ist parallel zur Regelung des Stimmrechts ausgestaltet. Deshalb können absonderungsberechtigte Gläubiger und nicht nachrangige Insolvenzgläubiger die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen. Das Antragsrecht des Verwalters dient nicht der Verfolgung eigener, sondern der Wahrung der Interessen der in der Versammlung nicht erschienenen Gläubiger (BT-Drucks. 12/2443, S. 134). Auf diese Weise soll § 78 InsO der Verfolgung von Eigen- oder Sonderinteressen durch eine Mehrheit in der Gläubigerversammlung entgegenwirken (vgl. BT-Drucks. 12/2443, aaO). Das bedeutet nicht, dass Eigen- oder Sonderinteressen der Minderheit geschützt werden. Maßgeblich ist vielmehr das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger an der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (BT-Drucks. 12/7302, S. 164).
9
b) Zur möglichst weitgehenden Wahrung der Gläubigerautonomie ist der durch § 78 InsO vermittelte Schutz in doppelter Hinsicht beschränkt. Zum einen greift das “Veto-Recht” der Antragsberechtigten nicht ohne weiteres durch. Die Frage, ob der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, obliegt vielmehr der Beurteilung durch das Insolvenzgericht. Die zweite Beschränkung ergibt sich daraus, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung nur aufgehoben werden kann. Die Aufhebung des Beschlusses stellt die Lage wieder her, wie sie war, bevor der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechende Beschluss gefasst worden ist. Entsteht durch die Beschlussaufhebung eine Regelungslücke, so ist die Gläubigerversammlung dazu berufen, erneut zu entscheiden. Zu diesem Zwecke kann das Insolvenzgericht gehalten sein, eine Versammlung einzuberufen (vgl. Pape, ZInsO 2000, 469, 478; Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl., § 78 Rn. 30 mwN). Das Gericht ist aber nicht dazu berufen, die durch die Aufhebung des Beschlusses entstandene Lücke durch eigene Maßnahmen selbst zu schließen. Dies zeigt, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 78 Abs. 1 InsO nur im Blick auf solche Beschlüsse angenommen werden kann, deren Aufhebung den Widerspruch zum gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger jedenfalls vorläufig beseitigt. Hierzu muss der Beschluss den Widerspruch begründen oder jedenfalls vertiefen. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn die Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung lediglich ablehnt. Die Ablehnung mag dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprechen. Sie ändert jedoch nichts an der Ausgangslage, welche die nach § 78 Abs. 1 InsO in Betracht kommende Beschlussaufhebung allein wiederherzustellen vermag.
10
Die Aufhebung einer ablehnenden Entscheidung der Gläubigerversammlung ist auch nicht erforderlich, um eine erneute Beschlussfassung herbeizuführen. Die Gläubigerversammlung kann getroffene Beschlüsse jederzeit mit Wirkung für die Zukunft abändern oder aufheben (MünchKomm-InsO/Ehricke/Ahrens, 4. Aufl., § 76 Rn. 32; Schmidt/Jungmann, aaO § 76 Rn. 40; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl., § 76 Rn. 34; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, Juli 2019, § 76 Rn. 6). Insbesondere kann ein zunächst noch mehrheitlich abgelehnter Beschluss in einer späteren Versammlung doch noch gefasst werden. § 78 InsO verfolgt nicht das Ziel, der Gläubigerversammlung den Widerspruch gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger für eine erneute Beschlussfassung vor Augen zu führen. Mit der Beschlussaufhebung soll allein die Durchsetzung von Eigen- oder Sonderinteressen der (Stimmen-)Mehrheit verhindert werden. Eine Inanspruchnahme der Gerichte zum Zwecke der Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn der gefasste Beschluss die Ausgangslage zum Nachteil des gemeinsamen Interesses der Insolvenzgläubiger verändert hat. An einer solchen Veränderung zum Nachteil des gemeinsamen Interesses der Insolvenzgläubiger fehlt es im Streitfall.
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